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Der US-Präsident Donald Trump streicht Gelder, die San Francisco dringend zur Bekämpfung des extrem gefährlichen Rauschgiftes Fentanyl brauchen würde. San Francisco ist trotzdem ein gutes Beispiel dafür, wie intelligente Konzepte funktionieren.
Am vergangenen Mittwoch klopfte es an der Tür einer Wohnung am Martin Luther King Jr. Way in Oakland. Beamte verschiedener Einheiten, darunter der San Francisco Police (SFPD) und der Drug Enforcement Administration (DEA), hatten das Gebäude umstellt und sämtliche Ein- und Ausgänge abgeriegelt. Eine Flucht war ausgeschlossen. Alles musste schnell gehen, um zu verhindern, dass mögliche Beweismittel vernichtet werden. Gefunden wurden rund drei Kilogramm an Drogen, darunter etwa 2,5 Kilogramm Fentanyl. „Diese Drogen waren für San Francisco bestimmt. Einsätze wie diese haben erhebliche Auswirkungen darauf, unsere Stadt sicherer zu machen“, sagte der amtierende Polizeichef für San Francisco, Paul Yep der Presse nach dem Einsatz in der Nachbarstadt Oakland.
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Es war nicht das erste Mal, dass große Mengen Drogen außerhalb von San Francisco beschlagnahmt wurden, die für die „City by the Bay“ bestimmt waren. Im Jänner dieses Jahres wurden in East-Oakland, das östlich von San Francisco auf der anderen Seite der San Francisco Bay liegt, 28 Kilogramm Fentanyl gefunden. Die Drogen hätten in die Bezirke auf der anderen Seite der Brücke gebracht und dort gezielt verkauft werden sollten.
Tausende Drogentote in wenigen Jahren
Was diese richterlich angeordneten Einsätze der Polizeieinheiten aus San Francisco auch belegen, ist, dass man nicht länger zuschaut und darauf hofft, dass die Krise einfach so vorübergeht. In der Weltmetropole am Golden Gate war die Droge in den letzten fünf Jahren für nahezu zwei Drittel der mehr als 3.700 Drogentoten verantwortlich. Für Matt Dorsey, San Franciscos Supervisor (eine Art Gemeinderatsabgeordneter), ist daher auch klar: „Wenn wir so viele Menschen hier durch Schießereien verloren hätten”, sagte er zur WZ, „dann ließe der Gouverneur die Nationalgarde auf den Straßen patrouillieren.“ San Francisco habe seit den dunkelsten Tagen der Aids-Krise nicht mehr so viele Menschen auf einmal verloren.
Doch lange Zeit passierte nichts oder zu wenig. Die liberale Drogenpolitik von San Francisco mit der Entkriminalisierung von Kleindealer:innen und Süchtigen beförderte die Fentanyl-Krise zusätzlich: Dealer:innen konnten ungestört eine Droge verkaufen, die 50-mal wirksamer ist als Heroin und 100-mal stärker wirkt als Morphin.
Im Jahr 2020 beschlagnahmte die Polizei in San Francisco fünfeinhalb Kilo Fentanyl, ein Jahr später 25 Kilo. Im Jahr 2022 wurden allein im berüchtigten Problemviertel Tenderloin 65,37 Kilogramm Fentanyl beschlagnahmt.
Fentanyl wurde zu einer Public-health-Krise und das nicht versteckt, abseits und am Rande der Stadt, sondern in unmittelbarer Nähe des Rathauses, in einem Areal, das etwa zehn mal zehn Straßenblocks umfasst. Es sei der „perfect storm“ gewesen, beschreibt es Matt Dorsey. Die Stadt sei zwar relativ gut durch die Covid-Pandemie gekommen, doch gleichzeitig fielen direkte Hilfen und Unterstützung für Süchtige weg, Einrichtungen wurden vorübergehend geschlossen, mit Zoom-Gesprächen konnte man niemanden auf der Straße erreichen. Das alles passierte zu einer Zeit, als Fentanyl den Drogenmarkt in den USA überschwemmte und San Francisco 2020 mit Chesa Boudin einen progressiven Staatsanwalt neu ins Amt gewählt hatte, der nicht länger einfache Drogendealer:innen strafrechtlich verfolgen wollte.
