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#metoo: schon wieder

5 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ

Sexuelle Gewalt in der Wiener Klubszene, ein live im Fernsehen übertragener Übergriff des spanischen Trainers Luis Rubiales auf die Spielerin Jennifer Hermoso: Übergriffige Männer in Machtpositionen fühlen sich sicher. Weil sie sicher sind.


Jetzt ist schon wieder was passiert. Es gibt wieder ein paar Einzelfälle, die den Rammstein-Einzelfall in der medialen Aufmerksamkeit zur Seite rücken. „Der Spiegel-Artikel wird wohl nicht der letzte seiner Art sein. Ob es in allen folgenden Artikeln über sexualisierten Machtmissbrauch, über männliche Gewalt gegen Frauen, über sexuelle Gewalt und Übergriffigkeit dann um den Rammstein-Sänger geht oder um irgendeinen anderen Rockstar, Schauspieler, Politiker, Regisseur, Filmproduzenten, Manager oder Verleger ist eigentlich nebensächlich. Sexualisierte Gewalt ist nämlich allgegenwärtig“, schrieb ich in meinem letzten Text an der Stelle. Und siehe da: Wie prophezeit, reißen die #metoo-Fälle nicht ab.

#technometoo in der Klubszene

Da gibt es zum einen eine neue #metoo-Welle in Österreich und dieses Mal betrifft sie die Wiener Clubszene. Losgetreten wurde das Ganze von Frederika Ferková vom feministischen Partykollektiv „Hausgemacht“, der via Aufruf auf Instagram zahlreiche Berichte über sexuelle und sexualisierte Gewalt geschickt wurden. Anstoß war der konkrete Fall eines in der Szene offenbar sehr bekannten Bookers und Agenturbesitzers, der des sexuellen Übergriffs und der Körperverletzung an einer Frau schuldig gesprochen wurde, der aber selbst nach dem rechtskräftigen Urteil weiter im Clubbetrieb arbeitete und Partys organisierte.

Einige der Fälle wurden im Nachgang anonymisiert in Medien veröffentlicht. Von den Frauen wiederholt genannt wurden fünf Männer. Dass das Hausgemacht-Kollektiv danach auf Instagram verlautbarte, jegliche Zusammenarbeit mit ebenso fünf konkreten Männern einzustellen, kann natürlich reiner Zufall sein. Aus einem Aufruf wurde #technometoo. Frauen berichteten, „bis zur Bewusstlosigkeit“ gewürgt worden zu sein, von oraler Vergewaltigung auf Clubtoiletten, eingesperrt worden zu sein und so geschlagen worden zu sein, dass sie „Platzwunden am Kopf“ hatten.

Wie immer ist davon auszugehen, dass nur ein kleiner Teil der Übergriffe erzählt wird.

Wie immer in solchen Fällen ist davon auszugehen, dass nur ein kleiner Teil der Übergriffe auch tatsächlich erzählt wird und ein noch kleinerer Teil an die Öffentlichkeit drängt. Sowohl die Wiener Wochenzeitung Falter als auch Ferková selbst sammeln weiter Geschichten von Betroffenen.

Und dann war da noch der Übergriff, der live im Fernsehen übertragen wurde: Nachdem das spanische Fußballnationalteam Weltmeisterin wurde, „küsste“ der Verbandschef Luis Rubiales die Spielerin Jennifer Hermoso auf den Mund. „Küssen“ ist hierbei unter Anführungszeichen gesetzt, da von einem einvernehmlichen Kuss keine Rede sein kann – was wir hier live im Fernsehen sahen, war ein sexueller Übergriff eines Vorgesetzten an einer in der Hierarchie unter ihm stehenden Frau. Wie später bekannt wurde, war das, wenig überraschend, nicht der erste Fall seiner Art im spanischen Fußball.

Ein sexueller Übergriff eines Vorgesetzten an einer unter ihm stehenden Frau.

Im Netz kursierte daraufhin ein Video, in dem der Trainer Jorge Vilda seiner Co-Trainerin Montserrat Tomé an die Brust fasste. Es ist beinahe bemerkenswert, wie sicher sich übergriffige Männer in Machtpositionen fühlen. Und es verweist auf ein tiefsitzendes systemisches Problem: darauf nämlich, dass sie sich völlig zurecht in Sicherheit wiegen. Sie sind sicher. Bislang zumindest.

