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Drogenkonsum: Unser Abwasser enthüllt alle Geheimnisse

7 Min
Herbert Oberacher im WZ-Interview
© Illustration: WZ, Bildquelle: MUI/D. Bullock

Wer Drogen konsumiert, scheidet die Beweismittel unweigerlich aus. Wertvolle Informationen für Herbert Oberacher, analytischer Chemiker und Leiter der österreichischen Abwasserstudie – exklusiv im WZ-Interview.


Im Verborgenen der Kanalisation verbirgt sich die ungeschönte Wahrheit: Jeder Drogenkonsum hinterlässt seine Spuren. Die illegalen Substanzen fließen am Ende unweigerlich in die Kläranlagen – und werden dort zu wertvollen Daten für die analytische Chemie. Eine Wissenschaft deckt Geheimnisse auf.

Das weiß auch Herbert Oberacher, der vor knapp zehn Jahren das landesweite Drogenmonitoring auf die Beine stellte. Oberacher ist analytischer Chemiker am Institut für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Er gilt als Experte für Epidemiologie und Massenspektrometrie. Besonderes Interesse bekam sein Abwasser-Monitoring auch während der Corona-Pandemie.

Die WZ hat exklusiv mit Oberacher über die aufschlussreichen Erkenntnisse von Drogen im Abwasser gesprochen.

WZ | Maximilian Hatzl

Herr Oberacher, Sie sind analytischer Chemiker, was machen Sie den ganzen Tag?

Herbert Oberacher

Ziel der analytischen Chemie ist es, herauszufinden, woraus Stoffe und Materialien aufgebaut sind. Für mich geht es meistens um Anwendungen in der Medizin, sowie in den Bio- und Umweltwissenschaften. Mich interessiert, welche Moleküle in einer biologischen Probe vorhanden sind und welche Rückschlüsse wir daraus ziehen können. Im Bereich der forensischen Toxikologie interessiert uns beispielsweise, welche und wie viele Drogen und Pharmazeutika in einer Probe vorhanden sind, und welche Auswirkungen das auf die untersuchte Person haben könnte.

WZ | Maximilian Hatzl

Waren Sie auch für das Covid-19-Monitoring verantwortlich?

Herbert Oberacher

Wir sind 2016 in das Abwassermonitoring eingestiegen, weil wir eine komplementäre Informationsquelle über den Drogenmarkt erschließen wollten. Als die Pandemie begann, gab es erste Hinweise, dass das Virus auch im Abwasser nachweisbar sei. Wir versuchten, unser Knowhow aus dem Drogenmonitoring in diesem neuen Bereich umzusetzen. Relativ schnell etablierten wir dann gemeinsam mit Gesundheitsbehörden auf regionaler und nationaler Ebene Monitoring-Programme.

WZ | Maximilian Hatzl

Die jüngst veröffentlichte Studie zum Drogenkonsum in Europa hat für Österreich ein Ost-West-Gefälle ergeben: Der Kokainkonsum ist im Westen höher als im Osten. Warum?

Herbert Oberacher

Das kann ich nicht restlos beantworten, aber vermutlich geht es zum einen darum, wie der Markt versorgt wird, und auf der anderen Seite darum, wer konsumiert. Was sind die Vorlieben der Konsumenten und was ist der Preis, den sie für unterschiedliche Substanzen zahlen möchten? Letztlich sind synthetische Amphetamine und Kokain Stimulanzen mit ähnlichen Eigenschaften. Sie wirken leistungssteigernd. Dazu kommt manchmal auch der Hype um gewisse Substanzen. Wie bei jedem Markt sind Angebot und Nachfrage ausschlaggebend.

WZ | Maximilian Hatzl

Sie untersuchen landesweit das Abwasser von insgesamt 17 Kläranlagen. Geben diese ein gutes Gesamtbild ab oder gibt es Lücken?

Herbert Oberacher

Vielleicht braucht es hier eine kurze Erklärung, wie es zu diesen 17 Standorten gekommen ist. Denn 2016 war es sehr schwierig, überhaupt eine teilnehmende Kläranlage zu finden, die aufgeschlossen genug war, um das Abwassermonitoring zu unterstützen. Wir hatten das Glück, mit Innsbruck starten zu können. Über die Jahre hat sich das Ganze gesteigert, vor allem ab der Pandemie war es erheblich leichter, Zugang zu den Abwasserproben zu bekommen. Das Verständnis für das Abwassermonitoring ist deutlich gestiegen. Auch die Angst vor den Ergebnissen hat deutlich abgenommen.