Zur Polizeiführung meinte Boudin „bring me kilos, not crumbs“ – bringt mir Kilos und keine Krümel. „Er hatte da ein total veraltetes Bild im Kopf, das vielleicht noch für Heroin oder Meth galt“, sagt Supervisor Dorsey. „Aber wenn wir über Fentanyl sprechen, dann sind es Krümel, die die Leute umbringen. Das muss also ernst genommen werden.“
Ohne Perspektive
Adam sitzt auf dem Boden, an eine Hauswand an der Hyde Street gelehnt. An der Ecke ein Corner Store, ein billiges Hotel. Der 27-Jährige trägt Jeans, Turnschuhe, ein schwarzes Kapuzen-Sweatshirt. Neben ihm steht ein Rucksack, etwas versteckt dahinter eine Glaspfeife. Seit ein paar Jahren sei er hier in San Francisco. Schlafen würde er in einem Hotel ein paar Straßen weiter. Reden wolle er eigentlich nicht, sagt er zur WZ, erzählt dann doch etwas von sich. Er sei ursprünglich aus einer kleinen Stadt in Idaho. Irgendwann wollte er einfach nur noch weg, das Golden Gate lockte aus der Ferne. Vom konservativen Idaho ins liberale Kalifornien. Er hatte Pläne, was genau, darüber will er nicht reden: „Dies und das, irgendwas mit Informatik“. Doch dann begann sein Absturz: erst Heroin, dann Fentanyl. Er raucht das Pulver, Spritzen sind nicht so sein Ding. Wie es weitergehen soll, das wisse er nicht, aber „es hat sich hier schon total verändert in den letzten Monaten. Das war hier wie ein Dschungel. Das Zeug war billig, leicht zu bekommen. Doch das ist nicht mehr.“ Viel Polizei, viele Verhaftungen von Dealer:innen, meint Adam. Er selbst werde ständig verjagt.
Kämpferische Mütter
Dasselbe hat auch Corey erlebt. Er war immer wieder obdachlos, schlief in einem Zelt in einem Park in Oakland, kam dann jeden Tag mit der U-Bahn nach San Francisco, um sich hier seine Drogen zu besorgen. Erst Heroin, dann sechs Jahre lang Fentanyl. Nach 14 Jahren auf Droge sei er nun endlich in einer Rehabilitationseinrichtung, erzählt seine Mutter Jacqui Berlinn. Jacqui und Gina McDonald, ihre Mitstreiterin bei der Bürgerinitiative Mothers Against Drug Deaths, habe ich vor wenigen Jahren kennengelernt. Wir blieben in Kontakt. Damals begleitete ich sie durch die Tenderloin. Jacqui suchte auf den verdreckten Straßen, nach ihrem Sohn. Sie ging auf Menschen zu, die auf dem Bürgersteig schliefen oder in sich zusammen gesunken an einer Hauswand saßen, ihre Gesichter unter Kapuzen oder Decken versteckt.
Jeder am Boden liegende Mann hätte ihr Sohn sein und wie so viele unbemerkt und einsam auf den Straßen San Franciscos sterben können. Denn viel Empathie für die Drogenabhängigen gab es da nicht mehr, Passant:innen liefen einfach an den leblosen Körpern vorbei. „Das ist furchtbar, so zu tun, als gebe es sie nicht, dass sie es nicht wert sind, überhaupt wahrgenommen zu werden.“
Doch nun lächelt Jacqui Berlinn. Ihr Sohn sei nun seit über 50 Tagen clean. Er sei ein ganz anderer Mensch, ihr Corey, ihr Sohn. Was geholfen habe, sei eine neue Vorgangsweise auf den Straßen von San Francisco gewesen unter dem neuen Bürgermeister Daniel Lurie, der im November 2024 gewählt wurde. Drogendealer:innen wurden verhaftet und verurteilt. Auch die Arbeit der Streetworker veränderte sich, erzählt Jacqui Berlinn. Corey habe immer gefragt, was diese Sozialarbeiter:innen anbieten, wenn er sie sah. „Und dieses Mal fragten sie ihn, was er braucht. Und er meinte, er wolle in Rehab. Sie gaben ihm dann nicht einfach nur eine Nummer, um anzurufen, sondern nahmen ihn gleich mit und brachten ihn zu dem Zentrum.“ Die 60-jährige Mutter strahlt. „Ich bin so voller Hoffnung. Ich habe ihn am Wochenende besucht und sein Denken, sein Auftreten haben sich total verändert. Ich glaube, diesmal schafft er es.“
Verbesserte Lage
Neben Jacqui sitzt Gina McDonald. Sie ist eine energische Frau mit verrauchter Stimme. Gina war selbst drogenabhängig, schaffte es aber aus der Sucht. Dann bemerkte sie, wie ihre 24-jährige Tochter Sam abrutschte. An einem Abend fand sie sie in der Tenderloin von San Francisco, zerrte sie ins Auto. „Da hielt neben mir eine Polizeistreife und wollten wissen, was ich mache. Die Drogendealer an der Straßenecke interessierten sie gar nicht, auch nicht die Süchtigen, die sich da auf dem Bürgersteig etwas spritzten, aber sie fragten mich. Da habe ich ihnen gesagt: Das ist meine Tochter, die ich hier weghole. Entweder verhaftet ihr uns beide oder ihr lasst mich jetzt in Ruhe.“ Ihre Tochter ist nun seit dreieinhalb Jahren clean, ist weggezogen von San Francisco, hat eine Wohnung, studiert. „Ich werde aber noch immer nervös, wenn ich einen Tag lang nichts von ihr höre.
