Wenn der Umweltgedanke zum Konsum-Trend wird, kehrt sich die Ursprungsidee ins Gegenteil.
Alles fing an mit dem Barbie-Wahnsinn. Immer noch. Vor wenigen Wochen fuhr ich mit meiner guten Freundin J. nach Salzburg zu einem Presse-Event. Die halbe Strecke sang sie immer wieder in unterschiedlichen Lautstärken „I´m just Ken, anywhere else I´d be a ten!“, der ultimative Ohrwurm aus dem Erfolgsfilm des Jahres (Wer ihn jetzt auch hat: Gern geschehen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Ich dachte ehrlicherweise kurz darüber nach, sie am Straßenrand auszusetzen.). Beide sprachen wir darüber, wie genial das Wortspiel „I am kenough“ ist und dass so ein Pulli mit dem Spruch eigentlich ein gutes Geschenk für diverse Männer in unserem Leben wäre. Und da war sie wieder, die Kommerzialisierung einer Idee.
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Die Idee: Selbstwert und ein neues Männerbild, eng mit dem Feminismus verwoben. Und aus dem Feminismus kennen wir es schon lang, dieses „zu Geld machen“ des Kampfes um Gleichstellung.
Vom Textil-Diskonter bis zum Laufsteg
Beispiele für die Kommerzialisierung des Feminismus gibt es ja einige, allen voran die vielen Shirts mit feministischen Slogans, die sowohl auf Laufstegen von Dior und Co. zu sehen waren als auch wenig später in Sammelschütten von Diskont-Textilern – und auch ich bin schuldig im Sinne der Anklage, trug einige Jahre sehr stolz mein – immerhin Second-Hand-erstandenes – „the future is female“-Shirt). Was da jedoch außer Acht gelassen wurde: Wer hatte diese Shirts eigentlich genäht? Mit hoher Wahrscheinlichkeit Frauen, und zwar unter miesen Bedingungen.
Besonders gut beobachten konnte man es auch bei der #blacklivesmatter-Bewegung – beim US-Patentamt gingen damals mehrere Anträge ein, den Slogan als Markennamen zu schützen: für Spiele, T-Shirts und Weine. Ob sich dabei effektiv etwas am Rassismus gegen Schwarze und People of Color (POC) geändert hätte, sei dahingestellt.
Doch nun beobachte ich, dass es mehr und mehr auch den Klimaschutz betrifft, und da wird die Sache richtig kompliziert. Je nach sozialer Klasse gehört es bei einigen Gruppen inzwischen zum guten Ton, Tesla zu fahren oder sich Solarpaneele aufs Dach vom Eigenheim zu hängen (die man praktischerweise besser sieht als Wärmepumpen und die damit sofort das Umweltbewusstsein des Hausbesitzers zeigen). Immer wieder gibt es neue nachhaltige Marken, die es in diesen wohlbekannten „muss man haben“-Trendkreislauf schaffen: Taschen aus Lastwagenplanen von Freitag hatten bereits vor 20 Jahren diesen Stempel, heute sind es Rucksäcke anderer Biomarken, die Wurmkiste am Balkon oder die hübsche, gut isolierende Mehrwegflasche.
Wir wollen zu etwas dazugehören
Das ist auch nicht verwunderlich: Als soziale Wesen wollen wir Menschen Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen vermitteln, und das tun wir seit Jahrtausenden, aber auch und vor allem in heutigen, kapitalistischen Zeiten durch die Dinge, mit denen wir uns umgeben, durch die Kleidung, die wir tragen, oder durch die Marken, deren Image wir auf uns transferieren (wen dieser Aspekt der Symbolik interessiert, dem sei Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede“ ans Herz gelegt).
Und grundsätzlich freut es mich ja, wenn fair und umweltverträglich hergestellte Produkte sich großer Beliebtheit erfreuen und zum „IT-Piece“ werden – im Unterschied zu obengenannten Feminismus-Shirts, bei denen die Produktionsweise unklar bleibt, das Ziel jedoch gut sichtbar ein Abcashen am Rücken einer sozialen Bewegung ist. Ja, bitte tragt Freitagtaschen und Mehrwegflaschen sichtbar vor euch her, bitte fahrt Tesla statt Diesel-SUV. Hat schon seinen Sinn, und wenn einem die Symbolik zusätzlich zu diesem Sinn wichtig ist: Go for it.
Dieser Sinn wird allerdings dann pervertiert, wenn man die Verhältnismäßigkeit verliert. Hat man fünf funktionale Rucksäcke zuhause, die man alle neu gekauft hat, rettet man die Welt nicht, wenn der sechste Rucksack aus recycelten PET-Flaschen und in Integrationswerkstätten hergestellt ist. Man rettet zwar die Bilanz des produzierenden Unternehmens, aber kein Fitzel vom Planeten. Über die „Save the Planet“-Shirts von Primark vor einigen Jahren musste ich auch fast grinsen – wenn’s nicht so tragisch wäre.
Thermosbecher-Sammelwut schadet der Umwelt
Noch extremer ist es mit den Thermosbechern und -flaschen. Wie gesagt, an sich: gute Idee anstelle diverser Einwegbecher für Kaffee oder Säfte. Aus den USA schwappt gerade der Trend der „Stanley Cups“ über den großen Teich: Thermosbecher mit Strohhalm, Griff und verschlanktem Unterteil (damit sie gut in die Becherhalterung vom Auto passen, oh Treppenwitz…), in die über ein Liter Flüssigkeit passen. Auch, per se: gutes Produkt. Doch was nun entstanden ist, ist eine Sammelleidenschaft dieser Cups, in den Sozialen Medien sieht man (zumeist jüngere) Frauen stolz ihre Regale voller Stanley-Cups abfilmen, und auf Youtube stolpere ich gefühlt täglich über Videos von Influencer:innen, die die neuesten Special Editions dieser Stanley Cups vorstellen (ich erspare euch übrigens die Suche: Eine „I am kenough“-Special Edition gibt es anscheinend nicht).
Da pervertiert sich dann der Grundgedanke des Klimaschutzes: EIN Thermosbecher, den man immer wieder verwendet, ist gut. Fünf davon: Da wird’s dann ein bissl schwierig mit dem persönlichen Fußabdruck. Durch diesen Überfluss geht der Sinn dahinter – Ressourcenschonung – verloren.
Schon klar, wir leben im Kapitalismus und Klein-Nunu ist jetzt auch nicht so naiv zu glauben, dass bei sozialen Bewegungen die reine Idee in ihrer Urform erhalten bleibt, während unser gesamtes System auf Kommerz und Konsum aufgebaut ist. Aber in keinem Bereich widersprechen sich genau diese allgegenwärtige Kommerzialisierung und die Ziele der Bewegung so sehr wie beim Klimaschutz.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Besonders im Feminismus steht die Kommerzialisierung der Bewegung seit langem im Zentrum der Kritik. Die Journalistin und Autorin Beate Hausbichler veröffentlichte dazu ihr Buch „Der verkaufte Feminismus“ (Residenz Verlag, 2021).
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