)
Blut, Gewalt und Sex: Was klingt wie ein schräger Netflix-Trailer, ist bei Florentina Holzinger knallharte Bühnenkunst. Die Wienerin bricht mit allen Regeln – und fasziniert selbst jene, die sonst einen Bogen ums Theater machen.
Frauen treiben sich Fleischerhaken durch die Haut, zapfen sich Blut ab oder lassen sich tätowieren. Einer wird ein Stück Haut aus dem Körper geschnitten, es wird gebraten und gegessen. Nackte Performerinnen werden an ihren Haaren in die Luft gezogen. Geschlechtsteile werden nicht nur explizit gezeigt, sondern richtiggehend inspiziert.
- Mehr für dich: Warum dominieren langweilige Männer plötzlich die Charts?
Kein Fiebertraum, sondern Bühnenrealität, inszeniert von der Wienerin Florentina Holzinger.
Ihre Performances lassen niemanden kalt, die Reaktionen reichen von Abscheu und Ekel über peinliche Betroffenheit bis zu absoluter Begeisterung. Es ist Kunst, die verstört, die fasziniert, bei der die Grenzen verwischen. Dass sich dabei immer wieder so manche:r Zuschauer:in rasch aus dem Saal begibt, um den Mageninhalt gerade noch rechtzeitig im Klo zu entsorgen, soll nicht verschwiegen werden.
Aber immerhin gibt es Triggerwarnungen: Hinweise auf explizite sexuelle Handlungen, Darstellungen sexualisierter Gewalt, echtes Blut, Kunstblut, Piercing-Vorgänge und Verwundungen, Stroboskopeffekte und extreme Lautstärke. Altersfreigaben ab 16 oder 18 Jahren sind bei Holzingers Aufführungen Standard.
Ist es pure Lust an der Provokation, die Holzinger antreibt? Sieht sie eine Notwendigkeit, gesellschaftliche Brennpunktthemen auf diese Art aufzuzeigen?
In einem Interview mit dem Standard vom März 2023 sagte sie: „Es stört mich nicht, Leute mit etwas Unangenehmem zu provozieren.“ Und weiter: „Die Bühne ist für mich ein Labor für gesellschaftliche Utopien. Wir machen das, worauf wir gerade Lust haben.“
Du hast schlechte Nachrichten satt? Dann ist unser Newsletter mit seinen Good News etwas für dich.
)
Na gut
Der Newsletter mit den guten Nachrichten: Kleine Geschichten über Fortschritte und Erfolg.
Also reibt sie hemmungs- und kompromisslos den Zuschauer:innen ihre Sicht auf Weiblichkeit, Körper und Machtstrukturen unter die Nase – und hat Erfolg. Wer ein Ticket für eine ihrer Performances ergattern will, muss sehr früh dran sein, denn sie sind immer schnell verkauft; vom Fachmagazin Monopol wurde sie zur „Künstlerin des Jahres 2024“ gekürt; und 2026 wird sie Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten. Man darf gespannt sein, was da noch kommt.
Was aber treibt das Publikum an, sich diesen Provokationen auszusetzen? Ist es die Lust am Voyeurismus? Oder die Erleichterung, dass etwas, das sonst im Porno-Kino oder in dunklen Sado-Maso-Klubs versteckt wird, durch die Kunst endlich gesellschaftsfähig wird? Die Freude zu sehen, wie leicht sich andere provozieren lassen, während man selbst als abgeklärte:r Kunst- und Kultur-Kenner:in dem Geschehen auf der Bühne mit einem Lächeln und dem gelegentlichen wissenden Nicken folgt?
Es lohnt sich
Die Abgründe der menschlichen Seele sind tief und die Felder der Kreativität weit – bei Florentina Holzinger wird beides ausgelotet. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Innersten derer, die zusehen. So weit, wie man es erträgt.
Gerade deshalb lohnt sich der Blick: Weil Holzinger Kunst macht, die nicht gefallen will – sondern sichtbar macht, worüber wir sonst lieber schweigen.
