Die Slowaken sind nach dem Attentat auf Premier Robert Fico geschockt und besorgt. Die meisten rechnen mit einer gefährlichen Zuspitzung der Lage. Nur ganz selten keimt Hoffnung auf. Ein Lokalaugenschein der WZ.
Eine schwarze Limousine rast mit Blaulicht in Richtung Präsidentenpalast, an neuralgischen Punkten Bratislavas wie dem Hauptbahnhof stehen Polizeibeamte. Wie die gesamte Slowakei ist die Hauptstadt nach dem Attentat auf Premier Robert Fico im Ausnahmezustand. In den Lokalen unterhalten sich die Menschen, sie schütteln ungläubig die Köpfe. Vor den Imbissbuden wird politisiert. Es gebe so viele Probleme in diesem Land, dass er gar nicht wisse, wo er anfangen solle, sagt ein Mann, der in einem kleinen Buffet in der Nähe des Hauptbahnhofs arbeitet. „Die Polarisierung im Land ist enorm.“ Fico-Anhänger und -Gegner stehen einander seit Jahren unversöhnlich gegenüber.
- Für dich interessant: Waldbrände in Kalifornien: Wie eine Familie alles verlor
In der Tat ist der Hass auf den Linksnationalisten Fico groß in der Slowakei. Seine Versuche, die Medien unter Kontrolle zu bekommen, seine Leute an die Polizeispitze zu hieven und möglicherweise die Justiz in seinem Sinn umzuformen, haben ihm den Vorwurf eingebracht, eine autoritäre Wende anzustreben, eine Orbanisierung des Landes voranzutreiben. Dazu kommt Ficos Weigerung, die Ukraine weiterhin mit Waffen zu unterstützen. Dieser Tage hätten in Bratislava Massenproteste gegen Fico und seine Regierung stattfinden sollen – sie wurden abgesagt.
Jetzt, nachdem der Premier, von drei Kugeln getroffen, vorerst knapp dem Tod entronnen ist, sitze der Schock tief, erklärt der Mann hinter der Buffettheke. Aber es gebe Hoffnung, dass die Menschen endlich zur Besinnung kämen, anfangen würden, nachzudenken, und die Lage sich schrittweise beruhige.
Öl ins Feuer
Andrej steht mit einer Schirmkappe auf dem Kopf im Regen vor dem Präsidentenpalast und wartet auf den Bus. „Da drinnen beraten sie gerade, wie sie die Situation bewältigen können“, sagt der junge Mann und deutet mit dem Daumen auf das repräsentative Gebäude mit der slowakischen und der EU-Fahne hinter ihm. Der designierte Präsident Peter Pellegrini, ein Fico-Verbündeter, und die noch amtierende Liberale Zuzana Caputova suchen fieberhaft einen Ausweg aus der Misere. Doch Andrej ist pessimistisch. Er glaubt, dass die Lage in Bratislava ruhig bleibt, aber auf dem Land, da, wo die eingefleischten Fico-Fans leben, könnte es bald krachen, befürchtet er. „Dort sind unter Umständen Leute, die nach dem Attentat zurückschlagen, sich rächen wollen.“ Zumal es Politiker gebe, die auf Eskalation aus sind und Öl ins Feuer gießen.
So hat der Chef der mit Ficos Smer koalierenden nationalistischen Partei SNS, Andrej Danko, den Medien die Hauptschuld an dem Attentat gegeben und Investigativjournalisten wie die des Onlinemediums „Dennik N“ als „Dreckschweine“ bezeichnet. Der stellvertretende Parlamentspräsident Lubos Blaha von Ficos Smer sagte, die liberalen Medien hätten den Hass auf Fico geschürt und ihm „den Galgen errichtet“. Gefährliche Worte in einem Land, in dem vor wenigen Jahren der Investigativjournalist Jan Kuciak und dessen Verlobte ermordet worden waren.
