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Dass führende Nazis nach 1945 im syrischen Geheimdienst tätig waren, ist bekannt. Dass der frühere Liebling Adolf Hitlers, der österreichische SS-Mann Skorzeny, 1963 zum zentralen Verbündeten des israelischen Geheimdienstes Mossad wurde, weniger.
Nach dem siegreichen Krieg gegen die arabischen Nachbarn 1948 sah sich Israel weiterhin von vielen Seiten in seiner Existenz bedroht und schreckte nicht davor zurück, einen Pakt mit den Nationalsozialisten zu schließen: In seinem Buch „Fugitives. A History of Nazi Mercenaries during the Cold War“ beschreibt der israelische Historiker und Professor an der Hebrew University of Jerusalem, Danny Orbach, wie der Mossad gezielt ehemalige hochrangige Nazis angeworben hat. Das fundiert recherchierte Buch, das sich auf zahllose Akten aus verschiedenen Geheimdienst-Archiven stützt, enthält detaillierte Geschichten, die an Wahnwitz nicht zu überbieten sind.
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Aus Nazis wurden willige Söldner
Nationalsozialisten – darunter glühende Verehrer des „Führers“ Adolf Hitler und überzeugte Antisemiten – kooperierten mit Israel, weil sie nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs mit dem Rücken zur Wand standen. Verfemt, als Kriegsverbrecher gesucht und ohne jede Perspektive waren die meisten bereit, sich jedem anzudienen, der für ihr militärisches Knowhow und Wissen über arabische Länder zahlte und für ihren Schutz sorgte.
Der wichtigste Mann für Israel in diesem Zusammenhang war ein Österreicher: der ehemalige SS-Obersturmbannführer und Liebling Hitlers, Otto Skorzeny. Orbach beschreibt in seinem Buch, wie Skorzeny dem Mossad 1963 aus einer veritablen Krise half.
Israel war Anfang der 60er-Jahre mit einem Raketenprogramm seines damaligen Erzfeindes Ägypten konfrontiert, von dem man nicht wusste, ob es nicht die mögliche totale Vernichtung für den jüdischen Staat darstellt. Ägyptens Präsident Gamal Nasser präsentierte 1962 diese Raketen stolz in einer Militärparade und erklärte, dass diese jeden Punkt in Israel erreichen könnten. Israels Geheimdienst fing zudem einen Brief ab, in dem ein deutscher Raketenbauer von 900 Raketen sprach, die demnächst in ägyptischen Arsenalen stehen sollten. Damit konnte Israel dem Erdboden gleichgemacht werden. Der Mossad geriet in Panik.
Angst vor zweitem Holocaust
Die Israelis wussten, dass es deutsche Wissenschaftler waren, die in Ägypten an dem Raketenprogramm arbeiteten. Experten, die seinerzeit an den „Vergeltungswaffen“ der Nazis mitgebaut hatten, den von der Goebbels-Propaganda gehypten V1- und V2-Raketen, mit denen Hitler zu Kriegsende London beschießen ließ, die aber den Kriegsverlauf nicht mehr ändern konnten.
Nach Ansicht des Mossad hatten sich 1962 die „alten“ Nazis – Deutsche – und die „neuen“ Nazis – die Ägypter – verbündet, um Israel zu vernichten und einen zweiten Holocaust zu begehen. Es mussten also aus Sicht des Mossad schleunigst verlässliche Informationen über Existenz und Ausmaß der Bedrohung her, doch hatte Israel zu der Zeit keinen Agenten innerhalb des ägyptischen Militärs, der diese Informationen liefern konnte.
Dafür, dass nichts nach außen drang, sorgte damals der ehemalige SS-Unteroffizier Hermann Vallentin als Sicherheitsbeauftragter des ägyptischen Raketenprogramms. Ihn wollte man rekrutieren, an ihn musste der Mossad herankommen. Die Frage war, wie. Immerhin wusste der Mossad, dass Otto Skorzeny im Zweiten Weltkrieg Vallentins Kommandant war. Skorzeny war ein Wiener SS-Obersturmbannführer, TU-Absolvent, Mitglied einer schlagenden Burschenschaft, hünenhaft und für riskante Kommandoaktionen bekannt. So befreite er 1943 den italienischen Diktator und Verbündeten Nazi-Deutschlands, Benito Mussolini, der zuvor gestürzt und auf dem Berg Gran Sasso festgehalten worden war. Hitler war damals enthusiastisch wegen des gelungenen Coups und Skorzeny ein Held, den jedes Kind kannte.
