Beruflich bedingt verbringe ich viel Zeit in Zügen. Biologisch bedingt menstruiere ich einmal im Monat. Und naturgemäß kommt manchmal beides zusammen.
Und so geschah es, dass meine letzte Periode unerwartet im Zug auf dem Rückweg von einer Lesung einsetzte. Das war aber kein Problem, da mittlerweile auf jedem Klo Menstruationshygieneprodukte bereitgestellt werden, genauso selbstverständlich wie Klopapier, eh klar. Nachdem dort auch Seife, Desinfektionsmittel und Papier-Handtücher sind, fallen die paar Binden oder Tampons, die viele Menschen ja viel dringender brauchen als Seife und Desinfektionsmittel, wenig ins Gewicht, und schließlich möchten auch öffentliche Verkehrsunternehmen zeigen, dass Frauen willkommene Gäste sind und sich in Zügen wohlfühlen dürfen.
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Wenn wir hier auf Instagram wären, würde ich an der Stelle nun sagen: LOL, nein.
Natürlich waren auf den Zugklos der ÖBB weit und breit keine Menstruationshygieneprodukte zu finden und da ich das für einen unhaltbaren Zustand halte, schrieb ich folgenden (wie sich später herausstellte, für viele offenbar hochgradig provokanten) Tweet:
„Wenn es keine Menstruationshygieneprodukte auf Zugklos gibt, braucht ihr euch auch nicht beschweren, wenn wir die Sitze vollbluten (Grüße von einer Frau, die eben in der Bahn zu menstruieren begonnen hat und natürlich NIRGENDS Binden oder Tampons vorfindet). Newsflash: Die halbe Menschheit menstruiert. Klopapier muss ich auch nicht selbst mitnehmen.“
Die Reaktionen waren unerwartet und bemerkenswert. Als öffentliche Feministin gehören Beschimpfungen im Internet mittlerweile zum Daily Business, was ich allerdings nicht erwartet hatte, ist, dass ein Tweet über Menstruation und die Forderung, dass auf Menstruation Rücksicht zu nehmen ist, auf derart geballte Ablehnung und misogyne Abwertung stößt – durch Männer und Frauen.
Es menstruiert die Hälfte der Menschheit.
Deshalb hier noch einmal: Dass es in öffentlichen Toiletten, auf Toiletten in Schulen, Universitäten, an Arbeitsstätten und eben in Zugklos Menstruationshygieneprodukte geben sollte, sollte genauso selbstverständlich sein, wie, dass es dort Klopapier gibt. Schließlich menstruiert die Hälfte der Menschheit. Stattdessen wird diese Hälfte der Menschheit für ihr Bluten immer noch beschämt und stigmatisiert. Die Menstruation ist weiter ein Tabuthema.
Epistemische Gewalt
Es gibt mindestens zwei Erfahrungen, die alle, die menstruieren, gut kennen. Zum einen das verschämte Schmuggeln von Tampons oder Binden auf die Toilette; die Entscheidung, statt dem einzelnen Menstruationshygieneprodukt lieber doch die ganze Tasche mitzunehmen, damit niemand bemerkt, dass wir bluten, da wir von klein auf gelernt haben, dass wir uns für unsere Menstruation zu schämen haben. Zweitens die Angst, dass unser Menstruationsblut an unserer Kleidung oder auf Sofas oder Sesseln Spuren hinterlässt. Die Angst davor, dass etwas „durchgeht“ und die Frage an die beste Freundin, Mama, Schwester oder Lieblingskollegin, bitte kurz nachzuschauen, ob eh kein Blutfleck zu sehen ist. Da wir von klein auf gelernt haben, dass wir andere vor dem Anblick unseres Blutes zu schützen haben.
Auch die Hersteller von Menstruationshygieneprodukte spielen dieses misogyne Spiel fröhlich mit, wenn sie uns erklären, dass wir mit ihren Binden „gut geschützt“ sind. Gut geschützt wovor genau? Davor, dass andere sehen könnten, dass wir bluten? Warum müssen wir davor geschützt werden? Ist unser Blut peinlich? Ist es eklig? Ist es eine gute Idee, Produkte an Frauen zu verkaufen, indem man in das misogyne Diskurskonto einzahlt, das die Idee beinhaltet, dass sie und ihre Weiberkörper grauslich und versteckenswert sind?
