Die WZ erreichen seit dem Bericht über angebliche Missstände in den Szene-Lokalen Wirr und Adlerhof zahlreiche Nachrichten ehemaliger Mitarbeitender. Sie erheben weitere Vorwürfe.
Unser Artikel hat einen Stein ins Rollen gebracht. Vor einer Woche berichtete die WZ über schwere Missstände in den Szene-Lokalen Wirr und Alderhof in Wien. Die beiden Geschäftsführer Andreas Knünz und Manuel Köpf sollen einen Angestellten geschlagen, andere sexistische beleidigt und Löhne zu spät ausbezahlt haben. Die beiden Gastronomen bestreiten das. Doch nun tauchen weitere Vorwürfe auf: sexuelle Belästigung, Diskriminierung, Wutausbrüche.
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Die WZ hat mittlerweile mit über 40 Personen gesprochen, die in den Szene-Lokalen gearbeitet haben. Sie sind erleichtert, die Missstände in der Öffentlichkeit zu sehen. „Es ist so wichtig, dass nicht ständig neue junge Menschen in diese Lokale gehen und unter diesen menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten”, sagt Robin, der sich über Instagram bei der WZ meldet. Er erzählt uns außerdem, worüber er bisher schwieg.
Sexuelle Belästigung
Robin arbeitete an einem Abend vor rund fünf Jahren im Club Dual, der sich im Keller vom Wirr in der Burggasse befindet und ebenfalls von Knünz und Köpf geführt wird. „Als ich die Stiegen runterging, hat mir Köpf auf den Arsch gegriffen”, sagt Robin zur WZ. Er sei irritiert gewesen, doch habe es einfach weggelächelt. Das sei aber nicht der einzige Übergriff gewesen: „An einem anderen Tag habe ich mit Köpf hinter der Bar im Wirr gearbeitet. Ich wollte an ihm vorbeigehen, als er sich mir in den Weg gestellt hat. Köpf hat mir grinsend in die Augen geschaut und mir voll in den Schritt gegriffen“, erzählt Robin.
Damals habe er nicht gewusst, wie er damit umgehen sollte. Er war gerade Anfang 20 und mit der Situation überfordert. „Köpf hat so getan, als wäre nichts gewesen. Ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen, nicht mal mit dem Kollegium”, erzählt Robin. Es sei ihm peinlich gewesen. „Heute würde ich das klar als sexuelle Belästigung einordnen, damals wusste ich einfach nicht, was mir geschieht”, sagt er. Köpf will auf Anfrage der WZ nichts dazu sagen.
Heute würde ich das klar als sexuelle Belästigung einordnen.Robin, ehemaliger Mitarbeiter
Neben Robin haben sich viele junge Frauen bei uns gemeldet. Eine davon ist Pia. Sie musste nach ihrer Kündigung ein letztes Mal ins Büro, um ihr Trinkgeld abzuholen. Als sie dort ankam, war erst nur der Serviceleiter vor Ort, der gleich nach ihrem Kuvert mit dem Trinkgeld suchte.
Wutausbruch und Beleidigung
Plötzlich sei Knünz hereingekommen. „Er hat mich überfreundlich begrüßt, doch ich habe nicht zurückgegrüßt. Ich war letzte Woche schon hier und habe mein Trinkgeld nicht bekommen, daher war ich etwas beleidigt und hatte auch Angst”, sagt Pia der WZ. Knünz habe das gestört und Pia mit „Bist du zu dumm, um 'hallo’ zu sagen?” angefahren, meint Pia. Sie habe Knünz kurz angesehen, aber wieder nichts erwidert. Daraufhin soll Knünz durchgedreht sein.
Knünz habe dem Serviceleiter zugebrüllt: „Gib ihr das Trinkgeld nicht, sie kann es sich über die Arbeiterkammer holen“, erzählt Pia. „In dem Moment hatte ich das Geld aber bereits in der Hand. Auf einmal wollte Knünz auf mich losgehen. Er hat laut ‘widerliche Fotze’ geschrien und ist aggressiv auf mich zugegangen. Zum Glück hat ihn der Serviceleiter aber zurückgehalten”, sagt Pia. Sie sei zitternd an den beiden vorbei nach draußen gerannt. Vor der Türe habe sie geweint.