Das Monitoringprogramm ist über die Jahre gewachsen. Was die Abdeckung betrifft, gibt es natürlich immer Luft nach oben. Aktuell fällt noch das Burgenland raus, aber auch in Niederösterreich und Oberösterreich wäre das Monitoring an der Grenze zu Tschechien sehr wichtig. Mit Ausnahme von Linz haben wir aktuell die größten Ballungszentren recht gut abgedeckt. Insgesamt erwischen wir gut 39 Prozent der Bevölkerung. Das gibt uns ein doch sehr aussagekräftiges Bild über den Drogenkonsum in Österreich.

WZ | Maximilian Hatzl

Wie laufen die Messungen im Labor ab?

Herbert Oberacher

In eine Kläranlage rinnen täglich mehrere 10.000 Kubikmeter Abwasser. Im Zulauf einer solchen Anlage befinden sich Probenehmer, welche kontinuierlich einen Teil des Abwassers entnehmen und nach 24 Stunden rund zehn Liter Mischprobe generieren. Von dieser landen 100 Milliliter im Labor. Zur Analyse brauchen wir 40 Mikroliter, deren Zusammensetzung wir in unserem Analysengerät aufschlüsseln. Wir erreichen Nachweisempfindlichkeiten von wenigen Nanogramm pro Liter. Das heißt, wenn man in Innsbruck, mit täglich rund 40.000 Kubikmeter Abwasser, eine einzige Ecstasy-Tablette ins Abwasser schmeißen würde, wäre die Konzentration immer noch hoch genug, dass wir sie nachweisen können.

WZ | Maximilian Hatzl

Man könnte die Messung also verfälschen?

Herbert Oberacher

Natürlich, wenn jemand seine Drogen im Klo entsorgt, dann würden wir sie auch im Abwasser finden – Sofern wir nicht das Stoffwechselprodukt messen.

WZ | Maximilian Hatzl

Wie bei Kokain?

Herbert Oberacher

Genau. Aber wir messen natürlich nicht nur an einem Tag, sondern an sieben Tage hintereinander. Wenn es allerdings konstant abweichend hohe Werte gibt, dann wäre das vielleicht ein Indiz dafür, dass in der Nähe Drogen produziert werden. So wird in den Benelux-Ländern nach Drogenlaboren gesucht. Ein typisch forensischer Ansatz, der in Österreich allerdings nicht verfolgt wird, da Österreich nicht als Produktionsland, sondern als Importland gilt.

WZ | Maximilian Hatzl

Ist unser Trinkwasser dann nicht giftig?

Herbert Oberacher

Nein, wir sprechen über Abwasser, das in die Kläranlage kommt. Zwischen dem Abwasser und dem möglichen Trinkwasser sind viele Stufen der Reinigung, bei der viele Substanzen entfernt werden. Das gereinigte Abwasser wird am Schluss extrem verdünnt an die Flüsse abgegeben, die wir ja nicht zur Trinkwassergewinnung verwenden. Dass die Substanzen ins Trinkwasser kommen, könnte sich nur ergeben, wenn die Flüsse mit dem Grundwasser in Verbindung stehen. Aber selbst, wenn: In so einer Verdünnung ist eine Wirkung der Drogen vollkommen ausgeschlossen. Umweltrelevant sollten wir eher andere Substanzen am Schirm haben, wie Pharmazeutika, Pestizide oder andere Industriechemikalien. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese über das Trinkwasser zum Menschen zurückkommen und ein gesundheitsrelevantes Problem darstellen können, ist deutlich höher.

WZ | Maximilian Hatzl

Wenn man das Monitoring europaweit vergleicht, wird in manchen Städten auch Ketamin gemessen. Warum nicht bei uns?

Herbert Oberacher

Ketamin können wir technisch messen, das ist kein Problem. Ich habe es bis jetzt allerdings nie in das Monitoring mit reingenommen, weil es auch als Pharmazeutikum verwendet wird. Wir lernen gerade erst, wie wir mit Ketamin umgehen können, was unsere Werte aussagen oder auch nicht. Bevor etwas überinterpretiert wird, bin ich eher zurückhaltend mit Veröffentlichungen.

WZ | Maximilian Hatzl

Die Droge Heroin wird europaweit nirgends gemessen, warum?

