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Nach dem nächtlichen Angriff Israels auf den Iran, bei dem hohe Regime-Mitglieder getötet wurden, schwanken viele Iraner:innen zwischen Erleichterung, Angst – und dem Gefühl, dass ihr Staat sie nicht schützt. Stimmen aus dem Iran und der Diaspora:
„Angst, Wut und Unsicherheit – das sind die Gefühle, die wir hier in Teheran gerade verspüren. Ich selbst bin schon so abgestumpft nach allem, was in diesem Land schon passiert ist – aber heute in der Früh konntest du richtig spüren, wie die Angst den Leuten auf der Straße im Gesicht geschrieben steht. Wir haben versucht, das als einen weiteren Angriff, so wie wir sie gewohnt sind, zu sehen, aber diesmal ist das anders. “
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Hafiz* ist 35 und lebt in der iranischen Hauptstadt Teheran, beruflich ist er Filmemacher. Mit der WZ kommuniziert er über Telegram, andere Kommunikationskanäle sind dort wegen der vom Regime verhängten Internet-Zensur nur sehr schwer zugänglich. Hafiz‘ Wohnung befindet sich im Zentrum von Teheran.
In der Nacht auf Freitag hat Israel den Iran angegriffen. Unter dem Codenamen „Operation Rising Lion“ flog Israel einen groß angelegten Luftangriff auf über 100 Ziele im Iran. Darunter: militärische Anlagen, Waffenlager und die Urananreicherungsanlage in Natanz, aber auch zivile Einrichtungen kamen zu Schaden. Berichten zufolge wurden dabei hochrangige iranische Militärs, darunter General Hossein Salami und Militärchef Mohammad Bagheri, sowie zwei Nuklearwissenschaftler getötet. Es gibt auch zivile Todesopfer, offizielle Zahlen sind aber noch ausständig.
Israel begründet den Angriff damit, dass man Anzeichen erkannt habe, dass der Iran kurz vor der Fertigstellung einer Atombombe steht, und somit eine „existenzielle Bedrohung“ des jüdischen Volkes darin sieht, heißt es vom israelischen Armeesprecher. Der Iran bestreitet dies. Offiziell heißt es aus Teheran, das Programm diene der zivilen Energiegewinnung. Doch viele Länder – vor allem Israel und die USA – glauben, dass der Iran heimlich an Atomwaffen arbeitet.
Der iranische Außenminister Abbas Araghtschi wertet den Angriff als direkte Kriegserklärung: Am Freitagmorgen reagierte der Iran dann mit einem massiven Drohnenangriff. Mehr als 100 Drohnen wurden in Richtung Israel geschickt. Als Vorsichtsmaßnahme schloss Israel seinen Luftraum, Schulen und Universitäten bleiben vorerst geschlossen. Der Schattenkrieg zwischen dem Iran und Israel dauert schon seit Jahren an – durch Cyberangriffe oder Proxy- Angriffe auf Militärstützpunkte.
Der Unterschied zu „Operation Rising Lion“ besteht nun darin, dass Israel zum ersten Mal offen und großflächig iranisches Staatsgebiet angegriffen hat – nicht nur Milizen oder Verbündete. (Mehr dazu findest du unter Infos&Quellen).
Innenpolitisch ist die Lage im Iran ohnehin schwierig: Seit Jahren richten sich Proteste gegen das autoritäre Regime, das seit der Islamischen Revolution 1979 besteht und von Oberstem Führer Ali Khamenei dominiert wird. Besonders massiv war die Protestwelle 2022 nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, bei der Millionen Menschen – vor allem junge Frauen – unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf die Straße gegangen sind.
Das Regime reagierte mit brutaler Repression, Massenverhaftungen und Hinrichtungen, doch viele Iraner:innen haben ideologisch längst mit dem System gebrochen. Sie fordern politische Freiheit, Gleichberechtigung und ein Ende der religiösen Unterdrückung. Was bedeutet der Angriff Israels jetzt für die Menschen im Iran und die ohnehin instabile Lage vor Ort?
Wir sind wütend, weil unsere Regierung uns nicht davor schütztHafiz*, Filmemacher aus Teheran
„Dieses Regime repräsentiert nicht unser Volk“
„Die letzten Wochen waren schon so angespannt, aber bisher waren die israelischen Angriffe auf den Iran meist auf Militärbasen oder Soldaten gerichtet, deshalb haben wir hier noch eine Art Scheinsicherheit verspürt – aber jetzt wurden die hochrangigen Militärs in ihren Häusern getötet, inmitten von Zivilist:innen. Das erinnert mich an die Strategie, mit der Israel Hezbollah-Kommandanten im Libanon angreift. Wir sind wütend, weil unsere Regierung uns nicht davor schützt, man hätte das verhindern können“, so Hafiz.
