Warum arbeiten so viele Menschen in Österreich in Teilzeit? Welche Anreize machen ein Aufstocken der Stunden eigentlich so unattraktiv?
Nachdem wir diese Kleinigkeit mit der Wahl und der Konstituierung des Nationalrats jetzt hinter uns haben, kommen wir zurück zu unserem sachpolitischen Programm. Während es mit der nächsten Regierung noch ein wenig dauern wird – die Verhandler:innen sind diese Woche nach einem schnellen Sondieren vergangenen Freitag gleich einmal auf Herbstferien gegangen, berichtet der Falter – türmen sich die To-Dos für selbige höher und höher.
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Trend zur Teilzeit
Auch wenn es schwer ist, unter den anzugehenden Aufgaben Prioritäten zu setzen: Den Wirtschaftsstandort in Schwung zu bringen, wird auf alle Fälle weit oben stehen müssen – nicht zuletzt, weil er die Rechnung für alles andere zahlt, was die Republik so für ihre Bürger:innen leistet. Ein Baustein dazu wird wohl sein müssen, Vollzeitarbeit gegenüber Teilzeit attraktiver zu machen – über den Trend zur Teilzeit und darüber, dass es sich nicht ausgehen wird, wenn gleich viele Leute weniger arbeiten, aber viel mehr Pensionist:innen erhalten müssen, haben wir uns hier ja schon mehrmals unterhalten.
Weswegen ich eine Studie sehr interessant finde, die das Wirtschaftsministerium unter dem gleich doppelt scheidenden Minister Martin Kocher – der Ökonom wird Nationalbankgouverneur und die türkis-grüne Regierungsriege dient sowieso nur noch auf Abruf, bis eine neue steht – soeben von den VWL-Professoren Viktor Steiner und Florian Wakolbinger erhalten hat. Unter dem Titel „Ökonomische Hemmnisse der Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit“ analysieren die beiden die österreichische Problematik und rechnen drei mögliche Reformen durch, die mehr Menschen zum Umstieg auf Vollzeitarbeit bewegen könnten.
Hier findest du die ganze Studie – im Folgenden möchte ich drei Punkte herausgreifen, die mir besonders interessant scheinen, auch im Hinblick auf mögliche Maßnahmen, die unsere nächste Koalition in dieser Sache ergreifen könnte:
den Status Quo zunehmender Teilzeitbeschäftigung
die drei Faktoren, die die Wissenschaftler untersucht haben
die politischen Wahrscheinlichkeiten dahinter
Den Ist-Zustand können wir recht schnell abhandeln, denn wie gesagt war der langfristige Trend zur Teilzeit hier schon mehrfach Thema – ich lasse dir einfach die Links zu den Newslettern „Wir steigern das Bruttoinlandsprodukt“ und „Und wenn sie gar nicht mehr arbeiten wollen“ sowie diese Grafik hier:
Teilzeitquoten
Wir sehen hier, dass die Erwerbstätigen in Österreich (hell die Männer, dunkel die Frauen) langfristig weniger Stunden arbeiten. Das deckt sich mit der Feststellung von Steiner/Wakolbinger fürs Ministerium, die auch noch andere Staaten miteinbezieht:
Dieser Vergleich der Teilzeitquoten 2011, 2019 und 2022 zeigt uns: Während Teilzeit in den meisten anderen EU-Staaten rückläufig ist, steigt sie in Österreich stark an. Und das liegt, schreiben die Autoren, nicht am mangelnden Angebot an Vollzeitstellen, sondern eher am Wunsch, nicht Vollzeit arbeiten zu wollen. Und auch wenn Kinderbetreuung der häufigste Grund für Teilzeitarbeit ist – weswegen die Autoren einen weiteren Ausbau vor allem von Kinderkrippen nahelegen – sei der Wunsch, nur Teilzeit zu arbeiten, unter Frauen ohne Kinder stärker ausgeprägt als bei Frauen mit Kindern.