Auf dem Hauptplatz Bratislavas ist eine Bühne aufgebaut, hier findet das Wissenschafts-Festival „Starmus" statt, auf dem Podium wird gerade über Elektromobilität diskutiert. Das Wetter ist schlecht und die Menschen haben andere Probleme, so ist die Veranstaltung spärlich besucht. Jakub und Matej sind aus Tschechien hierhergekommen, um einen Infostand zu betreuen. Die Slowakei ist auch Jahrzehnte nach der Teilung ein Bruderland und beide Männer haben Angst, dass die Lage hier nach dem Attentat eskalieren könnte. Politiker wie Blaha täten alles, dass es so weit kommt, meinen sie. Aber noch sei völlig unklar, in welche Richtung sich die Lage entwickle.
Eine junge Slowakin steht dabei, sie ist schockiert über das, was passiert ist, sagt sie. Jetzt gehe es darum, „dass alle einen Diskussionsprozess starten“ und dass man endlich dazu übergehe, die politische Meinung eines anderen zu akzeptieren. In erster Linie müsse man nun hoffen, dass es dem Premier bald wieder besser gehe, meint sie.
Gefährliches Pflaster
In einer der vielen Plattenbau-Schluchten von Petrzalka am Rand der Stadt steht Livia am Tresen eines Würstelstandes, vor sich hat sie einen doppelten Schnaps. Neben ihr ein Straßenkehrer, der sich lautstark lachend mit der Budenbesitzerin unterhält. Sie habe eine Theorie, die zumindest bedenkenswert sei, sagt Livia. Handlova, der kleine Ort, wo das Attentat geschehen ist, sei ein gefährliches Pflaster für Politiker, weiß sie. Denn dort habe es vor einigen Jahren einen Bergwerksunfall mit vielen Todesopfern gegeben und die Leute hätten immer noch eine Mordswut im Bauch, die sie gegen Politiker:innen richten. Viele Waisenkinder gäbe es heute dort, sagt sie. Manche seien überdies enttäuscht, dass Pellegrini, der Kompagnon Ficos, die Präsidentschaftswahl gewonnen habe und nicht Ivan Korcok, von dem alle hofften, dass er Fico kontrollieren und in die Schranken weisen würde.
Mit dem Attentat habe niemand gerechnet, sagt Livia. Es sei aber weniger für sie selbst ein Schock als für Ficos Bodyguards, die das Attentat nicht verhindern konnten. „So etwas war hier bei uns in der Slowakei noch nie, das hat es nie gegeben“. Wie es nun weitergehen soll? Das sei nicht ihre Sache, darum müssten sich die Politiker:innen kümmern.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Ein Mann, der einen Kiosk unweit des Hauptbahnhofs am Laufen hält. Er hatte zwar keinen Kaffee mehr, dafür war er der Einzige, der eine Beruhigung der Lage zumindest erhofft.
Andrej. Er wartete vor dem Präsidentenpalst auf den Bus.
Jakub und Matej aus der Tschechischen Republik.
Eine junge Frau, die einen Infostand beim Starmus-Festival betreute und der als Einziger das physische Wohlergehen Ficos explizit ein Anliegen war.
Livia, die an einem Würstelstand Schnaps getrunken hat und außerdem beinahe perfekt Deutsch spricht.
Daten und Fakten
Robert Fico, slowakischer Premier, wurde 1964 in der damaligen CSSR geboren. Er ist studierter Jurist und war bereits von 2006 bis 2010 und von 20212 bis 2018 slowakischer Premier. Nach dem tödlichen Attentat auf den Journalisten Jan Kuciak musste er zurücktreten. Am 15. Mai wurde er in Handlova, etwa 150 Kilometer nordöstlich von Bratislava, von einem 71-Jährigen niedergeschossen.
Bratislava ist die Hautstadt der Slowakei mit rund 480.000 Einwohnern. Es leben dort als Minderheiten Ungarn, Tschechen und Deutsche.