Ein Übergriff als „Ausdruck der Freude“

Während bei anderen medial diskutierten #metoo-Fällen gern Beweise gefordert werden, Fotos oder Videos gar, und die Erzählungen der Betroffenen grundsätzlich angezweifelt werden, weil sie eben keine Beweise vorweisen können, konnten wir alle live und danach immer und immer wieder in der Berichterstattung einen per Video aufgezeichneten Übergriff mitansehen. Das Erstaunliche: Auch dieser Übergriff wurde als harmlos abgetan, als eigentlich gar kein Übergriff, als spontaner Ausdruck der Freude, nichts weiter. Manchmal schlägt man beim Feiern und Freuen halt ein bisschen über die Stränge, so der Tenor. Ich würde die auf sozialen Medien derart kommentierenden Männer gern fragen, wie oft sie schon „aus Freude“ und Ausgelassenheit Frauen sexuell belästigt, begrapscht, ohne Einvernehmen und gegen ihren Willen angefasst oder geküsst haben. Die Tatsache, dass ein Übergriff derart verharmlost wird, lässt Böses ahnen. Offenbar denken viele Männer doch tatsächlich und tatsächlich immer noch, sie hätten ein – vielleicht naturgegebenes - Recht darauf, die Grenzen und körperliche Selbstbestimmung und Integrität von Frauen zu verletzen.

Ich muss gestehen, ich habe mich in den letzten Tagen in einige Diskussionen auf Social Media gestürzt (wirklich nicht ratsam) und die Frage, ob mann auch völlig ok damit sei, wenn der eigene Chef einen als spontanen Ausdruck der Freude über die eigene Arbeitsleistung auf den Mund küsst, wird in der Regel nicht beantwortet.

Übergriff bleibt Übergriff

Die Wahrheit ist: Wenn man Freude, Ausgelassenheit oder jedwede andere Emotion nur mit sexuellen Übergriffen zum Ausdruck bringen kann, sollte man erstens nicht in die Nähe von Machtpositionen kommen, zweitens dringend am eigenen Gefühlsausdruck arbeiten und drittens ist ein sexueller Übergriff unabhängig von der Motivation und Gefühlslage des Täters immer noch genau das: ein sexueller Übergriff. Ob ein solcher Übergriff aus Freude, aus Wut, aus Machtrausch oder aus Geilheit verübt wird, ändert nichts daran, dass es ein Übergriff ist.

Noch viel schlimmer als das immergleiche Geseiere jener, die sexualisierte Gewalt im Allgemeinen und Gewalt gegen Frauen im Speziellen verharmlosen, ist die Tatsache, dass nicht einmal eine Aufzeichnung auf Video und Liveübertragung im Fernsehen reichen, um Frauen zu glauben, wenn sie über die sexuelle und sexualisierte Gewalt sprechen, die ihnen tagtäglich angetan wird. Vielleicht liegt in dieser Erkenntnis aber auch ein Stück weit Befreiung: Es geht den „Bevor ich keine Beweise gesehen habe, glaube ich ihr gar nichts“- Schreiern in der Regel überhaupt nicht um wichtige rechtsstaatliche Prinzipien, um Unschuldsvermutung und um genaue Prüfung der Sachlage, um niemanden ungerechtfertigt zu vorverurteilen, es geht um Gewaltverharmlosung.

Besser der Feminismus ist falsch als das eigene übergriffige Verhalten Frauen gegenüber.

Egal welche Beweise Betroffene haben, wenn nicht einmal eine Liveübertragung im Fernsehen reicht, wird nie auch nur irgendetwas reichen. Gewalt gegen Frauen darf nicht als solche verstanden werden, weil dieses Verstehen auch mit der eigenen Gewalttätigkeit und Übergriffigkeit Frauen gegenüber konfrontieren würde. Da normalisiert man diese Übergriffigkeit lieber, schreit lieber „Hexenjagd“ und echauffiert sich über „falschen Feminismus“, wie Rubiales selbst. Besser der Feminismus ist falsch als das eigene misogyne und übergriffige Verhalten Frauen gegenüber.


Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Genese

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

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