Die beiden kämpfen weiter. Jacqui nun mehr im Hintergrund, ist Ansprechpartnerin für Mütter, die ihre Kinder suchen. Gina ist noch immer draußen auf den Straßen unterwegs „Mein Leben hängt davon ab, denn ich bin in ‚Recovery‘. Ich muss das weiter machen. Das ist einer der Grundsätze des Programms: zurückzugeben, was man bekommen hat.
Sie sehen den Unterschied auf den Straßen von San Francisco, es hat sich stark verbessert. Aber die Lage ist nicht perfekt, wie es auch Supervisor Matt Dorsey beschreibt. „Der 24-Stunden-Drogenmarkt ist verschwunden, aber in den Nachtstunden ist da immer noch sehr viel los“, meint Dorsey. Was vor allem geholfen habe, sei, dass der US-Generalstaatsanwalt für San Francisco unter Präsident Joe Biden eingegriffen und die Verhaftungen von Straßendealern an sich gerissen habe. „Normalerweise machen sich die Bundespolizisten mit dieser Form von Straßenkriminalität nicht die Finger dreckig. Die konzentrieren sich mehr auf Wirtschaftskriminalität und Machenschaften des organisierten Verbrechens.“ Die Begründung war, der Straßenhandel sei eine Folge der offenen Grenzen und des Drogenschmuggels der Kartelle, daher sei das ein Fall für den US-Staatsanwalt und Bundespolizeieinheiten. Damit konnten auch die Vorgaben in der „Sanctuary City“ von San Francisco umgangen werden, die besagten, Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus, die in der Stadt verhaftet werden, würden nicht an ICE, die „Immigration and Customs Enforcement“, ausgeliefert und somit abgeschoben werden.
Trumps Abriegelungspolitik fruchtet nicht
Supervisor Matt Dorsey erzählt im Gespräch mit der WZ, dass dieser Kampf gegen das Drogenproblem für ihn ein persönliches Anliegen sei: Er selbst sei jahrelang abhängig gewesen. Doch mit seinen Ansätzen, diese Krise offensiv anzugehen, steht er weitgehend allein da in einer Stadt, in der spätestens seit der Hippie-Zeit der späten 1960er Jahre der Drogenkonsum als Teil des „California Spirit“ gesehen wird. „Ich hatte im Stadtrat eine Änderung unserer Schutzverordnung für ‚undocumented migrants‘ vorgeschlagen, die jedem, der mit Fentanyl handelt, den Schutz dieser ‚Sanctuary City‘ entziehen sollte. Für mich ist klar, dass wir niemandem Schutz gewähren sollten, der an dem wohl zweifellos tödlichsten Verbrechen in der Geschichte San Franciscos beteiligt ist. Dafür habe ich aber keine Unterstützung im Stadtrat erhalten.“ Diesen Entzug des Auslieferungsschutzes gibt es schon in 46 Fällen, darunter bei Mord und Totschlag. „Es ging mir dabei nicht um den Handel jeglicher Drogen. Sondern nur um Fentanyl.“
Ich wollte wissen: Wie ist nun die Zusammenarbeit mit der Trump-Regierung? „Nicht gut“, sagt der Supervisor. Trump konzentriere sich darauf gegen „Sanctuary Cities“ vorzugehen und streiche daneben auch noch durch die Aktivitäten von DOGE (siehe Transparenzseite) wichtige Fördermittel, die die Kommunen dringend im Kampf gegen die Fentanyl-Krise bräuchten.
