Heute, am 24. Oktober, wählt der Nationalrat aus seiner Mitte eine:n Nationalratspräsident:in und seine Stellvertreter:innen. Das sorgte schon im Vorfeld für Diskussionen.
Heute um 12.30 Uhr wird der Nationalrat, den wir am 29. September gewählt haben, zum ersten Mal zusammentreten und damit die 28. - nein, pardon: amtlich heißt es die XXVIII. – Legislaturperiode beginnen.
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Während eine Regierungskoalition – trotz des Auftrags von Bundespräsident Alexander Van der Bellen an ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer, eine Regierung zu bilden – noch in weiter Ferne ist, steht gleich heute eine wichtige und strittige Entscheidung an: Der Nationalrat wählt aus seiner Mitte eine:n Nationalratspräsident:in und den/die Zweite und Dritte Nationalratspräsident:in.
Was der- oder diejenige dann den ganzen Tag so macht, hat Kollegin Bürger vor ein paar Monaten hier beschrieben: Was macht eigentlich der Nationalratspräsident?
Ein Amt mit hoher Wichtigkeit
Ich borge mir schnell Bürgers Zitat aus, um es ganz kurz zusammenzufassen: „Kern der Aufgabe ist es, Herr:in der Bürokratie im Hohen Haus zu sein“. Damit ist nämlich schon eine Menge gesagt: (Nur) der/die Präsident:in beruft die Abgeordneten zu Sitzungen ein, er/sie nimmt Anträge an, erteilt das Wort und kann es auch entziehen. Seine Zweiten und Dritten Kollegen bilden mit ihm gemeinsam zwar das Präsidium, aber Bundesverfassung und Geschäftsordnung geben ihm/ihr allein die Entscheidungsgewalt im Parlament: Kommt es hart auf hart, entscheidet er/sie allein.
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Das gibt dem Amt hohe Wichtigkeit – und, theoretisch, auch hohes Missbrauchspotenzial – das dadurch potenziert wird, dass es eines der ganz wenigen Ämter in Österreich ist, aus dem man nicht mehr abgewählt werden kann. Wer einmal zum/zur Nationalratspräsidenten/Nationalratspräsidentin gewählt ist, bleibt es für die ganze Legislaturperiode – die einzige „Safeguard“ gegen einen Missbrauch (zum Beispiel durch eine:n destruktiven Präsidenten/Präsidentin, der/die einfach keine Sitzungen mehr einberuft) hat der Bundespräsident in der Hand, der den Nationalrat als Ganzes auflösen und damit eine Neuwahl des gesamten Gremiums erzwingen kann. (Falls euch diese unheimliche Macht des Präsidenten interessiert: Ich habe im Frühling einen längeren Artikel darüber im Datum geschrieben. Und die Kolleg:innen von der Presse haben z. B. argumentiert, warum eine Abwahlmöglichkeit eine gute Idee wäre.)
Eine der letzten Entscheidungen, die der scheidende Amtsinhaber Wolfgang Sobotka – er gehört dem neuen Nationalrat nicht mehr an, kann also auch nicht zum Präsidenten gewählt werden – so im Alleingang getroffen hat, war jene, wie die Sitzordnung im neuen Plenum ausschauen wird. So nämlich, zumindest während der ersten Sitzung:
Die FPÖ wollte eigentlich nicht ganz rechts außen sitzen – die Gründe dafür überlasse ich deiner Spekulation – , eine Einigung zwischen den Parteien kam nicht zustande; damit muss der Präsident allein entscheiden. Eventuell nicht die wichtigste Entscheidung von Sobotkas Amtszeit, in die auch die Fertigstellung des sanierten Parlaments am Ring gefallen ist, aber irgendwer musste eben auch sie treffen.
Stimmenstärkste Partei stellt den/die Präsident:in
Realistischerweise wird der Nationalrat heute mit Ex-Volksanwalt und -Bundespräsidentschaftskandidat Walter Rosenkranz zum ersten Mal in der Geschichte der Republik einen Präsidenten wählen, der nicht von ÖVP oder SPÖ gestellt wird. Das liegt an der Tradition, dass die stärkste Fraktion im neuen Nationalrat den/die Präsidenten/Präsidentin, die zweitstärkste den/die Zweite:n Präsidenten/Präsidentin und die drittstärkste den/die Dritte:n Präsidenten /Präsidentinstellen darf – und das sind nun einmal respektive die FPÖ, die Rosenkranz nominiert hat, die ÖVP mit Peter Haubner und die SPÖ mit Doris Bures.
Unumstritten wird vor allem Rosenkranz‘ Wahl nicht sein – die Grünen haben schon angekündigt, den Anwalt aus Krems wegen seiner Nähe zum deutschnationalen Burschenschafter-Milieu nicht wählen zu wollen. Damit wiederholt sich ein politisches Spiel, das schon seit Jahrzehnten in konstituierenden Sitzungen aufgeführt wird. Zum Beispiel 1999, als die Freiheitlichen unter Jörg Haider ihr bis heuer bestes Ergebnis bei einer Nationalratswahl erzielt hatten und hinter der SPÖ zweitstärkste Partei wurden. Sie nominierten den Industriellen Thomas Prinzhorn als Zweiten Nationalratspräsidenten – für die Grünen argumentierte damals ein Abgeordneter so, warum sie ihn nicht wählen würden:
Den Abgeordneten, der damals am Wort war, kennen wir heute in anderer Funktion – es war ein gewisser Alexander Van der Bellen. Für die Grünen hat es schon länger Tradition, den/die von der FPÖ Nominierte:n für das Nationalratspräsidium – ob Norbert Hofer, Martin Graf oder Anneliese Kitzmüller – eigene Kandidat:innen entgegenzuhalten. Möglich ist das, weil es sich beim „Anrecht“ der Parteien auf eines der Ämter eben nicht um ein Recht handelt, sondern bloß um eine „Usance“, eine Tradition im Parlament.
Turbulenzen
Aber auch die Wahl des/der Präsidenten/Präsidentin selbst ist immer umstrittener geworden: Bis in die 1990er-Jahre verzeichneten alle Kandidat:innen Mehrheiten von über 90 Prozent unter den 183 Abgeordneten. Dann ging es aber merklich bergab:
Wir sehen: Auch, wenn alle Gewählten klare Mehrheiten unter den 183 hatten, gab es dann doch Turbulenzen. Bures, die 2014 für die an Krebs verstorbene Barbara Prammer nachrückte, erhielt nach einer Zeit als mäßig beliebte Ministerin in zwei rot-schwarzen Regierungen nur 117 Stimmen.
Der ebenso mäßig beliebte Wolfgang Sobotka, der 2017 nach wenigen Wochen Kurzzeit-Präsidentin Elisabeth Köstinger folgte, die dann doch lieber Landwirtschaftsministerin wurde, erhielt bei seiner ersten Wahl nur 106 gültige Stimmen – viele Abgeordnete hatten sich verschworen, stattdessen den ehemaligen Zweiten Präsidenten Karlheinz Kopf zu wählen, der von seiner ÖVP nicht mehr nominiert worden war; er erhielt 65 Stimmen, ein Rekord für einen „Nicht-Kandidaten“. 2019, zu Beginn seiner zweiten Amtszeit, erhielt Sobotka dagegen 143 Stimmen – durchaus vergleichbar mit dem Niveau seiner Vorgänger:innen Prammer oder Heinz Fischer.
Wenn du die Sitzung heute verfolgen willst: Der ORF überträgt ab 12.25 live.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.