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Der Staat und die Eizelle

6 Min
Georg Renner schreibt jede Woche einen sachpolitischen Newsletter. Am Samstag könnt ihr den Beitrag online nachlesen.
© Illustration: WZ, Bildquellen: Georg Renner, Adobe Stock

Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden: Das Verbot des sogenannten „Social Egg Freezing“ verstößt gegen das Recht auf Privat- und Familienleben.


    • Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot von Social Egg Freezing als verfassungswidrig erklärt und eine Frist bis 1. April 2027 gesetzt.
    • Bisher war nur Medical Egg Freezing erlaubt, Social Egg Freezing blieb trotz politischer Debatten und Anträgen verboten.
    • Die Gesetzgebung zur Fortpflanzungsmedizin in Österreich wurde stets von moralischen Vorstellungen und Sorge um Ausbeutung geprägt.
    • VfGH: Verbot von Social Egg Freezing verstößt gegen EMRK und Verfassung.
    • Bis 1. April 2027 muss das Verbot aufgehoben werden.
    • Medical Egg Freezing war bisher nur aus medizinischen Gründen erlaubt.
    • Fortpflanzungsmedizingesetz seit 1992, Verbot Social Egg Freezing seit 2015.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Eigentlich wollte ich diese Woche an dieser Stelle Erbauliches zum österreichischen Gasnetz (und weniger Erbauliches zum Gasnetzpreis) schreiben – aber dann ist mir, wieder einmal, der Verfassungsgerichtshof dazwischengekommen. Der hat nämlich entschieden, dass das pauschale Verbot des „Social Egg Freezing“ gegen das Recht auf ein freies Privat- und Familienleben nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt – und damit gegen die österreichische Bundesverfassung.

WZ-Leser:innen wussten ja schon seit ein paar Wochen, dass eine Entscheidung in dieser Frage kommen würde. Konkret geht es, in den Worten von Kollegin Schäffler, darum, „dass Eizellen eingefroren werden könnten und Frauen selbst entscheiden könnten, wann sie sie einsetzen“.

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Ein Kopf auf gelbem Hintergrund

Einfach Politik.

Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.

Jeden Donnerstag

Erlaubt war bisher das „Medical Egg Freezing“ – also wenn Frauen aus medizinischen Gründen fürchten, ihre Eizellen künftig nicht mehr nutzen zu können, etwa angesichts einer bevorstehenden Chemotherapie. Verboten war dagegen das „Social Egg Freezing“ – also denselben Prozess, Entnahme und Einfrieren von Eizellen, um sie später nutzen zu können – ohne besonderen Grund, also zum Beispiel wenn sich junge Frauen ihre Familienplanung länger offen halten wollen. Das war bisher im § 2b des Fortpflanzungsmedizingesetzes untersagt.

Bis 1. April 2027 muss damit Schluss sein, haben die 14 Verfassungsrichter:innen jetzt entschieden. Damit hat das Parlament noch ausreichend Zeit, sich zu überlegen, ob es weitere Einschränkungen geben soll – der VfGH nennt beispielsweise Altersgrenzen. Hier findest du das ganze Erkenntnis.

So viel zur Zukunft. Was mich dagegen interessiert hat: Wieso war das bisher eigentlich verboten?

Das erste Fortpflanzungsmedizingesetz

Fangen wir am Anfang an – der weit weniger lang zurück liegt, als ich ursprünglich gedacht hatte. Erst 1992 hat Österreich unter der damals noch wirklich Großen Koalition ein Fortpflanzungsmedizingesetz bekommen, um die Möglichkeit der In-Vitro-Fertilisation und die damit verbundenen Rechtsfolgen abzudecken – zum Beispiel, Samenspender von Unterhaltspflicht und Erbrecht auszuschließen. In den erläuternden Bemerkungen des Justizministeriums dazu habe ich eine Passage gefunden, die mir recht instruktiv für die ganze Debatte scheint:

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Da steckt schon sehr viel drin, wie sehr Moral oder zumindest moralische Vorstellungen in die Frage dessen hineinspielen, was von dem, das medizinisch möglich wäre, am Ende auch erlaubt sein soll. Genau diese Abwägung – was bzw. wie viel der allgemeinen Moralvorstellungen in Gesetze transformiert wird, ist am Ende ja auch Aufgabe der gewählten Politik.

