Weiß, rassistisch, gewaltbereit: Der Sturm auf das Kapitol in Washington 2021 hat gezeigt, wie gefährlich rechtsextreme Milizen sind. In den vergangenen Jahren ist die Szene undurchsichtiger geworden.
Am 6. Jänner 2021 hatten Unterstützer:innen von Präsident Donald Trump zu einer „Save America“-Demonstration südlich des Weißen Hauses aufgerufen. Trump hatte zuvor die verlorene Wahl als ungültig und geklaut bezeichnet. „Stop the Steal“ war der Ruf von Zehntausenden seiner Fans, darunter gewaltbereite Verschwörungstheoretiker:innen und, wie es der Secret Service dokumentierte, „Teilnehmer, die ballistische Helme und Schutzwesten tragen und Funkgeräte und militärische Rucksäcke“ mit sich führten.
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Neben den neofaschistischen „Proud Boys“ traten auch zahlreiche Mitglieder von Milizen, darunter „Oath Keepers“ und “Three Percenters“ in Erscheinung. Die „Oath Keepers“, die Hüter des Eides, sind eine Vereinigung aktiver und ehemaliger Militärs, die „Three Percenters“ sehen sich in der Tradition der amerikanischen Revolutionäre des 18. Jahrhunderts. Sie hängen dem Mythos an, dass im Unabhängigkeitskrieg nur drei Prozent der US-Amerikaner:innen erfolgreich gegen das britische Königreich kämpften. Beide Organisationen wurden vom FBI als gewaltbereite rechtsradikale Milizen eingestuft.
Erkennbar waren sie am 6. Jänner durch ihre Uniformen, Abzeichen und mitgebrachtes militärisches Equipment. Nur die Schusswaffen fehlten. Stewart Rhodes, der Anführer der „Oath Keepers“, hatte seine Anhänger:innen gewarnt, dass selbst Messer mit einer Klinge über zehn Zentimeter in der Stadt verboten seien. „Zeigt sie nicht offen“, war seine Anweisung.
CNN berichtete im Mai 2022, dass Telefone und digitale Dateien führender Köpfe der Gruppe vom FBI ausgewertet wurden, um zu überprüfen, mit wem sie in Trumps Umfeld kommuniziert hatten. Die Ermittler:innen fanden etwa heraus, dass Rhodes am Abend des 5. Jänner eine namentlich nicht genannte Person im Weißen Haus angerufen und darum gebeten hatte, direkt mit dem Präsidenten zu sprechen. Er forderte die Person am Telefon dann auf, Trump zu sagen, er solle Gruppen wie die Oath Keepers auffordern, sich „der Machtübergabe energisch zu widersetzen“.
Trump polarisiert die US-Gesellschaft
Der vermeintliche Schulterschluss zwischen Donald Trumps „America First“-Bewegung und den bewaffneten Milizen in den USA kam nicht überraschend. Schon im Wahlkampf 2016 hatte Trump die amerikanische Gesellschaft polarisiert. Offen rassistische und nationalistische Ideen des Kandidaten hatten die rechte Szene befeuert. Sie sah in ihm den Heilsbringer, auf den sie lang gewartet hatte.
Am 11. und 12. August 2017 kam es in Charlottesville, Virginia, unter dem Motto „Unite the Right“ zu einem Aufmarsch von Mitgliedern von rassistischen, anti-muslimischen und Neo-Nazi-Gruppen − darunter bewaffnete Milizen, die an Sturmtrupps der NSDAP erinnerten. Mit den Bildern aus Charlottesville wuchs auch das Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an den Militia Groups in den USA. Viele fragten sich, wer diese bewaffneten Männer eigentlich sind, die keiner Einheit der Polizei oder der offiziellen Streitkräfte, auch nicht der Nationalgarde, angehören.
Die Milizen selbst berufen sich auf die amerikanische Verfassung, die das Recht auf das Tragen von Waffen zusichert und in der die Bildung einer Miliz erlaubt wird. Im sogenannten „Militia Act“ von 1903 heißt es, dass sich nicht-staatliche, bewaffnete Milizen in den USA formieren dürfen, die sich aus „körperlich gesunden Männern im Alter von 17 bis 45 Jahren zusammensetzt, die nicht Mitglied der Nationalgarde oder der Marine Reserve sind“.
