Kritische Medien sind ein Hauptfeind der slowakischen Regierung. Und deshalb soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk RTVS umgebaut werden.
Am 15. Mai griff ein 71-jähriger Pensionist zur Waffe. Fünfmal feuerte er auf den slowakischen Premier Robert Fico, vier Schüsse trafen. Ein neuer Tiefpunkt in der seit Jahren gespaltenen slowakischen Gesellschaft.
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„Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu“, sagte der mutmaßliche Täter in einer zuvor aufgenommenen kurzen Videobotschaft, die von der Nachrichtenagentur Reuters verifiziert werden konnte. Die Angriffe der Regierung auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS waren es, sagt er, die ihn so gestört haben.
Politische Umfärbungen
Bei RTVS geht es ans Eingemachte. Just am 15. Mai, während Premier Fico bei seinem verhängnisvollen Besuch in der Zentralslowakei war, debattierte das Parlament in Bratislava die geplante RTVS-Reform. Der Sender soll geschlossen und in anderer Form neugegründet werden, da ihm einseitige Berichterstattung vorgeworfen wird. Für denselben Tag war auch eine Protestkundgebung genau dagegen angekündigt. Die nach dem Angriff auf Fico jedoch abgesagt wurde.
Das politische Leben kam vorerst zum Erliegen. Die Pläne gegen das staatliche Fernsehen sind allerdings weiter aufrecht. Was hat die Regierung konkret vor?
Ich werde die Zeit beenden, in der die Slowakei von NGOs beherrscht wird.Robert Fico, slowakischer Premier
Politische Umfärbungen von RTVS sind bei Regierungswechseln keine Seltenheit. Das geschah meist durch den Wechsel des RTVS-Direktors. Damit rechnet Radoslav Štefančík, Politikwissenschaftler an der Wirtschaftsuniversität Bratislava, auch diesmal. „Allein dadurch kann die Regierung schon mitbestimmen, welche Gäste eingeladen werden und welche nicht. Welche Experten kommentieren und welche nicht“, sagt Štefančík zur WZ. Ob es aber beim Tausch des Direktors bleiben wird?
Um das zu erfahren, hört man wohl am besten auf die Regierung selbst. „Ich werde die Zeit beenden, in der die Slowakei von Nichtregierungsorganisationen beherrscht wird“, sagte Fico vergangenen Herbst, wenige Tage nach seinem Wahlsieg. Er setzte also Journalist:innen mit Aktivist:innen gleich, ohne auch nur einen Beweis vorzulegen.
Medien-Vorbild Ungarn
Er träume von einer Medienlandschaft wie in Ungarn, sagte Fico in Interviews. Dort brachte der seit 2010 regierende Viktor Orbán so gut wie alle Zeitungen auf Regierungslinie. Auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat er längst zur Propagandaschleuder umgebaut.
Fico ist Opportunist und Populist par excellence. Er prägt die slowakische Politik seit 20 Jahren mehr als jeder andere. Die Angriffe auf RTVS kommen aber nicht nur von ihm. Und sie sind alles andere als neu, sagt Pavol Szalai, gebürtiger Slowake und Experte bei Reporter ohne Grenzen (RSF). „Schon früher wurde ein prominenter Nachrichtensprecher immer wieder angegriffen. Auch wurde die Auswahl eingeladener Gäste systematisch kritisiert“, sagt Szalai.
Werkzeug der Regierung
Die neue Rundfunk-Aufsichtsbehörde, wie sie nun im Regierungsentwurf vorgesehen ist, würde vom Kulturminister bestimmt. „Das Risiko ist dann natürlich groß, dass der Rundfunk den Interessen der Regierung und nicht dem öffentlichen Interesse dient“, sagt Peter Hanák, Politikexperte und Lehrender an der Comenius Universität Bratislava, der größten und ältesten Universität der Slowakei.