In "Kulturschock" schreibt WZ-Redakteurin Verena Franke alle zwei Wochen über Themen aus der Welt der Kultur. Alle Texte von Verena findest du in ihrem Autorinnenprofil.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
Florentina Holzinger steht wie kaum eine andere Österreicherin für radikale, unbequeme Kunst, die gesellschaftliche Tabus ins Zentrum rückt. Und genau das interessiert WZ-Redakteurin Verena Franke: Wo Kunst provoziert, Fragen stellt und Widersprüche sichtbar macht. Holzingers Performances zwingen zum Hinschauen, ziehen einen in ihren Bann – und genau deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihr.
Daten und Fakten
- Wer ist Florentina Holzinger?
Florentina Holzinger ist eine österreichische Choreografin und Künstlerin. Sie hat in Amsterdam Tanz und Choreografie studiert und gleich mit ihrem ersten Solo „Silk“ einen Preis gewonnen. Sie steht für innovative und mutige Kunst, die oft Grenzen zwischen Tanz, Theater, Stunts und Musik überschreitet.
Bekannt wurde sie durch ihre Zusammenarbeit mit Vincent Riebeek. Zusammen entwickelten sie eine Trilogie mit ungewöhnlichen und provozierenden Bühnenstücken. In ihren späteren Arbeiten beschäftigt sich Holzinger vor allem damit, wie Frauen und Körper im klassischen Ballett dargestellt werden. Sie verbindet Tanz oft mit Elementen aus Stunt, Theater und Oper.
- Zu Holzingers wichtigsten Projekten zählen:
„Tanz“, ein modernes Tanzstück, das viele Auszeichnungen erhielt.
„Etude for an Emergency“, eine Show mit Opernsängerinnen und Stunt-Performerinnen.
„A Divine Comedy“ und „Ophelia’s Got Talent“, beide wurden mehrfach preisgekrönt.
2024 war sie erstmals in einer Hauptrolle im Kino zu sehen; der Film „Mond“ erhielt einen Jury-Preis beim Filmfestival Locarno.
Im selben Jahr präsentierte sie mit „SANCTA“ ihr erstes Opernprojekt.
2026 wird Florentina Holzinger Österreich bei der Kunstbiennale in Venedig vertreten, einer der wichtigsten internationalen Kunstausstellungen, bei der verschiedene Länder ihre aktuellen Kunstprojekte zeigen. Gemeinsam mit einem Team aus Künstler:innen, Musiker:innen und Stuntleuten arbeitet sie an einer großen Performance mit dem Arbeitstitel „Seaworld Venice“.
Quellen
Das Thema in der WZ
- Florentina Holzinger dehnt die Schmerzgrenze aus
- „A Divine Comedy“: Höllentrip per Dixi-Klo
- „Ophelia’s Got Talent“: Gehirnnahrung, schwer verdaulich
- Extrem-Performerin Florentina Holzinger: „Auf die Bühne kacken ist nicht genug“ (Interview)
Das Thema in anderen Medien
- Der Standard: Performerin Florentina Holzinger landet Publikums-Hit – samt Helikopter (Video)
- Kurier: „Gewaltandrohungen" gegen Choreografin nach Aufregung um „Sancta“ in Stuttgart
- Zeit online: Klarheit, Tiefe, Krassheit
- Der Theaterverlag: Die Grenzgängerin
- Spiegel: Holzinger-Inszenierung „Sancta“ zu Theatertreffen eingeladen
- The Gap: Die Körperlichkeit des Scheiterns – Florentina Holzinger über Körper, Kampfsport und ihre Rolle in Kurdwin Ayubs neuem Film „Mond“
- Die Presse: Freud, Shitstorm und Roboterhunde: Florentina Holzingers neue Show ist ihre bisher beste (Paywall)
- Salzburger Nachrichten: „A Year without Summer“: Shitstorm gegen die Unsterblichkeit