Lokalaugenschein in einer kalifornischen Demokraten-Hochburg: Der „Golden State“ bringt sich als Basis des Widerstands gegen die zweite Trump-Amtszeit in Stellung.
In Kalifornien, vor allem in der San Francisco Bay Area, von wo Kamala Harris stammt, ist die Stimmung gedämpft, getrübt. Harris’ langjährige Freundin und Wegbegleiterin, die frühere Bürgermeisterin von Oakland, Libby Schaaf, meinte gegenüber der WZ: „Ich bin untröstlich.“ Nach einem Innehalten und einem tiefen Atemzug ist sie dann doch wieder ganz die Politikerin: „Aber wenn ich meine Tränen getrocknet habe, werde ich wieder aufstehen, um weiter für das Gute zu kämpfen.“
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Der Traum ist geplatzt
Ganz anders bei vielen, die man hier auf der Straße, in Cafés, beim Spazierengehen im Park trifft. Oakland ist die Heimatstadt von Kamala Harris, hier verkündete sie ihre Kandidatur vor dem Rathaus, hier hoffte man auf den Wahlsieg der eigenen Tochter, träumte schon davon, dass Oakland vielleicht sogar einmal Standort der ersten „Präsidentinnen-Bibliothek“ in den USA sein werde. Einmal aus dem Schatten von San Francisco auf der anderen Seite der Bay heraustreten. „Dream big“, heißt es hier immer. Doch der Traum ist jäh geplatzt.
Jeden Morgen laufe ich mit meinem Hund um den Block in der Nachbarschaft, treffe da auf Mary, eine ältere Afro-Amerikanerin, die immer fragt, wie es einem geht. Noch am Morgen des Wahltags rief sie mir zu, ich solle nicht vergessen, wählen zu gehen. „Habe ich schon, per Briefwahl.“ Sie strahlte und hielt beide Daumen hoch. Einen Tag später sieht sie mich schon von weitem, schüttelt nur den Kopf und winkt ab. Sie will gar nicht reden, dreht sich um und geht in ihr Haus.
Um die Ecke wohnt Jason, er hatte im Wahlkampf in seinem Vorgarten ein paar Schilder für die Demokratin Harris aufgestellt: „It’s about MaDam time“, Zeit für eine „Madam Präsident“. Die Schilder, die noch am Abend dort standen, sind nicht mehr da.
Die Gegend wirkt wie unter einem Schleier. Es ist ruhig, das Einzige, was man hört, ist der heftige Wind. Es ist mal wieder „Red Flag Warning“, höchste Feuergefahr aufgrund der starken Sturmböen, die vom Landesinneren kommen und über die Region ziehen, so als ob Mutter Natur nach diesem Wahlabend die Nase gestrichen voll hat.
„Sind die alle bescheuert?“
In der Bart, der U-Bahn der Region, geht es wenig später von San Leandro nach Downtown Oakland. Viele der Berufspendler:innen blicken auf ihre Handys, im Vorbeigehen sieht man, dass sie Nachrichten über die Wahlergebnisse des Vorabends lesen. Neben dem Zweikampf Trump-Harris gab es noch etliche andere Wahlgänge, darunter die Abwahl der derzeitigen Bürgermeisterin von Oakland, Sheng Thao, Kongress- und Senatsposten mussten vergeben werden, dazu zahlreiche Volksbefragungen auf Stadt-, Bezirks- und Bundesstaatsebene. Zwei junge Frauen unterhalten sich über den Wahlabend. Beide Mitte 20, die eine, eine Afro-Amerikanerin, meint, sie habe den ganzen Abend nur geweint. „Ich verstehe es nicht, wie man dieses frauenverachtende Schwein nur wählen kann.“ Die andere stimmt ihr zu, der Republikaner habe sogar noch mehr Stimmen als Harris bekommen. „Ja, mehr Frauen als noch vor vier Jahren haben den gewählt. Sind die alle bescheuert?“, fragt sie eher rhetorisch.
