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Mehrgewichtige Körper sichtbar machen: Das ist Ina Holubs Mission. Aktuell steht die queere Body-Positivity-Aktivistin im Kosmos Theater auf der Bühne. Ein Gespräch über Fat Acceptance, politische Körper und den langen Weg zur Gleichberechtigung.
Was bedeutet es für dich, als mehrgewichtige, homosexuelle Frau auf der Bühne zu stehen?
Es fühlt sich genauso an wie im Alltag: Sobald du sichtbar wirst – als Aktivistin, als fett gelesene, queere Person –, bekommst du mehr Kritik. Es geht oft nicht um das, was ich tue, sondern darum, wie ich aussehe oder welche Identität ich habe. Das begleitet mich immer.
In „14000 Kilo – Ein Abnehmkampf frei nach Moby Dick“ arbeitet das Ensemble mit Moby Dick als Metapher für den Kampf mit dem eigenen Körper. Wie hast du dich in dieser Geschichte wiedergefunden?
Während der Stückentwicklung haben wir – alle mehrgewichtig, inklusive Regisseurin Maria Sendlhofer – viel über unsere Erfahrungen gesprochen. Dabei wurde schnell klar: Unsere Geschichten ähneln sich sehr. Was sich oft wie ein individuelles Scheitern anfühlt, ist in Wirklichkeit Teil einer gesellschaftlichen Struktur.
Eine Frau ist fett, ein Mann stattlich.Ina Holub
Welche Struktur meinst du genau?
Das Patriarchat, White Supremacy-Systeme, die Körper hierarchisieren. Bestimmte Körper, vor allem dünne, weiße, werden bevorzugt. Schönheit wird westlich, binär und sehr eng definiert: Eine Frau ist „fett“, ein Mann „stattlich“. Diese Normen prägen unser Denken – bewusst oder unbewusst.
Wie fühlt es sich an, mit einem Ensemble zu arbeiten, in dem Mehrgewicht Normalität ist?
Befreiend. Natürlich tragen wir alle die gesellschaftlichen Normen in uns – sie sind schwer abzulegen. Aber die gemeinsame Erfahrung schafft ein Grundverständnis. Wir müssen uns nicht ständig erklären oder rechtfertigen. Es tut gut, dieses Grunderleben zu teilen: Geschichten von Anstarren, Beleidigungen, Alltagsverletzungen – und dabei verstanden zu werden.
Ist euer Stück eher Kampfansage oder Einladung zum Umdenken?
Für mich ist es eine Einladung zum Umdenken. Schon die Tatsache, dass ausschließlich mehrgewichtige Menschen auf der Bühne stehen, verändert Sehgewohnheiten. Gerade im Tanzbereich, wo Körper extrem normiert sind, ist das ein wichtiger Impuls. Ich komme ja aus dem Tanz.
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Welche Rolle spielt Mehrgewicht im klassischen Theater oder Film?
Leider immer noch die stereotype Rolle: die lustige Dicke, die schlaue Dicke oder die überraschend nette. Mehrgewicht wird dramaturgisch erklärt – als wäre ein dicker Körper allein nicht erzählenswert. Ich wünsche mir, dass mehrgewichtige Körper einfach selbstverständlich vorkommen, ohne Narrative drumherum.
Wäre demnach Body Neutrality – also die neutrale Wahrnehmung des Körpers – ein realistisches Ziel?
Noch nicht. Body Neutrality setzt voraus, dass wir Strukturen wie das Patriarchat bereits überwunden haben. Mein Ansatz ist Fat Acceptance: Akzeptanz und Respekt für alle Körper, unabhängig von Normen. Erst wenn sich die Gesellschaft grundlegend ändert, kann echte Neutralität entstehen.
Braucht es dazu zuerst Body Positivity?
