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Rangnick und der ÖFB: Einblick in einen Machtkampf

10 Min
Rangnicks Vorhaben für das Nationalteam werden von ÖFB-Entscheidungsträgern auf die lange Bank geschoben.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Reuters

Der Fußball-Visionär Ralf Rangnick hat Österreichs Nationalteam flottbekommen. Am machtpolitischen ÖFB könnte er nun aber scheitern.


Der österreichische Fußball hat schon viel mitgemacht. 0:9 gegen Spanien 1999. 2:5 gegen Israel 2021. Lang galt man als Lachnummer. Bis Ralf Rangnick auftauchte. Nun wird mutig gespielt und gegen Kaliber wie Italien, Deutschland und die Niederlande gewonnen. Fan-Massen strömen in die Stadien. Ein Fußball-Hype grassiert im Land. Teamchef Rangnick gilt als Visionär und Reformer, der etwa das Red-Bull-Fußballimperium aufgebaut hat – und nun Österreich an die Weltspitze führen will.

Das Problem: Seine Euphorie verfliegt gerade. Das liegt aber nicht an seiner Mannschaft, die weiter groß aufspielt – und zuletzt Norwegen 5:1 besiegt hat. Vielmehr ist es der ÖFB, der ihn zermürbt, dieser behäbige Verband mit seinen ehrenamtlichen Funktionären, die ständig Machtkämpfe austragen, in die Rangnick zusehends hineingerät.

Vor der EM war noch von einem „Projekt 2030“ die Rede – mit Rangnick als Vordenker. Er dürfe sich überall einmischen, hieß es. Davon ist nichts geblieben. Im Gegenteil: Funktionäre warnen aktuell vor einem zu großen Machtgewinn Rangnicks. Der Sport nimmt dabei pikanterweise nur eine Nebenrolle ein – es geht um Geld, Einfluss und Eitelkeiten. Verspielt der ÖFB gerade seine Jahrhundertchance?

Dabei schien der verstaubte Fußball-Bund vom Glück geküsst, als Rangnick im Mai 2022 beinahe zufällig Teamchef wurde. Damals lag die Nationalmannschaft am Boden und war in der WM-Qualifikation hinter Dänemark, Schottland und Israel bloß Vierter geworden. Vorgänger Franco Foda vertrieb mit seiner defensiven Spielweise die Fans.

Rangnick ist für den ÖFB eigentlich eine Nummer zu groß. Er hat renommierte Vereine wie Manchester United trainiert, ist hohe Millionen-Gehälter und beste Bedingungen gewöhnt. Doch die Aufgabe in Österreich reizte ihn. Der ÖFB verfügt über Top-Spieler wie Marcel Sabitzer oder Konrad Laimer, die Rangnicks Spielidee verinnerlicht haben. Der Schwabe schraubte seine Gehaltsforderungen drastisch zurück – und unterschrieb für rund eine Million Euro Jahresgehalt. Das ist im globalen Fußballbusiness nicht viel. Doch er tut mehr dafür, als er müsste, kümmert sich um den Nachwuchs, die Trainerausbildung, sucht geeignete Spielstätten. Rangnick veränderte sogar die Stadion-Musik, die ihm zu leise und zu wenig peppig erschien.

Vor der EM wollte ihn der große FC Bayern abwerben – für zehn Millionen Euro pro Jahr. Rangnick sagte ab. Er wolle seine Mannschaft hier nicht im Stich lassen, erklärte er. Das ganze Land war baff. Auch ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer, der ihm tags darauf eine Vertragsverlängerung samt Kompetenzerweiterung in Aussicht stellte. Doch dazu kam es nie. Es fand kein Gespräch statt, keine Annäherung, nichts. Laut WZ-Informationen könnte das daran liegen, weil einige Entscheidungsträger Rangnick zunehmend kritisch beäugen.

