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JJ im Interview: „Wenn es zu ruhig wird, drehe ich durch“

7 Min
JJ gewann mit „Wasted Love“ den ESC in Basel. Er ist nach Udo Jürgens (1966) und Conchita Wurst (2014) der dritte österreichische Song-Contest-Gewinner.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Nach Udo Jürgens und Conchita Wurst reiht sich nun auch JJ, bürgerlich Johannes Pietsch, in die Riege der österreichischen Eurovision-Song-Contest-Legenden. Im WZ-Gespräch spricht er über Quiche, Musik, mutige Taten und füllt das WZ-Freundebuch aus.


Draußen steht die Stadt in der Hitze. Die Luft flimmert über dem Asphalt, T-Shirts kleben und die Klimaanlagen laufen auf Hochtouren. Drinnen im kühlen Halbdunkel des Hotel Josefine im 6. Wiener Gemeindebezirk nimmt der diesjährige ESC-Gewinner Johannes Pietsch – kurz JJ – in einem wuchtigen Rattansessel Platz. Er ist gut drauf und entspannt trotz der Interview-Odyssee, die ihn in den vergangenen Wochen durch halb Europa geführt hat. Wir merken: Da spricht jemand, der spürbar Freude daran hat, neue Leute kennenzulernen und von seinen Erfahrungen zu erzählen. Innerhalb kürzester Zeit wurde der ausgebildete Countertenor zum Publikumsliebling, heimste allerdings mit seiner Forderung, Israel im nächsten Jahr vom Songcontest auszuschließen, auch schnell seinen ersten Shitstorm ein. Was die plötzliche Aufmerksamkeit mit ihm macht?