Politisch motivierte Wechsel der RTVS-Führungsebene sind alles andere als neu, sagt Hanák, der jahrelang beim dortigen Radio gearbeitet hat. „Die letzte Umfärbung war 2017, als Fico wieder Premier wurde. Ein früherer Ministeriumssprecher wurde zum Nachrichtendirektor. Das war eindeutig politisch motiviert“, sagt Hanák. Mehr als 60 Journalist:innen hätten dagegen protestiert, aber es habe nichts genutzt. Im Gegenteil, sie wurden bestraft. „Manche wurden gefeuert, andere vom Fernsehen zum Radio geschoben, anderen wurden ihre Sendungen abgeschafft“, sagt Hanák.
Zwar haben nicht nur Ficos Partei Smer („Richtung“) und die ultrarechte SNS versucht, Einfluss auf den Rundfunk zu nehmen. Aber die früheren Regierungen waren laut Hanák meist milder in ihrem Vorgehen. Anstatt direkter Angriffe gingen sie subtiler vor, indem sie auf eine Finanzierung durch das Staatsbudget umstellten. Damit wurde RTVS stärker von der Regierung abhängig.
Die Medien sollen ruhig sein und das tun, was die Regierung will.Peter Hanák, ehemaliger RTVS-Journalist
An einem Strang ziehen
Wie geht es nun weiter? Das Gesetz wird weiter im Parlament behandelt. Wenn es nach der Regierung geht, ist es bis Ende Juni beschlossene Sache. Laut Hanák dürfte es wohl so kommen: Smer und SNS seien ohnehin auf einer Linie. Einzig die sozialdemokratische Hlas („Stimme“), dritte Koalitionspartei, könnte die Reform stoppen. Wahrscheinlich sei dies aber nicht. Die Partei ist im Aufwind, hat doch ihr Obmann Peter Pellegrini erst vor wenigen Wochen die Präsidentschaftswahl gewonnen. Pellegrini und weite Teile seiner Partei stehen jedoch Fico nahe.
Zwar heißt es vom künftigen Präsidenten Pellegrini abwärts, man müsse nun an einem Strang ziehen und zusammenhalten. Dies seien aber hohle Phrasen, sagt Hanák: „Die Medien sollen vielmehr ruhig sein und das tun, was die Regierung will.“ Zwischen den Zeilen werde vermittelt, dass die mediale Kritik an Fico dazu beigetragen habe, dass er nun Opfer eines Attentats wurde. Kritische Stimmen sollen damit ruhiggestellt werden, ist Hanák überzeugt.
Die Pläne müssen überdacht werden
„Ich hoffe, dass dieser tragische Anlass dazu führt, dass die Regierung ihre Pläne für RTVS überdenkt. Es wäre höchste Zeit für ein neues Verhältnis zwischen Regierung und den Medien“, sagt RSF-Experte Szalai.
Immerhin: Seit den Schüssen auf Fico bemühe sich der Staatsapparat nun um die Sicherheit von Medienhäusern in Form von Polizeischutz. „Auch und besonders von jenen, die kritisch über die Regierung berichten“, sagt Szalai. Zu hoffen bleibt , dass dieser Ausnahmezustand bald vorbei ist. Und dass die Slowakei wieder zur Ruhe kommt.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner
Peter Hanák: Ehemaliger langjähriger RTVS-Journalist, Jurist & Ökonom, Comenius Universität Bratislava
Pavol Szalai, Slowakei-Experte bei Reporter ohne Grenzen (RSF)
Radoslav Štefančík: Politikwissenschaftler, Wirtschaftsuniversität Bratislava
Daten und Fakten
Die Slowakei liegt zwar auf Platz 29 im aktuellen Pressefreiheitsindex – noch vor Österreich mit Platz 32 –, doch gab es allein im letzten Jahr einen Abstieg um 12 Plätze.
Die Regierung greift immer wieder Journalisten und Medienhäuser an.
Nun will sie auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTVS zum Propagandainstrument machen.
Der Attentäter, der auf Premier Robert Fico schoss, gab dies als seine Motivation an.