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Über Altersunterschiede und unsichtbare Frauen in Kino, Theater und Fernsehen.
Anfang Juni wurde, mit dem Start der Proben, das neue „Jedermann“-Ensemble der Salzburger Festspiele vorgestellt. Der 50-jährige Philipp Hochmair wird im Traditionsstück der 33-jährigen Deleila Piasko gegenüberstehen. Ein Aspekt der Neuinszenierung, der so normal(isiert) und selbstverständlich ist, dass er in der medialen Berichterstattung nicht einmal thematisiert wird (weil er vermutlich auch gar nicht auffällt), ist die Tatsache, dass zwischen den beiden Hauptdarsteller:innen ein Altersunterschied von 17 Jahren besteht. Dass uns in Filmen, im Fernsehen und auf Bühnen mittelalte Männer mit oft Jahrzehnten jüngeren Love Interests aufgetischt werden, steht in einer langen Tradition, die Frauen auf Dekorations- und Sexobjekte reduziert und ihren Wert an ihrer Eignung als solche festmacht (das bedeutet: schlank, schön und jung).
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Hollywood
Ein paar Beispiele aus Hollywood, die den meisten Leser:innen wahrscheinlich bekannt sind:
In „Poison Ivy − Die tödliche Umarmung“ (1992) hatte der 58-jährige Tom Skerritt eine Affäre mit der erst 17-jährigen Drew Barrymore, in „Ein unmoralisches Angebot“ (1993) stand der 30-jährigen Demi Moore ein 56-jähriger Robert Redford gegenüber, in „Besser geht’s nicht“ (1997) war Jack Nicholson 60 und Helen Hunt 34, in „Ein Perfekter Mord“ (1998) spielt der 54-jährige Michael Douglas an der Seite der 26-jährigen Gwyneth Paltrow. In „Verlockende Falle“ (1999) gibt es fast 40 Jahre Altersunterschied zwischen Sean Connery (zu dem Zeitpunkt 68) und Catherine Zeta-Jones (29). In „Es begann im September“ (2000) war Richard Gere 50 und Winona Ryder nur 28 Jahre, in „Fluch der Karibik“ (2003) war Orlando Bloom 25 und Keira Knightley zum Zeitpunkt des Filmdrehs noch nicht einmal volljährig – sie war erst 17 Jahre alt. In „Wolf of Wall Street“ (2013) spielten der 39- jährige Leonardo di Caprio und die 23-jährige Margot Robbie ein Ehepaar, das 16 Jahre Altersunterschied trennt, 2014 war Tom Cruise in „Edge of Tomorrow“ mit 51 Jahren ganze 20 Jahre älter als sein weiblicher Co-Star Emily Blunt (31). Am verstörendsten ist allerdings, dass Anna Paquin im Jahr 1996 in „Amy und die Wildgänse“ die Tochter von Jeff Daniels darstellte, um neun Jahre später in „Der Tintenfisch und der Wal“– sie war zu dem Zeitpunkt 23 und er 50 – sein Love Interest zu spielen.
Standardbesetzung, nicht edgy Tabubruch
Die Liste ließe sich an dieser Stelle endlos fortführen, da die Paarung junge Frau und wesentlich älterer Mann im Hollywood-Kino nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.
Trotz der Tatsache, dass männliche Hauptdarsteller fast schon standardmäßig signifikant älter sind als ihre weiblichen Co-Stars, mit denen sie on-screen Liebesbeziehungen oder Affären haben, gibt es auch noch eine Reihe von Filmen, die diese Standardbesetzung des Hollywoodfilms als edgy Tabubruch inszenieren oder, um die Intelligenz der Zuseher:innen noch umfassender zu beleidigen, als eine vertrottelte „Liebe darf alles und das Alter ist ja nur eine Zahl“-Erzählung romantisiert. Drei Beispiele hierfür sind die Filme „Was das Herz begehrt“ (2033), in dem Jack Nicholson mit 66 Jahren der 31-jährigen Amanda Peet gegenübersteht, „Lost in Translation“ (ebenfalls 2003), in dem sich der 52-jährige Bill Murray und die erst 18-jährige Scarlett Johansson annähern und natürlich Woody Allens „Whatever Works“ aus dem Jahr 2009, in dem Larry David mit 61 ganze 40 Jahre älter ist als die 21-jährige Evan Rachel Wood. Auch diese Liste ließe sich lang fortführen, aber ich will euch nicht langweilen.