Body Positivity ist ein wichtiger Zwischenschritt, aber er reicht nicht aus. Wir müssen größer denken: echte Gleichstellung schaffen, gesellschaftliche Machtstrukturen abbauen. Außerdem ist Body Positivity mittlerweile oft verwässert – weiße, normierte Körper inszenieren eine kleine Speckfalte und nennen das Revolution. Dabei ging es ursprünglich um die Sichtbarkeit wirklich marginalisierter Körper.
Du meintest, die Gesellschaft muss sich ändern. Kannst du das präzisieren?
Privilegierte Menschen müssten Privilegien abgeben. Vor allem weiße, heterosexuelle Männer. Und ja, das ist unbequem. Aber ohne diesen Schritt wird echte Veränderung nicht möglich sein.
Sichtbarkeit ist ein großes Thema für dich. Was bedeutet sie konkret?
Sichtbarkeit ist Empowerment und Verletzlichkeit zugleich. Ohne sichtbare Vorbilder wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Aktivismus lebt davon, Alternativen sichtbar zu machen – auch wenn es einen verletzlicher macht.
Was wünschst du dir für die mehrgewichtige Wiener Kulturszene?
Mehr echte Diversität. Mehr echtes Interesse, weniger Oberflächlichkeit. Und vor allem: keine Körperabwertung – egal ob mehrgewichtig, schwarz, behindert, queer oder auf andere Weise marginalisiert.
Dein Aktivismus wirkt sehr präsent und kraftvoll. Gibt es auch Momente der Erschöpfung?
Natürlich. Ich wiederhole seit Jahren dieselben Sätze. Manchmal ist das zermürbend. Und: Aktivismus heißt, Dinge immer und immer wieder zu sagen, bis sie Realität werden. Aber ich habe das große Glück, nach Hause kommen zu können – zu meiner Frau und unserer Katze. Diese Stabilität trägt mich.
Scham und Schuld sind gezielt eingesetzte Instrumente des Systems.Ina Holub
Was würdest du einem Menschen sagen, der sich nicht in den Spiegel schauen kann?
Dass ich das kenne. Und dass die Scham nicht seine Schuld ist. Scham und Schuld sind gezielt eingesetzte Instrumente eines Systems, das Menschen kleinhalten will. Vernetzung, Austausch und politisches Bewusstsein können helfen, diese Dynamik zu durchbrechen.
Wie gehst du heute mit Fettshaming um?
Es kommt auf die Situation an. Sicherheit geht immer vor. Aber wenn ich kann, reagiere ich. Für mich selbst, für mein Gefühl. Und ich wünsche mir, dass mehr Menschen Zivilcourage zeigen, wenn sie Diskriminierung beobachten.
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Infos und Quellen
Gesprächspartnerin
Ina Holub ist eine queere Body-Positivity-Aktivistin und lebt mit ihrer Frau in Wien. Auf Instagram bloggt sie über ihre Lebensrealität mit Mehrfachdiskriminierung als fette und homosexuelle Frau und über intersektionale queere Themen. Ina Holub ist Tänzerin, Performerin und Choreografin und Teil des Voguing Iconic House of Mizrahi in Japan. In Wien unterrichtet sie regelmäßig Voguing, mit besonderem Augenmerk auf mehrgewichtige Personen. In jeder künstlerischen Arbeit setzt sie den Fokus auf die Sichtbarmachung von marginalisierten Personen und Tabuthemen. Außerdem hat Ina Holub im Februar 2024 Österreichs ersten mehrfach barrierefreien Haarsalon in Wien gegründet: SOFT & CUT. Der Salon dient als Haarsalon und Safer Space zugleich, mit besonderem Fokus auf behinderte, queere, mehrgewichtige und schwarze Personen − dies betrifft sowohl die Produkt-Auswahl als auch Treatments und Mobiliar.
