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Noch engerer Gürtel

4 Min
Georg Renner schreibt jede Woche einen sachpolitischen Newsletter. Am Samstag könnt ihr den Beitrag online nachlesen.
© Fotocredit: Georg Renner

Georg Renner über aktuelle Konjunkturprognosen, das sinkende Bruttoinlandsprodukt und ein mögliches Defizitverfahren.


Diese Woche war eher unangenehm. Nicht in diesem Newsletter natürlich, ich kuschle uns in die behagliche Wohlfühlstruktur der Budgetpolitik ein. Sondern am Donnerstag, als Wifo und IHS ihre neue Konjunkturprognose präsentiert haben. Jedes Vierteljahr präsentieren die beiden führenden Wirtschaftsinstitute der Republik ja ihre Vorschau, wie sich Wirtschaft und Wohlstand in Österreich im laufenden und den kommenden Jahren angesichts zahlreicher Faktoren entwickeln werden.

Mitte Dezember hatten die Ökonom:innen ja noch damit gerechnet, dass das Bruttoinlandsprodukt – der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in Österreich in einem Jahr hergestellt bzw. geleistet werden – heuer um 0,7 Prozent wächst. Bescheiden, aber nach zwei Rezessionsjahren, in denen Österreichs Leistungsbilanz geschrumpft ist, immerhin ein kleiner Lichtblick.

Nun, damit ist es jetzt vorbei: „Österreich steckt im dritten Rezessionsjahr“ lautete der Titel der Präsentation, die du hier nachschauen kannst. Vor einer „verlorenen Dekade“ haben dabei Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und IHS-Chef Holger Bonin gewarnt: Die Krise sei „zu einem Teil strukturell“ und „hausgemacht“, die neue Bundesregierung müsse „mutige Strukturreformen“ angehen, etwa im Bereich Pensionen oder Föderalismus.

Ein schrumpfendes BIP ist nicht nur faktisch unangenehm – es wird weniger produziert, es kommen weniger Tourist:innen, es gibt schlicht weniger zu tun -, es hat auch politisch Konsequenzen. Wir hatten an dieser Stelle schon mehrmals über die österreichische Budgetmisere gesprochen – die Republik (Bund, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen usw.) gibt in einem Ausmaß mehr Geld aus, als es einnimmt, das nicht nur massig neue Staatsschulden produziert, sondern auch die EU-Budgetregeln sprengt. So hat das zuletzt auf Bundesebene ausgeschaut:

Wir sehen: Der Bund hat im Vorjahr rund 19 Milliarden Euro mehr ausgegeben als er eingenommen hat. Das ist eine ziemliche Punktlandung gegenüber dem, was er Ende 2023 budgetiert hat, wie sich aus der aktuellen Auswertung des Budgetdienstes im Parlament zum Budgetvollzug 2024 ergibt. Es hilft nur recht wenig, weil für die EU-Konformität des österreichischen Haushalts eben auch die anderen Staatsebenen zählen, nämlich die Länder, die Gemeinden und Sozialversicherungen – und bei denen dürften die Ergebnisse weit schlechter liegen als im Bund. Auch, wenn die Endabrechnung noch ausständig ist: 2024 wird Österreich nach Einschätzung aller Wirtschaftsforscher:innen die Drei-Prozent-Hürde überschritten haben.

Renner
© Screenshot

Die neue Regierungskoalition hat sich an sich vorgenommen, mit einem Sechs-Milliarden-Sparprogramm – im Wesentlichen ziemlich genau jenes, das sich davor auch ÖVP und FPÖ vorgenommen hätten – gerade noch die Kurve zu kratzen und unter die drei Prozent Neuverschuldung zu kommen. Davon ist bereits einiges beschlossen – etwa die Abschaffung von Bildungskarenz und Umsatzsteuer-Befreiung für PV-Anlagen, zum Beispiel – und manches noch in Arbeit. Es gibt auch dazu eine interessante Analyse des Budgetdienstes übrigens: Umsetzungsstand der Budgetkonsolidierung und geplante Offensivmaßnahmen.

Was passiert wenn das BIP niedriger ausfällt als erwartet?

Nur werden die Hiobsbotschaften der Wirtschaftsforscher:innen diese Woche dem Vorhaben den Garaus machen, sich vor einem EU-Verfahren drücken zu können. Und zwar aus mehreren Gründen:

Erstens: Ganz banale Mittelschulmathematik. Wenn das BIP niedriger ausfällt als bisher erwartet, muss mehr eingespart werden, um unter drei Prozent zu bleiben. Angenommen, das Austro-BIP würde 2025 auf 500 Milliarden Euro wachsen – dann hieße das, Österreich müsste gesamtstaatlich unter einem Defizit von 15 Milliarden Euro bleiben. Schrumpft das BIP dagegen auf nur 480 Milliarden Euro, dürfte das Defizit eine halbe Milliarde Euro weniger ausmachen.

(Das ist nur eine Annäherungsrechnung – tatsächlich ist es weit komplizierter, weil die EU-Budgetregeln viele Ausnahmen enthalten, welche Ausgaben wie verbucht werden müssen.)

Zweitens bedeutet ein niedrigeres BIP auch gleichzeitig niedrigere Staatseinnahmen: Weniger Konsum, weniger Produktion usw. bedeutet letzten Endes auch, dass der Staat weniger Steuern einnimmt, weil weniger Umsätze, Einkommen und anderes zu besteuern stattfindet.

Zusammen heißt das: Bei einer schwächer als erwarteten Wirtschaftsprognose rutscht das Defizit automatisch wieder über die erlaubte Grenze.

Dazu kommt noch, dass Einsparungen – ob Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen – das BIP wiederum drücken; zur Berechnung dieses „konjunkturdämpfenden Effekt“ gibt es EU-Vorgaben, zum Beispiel die Formel „Budgetkonsolidierung um 1 % des BIP reduziert das BIP um 0,75%“.

Alles in allem sind das schlechte Nachrichten – und es ist kein Zufall, dass Regierungspolitiker:innen seit einer Woche mit der Aussage hausieren gehen, ein Defizitverfahren wäre kein Weltuntergang. Wenn die Prognosen diese Woche stimmen, wird sich das kaum noch vermeiden lassen.


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Infos und Quellen

Genese

Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

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