WZ | Madeleine Geosits
Du musst momentan so viele Fragen beantworten. Welche Frage würdest du gern endlich mal wirklich gestellt kriegen?
JJ
Gute Frage. Vielleicht, ob ich schon gegessen habe (lacht).
WZ | Madeleine Geosits
Hast du schon gegessen?
JJ
Ja, danke der Nachfrage – voll lieb. Ich habe heute Quiche und einen Salat gegessen.
WZ | Madeleine Geosits
Du warst viel unterwegs in letzter Zeit. Wenn man dir auf Instagram folgt, dann sieht man, dass du in den letzten Wochen halb Europa bereist hast: Warschau, London, Amsterdam, Paris und so weiter. Dieser ganze Fame und diese Aufmerksamkeit sind doch sehr plötzlich gekommen. Wie kommst du denn damit zurecht?
JJ
Bisher recht gut eigentlich, weil es nicht wirklich von 0 auf 100 gekommen ist. Das hat schon mit dem Song-Release und kurz vor Basel, begonnen, weil wir in den Wettquoten so weit oben waren. Und das ständige Reisen macht mir Spaß. Ich bin gerne unterwegs und lerne neue Städte und neue Leute kennen.
WZ | Madeleine Geosits
Sehnst du dich jetzt mehr nach dem Alleinsein?
JJ
Ich habe immer mein eigenes Zimmer, wenn wir unterwegs sind. Deswegen habe ich auch meine Alone Time, sage ich mal. Aber wenn es zu ruhig ist, dann drehe ich durch. Ich brauche immer so ein bisschen Stimulation. Oder irgendwen zum Tratschen, ich kann das nicht, wenn es zu ruhig wird.
WZ | Madeleine Geosits
Wie kommst du dann runter nach so einem Interview-Marathon wie heute?
JJ
Da setze ich mich immer am liebsten mit meinen Vertrautesten zusammen. Das heißt, weil ich jetzt in Wien bin, mit der Family und mit meinen Freunden. Sie kommen dann vorbei und wir tratschen einfach oder machen einen Spieleabend, das hilft mir sehr, ein bisschen runterzukommen. Und wenn ich unterwegs bin, habe ich mein Team, das immer bei mir ist. Also das hilft mir schon. Und dann lachen wir, ich lache generell auch immer viel (lacht). Aber wenn wir gemeinsam zu Hause sind, blödeln wir gerne.
WZ | Madeleine Geosits
Hast du das Gefühl, dass dich die Menschen jetzt, wo der Erfolg so groß ist, anders behandeln?
JJ
Also, wenn ich jetzt, sagen wir mal, aus dem Supermarkt einen Ingwershot holen möchte, heißt es dann: „Ich hol ihn schon für dich.“ Oder wenn ich meine Koffer irgendwo mitschleppe, sagen sie: „Soll ich dir den Koffer abnehmen?“ Aber nein, ich kann das auch schon alleine. Aber es freut mich sehr, dass die Leute mir da helfen möchten. Es sind immer die kleinsten Dinge, die man dann irgendwie vermisst, wie zum Beispiel, mit der Bim zu fahren.
WZ | Madeleine Geosits
Fährst du momentan mit der Bim?
JJ
Nein, eigentlich nicht mehr. Jetzt zurzeit auf jeden Fall mal nicht, weil so viele Leute da sind, die mich dann auch erkennen. Es macht mir Spaß, aber dann verpasse ich halt meine Station (grinst).
WZ | Madeleine Geosits
Du kannst dich jetzt im öffentlichen Raum nicht mehr so bewegen wie andere junge Menschen in deinem Alter. Du musst auch sehr auf deine Wortwahl achten. Das war sicher keine einfache Umstellung. Weil du, das ist mein Gefühl, dein Herz auf der Zunge trägst und jetzt musst doch sehr darauf achten, was du sagst.
JJ
Ja genau, ich bin halt so wie ich bin. Ich habe natürlich gemerkt, dass durch den Sieg die volle Aufmerksamkeit auf mich gerichtet ist. Viele Leute reden über den ESC und mit dem Hype möchte ich mitgehen, um dann auch meine neue Musik zu promoten. Aber ja, es passiert sehr viel gerade.
ESC-Gewinner JJ beim Ausfüllen des WZ-Freundebuchs
ESC-Gewinner JJ beim Ausfüllen des WZ-Freundebuchs.
© WZ
WZ | Madeleine Geosits
Gab es in deiner doch noch jungen Karriere einen Moment, wo du an dir und deinem Können gezweifelt hast?
JJ
Ich glaube, das hat jeder oder jede junge Künstler:in schon mal gehabt. Und das war vor allem in der Zeit, wo ich meinen Sound finden musste – auch in der klassischen Musik. Da habe ich mich gefragt, ob es wirklich das ist, was ich machen möchte. Aber dann dachte ich mir: „Weißt du was? Forget it!“ Ich mache einfach das, wonach mir ist. Es heißt immer, dass es bestimmte Regeln gibt, die man befolgen muss: Du darfst das und das nicht machen. Aber ehrlich gesagt, gibt es keine Regeln in der Musik. Du kannst dich so ausdrücken, wie du dich ausdrücken möchtest. Und deswegen freue ich mich sehr, dass dieses Genre-Blending, also das Vermischen der zwei musikalischen Welten, so toll aufgenommen wird.
WZ | Madeleine Geosits
Du bist die erste Person mit philippinischen Wurzeln, die den ESC gewonnen hat und du repräsentierst die queere Szene. Hast du das Gefühl, dass du in der Welt etwas bewegen und Menschen vielleicht auch Kraft spenden kannst mit dem, was du tust?
JJ
Ja, ich freue mich sehr, dass ich auch junge Künstler:innen inspirieren kann, sich in der Musik auszutoben. Und es gibt einige Leute, die mir auch schon geschrieben haben: „Hey, danke, dass das du deine Kunstform so präsentiert hast, das hat mich inspiriert, selbst in die klassische Musik zu gehen.“ Andere schreiben mir wiederum, dass sie sich jetzt wohler fühlen mit ihrer Identität.
WZ | Madeleine Geosits
Wann war der Moment, in dem du gesagt hast: „Ja, ich werde Countertenor“?
JJ
Das war nach dem Stimmbruch, da habe ich gemerkt, dass ich noch eine hohe Gesangsstimme habe. Ich habe das anfangs als coolen Partytrick gesehen. Und dann habe ich gemerkt, dass es den Leuten sehr gefallen hat – und auch mir hat es gefallen, so zu singen, dann dachte ich: Das mach’ ich zur Karriere.
Ich hab die hohe Gesangsstimme anfangs noch als coolen Partytrick gesehen.
WZ | Madeleine Geosits
Was würdest du sagen war das Mutigste, was du beruflich oder privat jemals gemacht hast? Achtung: Die Teilnahme beim ESC gilt nicht.
JJ
Das ist schwer. Das Mutigste ... ich würde sagen, tatsächlich Teya (Co-Songschreiberin und Managerin von JJ, Anm.) zu schreiben, dass ich meinen allerersten Song veröffentlichen möchte. Für mich war das Genre Pop fremdes Territorium. Ich habe ja immer nur klassische Musik gemacht und gesungen. Das war für mich so ein Riesenschritt, weil ich nicht wusste, wie man das überhaupt gut mischen kann – Pop und Oper. Das war schon eine Überwindung, dann Teya zu schreiben: „Hey, magst du mir da helfen?“ Weil ich gerne immer versuche, alles selbst zu machen. Durch diese Erfahrung habe ich gelernt: Es sind Leute da draußen, die dich unterstützen. Frag sie doch einfach. Mehr als ein „Nein“ kann man nicht bekommen. Und ich glaube, das ist bis jetzt das Mutigste, was ich gemacht habe.
WZ | Madeleine Geosits
Hat JJ auch Schwächen?
JJ
Uh, JJs Schwächen sind vielleicht, dass er sich oftmals nicht zu sehr ernst nehmen kann. Also, ich blödle wirklich so gern herum. Vor allem auch mit meinem Team. Wir haben da so einen Running Gag: Ich nenne sie immer Kim Kardashian, wir sprechen dann in einer nasalen ‚vocal fry‘ Stimme miteinander. Außerdem bin ich immer sehr energiegeladen und man muss mich immer wieder ein bisschen beruhigen. Ich glaube, es ist eher meine Schwäche, dass ich nie zur Ruhe kommen kann.

