Immer mehr Österreicher:innen schließen eine private Krankenversicherung ab. Damit fördern sie die Ungleichheit in den Spitälern.
Im Schnitt arbeiten Ärzt:innen 48 Stunden pro Woche, wenn sie in öffentlichen Krankenhäusern angestellt sind. Sie stellen Diagnosen, versorgen Verletzungen, begleiten Therapien und operieren. Bis zu 10.000 Euro brutto im Monat verdienen sie dabei. Es ist also ein Vollzeitjob, der auslastet und gut bezahlt ist. Viele Ärzt:innen betreiben daneben aber auch noch eine private Ordination. Sie kassieren daher doppelt, öffentliche Gelder als Spitalsarzt und private Gelder ihrer Patient:innen in der Ordination.
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Doch damit nicht genug. Wie die WZ aufdeckte, verlangen immer mehr Ärzt:innen hohe Beträge von ihren Patient:innen, damit sie diese für Operationen vorreihen. Wer das nötige Kleingeld besitzt und zahlt, kommt früher dran. Wenigverdiener:innen, die es sich nicht leisten können, müssen – oftmals Monate – warten. Wie dringend jemand eine Operation benötigt, wird immer nebensächlicher. Operationstermine nach Geld und nicht nach Dringlichkeit zu vergeben, ist ein illegaler Vorgang. Ein illegaler Vorgang, der aber ohne Konsequenzen bleibt. Wie ist das möglich und was kann dagegen getan werden?
Ein lohnendes Geschäft
Karin Eglau arbeitet als Geschäftsleiterin im Bundesinstitut Gesundheit Österreich. Sie kennt das heimische Gesundheitssystem in- und auswendig, arbeitete nach ihrem Medizinstudium mehrere Jahre als Ärztin für Allgemeinmedizin in verschiedenen Krankenanstalten. „Das heimische Wahlarztsystem ist einzigartig in Europa“, sagt sie. „Nirgendwo anders können Patient:innen zu privaten Ärzt:innen gehen und erhalten einen Teil des Honorars vom Staat zurück.“ Für die Ärzt:innen ein lohnendes Geschäft, schließlich können sie die Höhe ihres Honorars selbst bestimmen. Als Kassenärzt:innen hätten sie einen Vertrag mit öffentlich-rechtlichen Krankenkassen, „die weit weniger zahlen, als wenn sie das Honorar selbst festlegen können“, sagt Eglau.
In Österreich gilt die Niederlassungsfreiheit, alle Ärzt:innen dürfen eine Ordination aufmachen, also auch jene, die in öffentlichen Krankenanstalten angestellt sind. Die Arbeit in den Spitälern ist hart: 24-Stunden-Dienste, fixe Arbeitszeiten, im Schnitt bis zu zwei Nachtdienste pro Woche. „Das zehrt an den Menschen, vor allem, wenn man älter wird“, sagt Eglau. Im Vergleich dazu gleicht die Arbeit in einer privaten Ordination einem entspannten Kuraufenthalt: „Wahlärzt:innen können die Öffnungszeiten ihrer Ordination und die Honorare selbst festlegen und sie verdienen dabei gutes Geld.“ Das Resultat: „Wir haben einen steigenden Wahlarztsektor und immer weniger Kassen- und Spitalsärzt:innen“, sagt Eglau.
Große Einkommensunterschiede beim Personal
Das bringt die Krankenanstalten unter Druck. Sie könnten zwar ein Nebenbeschäftigungsverbot für ihre Ärzt:innen aussprechen und damit der privaten Tätigkeit in einer Ordination einen Riegel vorschieben. Damit würden aber noch mehr Ärzt:innen den Spitälern den Rücken kehren, sagt die Gesundheitsexpertin. Sollten die Spitäler ihren Ärzt:innen mehr bezahlen? Das sei schwierig umzusetzen, sagt Eglau. „Bereits heute bestehen in den Spitälern große Einkommensunterschiede zwischen Ärzt:innen und dem anderen Gesundheitspersonal, darunter diplomierte Krankenpfleger:innen, die teilweise sogar ein Hochschulstudium abgeschlossen haben.“ Und wenn alle im Spital besser bezahlt werden würden, wäre das System unfinanzierbar.
Helfen könnte die verpflichtende Teilnahme der Wahlärzt:innen an der elektronischen Gesundheitsakte (Elga). „Es gibt nur unvollständige Daten darüber, wie viele Patient:innen von Wahlärzt:innen behandelt werden, welche Leistungen sie erbringen“, sagt Eglau. Das würde sich ändern, sobald die Ärzt:innen ihre Behandlungen und Diagnosen in Elga melden müssten.