Das Wissen über den Menstruationszyklus ist unterentwickelt.
Es gibt ein Wort für diese andauernde Beschämung von außen und die internalisierte Scham, in die wir hineinsozialisiert werden: epistemische Gewalt.
Die Botschaft, dass unsere Körper eklig oder schmutzig sind und dass wir uns deshalb für diese Körper zu schämen haben, dass sie bei anderen Ekel auslösen, weil sie bluten, und dass wir dieses Bluten deshalb gefälligst zu verstecken haben, diese Botschaft, mit der wir ab dem Moment, in dem wir lernen, was Menstruation überhaupt ist, mit einer nagenden Permanenz bombardiert werden, die kaum einen Raum lässt für einen gesunden Selbstbezug und ein glückliches Sein im eigenen Körper, ist Gewalt, die Frauen und ihren Körpern von klein auf angetan wird.
Der Menstruationszyklus und seine (Aus-)Wirkungen
Der weibliche Hormonzyklus ist allerdings nicht auf die Menstruationsblutung beschränkt, sondern zieht sich über 24 bis 38 Tage und verläuft in drei Phasen (die Follikelphase, die Ovulationsphase und die Lutealphase), die wiederum Auswirkungen auf Stimmung, Libido, körperliche Leistungsfähigkeit, kognitive Fähigkeiten, Gedächtnis, Gewicht, psychisches Wohlbefinden und Selbstwertgefühl haben.
Nicht nur auf die Blutung, auf keine dieser Phasen wird Rücksicht genommen – nicht in der Schule, nicht an Universitäten, nicht im Beruf oder in der Ausbildung. Das Wissen über den Menstruationszyklus und seine Wirkungen und Auswirkungen – und über mit ihm einhergehende körperliche und psychische Bedürfnisse und Beschwerden – ist in aller Regel ebenso unterentwickelt. Weder werden die Stärken bestimmter Zyklusphasen genutzt, noch werden Schwierigkeiten in anderen Phasen berücksichtigt.
Selbst im Leistungssport beginnt man erst langsam, sich die Zyklusphasen zunutze zu machen. Und das, obwohl Studien zeigen (und viele Frauen können aus eigener Erfahrung ein Lied davon singen), dass mit Beginn der Menstruation für bis zu drei Tage Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit abnehmen, während die Zeit um den Eisprung einen Leistungsbooster mit sich bringt, die Trainingsmotivation in die Höhe treibt und sich besonders für den Muskelaufbau eignet.
Zyklus und Gehirn
Neben der Entwicklung von zyklusbasiertem Training im Sport und neu gewonnenen Erkenntnissen über die Auswirkungen des weiblichen Hormonzyklus auf die körperliche Leistungsfähigkeit kommt auch die Forschung zu den Auswirkungen des Menstruationszyklus auf das Gehirn, und damit auf kognitive Leistung, Emotionen und psychische Gesundheit, immer mehr in die Gänge. So berichtete die Zeitschrift National Geographic vor Kurzem, dass das Ansteigen und Abfallen der Sexualhormone jene Regionen des Gehirns, die Emotionen, Gedächtnis, Verhalten und die Effektivität der Informationsübertragung steuern, im Verlauf des Menstruationszyklus dramatisch umgestalten. Während des Eisprungs findet etwa eine effizientere Informationsübertragung zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns statt.
Die junge deutsche Feministin „4xlensi“ schrieb vor einigen Wochen auf Threads: „Ich finde ja, es müsste zwei Prüfungstermine geben, die nur eine Woche auseinander liegen, bei Frauen ist das halt echt ne Zyklusfrage, ernstgemeint. Ob Schule, Uni, Ausbildung egal. Ich meine es komplett ernst.“
Auch ich meine es komplett ernst. Ich konnte in der Schule und an der Universität an meinen Noten ablesen, an welchem Punkt in meinem Menstruationszyklus die Prüfung stattfand – zu Beginn meiner Menstruation waren meine Ergebnisse nämlich in der Regel um zwei Noten schlechter als üblich. Während des Eisprungs waren sie am besten. Ich erinnere mich außerdem daran, dass ich jeden Monat von meinen Eltern aus dem Unterricht abgeholt werden musste, weil ich vor Schmerzen kollabierte. Um mir dann von meinem Klassenvorstand erklären zu lassen, dass „Menstruationsschmerzen“ kein ausreichender Grund für Fehlzeiten sind.