Knünz wollte auf mich losgehen und hat mich eine ‘widerliche Fotze’ genannt.Pia, ehemalige Mitarbeiterin
Als Pia sich wieder gesammelt hatte, ging sie zur Polizei und berichtet von ihrer Erfahrung. Dort wurde sie an die Arbeiterkammer verwiesen. Sie habe den Mut verloren, den Fall weiter zu verfolgen. „Ich hätte mehr tun sollen, aber ich dachte mir, das glaubt mir doch keiner”, sagt Pia. Auch zu diesem Vorfall sagen die Geschäftsführer auf Anfrage der WZ nichts.
Frauen sollen weniger verdient haben
Es haben sich viele weitere Frauen bei uns gemeldet, die den Betreibern allesamt einen diskriminierenden Umgang unterstellen. „Eine Kollegin und ich haben damals beide sieben Euro die Stunde bekommen. Wir waren die einzigen Frauen im Betrieb. Alle anderen waren Männer und haben neun Euro pro Stunde bekommen. Dabei waren wir zwei Frauen die einzigen mit Gastro-Ausbildung“, erzählt eine ehemalige Mitarbeiterin der WZ. Eine weitere Frau behauptet unabhängig davon ebenfalls, weniger verdient zu haben als die männlichen Kollegen.
Gegenüber männlichen Kollegen sollen sich die Chefs zudem frauenfeindlich geäußert haben: „Frauen wurden wie minderwertige Mitarbeiterinnen behandelt. Mir hat einer der Chefs auch mal gesagt, dass man die dummen Weiber eh nicht brauche, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter. Die Geschäftsführung lässt auch diese Vorwürfe auf Anfrage der WZ unkommentiert.
Augustinverkäufer niedergeschrien
Viele Vorfälle seien im Hinterzimmer passiert. Manche aber auch vor den Gästen. „Ich war im Wirr mit Freundinnen etwas trinken, als der Geschäftsführer einen Zeitungsverkäufer mit ‘hau ab, verpiss dich‘ anbrüllte. Wir waren sehr geschockt und verängstigt. Eine Freundin von mir hat sogar angefangen zu weinen”, erzählt uns Luisa, die vor Ort war. Die Geschäftsführer behaupten auf Anfrage der WZ, lediglich eine Mitarbeiterin verteidigt zu haben, die vom Verkäufer körperlich attackiert wurde.
„Ich habe nichts von einer Attacke auf eine Mitarbeiterin mitbekommen. Der Verkäufer war auch bei uns am Tisch. Er war freundlich und unaufdringlich”, sagt Luisa. Nach dem Vorfall schrieben mehrere Personen schlechte Rezensionen auf Google. „Es wurde inmitten des Lokals ein Augustinverkäufer locker drei Minuten ohne Pause aufs Bodenloseste angeschrien, beleidigt und aus dem Lokal geworfen. Dies komplett ohne triftigen Grund!”, heißt es in einer davon.
Ich hatte in meinem Leben noch nie so Angst wie vor den beiden.Ehemalige Mitarbeiterin vom Wirr
Solche Wutausbrüche finden sich auch in den Erzählungen der Mitarbeitenden. „Ich habe gesehen, wie Knünz eine Mitarbeiterin vor allen Gästen so lange angeschrien hat, bis sie weinte”, erzählt uns ein weiterer Ex-Angestellter. Die meisten von ihnen wollen anonym bleiben, da sie immer noch Angst vor ihren ehemaligen Chefs haben. Die Erfahrungen sind nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen.
„Ich hatte in meinem Leben noch nie so Angst wie vor den beiden”, erzählt eine weitere Ex-Angestellte. Dabei sei ihr gar „nichts so Arges” passiert. „Der psychische Druck und die Unberechenbarkeit haben mich einfach fertiggemacht. In der einen Sekunde sind sie nett zu dir, im nächsten Moment brüllen sie dich an”, erzählt sie. Manche meinen, sie wären gar „traumatisiert” von den Erfahrungen in den Lokalen.
„Ich habe diesen unglaublich respektlosen, beleidigenden und erniedrigenden Umgang selbst erlebt. Das ist Machtmissbrauch auf höchstem Niveau”, schreibt uns Michaela auf Instagram. Sie hat einen Tag vor der Veröffentlichung unseres Artikels das letzte Mal für den Adlerhof gearbeitet. „Mich hat das so arg beschäftigt die letzten Wochen. Ich war so wütend und so traurig. Ich war überfordert von meiner eigenen Wut”, erzählt Michaela in ihrer Story auf Instagram.
