Zum Hauptinhalt springen

Männliche Arbeitszeitnormen und weibliche Realitäten

5 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine feministische Kolumne zu einem aktuellen politischen Thema für die WZ.
© Illustration: WZ

Eine Erhöhung der Normarbeitszeit auf 41 Stunden wäre vor allem für Frauen eine Katastrophe.


Als Feministin muss man zwangsläufig schmunzeln, wenn man das Wort „Normarbeitszeit“ hört. Denn diese sogenannte Norm ist und war immer schon eine männliche Norm.

Sag uns bitte, wer du bist:

Beispielsweise sind in Österreich 76 Prozent der sogenannten „atypisch“ Beschäftigten Frauen – atypisch Beschäftigte sind Personen, die teilzeitbeschäftigt sind, oder die Beschäftigungen nachgehen, die keiner geregelten Sozialversicherungspflicht unterliegen, freie Dienstnehmerinnen oder befristete Beschäftigungen und Leiharbeit. Vor allem Teilzeit wird gemeinhin gern als „weibliches Phänomen“ beschrieben, während die 40-Stunden-Woche als Normarbeit verstanden und entlohnt wird, obwohl die meisten Frauen in diesem Land eben nicht „normarbeiten“. Dass Frauen und Männer, auch wenn es um Arbeitsverteilung und Erwerbsarbeitszeiten geht, in völlig unterschiedlichen Realitäten mit völlig unterschiedlichen Ansprüchen und Beanspruchungen leben, wird in der öffentlichen Debatte um Arbeitszeitverlängerungen und Arbeitszeitverkürzungen selten thematisiert.

Würde man das Sprechen über Arbeitszeiten nicht ausschließlich an männlichen Realitäten orientieren und weibliche Lebenswelten miteinbeziehen, würde es ungefähr so klingen: Die eigentliche Normarbeitszeit in diesem Land liegt deutlich unter 40 Stunden; 40 Stunden Erwerbsarbeit sind nämlich nur jenen Menschen möglich, die keiner unbezahlten Reproduktionsarbeit zuhause nachgehen, keine Betreuungspflichten zuhause haben oder diese Verantwortung anderen übertragen (wie das Männer in der Regel mit ihren Partnerinnen tun).

Gleichberechtigte Partizipation am Arbeitsmarkt ist bei der aktuellen Verteilung von unbezahlter Arbeit weder möglich noch gewollt.

Diskriminierung von Frauen: bereits eingepreist

Dass das 40-Stunden-Vollzeit-Normarbeitsmodell ein männliches ist und Frauen auf der anderen Seite in Teilzeit erwerbsarbeiten, ist im Übrigen auch kein Zufall. Unser System ist darauf ausgerichtet, dass sich eine Person (traditionell der Mann und „Familienernährer“) der Erwerbsarbeit widmet, während sich eine andere Person (traditionell die Frau) zuhause um die Reproduktionsarbeit kümmert. 40 Stunden lohnzuarbeiten ist auch schwer möglich, wenn man zuhause einen Haushalt schupfen, Kinder versorgen und erziehen und vielleicht noch kranke und alte Angehörige pflegen muss. Die hohe Teilzeitquote bei Frauen verweist genau darauf: Frauen können bei der derzeitigen Verteilung von unbezahlter Arbeit (die zum Großteil auf ihren Schultern lastet) gar nicht „Vollzeit“ gegen Lohn arbeiten. Die derzeitige „Normarbeitszeit“ ist für Frauen aktuell schon zu viel. Und: Gleichberechtigte Partizipation am Arbeitsmarkt ist bei der aktuellen Verteilung von unbezahlter Arbeit weder möglich noch gewollt.

Die unbezahlte Arbeit von Frauen ist im System also bereits eingepreist. Und mit ihr die ökonomische Diskriminierung und im schlimmsten Fall die Verarmung von Frauen – spätestens im Alter, denn Frauen erhalten um 40,55 Prozent weniger Pension als Männer.