Dieses Regime repräsentiert nicht unser VolkSimon Shirzad, Powi-Student
„Mein Cousin im Iran freut sich gerade, dass die Mullahs getötet wurden. Die Mehrheit der Menschen im Iran hat mit dem Regime ideologisch schon abgeschlossen – dieses Regime repräsentiert nicht unser Volk“, erzählt Simon Shirzad, der im Iran aufgewachsen ist und mittlerweile seit vielen Jahren in Wien lebt. „Das, was heute passiert ist, ist eine Zeitwende, weil diese Proxy-Fassade gefallen ist. Man darf nicht vergessen, dass die Islamische Republik, also das Mullah-Regime, ja die Huthis, die Hezbollah und die Hamas finanziell, militärisch oder logistisch unterstützt – das heute ist nicht aus heiterem Himmel passiert.”, so der Politikwissenschaft-Student. Durch den Gaza-Krieg sind die Hamas im Gazastreifen und die libanesische Hezbollah geschwächt – beide sind verbündete Milizen des Iran. „Es gibt Iraner:innen, die die Mullahs unterstützen, aber die sind in der Minderheit“ , so Simon. Er ist der Auffassung, dass der Nahe Osten ohne das iranische Mullah-Regime wesentlich stabiler wäre. „Die Iraner:innen verdienen Freiheit, die Israelis und Palästinenser:innen verdienen Sicherheit“, resümiert der 30-jährige.
„Iraner:innen haben keine Partei, die hinter ihnen steht"
„Iraner:innen haben keinen Staat, der sie schützt. Sie haben keine Partei, die hinter ihnen steht – außer von Exiliraner:innen haben die Menschen dort wirklich wenig Unterstützung“, erzählt Journalistin Sara Mohammadi, Wienerin mit iranischen Wurzeln.
Iraner:innen haben keinen Staat, der sie schütztSara Mohammadi, Journalistin
„Ich habe heute von meiner Tante erfahren, dass ein Verwandter von uns bei den Angriffen heute Nacht ums Leben gekommen ist, es herrscht Chaos, die Leute versuchen, ihre Autos schnell aufzutanken, solange es noch geht“, so die 28-jährige, die im Kontakt mit ihren Verwandten im Iran steht. “Viele von uns haben Angst davor, dass die Zivilist:innen die Nottragenden dieses Krieges sein werden, wie es sonst überall auch der Fall ist. Es wurden eben nicht nur militärische Ziele, sondern auch Wohngebäude getroffen. Gleichzeitig werden im Iran immer noch fast täglich Regime-Gegner:innen hingerichtet. Europäische Staaten beenden ihre Geschäftsbeziehungen zum Iran nicht und so dreht sich das immer weiter – und die Iraner:innen werden im Stich gelassen“. Im Jahr 2024 wurden im Iran mindestens 975 Menschen hingerichtet, ein Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Europäische Union verhängt seit Jahren Sanktionen gegen den Iran – trotz dieser Maßnahmen gibt es Kritik, weil einige europäische Firmen weiterhin indirekt mit dem Iran handeln. “Gleichzeitig ist es mir wichtig zu sagen, dass Israel durch den Angriff jetzt die Iraner:innen nicht “befreit” - Iraner:innen haben schon zu genüge bewiesen, dass die das Regime nicht akzeptieren und nicht mittragen wollen. Sie verdienen nicht, dass sie jetzt als Kollateralschaden eines Krieges, den sie nicht wollen, gesehen werden.", so die Journalistin.
„Europa ist nach ihren Lippenbekentnissen im Zuge der Proteste 2022 wieder dazu übergegangen, ihre Beziehungen zu diesem Regime zu normalisieren. Es gibt nicht wenige Iraner:innen, die die Tötung der Mitglieder der Revolutionsgarden feiern. Sie sind ja die, die für den Tod so vieler verantwortlich sind. Gleichzeitig haben wir es mit einem Netanyahu zu tun, der alles tut, um an der Macht zu bleiben.“, so Sara.
Was bei den Iraner:innen zu dieser chaotischen und verunsichernden Lage hinzukommt, ist das Gefühl, zwischen allen Fronten zu stehen: Weder ihr eigenes Regime noch die internationale Politik sind wirklich auf ihrer Seite.
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Infos und Quellen
Genese:
Israel hat in der Nacht auf Freitag den Iran angegriffen, Iran hat daraufhin mit Drohnen auf Israel zurückgeschlagen. Stv. Chefredakteurin Aleksandra Tulej stellte sich daraufhin die Frage, was diese großflächige Eskalation für Menschen im Iran und die iranische Diaspora in Österreich bedeutet.