„Boycott“-Aufrufe in der Burggasse
Die zahlreichen Rückmeldungen untermauern die erhobenen Vorwürfe. Der öffentliche Druck auf die Gastronomen steigt. Zahlreiche andere Medien haben die Recherchen der WZ aufgegriffen, in der Burggasse hängen Zettel mit „BOYCOTT WIRR“ und „BOYCOTT ADLERHOF“ an den Wänden und auch politische Parteien ziehen ihre Konsequenzen. Die Grünen Wien, die hin und wieder Veranstaltungen im Wirr abgehalten haben, werden das nun unterlassen. „Mit den jetzigen Enthüllungen ist für uns völlig klar, dass wir als Grüne Wien das Wirr und den Adlerhof nicht mehr für Veranstaltungen buchen werden”, schreiben die Grünen in einem Statement an die WZ. Auch die Neos werden, „bis die Vorwürfe geklärt sind“, die Lokale nicht mehr nutzen.
Gegenüber der WZ wollten sich die Geschäftsführer nicht erklären. Unsere Fragen beantworten sie uns nicht, dafür schicken sie ein allgemeines Statement. Darin werfen sie uns vor, im ersten Artikel ihre „Stellungnahmen über weite Strecken ignoriert“ zu haben. „Auch diesmal bezieht sich die Anfrage auf frei erfundene und für uns absolut nicht nachvollziehbare Vorwürfe, die noch dazu rechtlich strafbar wären. Wenn Sie uns Beweise oder Informationen vorlegen können, gehen wir den Vorfällen gerne nach. Im Unternehmen sind diese nicht bekannt“, heißt es im Schreiben der Wirr GmbH.
Die Chefs vermuten eine Intrige gegen sie. „Wir wissen, das Thema geht von einer kleinen Gruppe ehemaliger unzufriedener Mitarbeiter:innen aus, die ganz offensichtlich dem aktuellen Team schaden wollen. Wir haben uns mit 50 aktuellen Mitarbeiter:innen zu dem Thema besprochen und in den Gesprächen waren alle sehr erstaunt über die Vorwürfe. Auch seitens der Gäste gibt es kein derartiges Feedback“, heißt es weiter im Statement. Abschließend ersuchen sie uns, ihr „Statement diesmal korrekt zu zitieren und die einseitige Berichterstattung zu beenden.“
In den Lokalen geht das Geschäft derweil ungestört weiter. Auf ihren Kanälen veröffentlichen die Szene-Gastronomen kein Statement zu den Vorwürfen, dafür findet sich in der Story vom Adlerhof ein Backvideo, das mit einem Lounge-Beat unterlegt ist. Das Rezept gegen schwere Vorwürfe sind wohl „Good Vibes”.
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Infos und Quellen
Genese
Die Berichterstattung zu den Missständen im Wirr und Adlerhof hat eingeschlagen: Zahlreiche ehemalige Mitarbeitende melden sich seither bei uns und erzählen von ihren Erfahrungen. WZ-Trainee Markus Hagspiel hat mittlerweile mit über 40 von ihnen gesprochen, die weitere Missstände in den Lokalen offenbaren.
Gesprächspartner:innen
Ehemalige Mitarbeitende der Lokale Wirr am Brunnenmarkt, Wirr in der Burggasse und Adlerhof (alle Namen von der Redaktion geändert)
Andreas Knünz und Manuel Köpf, Geschäftsführer der Smile Holding GmbH
Pressestelle Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft
Pressestelle der Grünen Wien
Pressestelle der Neos
Daten und Fakten
Knünz und Köpf betreiben mehrere Lokale unter der Smile Holding GmbH, nämlich das Wirr Brunnenmarkt, das Wirr Burggasse und das Cafe Adlerhof.
Die WZ hat auch beim Arbeitsinspektorat nachgefragt, ob die Lokale in der Vergangenheit bei Kontrollen aufgefallen sind. „Voranzustellen ist, dass in den letzten Jahren die angeführten Lokale von der Arbeitsinspektion kontrolliert worden sind und dabei auch Mängel im Arbeitnehmer:innenschutz festgestellt und die erforderlichen Schritte gesetzt worden sind“, heißt es aus dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft, das Presseanfragen der Arbeitsinspektorate behandelt.