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Eine Wand voller Fragen, Sackerl als Diskursvehikel und viele konkrete Antworten: Bei der Vienna Design Week sammelten honey & bunny und WZ-Engage Stimmen zur Demokratie – von Wahlrecht bis Algorithmus.
„Red‘ gegen die Wand“ stand da auf einer großen Wand im Foyer – und Demokratie fand ihren Weg auf Papier: A4-Blätter, Post-its, Papiersackerl und bunte Sticker. Das Food-Design-Duo honey & bunny, bestehend aus Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter, verlegte in Kooperation mit WZ-Engage die Debatte dorthin, wo sie jede:r sieht, jede:r mitreden kann und jede:r etwas hinterlassen kann. Vienna-Design-Week-Direktor Gabriel Roland setzte bei der Eröffnung den Rahmen: „Wir sind hier in der Festivalzentrale. Wir haben jetzt wochenlang Meinungen gesammelt: online, auf Social Media, aber auch auf dem Naschmarkt mit rund 15.000 Sackerln, auf denen verschiedene Fragen von Caroline Athanasiadis bis Toni Polster gestellt wurden. Und wir wollen jetzt mit euch gemeinsam diskutieren, was da so zusammengekommen ist.“
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Das Projekt „Red‘s in a Sackerl“ versucht, das umzudrehen, was man normalerweise unter dem Spruch versteht, nämlich die Gleichgültigkeit gegenüber den Meinungen anderer. „Mit ein bisserl Wiener Grant“, sagt Roland. Das Ziel ist, „Menschen eine Stimme zu geben, die vielleicht weniger gehört werden“, und zeigen, „dass Design sehr politisch ist“ und „demokratiefördernd“ sein kann, sagt Martin Hablesreiter von honey & bunny. „Denn das Designziel darf nicht sein, den zweitausendsten Stuhl zu machen, sondern über Themen wie eben Würde, Demokratie usw. nachzudenken. Auch Demokratie ist gestaltbar“, betont der Künstler.
Politik als Alltagshandwerk
Das erste A4-Blatt zeigt in großen Buchstaben: „Dein Leben ist politisch: Was war deine letzte politische Aktion?“ Manche Antworten fordern zu Aktion auf: „Aufstehen, laut sein, auf die Straße gehen!“, andere bleiben leise: „Zuhören, nachdenken und engagieren.“ Dazwischen Selbstverortungen wie „Ja, of course“ und ihr Gegenpol „Nein, mein Leben ist nicht politisch“. Auf einem Zettel steht schlicht „Demo“, auf einem anderen „Nationalratswahl“. Jemand hält fest: „Alles ist politisch“, jemand anderer meint: „Mehr mit den Nachbar:innen“.
Der Fragensteller ist Persy-Lowis Bulayumi, systemischer Berater und Lehrer. Vor Ort spinnt er seine Idee weiter: „Ich glaube, jeden Tag treffen wir Entscheidungen, die politisch sind. Ich arbeite als Lehrer und wenn ich einmal in einer stressigen Situation kurz innehalte, tief ein- und ausatme, dann ist das schon ein politischer Akt. Weil ich einfach bei mir selbst wieder andocke und reflektiere: ,Wo bin ich gerade?‘“ Besucherin Klara sagt dazu: „Jede zwischenmenschliche Begegnung kann eigentlich politisch sein.“ Politik erscheint hier nicht als Ausnahmezustand, sondern als Gewohnheit – mal sichtbar, mal unsichtbar.
Daneben eine Frage, die an die Architektur der Republik rührt: „Ist ein Land demokratisch, in dem ein Fünftel der Bevölkerung kein Wahlrecht hat?“ Die Wand antwortet erstaunlich pragmatisch: „Wahlrecht für alle, die hier Steuern bezahlen.“ In den Kommentaren tauchen die zugehörigen Graubereiche auf – vom Hauptwohnsitz über Übergangsregeln bis zur kommunalen Ebene. Der Subtext: Demokratie fühlt sich oft wie Haltung an, wird aber dort entschieden, wo Regeln geschrieben sind. Oder, um es mit einer weiteren Frage zu erden: „Hättest du gerne mitbestimmt, wie dieses Sackerl aussieht?“ „JA!“, steht da, gefolgt von einem nüchternen Einwand: „Mir war nicht bekannt, dass das eine Option gewesen wäre.“ Und einem konkreten Wunsch: „Nicht wie’s aussieht, aber was draufsteht!“ Beteiligung ist also kein Design-Gag, sondern eine Frage des Zugangs und der Information.
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Eine Grundsatzfrage, die man an der Wand finden kann, lautet: „Wie viel Vielfalt verträgt die Demokratie?“ Die Spannbreite reicht von der skeptischen Kurzformel „Ist schon zu viel“ bis zur generösen Gegenposition „Kann nie zu viel sein“. Ein längerer Beitrag denkt es strukturierter: „Hängen Demokratie und Identität zwingend zusammen? Es gibt Räume, in denen sich Identität und Vielfalt gegenseitig stärken. Man muss sie nur schaffen.“ Marlene, eine Besucherin, bringt es einfach demokratisch auf den Punkt: „Demokratie muss alle Vielfalt vertragen. Dann muss auch jeder repräsentiert sein.“ Vielfalt wird hier als Zumutung für Strukturen verstanden und als Auftrag, diese Strukturen belastbar zu machen.