An der Lake Merritt Station, die am Rand von Downtown Oakland liegt, steige ich aus. Der Verkehr fließt, nichts deutet auf das politische Debakel vom Vorabend hin. Anders als bei Wahlkämpfen in Österreich sieht man hier kaum Straßenschilder mit dem Konterfei der Kandidat:innen. Hin und wieder mal ein Din-A 3 großes Schild mit dem Namen einer Kandidatin oder eines Kandidaten, das in einem Laden- oder Wohnungsfenster hängt. Auch mal ein Harris-Walz-Aufkleber auf einem Auto. Aber das war es dann auch schon.
Am Lake Merritt joggen wie an jedem Morgen Menschen um den See. Downtown und die gewaltige katholische „Cathedral of Christ the Light“ liegen links von mir, ich will um den See herum rüber zur Lakeshore Avenue, einer belebten Einkaufsstraße mit Bäckereien, Cafés, kleinen Läden, einem Supermarkt. Auf dem Weg dorthin hört man immer mal wieder Wortfetzen von Passant;innen, die an einem vorbeieilen. Sie sprechen miteinander oder am Telefon. Ein Mann, Anfang 30, ist sehr direkt und brüllt fast ins Telefon: „Ich kann es nicht glauben, dieser fuckin’ Fuck.“
„Joe Biden hat es verbockt“
Vor dem Peet’s Café steht Bill mit einem Kaffeebecher in der Hand. Was er über das Wahlergebnis denke? Er schaut den Reporter an. „Echt jetzt?“ „Ja, wie haben Sie das Ergebnis aufgenommen?“ Bill, wohl Mitte 40, überlegt kurz, sagt dann, er habe es kommen sehen. „Ich war überrascht von Kamala, wie gut, konzentriert und überzeugend sie den Wahlkampf geführt hat, aber das war viel zu wenig Zeit, um sich zu profilieren.“ Er glaubt, sie wäre eine gute Präsidentin gewesen. Jill stellt sich zu uns, sie habe unserem Gespräch zugehört. „Willst Du wissen, was ich über die Wahl denke?”, fragt sie. Klar. „Ich finde, Joe Biden hat das Ganze verbockt. Er wollte nur eine Amtszeit bleiben, ein Übergangspräsident sein, und dann den Platz räumen. Stattdessen hat er geglaubt, er kann nochmal als alter Mann kandidieren. Das war der Fehler der Demokraten, die nicht gleich gesagt haben: Joe, lass es gut sein.“
Gegenüber vom Peet’s Café liegt die Arizmendi Bakery, eine politisch eher progressiv ausgerichtete Kooperative. Wer Unterschriften für irgendein politisches Anliegen in der Stadt sammelt, stellt sich hier auf. Man kommt schnell mit den Leuten vor der Bäckerei ins Gespräch. Cecilia ist „retired“, in Rente, wie sie sagt. Eine kleine Frau, farbenfroh gekleidet, dazu kurze Haare mit rosa Strähnchen darin. Sie sei fix und fertig am Abend gewesen. „Ich wollte es einfach nicht glauben. Da kandidiert eine farbige Frau, Tochter von Einwanderern, die für all das steht, was dieses Land ausmacht. Und dieser Kerl verunglimpft sie als Kommunistin und weiße Männer glauben den Mist und stimmen deshalb nicht für sie.“
Trauer und Tränen
Die verlorene Wahl von Oaklands Tochter Kamala Harris ist das Tagesthema. Oftmals tiefe Trauer, Tränen, Hoffnungslosigkeit, Angst gepaart mit Hilflosigkeit vor dem, was da kommen könnte. Doch nicht nur das. Am Nachmittag veröffentlichen 20 einflussreiche Stiftungen in der Region ein gemeinsames Papier, in dem es heißt: „Wir glauben, dass kollektives Handeln unerlässlich ist – jetzt mehr denn je. Gemeinsam verpflichten wir uns, die kostbaren Werte zu schützen, die Kalifornien und die Nation ausmachen: Freiheit, Gleichheit und Chancengleichheit.“ Man wolle und werde zusammenarbeiten, um dem entgegenzuwirken, was mit einer Trump-Administration auf breiter Flur in sozialem und gesellschaftlichen Rahmen drohe.
