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Wenn Katzen trösten: Tiergestützte Pflege im Hospiz

7 Min
Tierische Helfer:innen haben therapeutische Tradition. Auch Katzen verbreiten gute Stimmung, etwa in Schulen oder Pflegeeinrichtungen.
© Illustration: WZ / Katharina Wieser, Bildquelle: Adobe Stock

Die Katze ist nicht nur das beliebteste Haustier, sondern sie hilft auch in der Therapie. Sie lindert Einsamkeit und Traurigkeit in Pflegeinrichtungen – insbesondere dann, wenn sie selbst Nähe sucht und das Setting passt.


Milla putzt sich konzentriert die Pfoten. Dabei leckt sie die Schwanzspitze der an sie angekuschelten Malina gleich mit. Plötzlich unterbricht die schwarze Katze die Fellpflege, lauscht und blickt den Gang hinunter. Hat jemand gerufen? Milla springt davon und verschwindet durch eine offenstehende Tür am Ende des Korridors. Die zurückgelassene Malina blinzelt. Sie streckt sich, macht sich auf die Suche – und wird fündig. Soeben hat eine Heimbewohnerin auf einem Sessel Platz genommen und Malina hüpft ihr auf den Schoß. Jetzt schnurrt die Tigerkatze unter streichelnden Händen wie ein Sägewerk und wer genau hinsieht, bekommt das Gefühl, dass die dunkelhaarige Frau am liebsten mitschnurren würde.

Milla und Malina verbreiten gute Stimmung in schweren Lebenslagen. Sie leben im Hospiz Rennweg im dritten Wiener Gemeindebezirk. Die Einrichtung der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis bietet Palliativversorgung, betreut also schwerstkranke und sterbende Menschen und deren Angehörige. Katzen unterstützen sie dabei seit der Gründung im Jahr 1995. Anders als etwa Therapie-Hunde seien die Stubentiger zwar nicht speziell ausgebildet, „doch der Alltag in unserer Einrichtung zeigt, dass Milla und Malina den Menschen guttun“, sagt Unternehmenssprecherin Sabina Dirnberger-Meixner zur WZ beim Besuch des Hospizes. „Unsere Bewohner und Bewohnerinnen zeigen Freude, wenn eine Katze sie mit dem Kopf anstupst oder im Zimmer besucht. Sie genießen das haptische Erlebnis des Streichelns oder fokussieren auf die Aktivität der Tiere.“

Tierische Helfer:innen

Tierische Helfer:innen haben therapeutische Tradition. Der wohl dienstälteste Gefährte in diesem Bereich ist der Blindenhund. Schon eine Wandmalerei in der antiken Stadt Herculaneum am Golf von Neapel zeigt einen Mann, der von einem Hund geführt wird. Heute gibt es Signalhunde für Menschen mit Hörbehinderungen oder Assistenzhunde, die Diabetiker:innen auf eine Unterzuckerung aufmerksam machen. Mit Delfinen werden Erfolge bei jungen Menschen und Kindern im Autismus-Spektrum erreicht, während Alpakas, Esel und Kleintiere sich in Senior:innen- und Pflegeheimen bewähren. „Tiere finden großen Anklang bei Menschen, die durch Worte nicht gut zu erreichen sind. Speziell in der Demenzbehandlung erzeugen sie einen positiven emotionalen Effekt. Vielleicht hatte man als Kind ein Tier, man kann es füttern, seine Anwesenheit überrascht“, zählt Gertrude Beidl von der Seniorenbetreuung der Caritas-Socialis-Pflegeeinrichtung in Kalksburg die Effekte auf. Anders als im Hospiz Rennweg habe man jedoch noch keine Katzen.

Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Verhaltensbiologie vor allem mit Hunden. Weniger intensiv war bisher die Auseinandersetzung mit Katzen, die auch in der tiergestützten Therapie eher neu sind. Ob das an ihren Eigenschaften liegt? Die Grazer Veterinärmedizinerin Rosmarie Poskocil, Mitbegründerin des Humani Mensch-Tier Zentrums für Tiergestützte Interventionen mit Hunden und Katzen, hat die Charakteristika der Samtpfoten im Vergleich zum Hund analysiert und liefert Hinweise: Hunde sind wie Pfadfinder allzeit bereit – Katzen keineswegs. Anders als ein Hund würde eine Katze in keiner wie auch immer gearteten „Katzenschule“ einem Stöckchen hinterherlaufen, nur weil jemand das Kommando „bring“ erteilt. Hunde reagieren auf menschliche Signale intensiver, beobachten Menschen aufmerksamer und wollen gesehen werden, während Katzen zwar beobachten, dabei aber lieber nicht wahrgenommen werden möchten. Sie verbergen ihre Befindlichkeit, weswegen wir ihnen Stress schwerer ansehen können. Im Sinne einer absichtsvollen Zusammenarbeit kooperieren Katzen eher nicht, Hunde hingegen grundsätzlich schon. Unsere felinen Mitbewohner:innen sind weniger bestechlich und haben ein größeres Bedürfnis nach Rückzug als Hunde.

Der Katze gerecht werden

Die Hauskatze, die im Fachbegriff Felis catus heißt, ist mittlerweile das beliebteste Haustier und das gefragteste Tier im Internet. Jede zehnte Artenvertreterin zehnte hat sogar ihren eigenen Social-Media-Auftritt. Das mag daran liegen, dass die Eigenschaften Unabhängigkeit und Eigenständigkeit heute mehr Faszination ausüben als früher, wo noch des Menschen bester Freund, der Hund, das populärste Haustier war.

Zugleich vervollständigen immer zahlreicher werdende Forschungsarbeiten unser Bild der Katze. Man könnte sogar sagen, wir werden unseren felligen Freund:innen zunehmend gerecht. Sie sind komplexe Wesen. Neuesten Studien zufolge haben Katzen unterschiedliche Charaktere und lassen sich im Grunde gut sozialisieren und coachen, wenn man sich um sie bemüht. Ausgewählte Individuen verhalten sich sogar ein bisschen wie Hunde: Etwa hat die britische Universität Sussex nachgewiesen, dass auch Katzen apportieren, und wenn sie wollen dabei sogar so weit gehen, ihren Halter:innen Objekte vor die Füße zu legen, um diese zum Spiel aufzufordern. Außerdem erkennt Felis catus die Stimme ihrer Bezugspersonen, geht emotionale Bindungen zu ihnen ein und baut stabile Beiziehungen auf. Die Qualität der Bindung beeinflusst dabei das Verhalten der Katze (siehe Infos und Quellen). Und genau das ist auch der springende Punkt, den es in der tiergestützten Therapie mit Katzen zu beachten gilt.

Linderung von Einsamkeit und Stress

„Therapiekatzen lindern Einsamkeit und Stress in Gefängnissen, Schulen, Hospizen, Pflegeeinrichtungen und Spitälern“, führt die irische Tier-Psychologin Grace Carroll von der Universität Belfast in einem Fachartikel im Online-Magazin The Conversation aus. „Dabei ist allerdings eine Sache zu berücksichtigen: Derartige Einrichtungen können chaotisch, unvorhersehbar und laut sein, was eine Katze normalerweise nicht gut verträgt. Wenn sie aber eine Bezugsperson hat, auf die sie sich verlassen kann, kommt sie mit chaotischen Umgebungen zurecht”.

Was heißt das jetzt konkret für den Einsatz von Katzen als tierische Helfer:innen? In einer Studie fanden die US-Tierverhaltensforscherin Alexandra Behnke und ihre Kolleg:innen heraus, dass wir Menschen für unsere Katzen nicht nur Personal, sondern auch ein Fels in der Brandung sind. Und diesen Fels in der Brandung brauchen die Fellnasen immer in ihrer Nähe, damit alles gut ist und funktioniert. Sie brauchen mindestens eine Person, die klar für sie zuständig ist.