Nach 1945 emigrierte Skorzeny ins faschistische Spanien und dealte unter dem Schutz des Diktators Francisco Franco mit Waffen. Seine Firma hatte Zweigstellen in Kairo, Damaskus, Beirut. Viele seiner ehemals deutschen Gewehre und Maschinengewehre wurden nach Afrika, vor allem Algerien, geschmuggelt. Er war als eine Art Headhunter tätig und versorgte Syrien mit Beratern. Er galt beim deutschen Geheimdienst als großmäulig, halbseiden und unzuverlässig. Der CIA verkaufte er mitten im Kalten Krieg Informationen, die nicht stimmten oder maßlos übertrieben waren. Skorzeny war aber tatsächlich der Knotenpunkt eines weltweiten Netzwerks von Nazis und Neonazis.
Wollte der Mossad Vallentin rekrutieren, musste er also zunächst an dessen früheren Chef Skorzeny heran, wie Orbach in seinem Buch schreibt. Hier bot sich die Gattin des ehemaligen SS-Obersturmbannführers an, eine gewisse Ilse von Finkenstein. Diese lebte mit Skorzeny in einer „offenen Beziehung“, so Orbach, und war als umtriebige Geschäftsfrau im Tourismusbereich auf den Bahamas tätig. Laut Orbach ist erwiesen, dass ein Mossad-Agent vorgab, im Tourismus-Sektor investieren zu wollen, und es gibt deutliche Hinweise, dass er mit Finkenstein schließlich eine intime Beziehung begann. Jedenfalls feierte er mit ihr und ihrem jüdischen Schwager regelmäßig rauschende Partys in Bars, man erzählte sich angeblich zu später Stunde jiddische Witze. Schließlich eröffnete der Agent Finkenstein, dass ein israelischer Sicherheitsbeauftragter in einer äußerst wichtigen Sache Kontakt mit Skorzeny aufnehmen wolle.
Skorzeny ist dabei
Skorzeny war sofort einverstanden, schreibt Orbach. Der Mossad wählte für den Job Avraham Ahituv aus, einen Agenten, der Nazis besonders hasste. Das erste Treffen fand 1963 in Madrid statt, und Ahituv brachte die Rede gleich auf den Holocaust. Skorzeny betonte, dass er damit nie etwas zu tun gehabt habe. Der ehemalige SS-Obersturmbannführer erklärte laut Mossad-Akten, dass er Israel möge, die Schaffung des kleinen Landes sei die perfekte Lösung des Antisemitismus-Problems und er verstehe nicht, warum nicht alle Juden dorthin emigrieren würden. Skorzeny war zur Kooperation mit Israel bereit, weil er nicht als möglicher Kriegsverbrecher verfolgt und vor Gericht gestellt werden wollte. Er erhoffte Schutz durch das Wohlwollen des Mossad und wollte dem Schicksal Adolf Eichmanns entgehen, der 1962 in Israel abgeurteilt und hingerichtet worden war.
So verlangte er auch kein Geld, er wollte aber, dass der israelische Geheimdienst ihm eine existente hebräische Version seiner Autobiografie aushändigt. Damit wollte er aller Welt zeigen, dass er kein Antisemit war. Und er verlangte, dass der Nazi-Jäger Simon Wiesenthal in Wien seinen Namen von der Fahndungsliste streicht. Wiesenthal hat in diesem Punkt nicht mitgespielt. Skorzeny bekam aber das Vorwort seiner Autobiografie auf Hebräisch mit der vorsichtig formulierten Bitte, keinen Gebrauch davon zu machen, da es ihn selbst in seinen Nazi-Kreisen diskreditieren könnte. Skorzeny willigte widerstrebend ein.
Der Schlüsselinformant will nicht reden
Im Gespräch fragte Ahituv Skorzeny in Sachen Bedrohung durch Ägypten gleichsam als Kollegen um Rat. Skorzeny war geschmeichelt, so Orbach in seinem Buch, protzte mit seinen Kontakten zu Nasser und den deutschen Wissenschaftlern. Vallentin verehrte seinen früheren SS-Kommandeur immer noch, und stimmte einem Treffen in Madrid zu. Skorzeny erzählte Vallentin die erfundene Geschichte, dass der britische Geheimdienst aus strategischen Gründen exakte Informationen über die tatsächliche militärische Stärke der Ägypter brauche. Vallentin war skeptisch: Steht auch sicher nicht Israel dahinter? Was, wenn die Ägypter von der Sache Wind bekämen und ihn, Vallentin, als Sicherheitschef feuerten? Welche Garantien böten in dem Fall die Briten? Skorzeny soll Vallentin in gespieltem Ärger angeschnauzt haben: Wie er es wage, so zu seinem Kommandeur zu sprechen! Vallentin stand innerlich stramm, entschuldigte sich, trotzdem blieb seine Skepsis. Er spielte nicht mit.