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Weswegen die Frage ist, ob und inwieweit der Staat eine solche „gewünschte“ Teilzeit fördern soll. Vor allem drei Anreize sind es, die ein Aufstocken der Stunden unattraktiv machen:
Erstens die Notstandshilfe in Kombination mit geringfügiger Beschäftigung, die eine Beschäftigung mit sehr wenigen Stunden attraktiv macht:
Hier simulieren die Autoren das Nettoeinkommen eines Singles ohne Kinder, der zu einem Stundenlohn von 15,9 Euro arbeiten könnte: „Hätte diese Person Anspruch auf Notstandshilfe (…), so wäre wie ersichtlich das Nettoeinkommen bei einem Wochenstundenausmaß von etwa 25 Stunden mit rund 1.600 Euro gleich hoch wie bei einem Wochenstundenausmaß von sieben bis acht Stunden.“
Zweitens die Nicht-Anrechnung der Partnereinkommen auf die Notstandshilfe, die zu einer ähnlichen Verzerrung führen:
Auch hier führt die Notstandshilfe (in der oberen schwarzen Linie bei relativ hohen Einkommen, in der unteren bei niedrigen) dazu, dass der Haushalt erst bei einem hohen Ausmaß gearbeiteter Stunden ein ähnliches Nettoeinkommen hat, als wenn der arbeitslose Partner nur geringfügig arbeitet und dazu die Notstandshilfe erhält.
Die dritte Simulation zeigt die diversen steuer- und abgabenrechtlichen Begünstigungen niedriger Löhne – reduzierte Sozialversicherungsbeiträge und Negativsteuer –, die Einkommen bis etwa 20 Stunden gegenüber höheren mit mehr Stunden begünstigen:
Drei Reformmodelle
Daraus leitet die Studie drei unterschiedlich große Reformmodelle ab:
Das sind alles sehr technische Maßnahmen, vereinfacht gesagt hieße das, in unterschiedlichen Ausprägungen die bisherige „soziale“ Komponente von Notstandshilfe und Abgabenrecht umzudrehen: Statt wie bisher niedrigere Einkommen gegenüber hohen zu begünstigen, indem geringfügige Löhne Sozialleistungen nicht ausschließen, sollten stattdessen ab einem Einkommen von 100 Euro im Monat staatliche Leistungen gekürzt werden. Auf der anderen Seite der Skala würde bei Bruttoeinkommen von bis zu 3.500 Euro ein Absetzbetrag – ein „Vollzeitbonus“ quasi – dafür sorgen, dass solche Einkommen steuerlich attraktiver als bisher werden.
Die Folge wäre das hier:
Unser Notstandshilfe beziehender Single aus dem Beispiel weiter oben würde statt der schwarzen Linie – der Status Quo – die roten Verdienstmöglichkeiten haben. Bis zu ca. zehn Wochenstunden bekäme er netto weniger als bisher, danach – abhängig von der „Reformstufe“ – mehr.
Ob das politisch umsetzbar ist – mit der SPÖ ist ja eine Partei Teil der Regierungsverhandlungen, die sich für die ärmeren Teile der Gesellschaft besonders einsetzt –, darf man vorsichtig bezweifeln; eine Reform der Notstandshilfe ist ja schon in den vergangenen beiden Koalitionen mehrfach gescheitert. Besonders bei der Anrechnung des Partnereinkommens auf die Notstandshilfe bin ich skeptisch, dass das realpolitisch durchsetzbar ist.
Was für die Varianten spricht, die dem Arbeitsministerium in dieser Studie vorgelegt wurden: Sie sind praktisch aufkommensneutral, weil die entgangenen Steuereinnahmen durch den Bonus durch die geringeren Sozialleistungen finanziert werden, wie die Volkswirte vorrechnen – zumindest, wenn sich die erwarteten Beschäftigungseffekte manifestieren, dass nämlich dank der neuen Anreize zehntausende Vollzeitäquivalente mehr an Arbeitsleistung zu erwarten seien.
Spannende Vorschläge jedenfalls.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Bundesministerium Arbeit und Wirtschaft: Ökonomische Hemmnisse der Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit (PDF)