Unbezahlte Arbeit als Voraussetzung von Lohnarbeit

Reproduktionsarbeit ist die unabdingbare Voraussetzung von Lohnarbeit. Ohne sie würde unser System im Ganzen nicht funktionieren. Oder, wie Linda Biallas in ihrem Buch „Mutter schafft! Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat“ es so treffend beschreibt: „Reproduktionsarbeit sind Tätigkeiten, die zur Erhaltung der menschlichen Arbeitskraft dienen. Hier ist sowohl die eigene Arbeitskraft gemeint als auch die Arbeitskraft der nächsten Generation in Form der heranwachsenden Kinder. […] Neben Lohnarbeit muss natürlich der Haushalt gemacht werden, nach der Lohnarbeit muss das Abendessen gekocht werden, dafür muss eingekauft werden. Sind pflegebedürftige Angehörige da, muss die Pflege erledigt werden, sind Kinder da, müssen diese betreut werden, und so weiter. […] Diese zur Reproduktionsarbeit gehörenden Care-Tätigkeiten sind unabdingbare Voraussetzungen dafür, dass der Bereich Lohnarbeit erledigt werden kann.“

Je höher die Normarbeitszeit für Männer, desto geringer das Einkommen für Frauen, weil sie in Teilzeitarbeit gedrängt werden.

Retraditionalisierung

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine Erhöhung der Normarbeitszeit auf 41 Stunden, wie vor Kurzem von Industriellenvertreter:innen gefordert und von Ministerin Karoline Edtstadler für gut befunden, bedeutet, dass, während Männer noch mehr erwerbsarbeiten, Frauen noch weniger als bislang erwerbsarbeiten können. Schließlich muss irgendjemand die unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten. Je höher die Normarbeitszeit , desto höher die Teilzeitquote bei Frauen. Und: Je höher die Normarbeitszeit für Männer, desto geringer das Einkommen für Frauen, weil sie in Teilzeitarbeit gedrängt werden. Je geringer das Einkommen für Frauen, desto geringer ihre Pensionen. Je geringer ihre Pensionen, desto mehr Frauen rutschen in Altersarmut. Es ist also auch davon auszugehen, dass eine Erhöhung der Normarbeitszeit die Geschlechterverhältnisse und die Arbeitsverteilung noch weiter retraditionalisieren würde. Und es ist davon auszugehen, dass die derzeit schon sehr ungerechte Verteilung von Kapital zuungunsten von Frauen noch weiter verschlechtern würde, oder, in anderen Worten: Frauen in einem noch größeren Ausmaß als ohnehin schon durch ein sexistisches System enteignet würden.

Eine Arbeitszeitverlängerung wäre also vor allem für Frauen eine Katastrophe.

Was Frauen hingegen brauchen, ist eine Verkürzung der derzeitigen Normarbeitszeit (wie zuletzt auch völlig zurecht vom Frauenvolksbegehren 2.0 gefordert) bei gleichzeitiger fairerer Verteilung von Reproduktionsarbeit.

PS: Und dann könnten wir uns ja auch noch ganz allgemein und radikal im Wortsinn darüber unterhalten, warum wir in einem System leben, in dem man sich das Recht auf ein würdevolles Dasein überhaupt erst im wörtlichen Sinne erarbeiten muss. Warum wir den Großteil unseres Lebens mit dieser Erwerbsarbeit verbringen müssen, um leben zu können, während wir für das bisschen Leben, das dann noch bleibt, kaum mehr Zeit haben. Und warum wir Erwerbsarbeitszwang für so selbstverständlich halten, dass er kaum irgendwo jemals problematisiert wird. Aber das besprechen wir dann ein andermal.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Quellen

Linda Biallas: „Mutter, schafft! Die Rolle der Mutter im Kapitalismus und Patriarchat: ein Aufruf zur Revolution“, Haymon Verlag, 2022.

Österreichischer Städtebund: Equal Pension Day

Das Thema in der WZ

Nein, du musst nicht 41 Stunden arbeiten

Arbeitszeit: Fleißig, fleißig?

Das Thema in anderen Medien

Kleine Zeitung: Nehammer zur 41-Stunden-Woche: „Kommt fix nicht“

wien.orf.at: 1. Mai: Kritik an Arbeitszeitverlängerung

Der Standard: Nehammer: Verlängerung der Arbeitszeit kommt "fix nicht infrage"

ORF TV Thek: Diskussion über längere Arbeitszeit