Kritik an Rangnick: „Wir sind nicht Red Bull“

Ende August nahm Rangnick nämlich an einem ÖFB-Meeting teil. Dort traf er auf die Entscheidungsträger des Verbandes – vorwiegend Landespräsidenten, die ehrenamtlich in der Provinz tätig sind, aber im ÖFB-Präsidium die Weichen für den Profibetrieb stellen. Rangnick sprach seine Vorhaben offen an. Etwa den Umbau der Nachwuchs-Nationalteams, die er modernisieren und einige Trainer tauschen würde. Mit dem Ex-Teamspieler Sebastian Prödl hätte er zudem gern einen eigenen Sportchef für das Nationalteam. Doch die Entscheidung wurde auf die lange Bank geschoben. Und nach Rangnicks Drängen kam sogar Kritik auf. Der niederösterreichische Landespräsident Johann Gartner bemängelte, dass Rangnicks Anliegen „nicht auf der Tagesordnung gestanden“ seien und er ständig darauf achten müsse, „wo er gerade hingaloppiert“. Prödl, mahnte Gartner, sei „auch eine Kostenfrage“. „Wir können nicht eine Organisation immer und immer wieder verändern.“ Rangnick habe Co-Trainer, Physiotherapeuten und einen Pressemann bekommen. Der Verband aber müsse „betriebswirtschaftlich denken, wir sind ja nicht Red Bull“.

Eine Vertragsverlängerung (sofern Rangnick nicht exorbitant mehr fordert) sowie die aktuellen Personalwünsche seien ohne Probleme finanzierbar. „Wir hatten zuletzt wirtschaftlich ein erfolgreiches Jahr und außerdem schon teurere Teamchefs“, betont der oberösterreichische Landespräsident Gerhard Götschhofer. So sei Rangnick samt Betreuerstab günstiger als vor einigen Jahren der Stab um Ex-Teamchef Marcel Koller. Aktuell gäbe es zwar mehr Betreuer, doch diese werden bloß tageweise auf Honorarbasis bezahlt und würden keine hohen Mehrkosten verursachen. Warum dann die Diskussion?

Die Funktionäre „haben Angst, dass sie zu kurz kommen“

Nun ja. Es gibt da noch einen Verteilungskampf um das liebe Geld, der im Hintergrund tobt. Der ÖFB verbuchte zuletzt saftige EM-Einnahmen in Millionenhöhe. Davon wollen aber nicht nur Rangnick und das Nationalteam (die das Geld eingespielt haben) für die Professionalisierung des Betriebs profitieren. Sondern auch die neun Landesverbände, deren Landespräsidenten im ÖFB-Präsidium sitzen und dort über die Geldflüsse entscheiden. „Sie haben Angst, dass sie zu kurz kommen, wenn Rangnick noch mehr fordert“, erklärt ein ÖFB-Insider. Ein Rundruf zeigt: Einige Landesverbände hätten vom EM-Gewinn hunderttausende Euro für sich erwartet – dann aber bloß ein Zehntel erhalten. Der Ärger war groß. Die Geschäftsführung soll ihnen gegenüber mit einer angespannten Finanzlage argumentiert haben. Das wurde anfangs akzeptiert – doch nun steigt der Unmut. Sogar die Nachwuchs-Auswahlen bekämen „Mentaltrainer und mehrere Video-Analysten“, kritisiert ein Landespräsident gegenüber der WZ. „Ich würde mir auch gern einen Pressesprecher leisten. Aber wir schauen durch die Finger.“

Im Präsidium ist Geschäftsführer Bernhard Neuhold bei vielen der Buhmann, weil er vermehrt durchboxte, den Spitzensport zu fördern, anstatt die Landesverbände zu begünstigen. „Die schauen alle nur zu bei der Sitzung, wie wir kein Geld bekommen“, sagt ein Landespräsident zur WZ. Vor wenigen Tagen wurde Neuholds Ablöse beschlossen. Wenn auch aus einem anderen Grund. Seit Jahren lähmt ein Konflikt des Geschäftsführer-Duos Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer den Verband – die beiden arbeiteten mehr gegen- als miteinander, so der Vorwurf. Bei der Ablöse dürfte aber auch ein anderes Motiv mitgespielt haben. Ein Landespräsident erklärt der WZ: Es werde künftig auch Aufgabe der neuen Geschäftsführung sein, „die Gelder richtig zu verteilen“.

Es ist ein erwartbarer Konflikt, der sich gerade aufschaukelt. Rangnick, der internationale Macher, dem die Professionalisierung nicht schnell genug gehen kann. Und der behäbige ÖFB mit seinen machtpolitischen Funktionären, die eigene Interessen stärker verfolgen als die Entwicklung des österreichischen Spitzensports. Die Folge: Rangnicks Umbau stockt. Einige Landespräsidenten, das wird in Gesprächen mit der WZ deutlich, hängen zudem alten Zeiten nach, in denen ein Betreuerstab bloß aus Trainer und Zeugwart bestand. International aber wuchsen die Anforderungen. Der ÖFB muss nachrüsten, um Schritt zu halten.