Eine klare Ansage aus Kalifornien. Der Golden State wird als Basis für den Widerstand gegen die zweite Trump-Regierung gesehen. Schon in der ersten Amtszeit des Immobilienmoguls verklagte die kalifornische Regierung die Bundesregierung weit über einhundert Mal. Erfolgreich. Die Zeichen stehen erneut auf Konfrontation, gerade wenn es um den Klima- und Umweltschutz geht, denn Kalifornien steht dabei in den USA an vorderster Stelle. Hier wolle man sich nicht einfach und kampflos der klimafeindlichen Politik eines Donald Trump ergeben, heißt es aus Sacramento, der Hauptstadt Kaliforniens.
Am Nachmittag war ich wieder mit dem Hund draußen für einen längeren Spaziergang, diesmal im East Bay Regional Park, einem riesigen Wald- und Naherholungsgebiet am Rand von Oakland. Kein Mensch weit und breit. Allein, mit meinem tauben Schäferhundmischling, lief ich bei heftigen Windböen unter Redwood- und Eukalyptusbäumen entlang, kam auf Anhöhen, die einen einzigartigen Blick auf die San Francisco Bay freigeben. Für mich eine Möglichkeit, den Kopf freizukriegen, Klarheit zu schaffen.
Es geht weiter
Ich muss zugeben, ich selbst war nach 28 Jahren in den USA am Wahlabend geschockt von dem Ergebnis. Nicht so sehr davon, dass Kamala Harris verloren hatte. Eher, dass 50,9 Prozent der Wähler:innen, also insgesamt 72,641.564 Stimmen – das sind nahezu vier Millionen – mehr Amerikaner:innen für einen Mann gestimmt hatten, der politischen Gegner:innen und Journalist:innen mit Gewalt gedroht hatte, der ankündigte, offene Rechnungen begleichen zu wollen, der Andersdenkende, Migrant:innen, Frauen beleidigte und beschimpfte, der als Straftäter verurteilt worden war. Das alles hatte keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis. Das war für mich der Schock. Umso mehr genoss ich den Waldspaziergang, mir bewusst machend, dass die Welt an diesem 5. November nicht untergegangen ist. Es geht weiter. Nur wie? Egal, es geht weiter.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Reporter Arndt Peltner lebt seit 28 Jahren in den USA. Der deutliche Wahlsieg Donald Trumps hat ihn persönlich sehr betroffen gemacht. Er hat im Zug ausgedehnter Spaziergänge mit seinem tauben Hund in Oakland versucht, die allgemeine Stimmung in der Heimatstadt von Kamala Harris einzufangen.
Daten und Fakten
Oakland zählt rund 440.000 Einwohner und ist damit die drittgrößte Stadt der Metropolregion San Francisco Bay Area. Die Stadt wurde 1852 gegründet und ist bis heute stark industriell geprägt. Oakland grenzt im Norden an die für ihre Uni berühmte Stadt Berkeley, unmittelbar gegenüber in westlicher Richtung befindet sich San Francisco.
In Oakland bewegt sich die Unterstützung für Donald Trump im einstelligen Bereich.
Trump könnte in seiner zweiten Amtszeit mehr Freiheiten genießen als während seines ersten Mandats. Denn parallel zu Trumps Wahlsieg eroberten die Republikaner am Dienstag auch die Mehrheit im Senat von den Demokraten zurück. Sie haben sogar die Aussicht, ihre bisherige Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen.
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