Algorithmus vs. Urteilskraft
Medien, KI und Wahrnehmung verdichten sich in einer Frage: „Wählst du oder dein Algorithmus?“ Auf den vorbereiteten Antworten stehen „Ich“ und „Algo“, die man mit Stickern bejahen kann. „Ich“ sticht dabei bunt beklebt hervor. Ein:e Besucher:in fügt auf einem Post-it hinzu, dass er/sie schon selbst wähle, aber der Algorithmus der Sozialen Netzwerke ihn/sie sehr in einer Bubble hält. Dazwischen finden sich Gegenpole gegen den Algorithmus-Autopiloten: „Öffentlich-rechtliche Medien“, „Medien sind eine Säule der Demokratie, sofern sie sich der Wahrheit verpflichtet fühlen“. Handschriftlich verstärkt jemand in großen Lettern: „QUALITÄTSJOURNALISMUS & öffentlich-rechtlich sind eine wichtige Säule der Demokratie.“ Eine Nachfrage aus der Besucher:innenschaft will’s genauer wissen: „Kann mein Algorithmus aus meinem Umfeld bzw. den Meinungen der Menschen darin bestehen?“
Wenn alle reden dürfen, bleibt oft das Zuhören aus: „In der Demokratie können alle mitreden, aber warum hört keiner zu?“ Die Wand antwortet knapp: „Die Falschen sind zu laut.“ Und ökonomisch: „Weil das Geld am lautesten ist.“ Eine dritte Notiz entzaubert den Idealismus: „Nur in der Theorie; in einem demokratischen Land müssten alle gehört werden, in der Praxis ist das leider nicht so.“ Auch hier zeigt sich das Muster des Abends: Es fehlt weniger an Stimmen als an Moderation, Zeit und Zuhören.
Gleichberechtigung: Symbolik vs. Struktur
Kontrafaktisch und verspielt zugleich ist die Frage von WZ-Chefredakteurin Katharina Schmidt: „Was wäre, wenn die Regierung nur aus Frauen bestünde?“ Die Reaktionen auf die vorgefertigten Antworten von „💗 Wahnsinn 💗“ vs. „❌ Wahnsinn ❌“ sind eine pinke Lawine aus unterstützenden Stickern für den Wahnsinn mit Herz-Emojis. Eine nüchterne Nachfrage dreht die Perspektive: „Regiert man mit Genitalien oder mit einem Gehirn?“ Am Ende landet vieles im Pragmatismus: „Gemischt ist am besten“ plus einer To-do-Liste mit Punkten wie „gleiches Geld“, „gleiche Chancen“, „mehr Elternzeit“. Es scheint weniger eine Sehnsucht nach Symbolpolitik als nach verlässlichen Strukturen zu herrschen.
Sichtbarkeit: Was fehlt, fällt auf
Zum Schluss steht eine unbequeme Leitfrage: „Wird Demokratie erst sichtbar, wenn sie scheitert?“ Daneben ein ökologischer Einwurf: „Wie sollen wir dir Freiheit und den Wohlstand sichern, wenn uns Böden, Wasser, Vielfalt und wir selbst uns egal sind?“ Ein weiterer Zettel ergänzt: „Weil der Mensch immer erst checkt, was er hat, wenn er es nicht mehr hat.“ Die Notizen verschieben den Fokus von Stimmungen auf Strukturen: Demokratie ist ein Vorrat – an Vertrauen, Ressourcen, Aufmerksamkeit.
Das Format funktioniert, weil es Fragen nicht als Defizit missversteht, sondern als Anfang. Zwischen „Demo“, „Nationalratswahl“ und „Mehr mit den Nachbar:innen“ wird sichtbar, wie Politik im Alltag entsteht. Wenn Design den Raum dafür baut, wird Beteiligung praktiziert statt behauptet. Die A4-Blätter, Post-its und Papiersackerl bewahren diese Momente der Demokratie.
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Infos und Quellen
Genese
Die WZ kooperierte bei der Vienna Design Week 2025 unter dem Label WZ-Engage mit dem Künstler-Duo honey & bunny. WZ-Redakteurin Verena Franke hat die Fragen und Antworten zum Thema Demokratie journalistisch aufgegriffen.
Daten und Fakten
Die Vienna Design Week ist Österreichs größtes Designfestival mit etlichen Schauplätzen in Wien. In seiner ganzjährigen Tätigkeit tritt das Festivalteam unter dem Namen Vienna Design Office auf.
Honey & bunny arbeiten mit dem Alltäglichen. Das interdisziplinäre Design- und Kunstduo bestehend aus Sonja Stummerer und Martin Hablesreiter versteht das Putzen oder das Essen als politischen Akt und die dabei verwendeten Objekte als kulturelle Artefakte. Honey & bunny recherchieren, illustrieren, filmen, performen und sie bauen Installationen. Nicht zuletzt wegen der bedrohten Biosphäre, der sozialen Verwerfungen und den ständigen Verletzungen der Würde betrachten sie Design als essenzielle Verantwortung. Design kreiert Narrative und Ästhetiken, zwei Grundbedürfnisse aller Kulturen. „Design kann verändern. Dem fühlen wir uns verpflichtet.“
Quellen
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
- ORF: Kfz-Werkstatt macht Design erlebbar
- Die Presse: Eispickel zum Dessert: Die Swedish Girls bei der Vienna Design Week (Paywall)
- Börse-Express: Vienna Design Week: Handwerk trifft Avantgarde
- Der Standard: Vienna Design Week: Warum wir uns mehr für Design interessieren sollten
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