Sie sind hochqualifiziert, noch dazu in Mangelberufen. Trotzdem finden viele ukrainische Geflüchtete in Österreich keinen adäquaten Job. Meist liegt das an schlechten Deutschkenntnissen.
Bald zwei Jahre ist Olga jetzt schon in Österreich. Und genauso lang sucht die Mittfünfzigerin einen Job. Warum sie keinen findet, obwohl sie ausgebildete Krankenschwester ist und in der Pflege Personal fehlt? „Mein Deutsch ist nicht gut genug“, sagt die Ukrainerin, die Ende Februar 2022 vor dem Krieg geflüchtet ist. Die WZ trifft sie im „Offenen Foyer“ der Caritas, einer Anlaufstelle für Ukrainer:innen, auf dem Gelände der Ankerbrotfabrik in Wien-Favoriten. Sie erzählt, dass ihre Söhne das gleiche Problem haben. „Dabei haben beide Uni-Abschlüsse, der eine Jus und der andere Internationale Beziehungen.“ Einer hat daheim als Manager 150 Beschäftigte geleitet – hier in Österreich bekäme er mit seinen immer noch mangelhaften Deutschkenntnissen bestenfalls einen Putzjob. Olga holt im „Offenen Foyer“ das Mittagessen für die Familie; ihre Kinder schämen sich, hierher zu kommen. Das alles berichtet sie auf Ukrainisch, Caritas-Mitarbeiterin Lyudmyla Willingshofer übersetzt.
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Katja Fleischmann kennt die Problematik nur zu gut. Sie unterstützt in einem vom Arbeitsmarktservice (AMS) geförderten Caritas-Projekt Ukrainer:innen bei der Jobsuche. „Das sind hauptsächlich Frauen, überdurchschnittlich gut ausgebildet, noch dazu oft in Mangelberufen, die arbeiten wollen und im Gegensatz zu Asylwerber:innen in Österreich auch von Anfang an voll berufstätig sein dürften“ – doch sie finden keine adäquaten Jobs. Meist sind es zwei Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben: Zum einen sind Arbeit und Betreuungspflicht für die oft kleinen Kinder, mit denen sie hierher geflüchtet sind, nur schwer oder gar nicht miteinander vereinbar; vor allem aber reichen für viele Berufe die Deutschkenntnisse nicht aus.
Zwei Drittel landen in der „falschen“ Branche
Und so landen viele Ukrainer:innen entweder gar nicht auf dem Arbeitsmarkt oder in Bereichen, in denen die Deutschkenntnisse nicht so wichtig und die Löhne gering sind. Alexander Vieß vom Österreichischen Integrationsfonds berichtet von einer Online-Umfrage (die also nur einen Teil der Zielgruppe erreicht hat, und zwar den tendenziell höher gebildeten und IT-affineren) unter mehr als 1.000 Ukrainer:innen zwischen 18 und 55 Jahren. Im Frühsommer 2023 haben zwar 25 Prozent angegeben, einen Job zu haben (im Vergleich zu nur 9,6 Prozent im Mai 2022), allerdings entspricht dieser für zwei Drittel eher oder gar nicht ihrer Qualifikation. Zwei Drittel der Ukrainer:innen in Österreich sind Frauen, und die meisten landen laut Integrationsfonds in der Reinigungsbranche (31 Prozent), mit großem Abstand gefolgt von Gastgewerbe (14 Prozent), Bildungsbereich (9 Prozent), Handel, Vertrieb und Verkauf (je 8 Prozent) sowie Gesundheitsbereich (7 Prozent).
Selbst in Jobs, wo die Arbeitssprache Englisch ist, wird Deutsch verlangt.Katja Fleischmann, Jobberaterin bei der Caritas
Im Bildungsbereich war es in den ersten eineinhalb Jahren noch am leichtesten, ihre Klient:innen unterzubringen, erzählt Fleischmann, weil für die vielen geflüchteten ukrainischen Kinder Begleitlehrer:innen und Freizeitpädagog:innen benötigt werden. Schwieriger ist es bei Ärzt:innen und Pfleger:innen. Letztere haben zwar in der Ukraine sogar mehr Verantwortung getragen, als sie in Österreich dürften, aber auch hier sind das größte Problem die mangelnden Deutschkenntnisse. Und die dritte große Gruppe, die Fleischmann ausmacht, die, die einen wirtschaftlichen Background hat und zum Beispiel in der Buchhaltung tätig war, hat in Österreich so gut wie keine Chance, Fuß zu fassen. „Selbst in Jobs, wo die Arbeitssprache Englisch ist, wird von den Bewerber:innen trotzdem ein gewisses Maß an Deutsch verlangt. Und die Ukrainer:innen sind zwar sehr IT-affin, aber sie sprechen oft auch nicht so gut Englisch, wie man es erwarten oder erhoffen würde.“
Auch die Zahnarztassistentin Allah wird wohl keinen Job mehr finden und ist damit direkt auf dem Weg in die Altersarmut. Die Ukrainerin spricht nicht nur kaum ein Wort Deutsch, sondern durch die überstürzte Flucht fehlen ihr auch Ausbildungsunterlagen, um ihre Qualifikationen nachzuweisen.
Sprachkurse vor allem im niedrigen Level
Dazu kommt ein offenbar träges System: Ihre Tochter, eine Wirtschaftsakademikerin, hat einen Deutschkurs absolviert, sagt Allah. „Sie muss jetzt aber drei Monate warten, bis sie für den nächsten zugelassen wird.“ Ein Problem, das Fleischmann nur zu bekannt ist. Auch der Anerkennungsprozess bei Qualifikationen, der für die Ukrainer:innen nicht geändert wurde, dauert oft zu lang, um die Leute direkt in den Arbeitsmarkt zu bringen, meint sie. Warum das so ist, dazu war aus dem für Integration zuständigen Ministerium keine Stellungnahme zu bekommen.