„Militia Groups“ in den USA verfolgen ganz unterschiedliche Ziele, wie Brian Levin, der Gründer des „ Center for the Study of Hate and Extremism“, erklärt: „Manche organisieren Patrouillen an der Grenze zu Mexiko, andere setzen sich gegen jegliche Besteuerung ein. In westlichen Bundesstaaten, in denen der Großteil des Landes Bundeseigentum ist, organisieren sich Milizen immer wieder, um zu kontrollieren, ob Rancher ihr Vieh auf öffentlichen Flächen weiden lassen.“
Verteidigung der USA gegen „Invasion“
Für Lane Crothers, Autor des Buches „Rage on the Right: The American Militia Movement from Ruby Ridge to the Trump Presidency“, haben sie damit ein neues und weitgehend akzeptiertes Aktivitätsfeld gefunden. „Man muss nur Fox News anschauen, dann ist das doch das Thema schlechthin: Da ist eine Invasion an der Südgrenze und hier ist man als Bürger vor Ort, um sein Land zu schützen. Und sie betonen: Wir verteidigen Amerika gegen diese Invasion.“
Crothers sieht die Weite des Landes als einen wichtigen Grund dafür, dass sich Freiräume für Milizen in den USA bilden konnten: „An vielen Orten in den USA ist der Einfluss der Bundesregierung kaum zu spüren. Ich lebte für zwei Jahre in Spokane. Spokane mit seinen gut 230.000 Einwohner:innen ist die größte Stadt zwischen Seattle und Minneapolis. Den einzigen Bundesbeamten, den man da außer einem Ranger in den Nationalparks je sieht, ist der Postbote.“
Mark Pitcavage von der „Anti-Defamation League“ beobachtet seit den frühen 90er-Jahren die Milizen in den USA. Er gilt als Experte, wenn es um die radikale Rechte im eigenen Land geht. Ihre eigentliche Geschichte beginnt erst Anfang der 1990er-Jahre, so Pitcavage. Damals war Bill Clinton Präsident: „Die Miliz-Bewegung entstand 1994 als Reaktion auf die Verabschiedung von Anti-Waffengesetzen, die Unterzeichnung von Nafta, dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen, und vor allem als Reaktion auf zwei tödliche Vorfälle in Idaho und Texas.“
Die Vorfälle in Ruby Ridge, Idaho, und in Waco, Texas, wurden von vielen als ein „Call to Arms“ empfunden, als Ruf, bewaffnete Milizen zu gründen, um sich gegen den Staat zu wehren. In Ruby Ridge widersetzte sich ein Farmer seiner Verhaftung, in Waco wollte eine religiöse Sekte eine Razzia verhindern. Beide Male belagerte das FBI privates Gelände, beide Male gab es bei der Erstürmung Tote. Extremismusforscher Brian Levin beschreibt diese Vorfälle gegenüber der WZ als den Beginn eines „Flächenbrandes im ganzen Land“. Radikalisierte Regierungsgegner:innen am äußersten rechten Rand sahen die Vereinigten Staaten als Teil einer weltweiten Verschwörung, die sie oftmals als „New World Order“ bezeichnen. Ganz langsam würden Rechte und Freiheiten entzogen, auch das Grundrecht auf Waffenbesitz. Wenn aber die Amerikaner:innen erst einmal unbewaffnet seien, dann übernähme diese „New World Order“ die Macht und die Amerikaner:innen würden zu Sklav:innen werden.
Abgetaucht, aber nie ganz weg
Die ersten Jahre der Clinton-Administration werden als Geburtsstunde der amerikanischen „Militia“-Bewegung gesehen. Doch dann kam mit dem Bombenattentat auf das Federal Building in Oklahoma City am 19. April 1995 ein brutales Erwachen für die amerikanische Gesellschaft. Einer der Attentäter, Timothy McVay, war zuvor im Dunstkreis der Milizen aufgetaucht und das brachte in den Folgemonaten das FBI auf den Plan. Viele der Gruppen tauchten ab, waren aber nie ganz weg, so Mark Pitcavage von der ADL.
Einen herben Rückschlag erlebte die Milizenbewegung Anfang der 2000er-Jahre. Die angekündigte Y2K-Katastrophe traf sie extrem hart, viele der Milizen waren davon überzeugt, dass die Computer zur Jahrtausendwende streiken würden und die Regierung den Ausnahmezustand ausrufen, die Verfassung außer Kraft setzen würde. Doch nichts dergleichen geschah, viele Gruppen lösten sich wieder auf.
Die „Militia“-Bewegung in den USA köchelte für mehrere Jahre vor sich hin. Erst mit dem Wahlkampf von Barack Obama änderte sich das, die Mitgliederzahlen stiegen rasant. Es gab wieder ein Feindbild. Über Barack Obama projizierten sie ihren gesamten Hass auf die ungeliebte Regierung in Washington, pflegten ihre Verschwörungstheorien und fügten neue hinzu, wie die „Birther Theorie“, also die, dass Obama kein Amerikaner sei, vielmehr ein Muslim, der Amerika schaden wolle.
Das führte dazu, dass die „Militia“-Bewegung wieder kräftig wuchs. Hinzu kamen 2008/2009 die Sozialen Medien, die den Aufschwung der Bewegung beschleunigten. Die Milizen konnten auf einmal ihre Sichtweisen über Myspace, Facebook und Youtube verbreiten. Die Mitgliederzahlen der „Militia Groups“ vervierfachten sich im Zeitraum von 2008 bis 2010. Waren zuvor eher Männer mittleren Alters an der Bewegung interessiert, stießen nun viele junge Männer dazu.
Was viele in der Bewegung erhofften, nämlich eine Verbindung aller Milizen in den USA und den Aufbau eines US-weiten Militia-Netzwerks zu etablieren, kam jedoch nicht zustande. Auch gab es nie einen offiziellen Schulterschluss zwischen dem Trump-Lager und den Milizen, obwohl durchaus enge Verbindungen existierten, wie zwischen dem Trump-Vertrauten Roger Stone und den Oath Keepers oder zwischen der Kongressabgeordneten Lauren Boebert und den Three Percenters. Und Donald Trump machte mehrmals mit Aussagen wie „stand back and stand by“ deutlich, dass er sich nicht von den Milizen und der radikalen Rechten distanzieren wollte.
Eskalation nach Mord an George Floyd
Mit dem Mord an George Floyd am 25. Mai 2020 eskalierte die Situation in den USA. Es kam im ersten Coronajahr zu etlichen Straßenschlachten zwischen gewaltbereiten Linken und rechten Gruppen, darunter auch immer wieder uniformierte Milizen. Die anti-rassistischen Proteste fielen zusammen mit einer breiten Diskussion im Land über die Lesart der amerikanischen Geschichte. Denkmäler für Südstaaten-Generäle aus dem Bürgerkrieg wurden umgestürzt oder entfernt, Kasernen der US-Streitkräfte umbenannt. An vielen Orten marschierten Milizen auf, um die Denkmäler „zu schützen“ und „zu verteidigen“. Die Angst vor einer ausufernden Gewaltspirale im Wahljahr 2020 wurde immer größer.
Doch dann wurde die Bewegung hart getroffen, erinnert sich Mark Pitcavage von der ADL: „Facebook entfernte die verschiedenen Milizen von ihrer Plattform. Seit 2009 war Facebook die Hauptplattform der Militia-Gruppen. Dort rekrutierten und vernetzten sie sich, verbreiteten ihre Propaganda und planten in einigen Fällen sogar Terrorakte.“ Über Nacht waren praktisch alle Inhalte der Milizen auf Facebook verschwunden. Viele Milizen mussten erkennen, dass sie plötzlich keinen Kontakt mehr zu ihren eigenen Mitgliedern hatten, besonders die, die nicht lokal organisiert waren.
Und dann kam der 6. Jänner, der zu einem Zusammenbruch der Oath Keepers führte, der mit Abstand größten Gruppe innerhalb der Milizenbewegung. Wichtige Führer wie Stewart Rhodes wurden verhaftet. Dazu etliche weitere Milizenmitglieder, die nach dem Sturm auf das Kapitol erkannt und gefasst worden waren.
Einzelkämpfer sind am gefährlichsten
Doch selbst nach der Gewalt am Kapitol distanzierte sich Trump nicht. Auf Veranstaltungen ließ er immer wieder die Nationalhymne spielen, gesungen von einem Chor der inhaftierten Straftäter:innen vom 6. Jänner. Und Trump kündigte an, dass er die „J-6-Patrioten”, die „Geiseln”, wie er die verurteilten Straftäter:innen des 6. Jänner nennt, nach seiner Wiederwahl begnadigen wird. Darunter auch führende Militia-Angehörige.