Der Machtkampf spitzt sich zu

Lang wurde Rangnick in Österreich als Gelegenheit gesehen, den Aufbruch in die Moderne durchzuboxen. Nun aber steckt er in einem Machtkampf fest. Und die Lage spitzt sich zu. Kurz bevor die Ablöse der beiden Geschäftsführer beschlossen wurde, verschickte der Teamchef einen Brief an die Entscheidungsträger. Gemeinsam mit Starspielern wie David Alaba hielt er fest, dass Neuhold „unser direkter Ansprechpartner in allen organisatorischen und finanziellen Angelegenheiten“ sei. Gerade in Hinblick auf das Ziel WM 2026 sei „Neuholds Expertise und Kompetenz unverzichtbar“. Im Präsidium kam das Schreiben nicht gut an. Man rede dem Teamchef doch auch nicht bei der Aufstellung drein, wurde gepoltert.

Hoffnungen setzte Rangnick anfangs in Präsident Mitterdorfer, der eine große ÖFB-Reform plante und sich dem Teamchef zugewandt zeigte. Nun aber ist das Verhältnis der beiden zerrüttet. Das hat mehrere Gründe. Mitterdorfer soll Rangnick neben einem neuen Vertrag und der Kompetenzerweiterung auch Personalwünsche oder den Verbleib Neuholds zugesagt, aber nicht eingehalten haben, wird behauptet. Und die von ihm kürzlich durchgesetzte Reform dürfte die aktuellen Verhältnisse bloß einzementieren.

Ein Selfmade-Millionär bringt sich in Stellung

Aber auch Mitterdorfer selbst ist auf Distanz zum Teamchef gegangen. In dessen Kreisen vermutet man, dass sich in Rangnicks Dunstkreis ein Gegenkandidat für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2025 in Stellung bringt – um Mitterdorfer zu verdrängen. Konkret geht es um den Selfmade-Millionär Roland Schmid, für dessen Immobilien-Firma Rangnick als Werbegesicht fungierte. Schmid, der schon länger mit dem ÖFB-Präsidentenamt liebäugelt, sucht derzeit jedenfalls vermehrt den Kontakt zu Präsidiumsmitgliedern, die bald über den neuen Präsidenten abstimmen. Der Unternehmer wäre wohl einer nach Rangnicks Geschmack. Schon in Hoffenheim und bei Red Bull waren Mäzene um ihn, die seine Wünsche erfüllten. Und Rangnick hat in Österreich weiterhin Großes vor. Er schwärmt von seiner tollen Mannschaft, die viel Potenzial habe. Auch den Bau einer Event-Arena anstelle des veralteten Happel-Stadions treibt er im Hintergrund voran – und spannt dabei seine Fäden bis hin zu Bundeskanzler Karl Nehammer. Selbst an der Basis hilft er mit. Zuletzt hielt er in drei Bundesländern Trainingseinheiten mit Kindern ab – um die Fußball-Euphorie im Land zu befeuern. Doch mit der könnte es auch schnell wieder vorbei sein.

Schon einmal verlor ein erfolgreicher Sport-Manager den Machtkampf mit ÖFB-Funktionären. 2017 wurde Sportdirektor Willi Ruttensteiner – der das Nationalteam in die Top-10 der Welt geführt hatte – über Nacht hinausgeschmissen. Ruttensteiner habe ein stattliches Gehalt kassiert und den ÖFB „wie sein Unternehmen geführt“, warf ihm Landespräsident Gartner vor. Das alles erinnert an die momentane Situation. Erneut geht es um Geld und Geltung. „Ich habe die Befürchtung, dass man die Aktie Rangnick zu einem Spielball werden lässt und damit den Glücksfall für den österreichischen Fußball riskiert“, mahnt Landespräsident Götschhofer.

