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Die Rundumkatastrophe namens Gegenwart bietet wenig Anlass zur Hoffnung. Weitermachen muss man trotzdem irgendwie.
Wenn ich auf Instagram frage, welches Kolumnenthema meine Leser:innenschaft am meisten interessieren würde, ist die aktuell häufigste Antwort: Hoffnung. Ihr wollt also von mir – ausgerechnet von mir, der chronisch Depressiven – wissen, wie ihr in der aktuellen Situation, inmitten der Rundumkatastrophe namens Gegenwart, Hoffnung bewahren könnt. Ihr wollt hören, was euch in der Rundumkatastrophe namens Gegenwart Hoffnung machen könnte. Oder dass es überhaupt Grund zur Hoffnung gibt. Ihr hättet gerne, dass ich diesen Grund irgendwo finde – als auserkorenes Hoffnungs-Trüffelschwein gewissermaßen, das schon irgendwo irgendeinen Hoffnungstrüffel finden wird, wenn man es lang genug in der Scheiße wühlen lässt. Ich verstehe den Wunsch sehr gut.
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Hoffnungstrüffelschweine
Das Problem ist nur: Bin für all das leider die schlechtestmögliche Ansprechpartnerin. Auf die Frage, wie man Hoffnung inmitten einer Rundumkatastrophe bewahren oder generieren kann, ist meine einzige ehrliche Antwort: gar nicht. Ich bin eine chronisch Hoffnungslose. Ich habe die Hoffnung schon zu einem Zeitpunkt aufgegeben, an dem andere noch Grund für sie sahen.
Aber vielleicht liegt hier eine klitzekleine gute Nachricht versteckt, denn innerhalb von Krisen und Katastrophen laufen die chronisch Ängstlichen und Depressiven nicht selten zur Hochform auf, weil wir gelernt haben, ohne Hoffnung und trotzdem zu leben und weiterzuleben, und weil der innere Ausnahmezustand oft besser zu einem äußeren Ausnahmezustand als zu Normalzuständen passt. Vielleicht ist es also auch gar nicht so falsch, sich in dieser Rundumkatastrophe namens Gegenwart an uns zu halten. Wir sind zwar keine Hoffnungstrüffelschweine, aber wir funktionieren sehr gut in der Hoffnungslosigkeit. Wir haben nichts Hoffnungsfrohes zu verkünden, aber wir können die Hoffnungslosigkeit aushalten, oft indem wir Witze über sie machen, bei denen den sogenannten Normalen nur so die Ohren schlackern. (Je dunkler die Gegebenheiten, desto dunkler der Humor, deshalb finden sich auf psychotherapeutischen Stationen auch die witzigsten Menschen, aber das soll hier nicht Thema sein.)
Müde
Auf Instagram zu fragen, welches Kolumnenthema meine Leserinnenschaft am meisten interessieren würde, ist etwas, das ich in letzter Zeit des Öfteren tue. Gar nicht so sehr, um dem werten Publikum das zu geben, was es will (das gelingt mir sowieso nicht), sondern eher aus Verzweiflung. Denn ich gebe offen zu: In den letzten Monaten fällt es mir sehr schwer, diese zweiwöchentliche Kolumne tatsächlich zu schreiben. Das liegt einerseits daran, dass ich mich nun schon seit geraumer Zeit, und bereits in Präkolumnenzeiten, öffentlich feministisch äußere, was wiederrum zwangsläufig dazu führt, dass man – meine feministischen Freundinnen der zweiten Welle können ein Lied davon singen – jahre- oder jahrzehntelang dasselbe sagt, immer und immer wieder, wie eine hängengebliebene Schallplatte, weil sich die feministischen Fortschritte, für die frau kämpft, so selten einstellen, dass die Forderungen jahrzehntelang dieselben bleiben.
Als Millennial-Feministin fordere ich, genauso wie meine Freundinnen in den 1970ern und -80ern, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, faire Verteilung von unbezahlter Arbeit, Zugang zu reproduktiven Rechten und Schwangerschaftsabbruch und ein Leben frei von männlicher Gewalt. Einige dieser Baustellen wurden in der Zwischenzeit sogar eher größer als kleiner.
Und auch wenn ich selbst nicht seit den 70ern, sondern eher seit den 2010ern öffentliche Feministin bin – irgendwann wird man müde.
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Neue Baustellen
Und während die meisten alten gleichstellungspolitischen Baustellen immer noch nicht fertiggestellt wurden, taten sich in der Zwischenzeit reihenweise neue auf – das trägt auch nicht sonderlich zur Ermutigung bei. Wenn die größten Demokratien der Welt um die Erhaltung dieser Demokratien kämpfen und langsam, aber sicher in die Autokratie abgleiten, wenn Krieg und Krise auf der Tagesordnung stehen und feministischer oder allgemein gesellschaftspolitischer Fortschritt zu einer unerreichbaren Utopie verkommt, scheint es sinnlos, sich am öffentlichen Diskurs mit feministischen Perspektiven beteiligen zu wollen – im Großen wie im Kleinen.
Denn das Große und das Kleine sind aktuell durchlöchert von Katastrophen, die jedes Anliegen trivial scheinen lassen (auch wenn es das nicht ist). Auch ich bin in eine Sprachlosigkeit gekippt, nicht weil ich nichts zu sagen hätte, sondern weil ich das zu Sagende in resonanzleere Räume spreche, in denen Menschen schreiend im Kreis laufen. Der sogenannte Backlash, der sich mehr nach Zivilisationszusammenbruch anfühlt als nach Backlash, fetzt uns gerade weltweit mit solch ohrenbetäubender Rasanz um die Ohren, dass diese Ohren nur so klingen und vor lauter Klingen nichts mehr sonst vernehmen können.
Dinge, über die ich schreiben wollte
Und so gibt es eine Reihe von Dingen, über die ich diese Woche geschrieben hätte, hätte ich den Eindruck, dass Schreiben noch irgendeinen Sinn machen würde. Hier die Liste an Themen, zu denen ich Texte begonnen, aber nicht fertiggestellt habe: Der Fall Anna/Mia und die Freisprüche der 10 Angeklagten; die diskutierte Änderung des österreichischen Sexualstrafrechts in Richtung des Konsensprinzips; die Tatsache, dass sich der 7. Oktober diese Woche zum zweiten Mal jährt und die Leugnung der sexuellen Folter durch die Hamas in diesen letzten beiden Jahren; Menstruationshygieneprodukte und dass diese nun gratis in einigen österreichischen Bildungseinrichtungen zur Verfügung stehen werden; die Festnahme Florian Teichtmeisters beim Münchner Oktoberfest; das neue Lied „Prostitution“ von Till Lindemann; Taylor Swifts neues Album und warum 2025 niemand mehr Lieder über Penisse hören möchte. Ich habe diese Woche all das begonnen zu schreiben und dann habe ich das Geschriebene wieder verworfen.
Vor einigen Jahren hat jemand auf Twitter, und ich weiß leider nicht mehr, wer es war, den Begriff „mütend“ geprägt: ein Kofferwort aus „müde“ und „wütend“. Und ich wünschte, ich wäre mütend, das würde einer öffentlichen Feministin besser stehen. Die Wahrheit ist: Ich bin einfach nur müde. Und deshalb habe ich mich, anstatt andere Dinge zu sagen, die zu sagen wären, dazu entschieden, genau das zu sagen.
PS: Weil ich nicht die einzige Müde bin, findet am 24. Oktober in Wien ein Frauenstreik statt. Vielleicht habe ich bis dahin wieder ein paar Worte gefunden oder ein paar Worte mich.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
- frauenstreik.at: Homepage
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