Der Ausschluss der Milizen von etlichen Social-Media-Plattformen und die Verhaftungswelle nach dem Sturm auf das Kapitol führten zu einer deutlichen Schwächung der organisierten Milizenbewegung in den USA. Doch für Mark Pitcavage von der „Anti-Defamation League“ ist klar, dass damit nicht von einem Ende der Milizen gesprochen werden kann. „Es gibt heute viel weniger weiße Rassisten, die in Gruppen organisiert sind. Aber das bedeutet nicht, dass es weniger weiße Rassisten gibt. Das Gleiche gilt für die Milizenbewegung.“
Mark Pitcavage sieht daher in diesem Wahljahr und für die Zeit danach nicht die Gefahr einer Schattenarmee bestehend aus Milizen, vielmehr gehe die Gefahr von radikalisierten Einzelkämpfern aus. Er wertete die Daten des rechtsgerichteten Terrorismus von 2016 bis 2022 aus. Dabei habe er festgestellt, „dass Einzelkämpfer viel erfolgreicher bei Gewalttaten waren, als wenn da noch jemand dabei gewesen wäre. Wenn nur eine Person beteiligt war, lag die Erfolgsquote bei 52 Prozent. Sie hatten also eine 50:50-Chance, irgendeine Art von Schaden anzurichten oder eine Art terroristische Tat zu planen. Aber wenn es zwei oder mehr Täter gab, sanken die Erfolgschancen auf 21 Prozent.“
Die Milizen-Szene ist undurchsichtig geworden. Für Lane Crothers eine gefährliche Basis in einem politisch aufgeheizten Land: „Ich glaube zwar nicht, dass es bald krachen wird. Aber ich mache mir heute mehr Sorgen als früher.“
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Infos und Quellen
Genese
Schon im Vorwahlkampf 2016 ist WZ-Reporter Arndt Peltner aufgefallen, wie sich Milizen online hinter den Kandidaten Donald Trump stellten. Das war überraschend, denn eigentlich lehnen sie ja die Regierung in Washington und ihre Vertreter:innen ab. Doch Trump machte immer wieder mit Aussagen klar, dass er sich nicht von den bewaffneten und vor allem rechtsextremen Gruppen distanzieren werde. Seine Aussage nach den gewaltsamen Unruhen in Charlottesville, dass da „sehr feine Leute“ auf beiden Seiten gewesen seien, hätte bei vielen die Alarmglocken schrillen lassen müssen. Seitdem beobachtet Peltner die Milizenbewegung in den USA intensiver.
Gesprächspartner:innen
Der Autor hatte mehrmals die Möglichkeit, mit Mitgliedern von Milizen in Kalifornien zu sprechen. Nach dem Sturm auf das Kapitol 2021 veränderte sich das jedoch dramatisch. Es war fast unmöglich, überhaupt noch Kontakt herzustellen. Bis auf wenige schriftliche Rückmeldungen und zwei Gespräche ging nichts mehr. Doch das Thema Miliz ist damit in den USA nicht vom Tisch. Die Gefahr gerade von gut ausgebildeten Einzeltätern ist relativ hoch.
Mark Pitcavage von der „Anti-Defamation League“
Brian Levin, Extremismusforscher
Lane Crothers, Buchautor
Daten und Fakten
Der Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C. am 6. Jänner 2021 war ein Angriff von Anhänger:innen des damals noch amtierenden, aber bereits abgewählten US-Präsidenten Donald Trump auf den Kongress der Vereinigten Staaten. An der gewalttätigen Aktion waren auch hunderte Mitglieder rechtsextremer Milizen beteiligt. Fünf Menschen kamen ums Leben, zahlreiche wurden verletzt, darunter 140 Polizist:innen.
Die Militia-Bewegung in den USA ist eine überwiegend rechtsextreme soziale Bewegung von Paramilitärs, die vorgibt, die US-Verfassung zu schützen. Es geht darum, den „Feind im Inneren“ zu bekämpfen. Das sind Liberale, Demokraten wie US-Präsident Joe Biden und Nicht-Weiße. Mitglieder der Milizen sind oft Veteranen der US-Army oder Verschwörungstheoretiker:innen. Manche dieser Milizen gelten als terroristisch. Das FBI hat vergleichsweise wenig Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.
Fox News ist ein konservativer, Republikaner-freundlicher TV-Kanal in den USA. Er ist der meistgesehene Sender in den USA. Kritiker weisen darauf hin, dass der Sender regelmäßig Falschinformationen verbreitet.
Quellen
Lane Crothers, Rage on the Right: The American Militia Movement from Ruby Ridge to the Trump Presidency, 2019, erschienen bei Rowman&Littlefield