Zum Abschluss gibt’s jetzt noch eine Konstante, die künftig öfter Teil von Gesprächen mit Künstler:innen sein wird: Das WZ-Freundebuch. Ja genau, so eines wie früher. Und das ist der Punkt, wo die Frage nach dem Lieblingsessen plötzlich journalistisch relevant wird.

Ein Foto vom WZ-Freundebuch mit dem Eintrag von JJ
JJ: Genieße jeden Moment
© WZ


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Infos und Quellen

Genese

Wir haben uns die Frage gestellt, wie es dem ESC-Gewinner 2025 einige Wochen nach dem Sieg geht. Wie er mit dem plötzlichen Ruhm umgeht und was er macht, um auch mal runterzukommen. Das Interview wurde im Hotel Josefine aufgezeichnet, und zwar im Rahmen eines Promotages, an dem JJ mehrere Interviews gegeben hat.

Daten und Fakten

  • Teya: Teodora Špirić wird auch Teya genannt. Sie 25-Jährige ist mit dem Duo Teya & Selena 2023 selbst beim Eurovision Song Contest angetreten. Die Songwriterin hat den Siegersong von JJ mitgeschrieben.
  • Countertenor: Ein Countertenor ist ein Mann, der mit hoher Kopfstimme singen kann. Die Bezeichnung stammt aus dem Italienischen und leitet sich von contra-tenore ab, was so viel wie „die Stimme, die gegen den Tenor steht“ bedeutet.
  • Vocal fry: Vocal fry ist eine Stimmtechnik, sie wird im Deutschen als „Stimmbrutzeln“ bezeichnet wird.

Quellen