Ein Königreich für einen Leutnantsrang
Erst als Skorzeny Vallentins wunden Punkt fand, lief alles reibungslos. Er erzählte ihm die völlig erfundene Geschichte, dass er ihn zur Beförderung zum Leutnant vorgeschlagen habe, das entsprechende Schreiben aber in den letzten Kriegstagen 1945 verschollen sei. Das Schreiben sei, so Skorzeny zu Vallentin, vom britischen Geheimdienst abgefangen worden, doch nun habe er es zurückerhalten. Vallentin hielt das gefälschte Schreiben laut Orbach fassungs- und atemlos in seinen Händen und aus Dankbarkeit war er bereit, alles für die vorgeblichen Briten zu tun. Für ihn war 1963 der Umstand, in Wirklichkeit ein SS-Offizier und nicht bloß SS-Unteroffizier gewesen zu sein, mehr wert als alles andere.
Vallentin – der noch dazu einen hohen Geldbetrag bekam – legte sich voll ins Zeug. In wenigen Wochen erzählte er seinen Kontaktleuten, die er für Briten hielt, die aber Mossad-Agenten waren, alles, was sie über das ägyptische Raketenprogramm wissen wollten. Er gab hochaktuelle, authentische, überraschende Informationen preis, Produktionsziele, Probleme, Differenzen zwischen Raketenbauern und Ägyptern. Er berichtete, dass die deutschen Experten es nicht schafften, ein funktionierendes Leitsystem für die Raketen zu entwickeln, weil in den Produktionsstätten keine sterilen Bedingungen herstellbar waren. Er berichtete auch, dass die Sache aus Sicht der Ägypter komplett schieflief und dass es verzweifelte Bemühungen gab, das Projekt irgendwie zu retten. In Wirklichkeit gab es statt den versprochenen Raketen nur ein klaffendes Loch im ägyptischen Verteidigungsbudget.
Der Mossad hatte die Informationen, die er brauchte. Eine Gefahr, die nie bestand, war gebannt. Und Israel blieb dem österreichischen SS-Mann Otto Skorzeny, der unbehelligt 1975 in Madrid starb, zu Dank verpflichtet. Vallentin arbeitete später als Privatdetektiv und fand schließlich heraus, dass er seine Informationen in Wirklichkeit den Israelis gegeben hatte: Es war ihm herzlich egal, schließlich hatte er vom Mossad nicht nur Geld, sondern auch reihenweise neue Autos zum Privatgebrauch erhalten.
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Infos und Quellen
Genese
Nach dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad in Syrien gerieten zuletzt dessen Foltergefängnisse in den Fokus internationaler Aufmerksamkeit. Und das Faktum, dass führende Nationalsozialisten, darunter der Österreicher Alois Brunner, nach dem Zweiten Weltkrieg führend am Aufbau des syrischen Geheimdienstes und dessen Gefängnissen beteiligt waren. Allerdings arbeiteten Nationalsozialisten auch für den israelischen Mossad, wie der israelische Wissenschaftler Danny Orbach in seinem jüngsten Buch beschreibt. Orbach stützt sich unter anderem auf Protokolle des Mossad, des deutschen Bundesnachrichtendienst BND und der CIA. Daneben hat Orbach mit Zeitzeug:innen gesprochen.
Daten und Fakten
Drei große Kriege hat es zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn gegeben: Den Palästinakrieg 1948, den Sechstagekrieg 1967 und den Jom-Kippur-Krieg 1973. In allen Auseinandersetzungen war Israel letztlich erfolgreich.
Die „Wunderwaffen“ V1 und V2 waren Marschflugkörper, die laut deutscher Propaganda 1944/45 die Wende im Zweiten Weltkrieg bringen sollten. Die Raketen richteten in London Schäden an, konnten den Kriegsverlauf aber nicht mehr ändern. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die deutschen Raketenbauer international gefragte Experten, sie wurden u. a. von den USA angeworben, waren aber auch für arabische Länder tätig.
Als Eichmann-Prozess wird das Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen deutschen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bezeichnet, der in Israel 1961/62 für den millionenfachen Mord an Juden und Jüdinnen zur Verantwortung gezogen und hingerichtet wurde.
Unter den Nazis, die für den Mossad arbeiteten, war auch der hochrangige SS-Mann Walter Rauff. Er war der Erfinder der „gas vans“, wobei Abgase in Autos geleitet wurden, in denen sich Juden und andere KZ-Häftlinge befanden. Er war nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für Syrien tätig. Als er dort schließlich vor die Tür gesetzt wurde, wechselte er ganz einfach die Seiten und erklärte sich bereit, sein umfassendes Wissen über Syriens Kapazitäten Israel preiszugeben. Seine Informationen stellten sich später als korrekt heraus. Er ging dann nach Südamerika, 1958 heuerte der SS-Kriegsverbrecher beim deutschen Nachrichtendienst BND an.
Quellen
Danny Orbach: Fugitives. A History of Nazi Mercenaries During the Cold War, Hurst-Verlag, London 2024
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Otto Skorzeny: SS-Superschurke und Hochstapler
Die Presse: Der Mythos von Mussolinis Befreiung am Gran Sasso