Krankenanstalten könnten intern prüfen
Honorare für frühere Operationstermine könnten damit nicht erfasst werden. „Die Krankenanstalten könnten es aber intern prüfen, ob die Termine nach Dringlichkeit vergeben wurden.“
Um etwas grundlegend an dem System zu ändern, liege es vor allem an den Patient:innen selbst: „So lange ein großer Anteil der Bevölkerung bereit ist, für ärztliche Leistungen privat zu bezahlen, bleibt es ein gutes Geschäft für Wahlärzt:innen und Privatversicherungen“, sagt sie.
Und dieser Anteil steigt. Laut dem Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs haben heute mehr als 38 Prozent der Österreicher:innen eine private Zusatzversicherung, genannt: Sonderklasse. Versicherungen, wie etwa die Uniqa, werben mit: „Wo man sich Spital und Ärzt:in gezielt selbst aussuchen kann und persönliche Terminwünsche selbstverständlich sind. Mehr Ruhe und Komfort im Ein- oder Zweibettzimmer helfen mit, rasch wieder gesund und fit zu werden.“ Privatversicherungen übernehmen auch einen Großteil der Wahlarztkosten. Für die anderen bleibt die öffentliche Holzklasse.
„Das Mischsystem aus öffentlich und privat resultiert aus einer Sparlogik“, sagt Thomas Czypionka, Leiter der Forschungsgruppe Gesundheitsökonomie und -politik am Institut für Höhere Studien (IHS). „Wenn Ärzt:innen privat dazuverdienen dürfen, braucht die öffentliche Hand weniger zahlen und die guten Ärzt:innen bleiben trotzdem.“ Und durch die Zusatzversicherung der Patient:innen verdienen die Spitäler auch noch mit.
Das System begünstigt also den Staat, der weniger zahlen muss, und Ärzt:innen sowie Spitäler, die dazuverdienen. Die Patient:innen, die sich die Sonderklasse nicht leisten können, bleiben auf der Strecke. „Die geschädigten Personen, die länger auf eine Operation warten müssen, bekommen gar nicht mit, dass jemand anderer bezahlt hat, um ihren Platz zu bekommen“, sagt Czypionka. Es gebe daher keinen Aufschrei.
Ein Verhaltenskodex für Ärzt:innen
Laut Czypionka könnte der Staat das Mischsystem und die Sonderklasse sofort abschaffen. Dafür müssten aber die Gehälter in den Spitälern angehoben werden. Er fordert transparente Kriterien bei Wartelisten für Operationstermine, die vom öffentlichen Landesgesundheitsfonds überprüft werden müssten. Derzeit gebe es bei der Terminvergabe kein einheitliches System.
Das Abdriften in die Zweiklassenmedizin mit Unterstützung der Ärzt:innen könnte auch die Interessensvertretung des Berufsstands thematisieren. „Die Ärztekammer müsste auf ihre Mitglieder einwirken und Disziplinarstrafen verhängen“, sagt er. Auch die Einführung eines Verhaltenskodex kann sich der Gesundheitsökonom vorstellen.
Denn am Ende leiden nicht nur die Patient:innen, die es sich nicht leisten können, sondern auch das Ansehen derer, die eigentlich für unsere Gesundheit sorgen sollen: die Ärzt:innen selbst.
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Infos und Quellen
Genese
Die beiden WZ-Redakteure Michael Ortner und Matthias Winterer deckten die lukrativen Geschäfte eines Linzer Primars auf, der von früheren OP-Terminen profitiert. Ortner und Winterer beleuchten ein Gesundheitssystem, das schon längst in der Zweiklassengesellschaft angekommen ist. Was ist der Ausweg? Wie kommen wir da raus?, dachte sich WZ-Redakteur Bernd Vasari und begann nach Lösungen zu suchen.
Gesprächspartner:innen
Karin Eglau: Gesundheitsexpertin, Gesundheit Österreich GmbH
Thomas Czypionka: Gesundheitsökonom, Institut für Höhere Studien
Infos und Quellen
Das Thema in anderen Medien
Die Presse.com: Drei-Klassen-Gesundheitssystem: Wer zahlt, wird (schnell) behandelt
Profil: Die Gesundheitsversorgung in Österreich ist teuer und extrem ungerecht
Dossier.at: Die S-Klasse
moment.at: Wer die Zwei-Klassen-Medizin in Österreich verschärft
Kurier.at: Zwei-Klassen-Medizin: Wie sehr sie schon Realität ist
Profil.at: Privatärzte-Boom: Wie in Österreich eine Zwei-Klassen-Medizin entsteht
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