Die Debatte zum Fortpflanzungsmedizingesetz 1992 im Nationalratsplenum ist durchwegs faszinierend – vor allem, weil sie so überhaupt nicht mit dem zusammenpasst, was wir aus heutiger Sicht von den einzelnen Parteien erwarten würden. Ich will jetzt nicht im Detail darauf eingehen – das ganze Protokoll findest du hier ab Seite 130 –, aber wir haben da unter anderem einen ÖVP-Abgeordneten, der zwar die päpstliche Weisung zu dem Thema zitiert, aber erklärt, dass das natürlich nicht ausschlaggebend für die Gesetzgebung sein könne; eine SPÖ-Abgeordnete, die vor allem die Schattenseiten und Risiken der In-vitro-Technologie hervorstreicht; eine FPÖ-Abgeordnete, die warnt, „solange auf dieser Welt täglich 30.000 bis 40.000 Kinder verhungern und verelenden, die Waisenhäuser voll sind, finde ich es, gelinde ausgedrückt, vermessen von uns sogenannten Reichen, uns jeden Wunsch zu erfüllen, und dabei die Geister zu rufen, die wir nicht mehr loswerden“; und dieses sehr kritische Statement des damaligen Grünen Johannes Voggenhuber, der am Ende gegen das ganze Gesetz stimmen wird:

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Wir sehen schon: Die Fortpflanzungsmedizin ist ein umstrittenes Gebiet – und eines, in dem die Gesetzgebung den medizinischen Möglichkeiten hinterherhinkt.

Das Egg Freezing stand damals, 1992, noch nicht zur Debatte – aber aus diesem ersten Gesetz stammt das Verbot der „Eizellenspende“. Dem Nationalrat (allen Parteien) war damals ausnehmend wichtig, die Ausbeutung von Frauen durch Leihmutterschaften sowie ein Experimentieren mit Samen und Eizellen hintanzuhalten; daher auch die Einschränkung der Aufbewahrung entnommener Zellen auf ein Jahr.

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Zum ersten Mal Thema

Fast forward ins Jahr 2004. Es regiert schwarz-blau und unter Justizministerin Karin Miklautsch wird einstimmig beschlossen, diese „Aufbewahrungsmöglichkeit“ – also das „Freezing“ von Eizellen – auf bis zu zehn Jahre zu erweitern. Eine solche Entnahme und Aufbewahrung soll aber nur im Fall einer schweren Krankheit möglich sein:

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Diese Regelung ist praktisch bis heute in Kraft. In der (sehr kurzen) parlamentarischen Debatte darüber wird auf das „Social Egg Freezing“ überhaupt nicht Bezug genommen – dort geht es vor allem um den Wunsch der Grünen, die In-Vitro-Fertilisation auch für alleinstehende Frauen und Lesben zu öffnen –, die Materialien aus dem Justizministerium deuten nur an, dass diese Möglichkeit existieren könnte:

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Es sollten von da an noch einmal elf Jahre vergehen, bis „Social Egg Freezing“ tatsächlich im Parlament diskutiert wird – und zwar ausschließlich ablehnend. Die ÖVP-Abgeordneten Steinacker und Schittenhelm betonen anlässlich der Neufassung des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2015 – jene Fassung, über die der VfGH nun geurteilt hat, – dass diese Möglichkeit verboten bleibe. ÖVP-Frauenchefin Dorothea Schittenhelm:

„Eines möchte ich auch noch sagen. Es wurde heute schon vieles gesagt, aber das noch nicht. Was bleibt denn in Österreich verboten, das in anderen Ländern längst gang und gäbe ist? – In-vitro-Fertilisationen ohne medizinische Indikation wird es nicht geben. Keine fortpflanzungsmedizinische Maßnahmen für Alleinstehende; kein Social Egg Freezing, also kein Entnehmen der Eizellen, Einfrieren und Wieder-Herausneh¬men, wenn man sie einige Jahre später braucht. Das wird es nicht geben. Keine Leih-mutterschaft. Das wäre Ausbeutung der Frauen, ganz klar. Kein Klonen, keine Eingriffe in die Keimbahnen und natürlich keine Designerbabys – all das muss man auch dazu-sagen.“

Auch wenn vor allem die Neos in den folgenden Jahren immer wieder Anträge stellen werden, Social Egg Freezing zu erlauben: In Regierungsprogramme oder gar konkrete Reformen hat es die Möglichkeit nie geschafft. Bis wieder einmal der VfGH dran war, für gesellschaftlichen Fortschritt zu sorgen.


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Infos und Quellen

Genese

Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.

Quellen

Das Thema in der WZ

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