Auswertungen des Integrationsfonds zeigen, dass gerade Ukrainer:innen vergleichsweise rasch im Deutscherwerb vorankommen und auch überdurchschnittlich hohe Prüfungserfolgsquoten erzielen. So erzählt etwa die 17-jährige Daria, die im März 2022 an einem Wiener Gymnasium einstieg, dass sie in den ersten Wochen und Monaten öfter weinend nach Hause kam, weil sie in der Schule kein Wort verstanden hatte. Nach einem Intensivkurs im Sommer war das darauffolgende Schuljahr kein Problem. Fast zumindest, denn in einem Fach fiel sie durch: in Deutsch.
Der Spracherwerb ist umso schwieriger, je älter die Kursteilnehmenden sind.Alexander Vieß, Sprecher des Österreichischen Integrationsfonds
Vieß stellt allerdings fest: „Tatsächlich bemerken wir auch, dass der Spracherwerb umso schwieriger ist, je älter die Kursteilnehmenden sind.“ Kein Wunder, listet doch die Unesco Deutsch auf Platz sieben der schwierigsten Sprachen der Welt. Viele kommen offenbar auch gar nicht erst zu den Kursen, denn derzeit dürften zwar mindestens 55.000 Ukrainer:innen im Land sein, aber nur rund 20.000 haben die vom Integrationsfonds geförderten Sprachkursplätze genutzt, und zwar rein rechnerisch jeweils zwei Kurse pro Person. Davon entfielen 80 Prozent auf die niedrigsten Sprachniveaus A1 und A2, mit denen man im Alltag halbwegs durchkommt. Nur zwölf Prozent betrafen das höhere Niveau B1, und noch weniger die Niveaus B2, C1 und C2. Freilich gibt es auch andere Sprachkursanbieter. Und unter den Ukrainer:innen sind auch viele, die schon vor der Flucht Deutsch konnten. Valide Zahlen dazu sind schwer zu bekommen, weil weder Institutionen noch zuständige Ministerien den vollen Überblick zu haben scheinen, wie viele Ukrainer:innen einen entsprechenden Sprachkurs bräuchten und wie groß das Angebot im Verhältnis dazu tatsächlich ist.
Viele Ukrainer:innen in Österreich haben auch erst spät begonnen, Deutsch zu lernen. Denn zunächst gingen sie wohl davon aus, das Land bald wieder in Richtung Heimat verlassen zu können. Eine nachvollziehbare Sicht, meint Vieß, denn selbst viele Expert:innen rechneten nicht mit einem so langen russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Mittlerweile, vermutet Fleischmann, „suchen mehr als die Hälfte der Leute, die bei uns andocken, jetzt tatsächlich eine langfristige Perspektive in Österreich.“ Und sie ergänzt: Angesichts der großen Hürden, vor denen sie stehen, „schaffen es dann doch wieder viele in den Arbeitsmarkt“.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Katja Fleischmann, Caritas-Mitarbeiterin in einem AMS-geförderten Beratungsprojekt
Patrick Maierhofer, Ressortsprecher des Bundesministeriums für Inneres
Alexander Vieß, Sprecher des Österreichischen Integrationsfonds
Lyudmyla Willingshofer, Caritas-Mitarbeiterin im „Offenen Foyer“
Drei Ukrainerinnen beim „Offenen Foyer“ der Caritas in Wien
Daten und Fakten
Laut dem europäischen Statistikamt Eurostat haben mehr als vier Millionen Kriegsflüchtlinge die Ukraine verlassen und zeitweiligen Schutzstatus in EU-Ländern erhalten. Jeweils gut ein Viertel davon ist in Deutschland und Polen gelandet. Die Grundlage für ihre Aufnahme ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die im März 2022 erstmals aktiviert wurde und Nicht-EU-Bürgern, die durch den russischen Angriffskrieg vertrieben wurden, einen Aufenthalt ohne Asylantrag gewährt. In Österreich wurden seit Februar 2022 fast 105.000 ukrainische Flüchtlinge registriert, wobei der Großteil inzwischen wieder das Land verlassen haben dürfte. Die meisten Verbleibenden sind in Wien untergekommen. Zwei Drittel davon sind Frauen, ein Drittel ist minderjährig, etwa die Hälfte ist in der Grundversorgung. Laut AMS hatten zuletzt etwas mehr als 17.000 Ukrainer:innen in Österreich eine unselbständige Beschäftigung.
Quellen
Zahlen des Österreichischen Integrationsfonds zu Ukrainer:innen in Österreich
Länderfactsheet Ukraine des Österreichischen Integrationsfonds
Forschungsbericht „Ukraine-Vertriebene in Österreich ein Jahr nach Kriegsbeginn“ (Frühjahr 2023)
Forschungsbericht „Ukraine-Vertriebene in Österreich ein Jahr nach Kriegsbeginn“ (Sommer 2023)
„Offenes Foyer“ der Caritas in Wien (10. Bezirk, Absberggasse 27) – Plauderpartner:innen gesucht
Das Thema in anderen Medien
Kronen Zeitung: „Ukrainer belegten bisher 30.500 Deutschkurs-Plätze“
Kronen Zeitung: „Deutschkurse zu wenig – AMS-Chef fordert Sonder-Millionen für Flüchtlinge“
Profil: „Oksana und der Arbeitsmarkt“
Vienna.at: „Geflüchtete Ukrainer auf Jobsuche sollen sich aktiv bei AMS melden“
ORF: „Ukrainische Geflüchtete: Gut ausgebildet und gewillt zu bleiben“