Österreichs Parteien haben eine bunte und spannende Vergangenheit, über die heute kaum noch geredet wird. Woher kommen SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und KPÖ? Die folgende Serie wird dem auf den Grund gehen. Teil 5: die Neos.
Österreich ist eine liberale Wüste. In den letzten 100 Jahren waren politische Kräfte, die kompromisslos wirtschaftliche Deregulierung und Entstaatlichung auf ihre Fahnen schreiben, überhaupt nicht im Parlament vertreten. Wenn ja, dann führten sie ein Schattendasein und waren schnell wieder verschwunden. Derzeit wirbt mit Neos eine klassische liberale Partei um das Vertrauen der Wähler:innen – und mit prognostizierten rund zehn Prozent Zustimmung bei der Nationalratswahl liegt sie für österreichische Verhältnisse gar nicht so schlecht im Rennen.
- Für dich interessant: Wahlachterbahnen
Schwierige Ausgangslage
Eigeninitiative, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit im Denken und Handeln und prinzipielle kritische Distanz zur Obrigkeit: Der Liberalismus und seine Ideale hatten es nie leicht in Österreich. Es ist eine Sache der politischen Kultur, denn Österreich ist ein Land, in dem der Staat traditionell nicht als Gegner freier Bürger:innen gesehen wird, sondern als eine Instanz, die bei jeder Gelegenheit um Hilfe angerufen wird. Die Sache selbst in die Hand zu nehmen, ist des Österreichers Stärke nicht. Bei Naturkatastrophen, Epidemien, galoppierender Inflation und Arbeitslosigkeit wird sofort nach dem Staat gerufen. Der nimmt den Ball gern auf, reguliert, limitiert, dekretiert und weitet seine Macht beständig aus.
Unterwürfig von jeher?
Politolog:innen wie der 2019 verstorbene österreichische Universitätsprofessor Peter Gerlich wiesen darauf hin, dass es in Österreich nie eine erfolgreiche Revolution von unten, vom Volk ausgehend, gegeben hat. Versuche, wie 1848 der Fall, endeten immer in einem Debakel. Während die Franzosen schon 1789 die Bastille stürmten und in der Folge den König köpften, wurden die Österreicher:innen stets zur Räson gebracht – zur Not auch mit Gewalt. Neuerungen und Reformen gab es stets nur von oben – gnädig gewährt. Das hat sich tief in die Volksseele eingegraben und den Österreicher in gewisser Weise zum Untertanen gemacht.
Und das ist für das klassische liberale Weltbild ein Horror.
In Österreich schmücken sich erfolgreiche Unternehmer:innen mit von höchster Stelle verliehenen staatlichen Ehrenzeichen. In der Monarchie hat der „k.u.k-Hoflieferant“ das Prädikat als Garant für besondere Qualität stets gut sichtbar vor sich hergetragen. Und noch heute sieht man Geschäfte mit dem Bundesadler an der Tür und dem Hinweis auf besondere Verdienste. Wer im Business erfolgreich ist, der wird hierzulande mit dem Ehrentitel Kommerzialrat bedacht. Der Topmanager als loyaler Amtsmann.
Imposante Vorfahren
Blickt man allerdings 150 Jahre in die Vergangenheit, dann stößt man durchaus auf imposante Vorfahren der Neos. Die Liberalen in den deutschsprachigen Gebieten der Monarchie hatten 1867 bis 1879 im Reichsrat, dem damaligen Parlament, sogar die Mehrheit. Unter dem Namen „Verfassungspartei“ setzten sie bürgerliche Grundrechte durch, die zum Teil bis heute gelten.
Kaiser Franz Joseph war damals durch Misserfolge auf diversen Schlachtfeldern geschwächt, notorisch pleite und wirtschaftlich auf das Bürgertum angewiesen. Deshalb musste er Zugeständnisse machen. So gab es 1867 erstmals eine richtige Verfassung. Der Monarch konnte nicht mehr schalten und walten, wie er wollte, die Bürger:innen waren der polizeilichen Obrigkeit nicht mehr ausgeliefert. Konzerne entstanden und manche Industrielle wurden reich. Die Macht der Kirche wurde eingeschränkt, die Schulpflicht auf acht Jahre ausgeweitet.