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Der österreichische Film
Selbst im österreichischen Film, in dem ein ästhetisch perfektes Äußeres bei Schauspieler:innen nicht eine derart große Rolle spielt wie in Hollywood, und in dem männliche Schauspieler durchaus auch mit Bierbauch, nicht sehr symmetrischem Gesicht oder schütterem Haar Karriere machen können und weiblichen Schauspielerinnen zumindest kleine Fältchen erlaubt sind, zeigt sich ein bedeutender Altersgap zwischen Männern und Frauen on-screen. Der dritte österreichische Film Gender Report des ÖFI zeigte vor Kurzem auf, dass auch hierzulande weibliche Hauptfiguren in der Regel wesentlich jünger sind als männliche. „Der Geschlechtervergleich zeigt, dass weibliche Schauspielerinnen etwas häufiger in das Feld des jungen Erwachsenenalters fallen (circa Mitte 20 bis Anfang 40 Jahre), während sich das Alter der männlichen Schauspieler:*innen breiter verteilt. Die Altersspanne, in der weibliche Schauspielerinnen im österreichischen Film Engagements finden, scheint demnach kürzer als jene der männlichen Schauspieler:innen“, so der Report. Und weiter: „Frauen müssen jung sein: Die Engagement-Spanne für weibliche Schauspielerinnen ist kürzer als die ihrer männlichen Kollegen.“
Frauen über 40
Das verweist auf eines der Probleme, die sich durch die Darstellung alter Mann-junge Frau ergeben: Frauen ab 40 sind quasi unsichtbar. Sie kommen als Identifikationsfigur in Film, Fernsehen oder im Theater kaum mehr vor. Einerseits fehlen den zusehenden Mädchen und Frauen damit wichtige Leitbilder, an denen sie sich orientieren können, schließlich hört man nicht mit 40 auf eine Frau zu sein und schließlich macht das eigene Menschsein wesentlich mehr aus, als hübsch und dekorativ oder hübsch und sexy – aber in jedem Fall jung und gut verdaubar zu sein – aus. Um meine Freundin Gertraud Klemm indirekt zu zitieren: Wir brauchen mehr Geschichten von alten weisen Frauen, von Frauen, die lebenserfahren sind und deshalb klug, die dem Patriarchat und seinen Proponenten keinen Bullshit mehr abkaufen und die sich nichts (mehr) gefallen lassen. Es ist kein Zufall, dass im patriarchalen Bedeutungsgefüge von Bühne, Kino und Fernsehen genau diese Frauen ostentativ fehlen. Die Leerstelle ist also keine zufällige. Alte Weiber sind dem Patriarchat zu gefährlich.
Machtasymmetrie
Die Leerstelle bedeutet aber zweitens auch auf der Produktionsseite, dass weibliche Schauspielerinnen kürzere Karrieren haben als männliche Schauspieler, dass sie irgendwann schlicht keine Engagements mehr bekommen, schon gar nicht in Hauptrollen. Sie dürfen dann die schrulligen Omas sein oder (in Hollywood) die gefährlichen oder verrückten Hexen oder im besten Fall noch die klischeehaft dargestellten überforderten und untervögelten Mütter, die Affären mit den Lehrern ihrer Kinder anfangen (o.ä.).
Ein großer Altersunterschied ist aber auch deshalb ein Problem, weil er die ohnehin bestehende Hierarchie und Machtasymmetrie in einem Mann-Frau-Paar noch durch eine signifikante Erfahrungshierarchie multipliziert. Das ist nicht egal. Nicht im echten Leben, und nicht, wenn diese Asymmetrie durch Darstellung auf der Leinwand oder auf der Bühne normalisiert, romantisiert und glorifiziert wird.
Das sollte aber 2024 nicht mehr einfach so durchgehen. Schon gar nicht unbemerkt. Egal ob in LA oder in Salzburg.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Österreichisches Filminstitut: Dritter Österreichischer Film Gender Report