Und doch sinken die Todeszahlen. Starben 2023 noch 110.037 Menschen in den USA an einer Überdosis, fiel diese Zahl im vergangenen Jahr auf 80.391. Der Trend geht weiter nach unten. Donald Trump sieht als Grund seine Abriegelung der Grenze, obwohl der Rückgang der Drogentoten nachweislich schon viel früher begann. Trump verweist auch auf große Mengen von beschlagnahmtem Fentanyl an der Grenze. Durch die Abriegelung müsste es eigentlich zu einem Anstieg der konfiszierten Menge kommen. Doch das Gegenteil ist der Fall, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum fiel diese Menge um 30 Prozent. Das, obwohl Fentanyl nach wie vor überall und leicht erhältlich ist. Die Kartelle müssen andere Wege gefunden haben.
Nasenspray als „Game Changer“
Was Experten konstatieren, ist, dass das erhältliche Fentanyl auf den amerikanischen Straßen weniger stark dosiert ist als zuvor. Und dass Narcan mittlerweile überall auf den Straßen verfügbar ist: Das Nasenspray sei ein „Game Changer“ im Kampf gegen den Drogentod. Das gegebenenfalls vom Notarzt verabreichte Narcan oder Naloxon ist ein Opioid-Antagonist, das im Falle einer Überdosis die Wirkungen, die durch Opiate und Opioide verursacht werden, teilweise oder ganz aufhebt.
„Ich glaube, wir machen Fortschritte in die richtige Richtung in Bezug auf den Drogenmarkt. Aber wir haben noch einen langen Weg vor uns“, meint Matt Dorsey. Er hofft darauf, dass Donald Trump erkennt, dass man nur gemeinsam und in Kooperation zwischen lokalen, bundesstaatlichen und Bundesbehörden diesen Kampf gewinnen kann. „Ich habe immer noch Hoffnung, dass die Trump-Regierung und San Francisco zusammenfinden können. Dass Donald Trump sich etwas beruhigt und sich wirklich dem Regieren widmet. Warten wir es ab.“
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Infos und Quellen
Genese
US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, mit dem US-Militär gegen mexikanische Drogendealer:innen vorgehen zu wollen. WZ-Reporter Arndt Peltner hat das zum Anlass genommen, sich in der kalifornischen Drogenszene umzusehen und ist dabei auf Strategien gestoßen, die im Gegensatz zu Trumps brachialer Methode Erfolge zeigen.
Gesprächspartner:innen
- San Franciscos Supervisor Matt Dorsey
- Adam, Fentanyl-Abhängiger in San Francisco
- Corey, ehemaliger Drogenabhängiger, derzeit auf Entzug
- Jacqui Berlinn, Aktivistin bei „Mothers Against Drug Deaths“
- Gina McDonald war selbst drogensüchtig. Ihre Tochter ist jetzt seit dreieinhalb Jahren clean.
Daten und Fakten
- DOGE ist die Abkürzung für „Department of Government Efficiency“. Es handelt sich dabei um eine Organisation der US-Administration, die angeblich die Regierungseffizienz und -produktivität erhöhen sowie staatliche IT-Systeme modernisieren soll. Die Organisation zieht in erster Linie ein radikales Sparprogramm durch.
- Der „War on Drugs“ hat in den USA eine lange Tradition. Der Begriff wurde 1972 von Präsident Richard Nixon geprägt. Der Begriff bezeichnet eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen der US-Drogenpolitik, die vor allem gegen Herstellung, Handel und Konsum illegaler Drogen gerichtet sind.
- Fentanyl ist ein sehr starkes synthetisches Analgetikum, das sich in seinen pharmakologischen Eigenschaften vom Morphin ableitet und zu den Opioiden zählt. Im Vergleich zu Morphium weist Fentanyl die rund 100-fache Wirkstärke auf.
- Die Herstellungskosten für ein Kilo Fentanyl liegen bei 32.000 Dollar, daraus lassen sich etwa eine Million Tabletten produzieren mit einem Marktwert von 20 Millionen Dollar. Zwei Gramm Fentanyl sind eine tödliche Dosis. Mit 65 Kilo Fentanyl könnte man jeden Erwachsenen in Kalifornien töten – 31 Millionen Menschen.