PodcastImmer mehr Frauen setzen die Pille ab. Sie haben keine Lust, das Thema Verhütung allein zu schultern – dazu in einem System, in dem Frauengesundheit heruntergespielt wird.
Es dauert keine 24 Stunden und ich spüre ein Ziehen im Unterleib. Alles klar, es geht los, denke ich mir. Weitere 24 Stunden später und meine Periode ist da. Ich bin müde, gereizt, erschöpft. Das war vor drei Wochen – und ist seitdem Dauerzustand. Denn ich habe die Pille abgesetzt. Nach acht Jahren. Seitdem fühle ich mich nicht mehr wie ich selbst. In den letzten drei Wochen habe ich viel gelitten. Aber auch viel gelernt: Über mich, meinen Körper und ein System, in dem Frauen mit Schmerzen nicht ernst genommen werden.
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Täglich grüßen die Hormone
Montagmorgen, sieben Uhr. Ich blicke in den Spiegel. Schon wieder ein neuer Pickel auf der Stirn. Ich seufze, greife zum Abdeckstift. Seitdem ich die Pille abgesetzt habe, spielt meine Haut verrückt. Das war vorher nie ein Thema. Wenn mich Freundinnen in der Vergangenheit auf meine reine Haut angesprochen haben, antwortete ich nur: Pille regelt. Nun, jetzt regelt die Pille nicht mehr und das spüre ich mit voller Wucht. Vielleicht war es doch keine gute Idee, sich acht Jahre lang ununterbrochen mit Hormonen vollzupumpen. Dafür war es einfach. Jeden Abend um acht Uhr klingelte mein Wecker. Tablette rein, runterschlucken, fertig. Zuletzt hatte ich jedoch das Gefühl, dass mir die rosafarbenen Pillen nicht mehr guttun. Ich wollte wegkommen von der täglichen Hormonzufuhr, den Nebenwirkungen, den Risiken. Und, ganz ehrlich: Ich habe einfach keine Lust mehr, die Verhütung als Frau allein zu schultern.
Frauen zahlen für die Verhütung
Also habe ich die Pille an einem Dienstag Ende September abgesetzt. Einfach so. Nach acht Jahren. Ich telefoniere mit meiner Frauenärztin und berichte ihr von meinen Sorgen. Wie wird mein Körper auf den Hormonstopp reagieren? Sie winkt ab. Ich solle mir keine Gedanken machen, geduldig sein. Aber aufpassen bei der Verhütung, das müsse ich jetzt auf jeden Fall. Natürlich, wieder ich. Die männliche Seite, die dafür genauso verantwortlich ist, erwähnt sie nicht.
Dass Verhütung noch immer Frauensache ist, bestätigt ein Bericht des Gesundheitsministeriums. In Österreich verhüteten 2024 rund 1,2 Millionen Frauen zwischen 14 und 45 Jahren. Von ihnen, heißt es, trage die Hälfte die Kosten dafür allein. Ein Viertel teile sie mit dem Partner.
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Ein geschenktes Vergnügen
Und diese Kosten sind hoch. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Im Fall der Pille ist man bei einer Dreimonatspackung schnell bei 50 Euro. Im Jahr macht das rund 200 Euro – Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen und Thromboserisiko inklusive. Für die meisten Männer hingegen ist es schlicht: ein geschenktes Vergnügen.
Das lasse ich mir nicht mehr gefallen, sage ich mir. Mit meinem Vorsatz bin ich nicht allein. Meine For-You-Page ist voll mit Frauen, die sich von der Pille abwenden. Natürlich hormonfrei – diese Worte lese ich immer wieder. Ich stoße auf eine Studie der deutschen Techniker-Krankenversicherung. Während 2020 noch 39 Prozent der jungen Frauen die Pille nehmen, sind es demnach vier Jahre später gerade mal 26 Prozent.
Damit verhütet nur noch etwa ein Viertel der Frauen in Deutschland mit der Pille. Aber wie verhüten sie dann? Auf Instagram schlagen mir die wildesten Ideen entgegen. Kräutermischungen, Mondkalender, Zyklus tracken … Okay, das ist mir zu unsicher.
Frauen haben Schmerzen?!
Meine Frauenärztin erwähnt am Telefon zwei Optionen. Natürlich, das Kondom. Und die Hormonspirale. Bei letzterer trifft sie einen wunden Punkt. Denn ziemlich genau vor einem Jahr stand ich bereits an der Stelle, wo ich heute stehe. Ich haderte mit der Pille, suchte nach Alternativen. Ich überlegte, mir die Hormonspirale einsetzen zu lassen. Und das, obwohl mich meine Freundinnen davor warnten. Eine erzählte mir, dass sie beim Einsetzen vor Schmerzen umgekippt ist, nachdem sie mit einer Ibu 600 abgespeist worden war. Eine andere ließ sich die 350 Euro teure Spirale nach drei Wochen wieder entfernen, weil sie mit starken Periodenschmerzen zu kämpfen hatte.
Trotzdem kontaktierte ich damals einen Gynäkologen, vereinbarte einen Termin. Als ich dann vor ihm in der Praxis saß, er im weißen Hemd, Mitte 60, graues Haar, spielte er meine Sorgen herunter. Ich berichtete ihm von den Erfahrungen meiner Freundinnen. Noch heute habe ich seine Worte ihm Ohr: Wie viele Schmerzen das Einsetzen bereiten würde, liege an mir. Wenn ich der Operation mit Angst entgegenblicke, könne es natürlich wehtun. What? Ich fühlte mich null ernst genommen. Ich trat aus der Praxis. Das war mein erster und letzter Termin bei diesem Gynäkologen. Und damit wären wir beim Thema Gender Pain Gap.
„Da spür ich nix“ ist keine Legitimation!
Diesen Begriff hat die International Pharmaceutical Federation 2024 geprägt. Sie beschreibt damit, dass Frauen mit Schmerzen weniger ernst genommen werden als Männer. So gebe es weltweit in Gesundheitssystemen geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Schmerzbehandlung.
Nicht ernst genommen: So fühlte ich mich, damals bei dem Gynäkologen. Und so fühle ich mich auch heute, nachdem ich die Pille abgesetzt habe. Für mich kommt ein Weiter mit der Pille nicht infrage – auch wenn mein Körper im Moment rebelliert. Die Spirale? Das Thema lasse ich offen. Zunächst will ich mein Leben ohne Hormone kennenlernen – daran kann ich mich nämlich kaum erinnern. Und jetzt? Müssen eben mal die Männer ran – und das hier geht an alle Männer, für die es im 21. Jahrhundert scheinbar noch immer noch zu viel verlangt ist, ein Kondom zu tragen. Sorry – not sorry: Aber die Ausrede: „Da spür ich nix“ zählt nicht!
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Infos und Quellen
Quellen
- fip.org: Gender-based disparities in the management of pain in pharmacy: “The gender pain gap”
- sozialministerium.gv.at: Verhütungsbericht bestätigt starke Kostenabhängigkeit bei Wahl der Verhütungsmethode
- krankenkasseninfo.de: TK-Auswertung: Nur noch rund jede vierte junge Frau nimmt Antibabypille
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