„Wir verkaufen ihm nicht den ÖFB“

Immerhin: Vor wenigen Tagen hat Präsident Mitterdorfer ein SMS an Rangnick verschickt, um ein Treffen anzubahnen. Rangnick und seine Stars wollen aber nicht zur Tagesordnung übergehen, heißt es. Und im Machtpoker hätten sie nicht einmal schlechte Karten. Das erfolgreiche Nationalteam war zuletzt die Cashcow des ÖFB, während die Funktionäre mit öffentlichen Disputen bloß Negativ-Schlagzeilen lieferten. Das muss aber nicht viel bedeuten. „Wenn es um die Macht geht“, sagt einer aus dem ÖFB, „werden sie Rangnick über die Klinge springen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken“. Rangnicks Vertrag läuft noch bis Ende 2025 (und bei erfolgreicher Qualifikation bis nach der WM 2026). Seine Kollegen bräuchten „keine Angst haben, dass er ihnen was wegnimmt“, appelliert Landespräsident Götschhofer im WZ-Gespräch. „Wir verkaufen ihm ja nicht den ÖFB.“ Und außerdem: Rangnick würde sich ohnehin „mehr am Erfolg als an seinem Gehalt begeistern“.

Zuletzt stand Rangnick als TV-Experte von Canal+ im Salzburger Nieselregen. Er wirkte sichtlich zermürbt und gereizt. Als ihm eine Frage zu seinem Vertrag gestellt wurde, erklärte er mit ernster Miene, dass die Laufzeit für ihn „völlig ausreichend“ sei. Es gebe gar „keinen Grund, über eine Vertragsverlängerung zu sprechen“. Mit anderen Worten: Die Lust, dem ÖFB langfristig zu helfen, ist ihm sichtlich vergangen.


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Infos und Quellen

Genese

Der gefragte Manager Ralf Rangnick hat das Ziel, den österreichischen Fußball an die Weltspitze zu führen. Nun aber gerät er in einen Machtkampf mit den ÖFB-Funktionären. War es das mit dem Aufschwung? Autor Gerald Gossmann recherchiert seit vielen Jahren in ÖFB-Kreisen und verfügt über gute Kontakte und Insider-Wissen. Für die WZ hat er herausgefunden, worum sich der Machtkampf dreht und welche Auswirkungen er auf den österreichischen Fußball hat.

Gesprächspartner

ÖFB-Entscheidungsträger, Landespräsidenten und Verbands-Insider. Einige, wie der oberösterreichische Landespräsident Gerhard Götschhofer oder der niederösterreichische Vertreter Johann Gartner werden namentlich zitiert, andere wollen anonym bleiben.

Daten und Fakten

  • Der 66-jährige Schwabe Ralf Rangnick ist ein international gefragter Fußball-Manager. Sein Spezialgebiet: Klubs komplett neu zu programmieren. Das gelang ihm beim SSV Ulm, der TSG Hoffenheim, bei RB Salzburg und RB Leipzig. Rangnick trainierte außerdem renommierte Vereine wie Manchester United und Schalke O4.

  • Österreich verfügt über eine goldene Spielergeneration. Ein kleiner Auszug: David Alaba (Real Madrid), Marko Arnautovic (Inter Mailand), Konrad Laimer (Bayern München), Xaver Schlager, Nicolas Seiwald, Christoph Baumgartner (alle RB Leipzig), Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund). Rangnick reizt, dass viele im Red-Bull-Kosmos ausgebildet wurden und seinen Spielstil verinnerlicht haben.

  • Der Österreichische Fußball-Bund, ÖFB, besteht aus dem Verband und der ausgelagerten Wirtschaftsbetriebe GmbH, die für den Profisport zuständig ist. Im Entscheidungsgremium, dem ÖFB-Präsidium, sitzen 13 stimmberechtigte Mitlieder: neun Präsidenten der Landesfußballverbände, der ÖFB-Präsident und drei Vertreter der österreichischen Bundesliga. Die Landespräsidenten sind ehrenamtlich tätig, im Schnitt über 65 Jahre alt und im Brotberuf Ex-Bürgermeister, pensionierte Richter, Rechtsanwälte oder Unternehmer.

  • Zwei Geschäftsführer (derzeit Bernhard Neuhold und Thomas Hollerer) lenken den ÖFB operativ. Doch über die Verteilung der Gelder (etwa der Bundessportförderung) wird – auf Empfehlung der Geschäftsführung – im Präsidium entschieden. Die Landesverbände erhalten große Teile aus der Bundessportförderung und projektbezogene Gelder. Für die Geschäftsführung des ÖFB ist es ein Balanceakt, die Interessen unter einen Hut zu bringen. Nach der kürzlich beschlossenen Strukturreform sollen künftig ein CEO und darunter zwei Geschäftsführer (einer für Wirtschaft, einer für Sport) das Tagesgeschäft managen.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien