Jedes Kind hat das Recht auf finanzielle Unterstützung durch die Eltern. Was aber, wenn die nicht zahlen wollen? Der schmale Grat zwischen Gesetz und Emotion.
Miriam ist im Zwiespalt. Bricht sie ihr Studium ab oder den Kontakt zu ihrem Vater? Die Situation ist verfahren. Mit 19 ist sie von zu Hause ausgezogen, um zu studieren. Ihre Eltern sind geschieden – für den neuen Lebensabschnitt seiner Tochter will ihr Vater nichts zahlen. Seine Meinung ist eindeutig: Wer studiert, muss auch selbst dafür aufkommen. „Ich möchte das Verhältnis zu meinem Vater nicht aufs Spiel setzen, gleichzeitig ist mir meine Karriere wichtig“, sagt Miriam. Ihren echten Namen will sie hier nicht lesen.
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„Geld ist eine Art der Zuwendung und auch ein Gradmesser für eine Beziehung. So wird es von vielen Kindern empfunden“, sagt die Psychotherapeutin Maria Eberstaller. „Wenn ein Elternteil dem Kind keinen Unterhalt zahlt, kann es auch ein Machtspiel zwischen den geschiedenen oder getrennten Eltern sein. Der Streit wird am Rücken des Kindes ausgetragen.” Genau so fühlt es sich für Miriam an. Die Situation ist komplex und belastend. Mit dem Problem ist Miriam nicht allein.
Kaum Daten
Genaue Daten, wie viele volljährige Kinder in Österreich Anspruch auf Unterhalt haben, gibt es nicht. Bei den Minderjährigen führte die Statistik Austria im Jahr 2021 erstmals eine Umfrage durch. Sie zeigt: Fast drei Viertel von insgesamt 161.000 minderjährigen Kindern in Haushalten alleinerziehender Mütter stehen Unterhaltszahlungen zu. In jedem fünften Fall kommt der Vater seiner Verpflichtung nicht nach.
Das ärgert Walter Kreissl. „Eltern haben eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihren Kindern”, sagt der Rechtsanwalt. Er hat sich auf Familienrecht spezialisiert. Beide Elternteile – egal ob verheiratet oder nicht – müssen zum Unterhalt ihres Kindes beitragen. Hier wird zwischen Naturalunterhalt und Geldunterhalt unterschieden. Lebt ein Kind mit einem oder beiden Elternteilen im gemeinsamen Haushalt, hat es Anspruch auf Naturalunterhalt. Der umfasst Unterkunft, Nahrungsmittel, Bekleidung, Unterricht und Taschengeld. Lebt ein Elternteil nicht im selben Haushalt wie das Kind, muss er Geld an den Elternteil zahlen, der das Kind im Haushalt betreut. „Ist das Kind volljährig, müssen Eltern den Unterhalt direkt an das Kind zahlen, wenn es das verlangt“, sagt Kreissl.
Miriams monatlicher Unterhalt wird mit der Prozentsatzmethode berechnet. Der Unterhalt bemisst sich am Netto-Jahreseinkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils. Bei Kindern ab 15 Jahren sind das 22 Prozent des sogenannten Jahreszwölftels (das ist ein Zwölftel vom Netto-Jahreseinkommen inklusive Urlaubs- und Weihnachtsgeld). Sind die Kinder älter, wird der Unterhalt am Regelbedarf berechnet. „Der Regelbedarfssatz prüft, ob die Unterhaltshöhe ausreichend ist und darf daher nicht unterschritten werden“, sagt Kreissl. Heuer beträgt er für 15- bis 19-jährige Kinder 630 Euro. Miriam – die bald 20 Jahre alt wird – würde 720 Euro bekommen.
Verdient ein Elternteil besonders gut, wird die sogenannte Luxusgrenze als Richtwert empfohlen. „Dabei handelt es sich um eine Obergrenze für den monatlichen Unterhalt. Sie dient dem Schutz der Kinder, um sie in ihrer Entwicklungsphase vor übermäßigem Konsum zu bewahren”, sagt Kreissl. Die Luxusgrenze liegt für die 15- bis 19-Jährigen bei 1.575 Euro pro Monat.
Unterhalt, so lange es nötig ist
Auch Miriams Vater verdient gut. Zahlen will er trotzdem nichts. „Ich würde verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen”, sagt sie. „Ich habe meinen Vater darum gebeten, mir den Unterhalt monatlich zu überweisen, aber er weigert sich.“
„Grundsätzlich müssen Eltern ihren Kindern so lange Unterhalt zahlen, bis diese ihr Leben selbst finanzieren können, also selbsterhaltungsfähig sind“, erklärt Kreissl. Es gibt keine prinzipielle Altersgrenze. In Miriams Fall bedeutet das, dass sie bis zum Abschluss ihres Studiums Anspruch hat. Nach einer Berufsausbildung würde Miriam auch während der Jobsuche Geld zustehen – müsste aber in einem angemessenen Zeitraum einen Job finden oder sich nachweisbar darum bemühen.
Bei der Höhe des Unterhalts geht es also nicht nur um die Selbsterhaltungsfähigkeit der Kinder, sondern auch darum, sie zu motivieren. „Sobald Miriam nicht zielstrebig studiert oder bei der Jobsuche bummelt, fällt sie um die Zahlung um”, sagt Kreissl.