Allerdings gab es damals keine Demokratie in unserem Sinn. Nur sechs Prozent der männlichen Bevölkerung war überhaupt wahlberechtigt, die Stimmen wurden nach Steuerleistung gewichtet: Ein reicher Großgrundbesitzer hatte enormen Einfluss, während ein einfacher Arbeiter gar nicht wählen durfte. Auch war es weiterhin der Kaiser, der die Regierung einsetzte und wieder abberufen konnte. Trotzdem: Es waren nur wenige Jahre, aber die waren die große Zeit des Liberalismus in Österreich.
Rasches und gründliches Ende
Es kam das Ende, und es kam schnell: Ein gigantischer Börsenkrach 1873 in Wien, der viele wirtschaftlich ruinierte, delegitimierte die liberalen Heilsversprechen. 1879 setzte es eine krachende Wahlniederlage. Liberales Gedankengut wurde von Christlichsozialen, Sozialdemokraten und Nationalen aufgesogen. Die alte Verfassungspartei war eine Interessenvertretung des Besitz- und Großbürgertums, auf die Nöte der Handwerker:innen, Arbeiter:innen und kleinen Leute hatten sie keine Antwort. Auch nicht auf die Nationalitätenfrage, die in der Monarchie immer wichtiger wurde. Die Ausweitung des Wahlrechts auf alle männlichen Bürger und das beginnende Zeitalter der Massenparteien waren der Todesstoß für die liberalen Vorkämpfer.
Liberale Zuckungen
Sie erholten sich davon nie wieder. Nach Jahrzehnten ohne liberale Kraft im Parlament wurde der VdU (Verein der Unabhängigen) als Vorläufer der FPÖ 1949 als mögliche liberale Alternative zu SPÖ, ÖVP und KPÖ gegründet. Die Sache entwickelte sich aber zu einem Sammelbecken für politisch heimatlose Nazis. Liberale Versuche unter FP-Chef Norbert Steger Anfang der 80er-Jahre scheiterten. 1993 spaltete sich Heide Schmidt mit anderen von der FPÖ ab und gründete das Liberale Forum (LiF), die Partei flog aber 1999 wieder aus dem Parlament.
Die Neos, deren Repräsentant:innen heute oft aus der ÖVP kommen, unternehmen derzeit unter Beate Meinl-Reisinger einen neuen Anlauf. Der ist vorläufig von einigen Erfolgen gekrönt. Was ein Zeichen dafür sein könnte, dass selbst im notorisch obrigkeitshörigen Österreich ein kultureller Wandel zumindest schrittweise möglich ist.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Daten und Fakten
Im März 1848 gingen zahllose Menschen auch in Wien auf die Barrikaden, um Meinungsfreiheit und Mitbestimmung gegen einen autoritären Spitzelstaat unter Fürst Metternich durchzusetzen. Die Revolution wurde niedergeschlagen, später mussten die Forderungen dann doch schrittweise umgesetzt werden. Liberale Politiker der 1860er- und 1870er-Jahre waren oft alte Revolutionäre des Jahres 1848.
Liberalismus und Nationalismus gingen im 19. Jahrhundert zunächst Hand in Hand, als Ideologie gegen die alten konservativen Herrscherhäuser gerichtet. Auch in der frühen FPÖ gab es liberale Elemente, die Parteiführer Jörg Haider in der FPÖ halten wollte.
Die Neos sehen sich selbst in der Tradition des „befreienden“ Liberalismus des 19. Jahrhunderts.
Als eigentlicher Parteigründer der Neos kann der Vorarlberger Matthias Strolz gelten. Der 1973 Geborene gilt als unkonventioneller Politiker, der manche kritischen Geister an einen Sektenführer erinnert. Mittlerweile hat Strolz die Partei verlassen und widmet sich verschiedenen Projekten, unter anderem schreibt er Bücher.
Die Österreichische Schule der Nationalökonomie ist weltweit bekannt. Vertreten sind liberale Wissenschaftler wie Carl Menger, Eugen von Böhm-Bawerk, Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek. Im Mittelpunkt ihres Denkens steht das eigenverantwortliche wirtschaftliche Handeln. Die meisten Ökonomen lehnen die österreichische Schule ab, weil diese der Verwendung von Statistik und empirischer Methodik sehr kritisch gegenübersteht.
Quellen
Peter Gerlich, Politische Kultur der Subsysteme, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1992