Herbert Oberacher

Heroin ist chemisch gesehen Diacetylmorphin, ein halbsynthetisches Opioid. Im Körper wird es sehr schnell verstoffwechselt und das Endprodukt ist Morphin. Damit sind wir wieder beim gleichen Thema. Wir messen natürlich Morphin, aber welches ist das Morphin, das vom verbotenen Heroin stammt, und welches ist das Morphin, das von einer medizinischen Anwendung kommt?

WZ | Maximilian Hatzl

In den USA ist Fentanyl aktuell ein großes Thema. Wird es uns in Österreich auch erreichen?

Herbert Oberacher

Auch Fentanyl ist ein medizinischer Wirkstoff, der bei uns im Gebrauch ist, in der Schmerzmedikation und in der Anästhesie. Hier bleibt die Frage, welcher Teil vom illegalen Konsum kommt und welcher Anteil von der medizinischen Anwendung stammt. Letztendlich sind Fentanyle aber eine Substanzgruppe mit mehreren Vertretern. Manche werden angewendet, manche wiederum nicht. Und es kommen immer wieder neue Substanzen dazu. Hier ist die Schwierigkeit also: wenige Konsumenten und viele verschiedene Substanzen. Um Aussagen über eine mögliche Fentanyl-Welle zu treffen, müssten wir regelmäßiger und in noch mehr Regionen messen. Wir hätten also eine andere Herangehensweise als bei Substanzen, von denen wir wissen, dass sie konsumiert werden. Es wäre ein Fischen nach etwas Neuem. Und da bleibt die Frage, wer die Kosten übernimmt und ob die Ergebnisse überhaupt mehr zur Lagebeurteilung beitragen könnten als andere. Im Konkreten die Auswertung von durch die Polizei beschlagnahmten Drogen oder die Analysenergebnisse im Rahmen von Drug-Checking-Programmen.


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Infos und Quellen

Genese

Für die Geschichte Drogen im Abwasser: Viel Schnee in Tirol interviewte der Autor Herbert Oberacher, den Leiter des österreichischen Abwasser-Monitorings. Da es nicht alle Aspekte in den obigen Artikel geschafft haben, wurde das Interview als eigener Artikel veröffentlicht.

Gesprächspartner

Herbert Oberacher ist promovierter analytischer Chemiker an der Universität Innsbruck. Seit 2003 arbeitet er am Institut für Gerichtliche Medizin. Er leitet dort das forensisch-toxikologische Forschungslabor und ist seit 2020 auch für das Corona-Monitoring zuständig. Als Autor und Co-Autor veröffentlichte er über 120 Forschungsarbeiten und er hält drei Patente. 2011 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

Daten und Fakten

  • Die neuesten von der Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA) veröffentlichten Daten stammen aus 133 Städten in 29 europäischen Ländern. Zur Erhebung der Daten wurden Abwasserproben über einen Zeitraum von einer Woche zwischen März und Mai 2024 analysiert. Es wurden Abwasserproben von etwa 68,8 Millionen Menschen analysiert. In Österreich findet die Messung bei 17 Kläranlagen statt.

  • Europaweit betrachtet steht Österreich im Mittelfeld. In Europa sind die Zentren, wo viele Drogen konsumiert werden, in den Beneluxstaaten zu finden. Oberacher betont jedoch, dass der österreichische Drogenmarkt ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden darf. Ein gewisser Teil der Bevölkerung konsumiert regelmäßig. Im europäischen Vergleich sei das jedoch nicht außergewöhnlich – laut Oberacher besteht kein Grund zur Panik, man müsse jedoch auf Präventionsmaßnahmen setzen.

  • Ein:e durchschnittliche:r Österreicher:in konsumiert im Schnitt täglich etwas mehr als ein Glas Wein, raucht ungefähr drei bis vier Zigaretten, konsumiert ungefähr 0,07 Joints und rund 1,5 Milligramm an aufputschenden Drogen, hauptsächlich Kokain.

  • Bei manchen Substanzen wird im Labor die Substanz selbst gemessen, etwa bei MDMA, Amphetamin und Methamphetamin, sie werden direkt ausgeschieden. Bei Cannabis wird THC-Carbonsäure gemessen, ein Stoffwechselprodukt.

  • Bei Kokain wird das Abbauprodukt Benzoylecgonin gemessen. Es entsteht in der Leber und wird anschließend ausgeschieden.

Quellen

Das Thema in der WZ

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