Kommen Eltern ihren Verpflichtungen nicht nach, gibt es Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Viele regeln den Konflikt privat. Hier können Mediator:innen helfen. Sie leiten das Gespräch zwischen den Parteien. Einigen sich diese nicht, bleibt oft nur der Rechtsweg. Geht der Fall vor Gericht, ist die psychische Belastung groß. Tränen fließen. Es gibt Streit. Beziehungen zerbrechen. „Unterhaltsverfahren können sich lange hinziehen“, sagt Kreissl.
Mein Vater blockte ab und hörte mich nicht.Miriam
„Ich weiß, dass ich Anspruch auf Unterhalt habe. Trotzdem fällt es mir schwer, das Geld einzufordern“, sagt Miriam. „Unterhalt steht einem Kind zu. Da muss es weder bitten noch betteln, das sollte selbstverständlich sein“, sagt Psychotherapeutin Eberstaller. Ein erster Schritt sollte natürlich immer das persönliche Gespräch sein. „Hat man aber mit einem Menschen zu tun, der versucht, Dinge zu verdrehen und die Schuld von sich zu weisen, sollte man auf die formale Ebene wechseln”, sagt Eberstaller.
„Ich habe lange versucht mit meinem Vater darüber zu reden, aber er blockt ab und hört mich nicht. Dann habe ich mich ans Bezirksgericht gewandt und meine Situation einer Rechtspflegerin erklärt. Die hat mir zu einer Mediation geraten“, erinnert sich Miriam. „Mein Vater wurde zu einem Termin geladen, gekommen ist er nicht." Danach herrschte Funkstille. Vom Unterhalt fehlte weiterhin jede Spur.
Belastendes Verfahren
Die kommenden Wochen beschreibt Miriam als belastend. Sie hatte kaum noch Geld, musste ihr Sparbuch auflösen, um die Miete bezahlen zu können. Schließlich nahm sie sich einen Rechtsanwalt. „Auch dieser Schritt war sehr schwierig“, sagt Miriam heute. Seitdem haben Miriam und ihr Vater nur noch über Anwälte Kontakt. Monate vergingen – dann kam der Gerichtstermin.
„Ich bin meinem Vater und seinem Anwalt im Gerichtssaal gegenübergessen – da dachte ich mir: Was hast du nur getan.“ Eberstaller macht klar: „Manche Kinder fühlen sich undankbar und entwickeln Schuldgefühle. Das Wichtigste ist, sich therapeutische Unterstützung zu holen und zu schauen, woher diese Schuldgefühle kommen. Oft sind sie Produkt der Erziehung.“
Zufrieden unzufrieden
Das Verfahren mündete in einem Beschluss. Miriams Vater wurde gerichtlich zu den Zahlungen verpflichtet. „Einerseits war ich froh, dass die Geschichte endlich erledigt ist. Dass aber die Beziehung zu meinem Vater zerstört werden wird, hätte ich nicht erwartet.“ Eberstaller rät Betroffenen, immer selbst abzuklopfen, welche Lösung für sie persönlich am besten ist. „Man sollte sich von Menschen distanzieren, die einem ein schlechtes Gefühl geben oder einen in einer solchen Situation nicht unterstützen.“
Nach dem Rechtsstreit hat Miriam ihr Studium rasch und erfolgreich abgeschlossen. Sie hat auch einen Job gefunden. „Ich glaube, mein Vater wäre stolz.“ Doch Miriam hat gemischte Gefühle. „Ich habe mich um meine Zukunft gekümmert. Das war die richtige Entscheidung. Mit der ganzen Geschichte werde ich aber nie so richtig zufrieden sein."
Anlaufstellen
Rat auf Draht: 147
Kindernotruf: 0800 - 567 567
Psychiatrische Soforthilfe: 01 313 30
Telefonseelsorge: 142
Frauenhelpline: 0800 222 555
Kriseninterventionszentrum: 01 406 9595
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Trainee Catherina May ist in ihrem Umfeld auf die Geschichte von Miriam gestoßen. Miriam verklagte ihren Vater, weil er ihr keinen Unterhalt zahlen wollte. Sie hätte sich damals mehr Informationen gewünscht. Betroffene Kinder kommen in den Medien kaum zu Wort. Doch das Problem kennen viele.
Gesprächspartner:innen
Für den Text hat die Autorin ein Interview mit Miriam geführt, sie möchte keine persönlichen Daten preisgeben. Zudem sprach May mit einer Psychologin und einem Rechtsanwalt.
Mag. Maria Eberstaller, Gesundheitspsychologin und Psychotherapeutin
Dr. Walter Kreissl, Rechtsanwalt, Schwerpunkte Familienrecht und Schadenersatzrecht
Daten und Fakten
1.137 alleinerziehende Mütter minderjähriger Kinder haben 2021 an einer Unterhalts-Befragung der Statistik Austria teilgenommen. Sie sind repräsentativ für die rund 108.000 alleinerziehenden Mütter des Landes. 82.000 dieser Frauen haben Anspruch auf Unterhaltszahlungen. Das entspricht einem Anteil von 77 Prozent.
Zu den volljährigen Kindern mit Anspruch auf Unterhalt gibt es keine Daten.