Der Mensch als Fels in der Brandung

Katzen folgen von Natur her einem bestimmten, regelmäßigen Tagesablauf und orientieren sich in ihrem Umfeld an dort vorhandenen Duftstoffen. Die Katze erkennt ihre Umgebung anhand einer olfaktorischen Landkarte. Wenn aber viel los ist, etwa indem ständig neue Menschen einen Raum betreten, können diese Duftstoffe durcheinanderkommen. Dann kann die Katze durchaus in Stress geraten. Dann sind ihre Halter:innen ein Anker. Ist ihre Bezugsperson in der Nähe, gehen sie sorgloser mit Menschenmengen um und bieten das für Katzen übliche Repertoire, das vielen Menschen Freude macht: schnurren, anschmiegen, liebkosen, sich streicheln lassen.

„Am besten funktioniert die tiergestützte Therapie mit Katzen in kleinen Pflegeeinrichtungen, deren Mitarbeiter Katzenliebhaber sind, sich verlässlich um sie kümmern und sie speziell hinsichtlich ihrer Eignung ausgewählt haben“, sagt Rosmarie Poskocil zur WZ. Womit wir beim nächsten Punkt wären: „Insbesondere menschenfreundliche, stressresistente, an Ausfahrten gewöhnte, neugierige und unternehmungslustige Exemplare eignen sich als Therapiekatzen“, sagt die Veterinärmedizinerin auf der Basis einer Untersuchung in entsprechenden Einrichtungen in ganz Österreich. Je mehr die Katze sich wie ein Hund verhält, desto wohler fühlt sie sich in einer Rolle als Therapiekatze.

Therapie auch für die Pflegekräfte

Am Hospiz Rennweg hat man das alles wohl von Anfang an begriffen. Katzen tun den Menschen gut, davon ist man hier überzeugt. „Wir sind selbst Katzenfans und suchen auch die geeigneten Tiere aus“, sagt Karin Holzer, stellvertretende Stationsschwester der Palliativeinheit. „Wir kümmern uns um sie, bauen ihnen Plätze, bringen ihnen Leckerlis und natürlich haben wir auch die Hygienesituation penibelst im Auge. Wenn wir vom Personal zum Dienst kommen, warten Milla und Malina schon auf uns, um uns auf unseren Rundgängen zu folgen. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Palliativstation haben zu Hause auch Katzen. Wenn sie hier eine sehen, haben sie schneller das Gefühl, angekommen zu sein.“

Inzwischen ist Milla, die schwarze Katze, aus dem Zimmer zurückgekehrt und reibt ihren Kopf gegen die Beine der Krankenschwester. „Insbesondere in schwierigen Situationen werden sie gerne gestreichelt, auch von uns“, sagt Karin Holzer. In diesem Sinne entfalten Milla und Malina nicht nur für die Hospizbewohner:innen, sondern auch für die Mitarbeiter:innen und Pflegekräfte eine entspannende und beruhigende Wirkung – und wirken somit therapeutisch.



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Infos und Quellen

Genese

WZ-Redakteurin Eva Stanzl ist ein großer Katzenfan. Sie ist überzeugt, dass die schnurrenden Fellnasen eine beruhigende, entspannende Wirkung auf den Menschen haben. Anlass genug für eine Geschichte über neue Studien, die zeigen, dass das beliebteste Haustier sich genau deswegen auch in Therapieeinrichtungen bewährt.

Gesprächspartner:innen

  • Sabina Dirnberger-Meixner, Unternehmenssprecherin & Bereichsleitung Kommunikation CS Caritas Socialis in Wien.
  • Gertrude Beidl, Seniorenbetreuung der Caritas-Socialis-Pflegeeinrichtung in Kalksburg.
  • Rosmarie Poskocil, Veterinärmedzinerin mit Praxis in Opponitz (NÖ) und Mitbegründerin des Humani Mensch-Tier Zentrums für Tiergestützte Interventionen mit Hunden und Katzen. Rosmarie Poskocil ist Verhaltensmedizinerin, Expertin für tiergestützte Einzeltherapie für Psychiatriepatient:innen, Verfasserin einer Studie zu Katzen in Pflegeheimen (siehe Quellen) und Vortragende zu diesem Fachgebiet.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien

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