Fakten und Daten
In Herman Melvilles Roman „Moby Dick“ (1851) heuert der junge Ich-Erzähler Ishmael auf einem Walfangschiff, der „Pequod“, an. Kapitän Ahab, ein düsterer, besessener Mann, hat allerdings nicht nur den Fang von Walen im Sinn: Er will den weißen Pottwal Moby Dick jagen, der ihm einst ein Bein abgerissen hat. Auf einer langen, gefährlichen Reise über die Weltmeere steigert sich Ahab zunehmend in seine Rachemission hinein. Trotz Warnungen und unheilvoller Vorzeichen treibt er seine Crew in die finale Konfrontation – mit fatalem Ausgang: Die „Pequod“ wird zerstört, fast alle Männer sterben, nur Ishmael überlebt und wird gerettet.
„14000 Kilo - Ein Abnehmkampf frei nach Moby Dick“: Das Stück hat Maria Sendlhofer, Idee, Konzept und Regie, 2023 gemeinsam mit Hannah Huberty entwickelt. Die Vorstellung einer Inszenierung, in der mehrgewichtige Körper nicht die Ausnahme bilden, sondern den Raum ganz selbstverständlich einnehmen, bildet den Ausgangspunkt ihrer Arbeit. „Die obsessive Fixierung Captain Ahabs auf die Jagd nach dem Wal findet in Sendlhofers Stück seine Entsprechung im Kampf mit dem eigenen Körpergewicht und die an Bord gebrüllten nautischen Befehle werden zu patriarchalen Stimmen in den eigenen Köpfen“, heißt es in einer Aussendung. Zu sehen bis 16. Mai 2025 im Kosmos Theater.
Das Kosmos Theater entstand kurz nach dem ersten österreichischen Frauenvolksbegehren (1997) als international einzigartiges Projekt. Die Idee Barbara Kleins und ihrer Mitstreiter:innen, ein Zentrum für Kunst und Politik zu schaffen, das ausdrücklich Künstlerinnen gewidmet ist, mündete Ende der 1990er-Jahre in zahlreiche Aktionen, Protestkundgebungen und Interventionen im öffentlichen Raum. Höhepunkt bildete eine zehn Tage und Nächte andauernde künstlerische Besetzung des damals leerstehenden Pornokinos Rondell (heute Club Porgy & Bess). Wenig später konnten die Mitgliederinnen von LINK.* Verein für weiblichen Spielraum in das ehemalige Kosmos-Kino in der Siebensterngasse 42 in Wien-Neubau einziehen. Das Kosmos Theater versteht sich als feministisches Haus, das weibliche Stimmen und damit auch Gender-Balance im Theaterbetrieb fördert.
„Body Positivity“: Das Motto dieser Bewegung ist „alle Körper sind schön“ und bezieht sich − wie fälschlicherweise oft geglaubt − nicht nur auf Übergewichtige, sondern macht sich für alle Körper stark, für Diversität und soziale Gerechtigkeit.
„Body Neutrality“: Die Aktivist:innen und Influencer:innen dieser Bewegung kritisieren den Ansatz der „Body Positivity“-Bewegung mit der Begründung, dass man hier wieder den Körper in den Mittelpunkt stellt. „Body Neutrality“ hingegen bedeutet, dem eigenen Körper gegenüber neutral zu sein, ihn weder positiv noch negativ zu bewerten.
Quellen
Gespräch mit Ina Holub
Anja Herrmann, Tae Jun Kim, Evangelia Kindinger, Nina Mackert, Lotte Rose, Friedrich Schorb, Eva Tolasch, Paula-Irene Villa (Hg.): Fat Studies − Ein Glossar. Transcript Verlag 2022
Das Thema in der WZ
Warum Achselhaare politisch sind
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Body-Positivity: „Fett ist meine Identität und keine Beleidigung mehr“
Dailymotion: Body-Positivity-Aktivistin Ina Holub − Interview in voller Länge (Video)
Kurier: Mehrgewichtige im Theater: Gibt es ein Problem? (Paywall)
Presse: Ina Holub eröffnet den inklusivsten Haarsalon Wiens (Paywall)