Gesprächspartner:innen:
Hafiz*, 35, Filmemacher aus Teheran (Name der Redaktion bekannt, zu seiner Sicherheit geändert)
Sara Mohammadi, 28, Journalistin mit iranischen Wurzeln aus Wien
Simon Shirzad, 30, Politikwissenschaft-Student mit iranischen Wurzeln aus Wien
Daten und Fakten:
Was ist passiert?
Der Angriff in der Nacht auf Freitag gilt als einer der heftigsten seit Jahren und hat mehrere hochrangige iranische Militärs sowie zwei Nuklearwissenschaftler das Leben gekostet. Der Iran reagierte am Morgen danach mit einem massiven Drohnenangriff auf Israel. Beide Länder stehen sich im sogenannten Atomstreit seit Jahren feindlich gegenüber.
Im Zentrum dieses Konflikts steht das iranische Atomprogramm. Offiziell heißt es aus Teheran, das Programm diene der zivilen Energiegewinnung. Doch viele Länder – vor allem Israel und die USA – glauben, dass der Iran heimlich an Atomwaffen arbeitet. Besonders kritisch ist dabei die Urananreicherung: Je höher der Anreicherungsgrad, desto näher ist das Material an waffenfähigem Uran. Da der Iran sich seit Jahren nicht mehr an das Atomabkommen von 2015 hält und Inspektionen behindert, wächst das Misstrauen. Israel sieht darin eine direkte Bedrohung und handelt nun militärisch.
Um was geht es in dem Atomstreit?
Seit Jahren betreibt der Iran ein Atomprogramm mit zwei Anlagen zur Urananreicherung und einem Kernkraftwerk. Westliche Staaten werfen dem Iran vor, an Atomwaffen zu arbeiten. Der Iran bestreitet das. Laut einem IAEA-Bericht besitzt der Iran knapp 409 Kilogramm Uran mit einem Reinheitsgrad von 60 Prozent. Für Atomwaffen braucht man einen Reinheitsgrad von 90 Prozent.
Seit knapp zwei Monaten verhandeln die USA und der Iran über das iranische Atomprogramm – die USA fordern einen Stopp der Urananreicherung, der Iran lehnt das ab.
Was ist das iranische Regime?
Das iranische Regime ist ein autoritärer Staat, der seit der Islamischen Revolution 1979 besteht. An der Spitze steht der Oberste Führer Ali Khamenei, der mehr Macht hat als der gewählte Präsident und über Justiz, Militär und Medien bestimmt. Das politische System lässt nur Kandidaten zu, die vom Regime genehmigt werden, und schränkt Meinungsfreiheit, Presse und individuelle Rechte stark ein. Die Revolutionsgarde kontrolliert große Teile der Wirtschaft und geht hart gegen Proteste oder Kritik vor. Viele Menschen im Iran – vor allem die Jugend – lehnen das Regime ab und fordern Freiheit, Gleichberechtigung und ein Ende der religiösen Unterdrückung. Im Jahr 2024 wurden im Iran mindestens 975 Menschen hingerichtet, ein Anstieg von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Um was geht es bei den Protesten?
Die Proteste im Iran richten sich seit Jahren gegen das autoritäre Regime und seine repressiven Gesetze. Besonders stark war die Protestwelle 2022 nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, die wegen eines angeblich falsch getragenen Kopftuchs festgenommen und im Gewahrsam getötet wurde. Millionen Menschen, vor allem junge Frauen, gingen unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf die Straße. Das Regime reagierte mit Gewalt, Massenverhaftungen und zahlreichen Hinrichtungen. Trotz der harten Repression zeigt sich, dass viele Iraner:innen mit dem System gebrochen haben und einen politischen Wandel fordern.
Welche Rolle spielt die EU?
Die Europäische Union verhängt seit Jahren Sanktionen gegen den Iran – vor allem wegen seines Atomprogramms, Menschenrechtsverletzungen und der militärischen Unterstützung Russlands im Ukraine-Krieg. Aktuell stehen über 250 Personen und Organisationen aus dem Iran auf der EU-Sanktionsliste, darunter hochrangige Regimevertreter, Richter, Medien und Unternehmen. Sie dürfen nicht mehr in die EU einreisen und ihr Vermögen in Europa wurde eingefroren. Trotz dieser Maßnahmen gibt es Kritik, weil einige europäische Firmen weiterhin indirekt mit dem Iran handeln.
Das Thema in der WZ:
„Es macht keinen Sinn, jetzt einen Krieg mit dem Iran zu beginnen"
Das Thema in anderen Medien:
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