Weitermachen, als wäre nix
Wenn wir schon beim Thema Schmerzen sind: Viele Frauen leiden sehr unter dem prämenstruellen Syndrom und der Menstruation. Sie stehen schlimme körperliche Schmerzen oder psychische Beschwerden durch, Monat für Monat. Jede zehnte Frau leidet an Endometriose (bei der es bis zur Diagnose in der Regel zehn Jahre dauert, weil Frauen mit „Regelschmerzen“ auch von medizinischem Fachpersonal immer noch nicht ernst genommen werden und für die es nach wie vor keine nachhaltigen Behandlungsmethoden gibt, weil die medizinische Forschung sich lange nicht für den weiblichen Körper interessiert und den männlichen als Normkörper betrachtet hat, im impliziten Glauben, dass dieser ohnehin alles Menschliche abdeckt), die zu den schmerzhaftesten Erkrankungen überhaupt zählt und deren Schmerzintensität mit derer mehrerer Knochenbrüche verglichen wird.
Nichts ist darauf ausgelegt, dass Frauen einen monatlichen Zyklus durchlaufen.
Schon ohne Endometriose können Regelschmerzen so schlimm sein wie ein Herzinfarkt, wie eine Studie des University College London herausfand. Von Frauen wird erwartet, dass sie trotzdem weiterrennen, weiterarbeiten, weiterbetreuen, weiterbemuttern und weiterleisten, als wäre nix. Und natürlich: dass sie sich dabei auch nichts von ihrer Menstruation anmerken lassen, gehört sich ja nicht. Schon gar nicht sollten sie frech Tweets dazu absetzen, das gehört sich wirklich ganz und gar nicht.
Eine menstruationsfreundliche Welt
Davon, dass auf den Menstruationszyklus Rücksicht genommen wird, sind wir noch weit entfernt. Die Welt ist für Männer gemacht. Temperaturen in Büros sind auf männliche Wärmebedürfnisse abgestimmt, Tasten bei Musikinstrumenten und Smartphones auf männliche Handgrößen, Crashtest-Dummies wurden lange Zeit ausschließlich dem männlichen Körper nachempfunden (was Frauen in Unfällen ihr Leben kostete) und medizinische Diagnoseverfahren, Medikamente und Impfungen lange nur an männlichen Körpern getestet (was ebenso Frauenleben kostete und kostet).
Und: Nichts ist darauf ausgelegt, dass Frauen einen monatlichen Zyklus durchlaufen. Das beginnt, aber endet nicht damit, dass sie, wenn sie bluten, kaum jemals irgendwo Menstruationshygieneprodukte auf Toiletten vorfinden. Es ist an der Zeit, dass wir beginnen, die Tatsache, dass die Hälfte der Menschheit einen Menstruationszyklus durchläuft, überall mitzudenken: bei der Gestaltung von Toiletten (gibt es Waschbecken, Mistkübel und Menstruationshygieneprodukte?) über die Möglichkeit einer Menstruationsfreistellung (wie in Spanien bereits umgesetzt) für alle, die sie brauchen (von „Menstruationsurlaub“ spreche ich sehr ungern, denn mit Krämpfen im Bett zu liegen hat wenig mit Urlaub zu tun), bis hin zur menstruationsfreundlichen Terminierung von Prüfungen und Schularbeiten an Schulen und Unis. Eine frauenfreundlichere Welt zu gestalten, bedeutet auch, eine menstruationsfreundliche Welt zu gestalten.
PS: Keine Sorge, ich habe keine Protest-Blutflecken im Railjet hinterlassen, halte aber kollektives Bluten überall dort, wo auf Menstruation keine Rücksicht genommen wird, für ein gutes aktivistisches Druckmittel. Wer mitmachen will, kann sich gern melden. Alternativ könnte aber auch die ÖBB Binden in ihren Zugklos bereitstellen, dann ersparen wir uns das Protestbluten.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Caroline Criado-Perez (2019): Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert
Das Thema in anderen Medien
Kurier: Arbeiten trotz Regelschmerzen: Neun Tage Produktivitätsverlust pro Jahr
Arte: Die Kraft des Zyklus
Spektrum: Der Zyklus-Effekt
Der Standard: Menstruationsurlaub in Spanien jetzt erlaubt – ein Gewinn für Frauen?
National Geographic: The menstrual cycle can reshape your brain