Im Gazastreifen droht nach dem Massaker der Hamas und den israelischen Luftangriffen eine humanitäre Katastrophe. Eine Palästinenserin berichtet der WZ von ihren Befürchtungen.
Kein Strom, kein Wasser, keine Lebensmittel, die Medikamente gehen zur Neige: Die Lage der Palästinenser:innen im Gazastreifen ist nach dem Massaker, das die Hamas angerichtet hat, und den folgenden Luftschlägen der israelischen Armee verzweifelt. Augenzeugen berichten von ganzen Straßenzügen in Gaza-Stadt, die in Schutt und Asche liegen. Der Umstand, dass das schmale Gebiet dicht besiedelt ist, verschlimmert die Sache. Das UN-Nothilfebüro berichtet, das bisher fast 340.000 Menschen aus ihren Wohnungen geflüchtet sind. Weit kommen sie angesichts des engen Raums nicht, sie suchen Schutz bei Verwandten, Freund:innen oder in Schulgebäuden. Das UN-Flüchtlingshilfewerk UNHCR bereitet sich auf einen Massenansturm auf die Grenze zu Ägypten vor. Man beobachte die Lage sehr genau, heißt es hier, und stehe zur Hilfeleistung bereit.
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Lebensader Rafah
Ägypten hat Israel bereits aufgefordert, Luftangriffe auf seinen einzigen Grenzübergang zum Gazastreifen zu vermeiden. Der Übergang sei eine Lebensader zur Versorgung der notleidenden Bevölkerung. Derzeit ist der Grenzübergang Rafah geschlossen, es gibt aber zahllose unterirdische Tunnel, die Gaza mit Ägypten verbinden und durch die neben Versorgungsgütern auch Waffen geschmuggelt werden.
Der Wunsch der Israelis, die Hamas in einer Bodenoffensive völlig zu vernichten, ist schon deshalb schwer umsetzbar, weil die Terrororganisation viele zivile Einrichtungen wie Spitäler und Schulen betreibt und stark mit der Gesellschaft in Gaza verwoben ist. Viele militärische Einrichtungen sind unmittelbar in ein ziviles Umfeld eingebettet, so dass Unbeteiligte extrem gefährdet sind. Auch sind im dicht verbauten Stadtgebiet Kombattant:innen von Zivilist:innen nicht immer klar zu unterscheiden.
Nach Ansicht des Roten Kreuzes sind jedenfalls Angriffe auf Zivilist:innen in keinem Fall zu rechtfertigen. Es sei nicht akzeptabel, das Zufügen von Leid mit selbst erlittenem Schmerz zu rechtfertigen. Auch die Abriegelung eines Gebietes, in dem zwei Millionen Menschen leben, sei „nicht akzeptabel“. Eine Gruppe von unabhängigen UN-Expert:innen hat unterdessen die Verbrechen der Hamas an Israelis verurteilt. Gleichzeitig wird in der Erklärung die Anwendung willkürlicher militärischer Mittel gegen die Bevölkerung des Gazastreifens kritisiert.
Die palästinensische Sicht
Unterdessen melden sich abseits von pro-palästinensischen Demonstrationen und Propaganda auf den Sozialen Medien vereinzelt Palästinenser:innen zu Wort, um nach dem Massaker der Hamas und dem bevorstehenden Bodenangriff Israels ihre Sicht der Dinge darzulegen. Die WZ konnte mit einer Palästinenserin sprechen, deren Familie aus Hebron stammt und nach 1948 nach Jordanien geflohen ist. Die Frau ist Akademikerin, lehrt an einer Hochschule, lebt jetzt in Großbritannien und will anonym bleiben. Ihre Meinung gibt einen Einblick, wie der gebildete und eher moderat denkende Teil der Palästinenser in der derzeitigen, extrem aufgeladenen Situation denkt.
Sie werde von der Angst getrieben, dass Israel diesmal die „komplette Auslöschung“ des Gazastreifens plane, so die Palästinenserin gegenüber der WZ. „Bis jetzt haben die Israelis immer Raum gelassen, um zu entkommen.“ Das sei jetzt anders. Die Hamas-Kämpfer, die das Massaker in Israel angerichtet haben, sieht sie als „Widerstandskämpfer“, nicht als Terroristen. Die von der Hamas Getöteten seien in erster Linie „bewaffnete Siedler“ gewesen. Sollten sich Zivilisten darunter befunden haben, dann verurteile sie das. Sie vermeide westliche Medien, die zu einseitig und pro-israelisch berichten würden. Allerdings hätten die BBC und CNN den jeweiligen palästinensischen Botschaftern die Gelegenheit gegeben, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Das begrüße sie.
"Lösung in Händen Israels"
Eine Lösung der aktuellen Krise und des zugrunde liegenden Konflikts liege komplett in den Händen Israels, so die Palästinenserin. So lange es eine derartig rechte und rassistische Regierung in Israel gebe, die Palästinenser als „Tiere“ betrachte, sehe sie keine Chance auf Besserung, da fehle die „moralische Basis“.
Allerdings gibt es ihrer Ansicht nach durchaus israelische Stimmen, die „moderater, nicht rassistisch und menschlicher“ sind. Sollten sich diese politischen Kräfte durchsetzen, dann gebe es eine Chance auf Frieden.
Doch ein positives Ende für die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten ist nicht absehbar, im Gegenteil: Der Countdown für die israelische Bodenoffensive läuft und die Raketenangriffe der Hamas auf Israel halten an.
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Infos und Quellen
Genese
Es war unglaublich schwierig, eine palästinensische Gesprächspartnerin oder einen Gesprächspartner zu finden. Die meisten Angefragten haben es angesichts der aufgeladenen Situation abgelehnt, sich zu äußern. Autor Michael Schmölzer konnte schließlich in Großbritannien eine Palästinenserin, deren Familie aus Hebron stammt, ausfindig machen, die ihre Sicht der Dinge schilderte. Ihren Namen will sie aber nicht in den Medien lesen.