)
Nichts ist uns so sicher wie der Tod. Trotzdem gehen wir ihm lieber aus dem Weg. Die „Death-Positive“-Bewegung will mit Initiativen wie Speeddating-Formaten oder der Was-kommt-danach-Box Tabus brechen und den Umgang mit dem Tod erleichtern.
Hinweis: In diesem Text geht es um das Thema Tod und Sterben. Falls du auf diese Themen sensibel reagierst, könntest du diesen Beitrag gemeinsam mit einer Vertrauensperson lesen, um dich mit ihr über das Gelesene zu unterhalten.
Der Pflichtbesuch am Friedhof zu Allerheiligen, Ungewissheit und Verlust, Bürokratie und Konflikte: Emotionen und Pflichten, die mit dem Tod in Verbindung stehen, können Unbehagen auslösen. Den meisten Menschen fällt es leichter, Themen rund um den Tod und das Sterben zu meiden, anstatt sich unangenehmen Fragen zu stellen. Die „Death-Positive“-Bewegung möchte das ändern.
- Kennst du schon?: Papa riecht schon wieder nach Alkohol
Um einen offeneren Umgang mit dem Tod zu ermöglichen und mit Tabus zu brechen, setzt die Bewegung auf unkonventionelle Mittel. Beim Linzer Verein »sagbar« etwa ist der Name Programm. Eines seiner Ziele ist es, mit dem Kartenspiel „Sarggespräche“ den Austausch über unangenehme Themen ins Rollen zu bringen. In einem Speeddating-Format sitzen sich dann Menschen gegenüber, die sich größtenteils fremd sind und laut über intime Fragen nachdenken.
Zwischen Leben und Tod
Zuletzt in der Salzburger Tribühne Lehen, wo an einem Abend Ende Oktober ungefähr 25, überwiegend ältere Personen in zwei Sesselreihen Platz nehmen. Mit zunehmendem Lärmpegel hallt sogar das ein oder andere Lachen durch den Raum.
Jeweils zwei Minuten unterhalten sich die Paare über Fragen wie „Wo willst du sterben?“, „Glaubst du an deine Wiedergeburt?“ oder „Sarg oder Urne?“ bevor ein Sessel weitergerückt und eine neue Karte gezogen wird. Doch das Speeddating soll nicht nur dazu anregen, über den Tod zu sprechen.
Einige der 105 Fragen ermutigen auch, über das eigene Leben zu reflektieren. Zum Beispiel, ob man oft traurig ist, welche ungelösten Angelegenheiten man hinterlassen würde oder wie man seine „Lebensparty“ feiern möchte. Diese Frage kann ein agiler Pensionist auf Anhieb beantworten. Stolz verkündet er: „Nächstes Jahr feiere ich mit meiner Tochter den 100. Geburtstag!“ Ein skeptischer Blick auf seine knallroten Sneakers, die Jeans und das Poloshirt reicht aus, um zu erfahren, dass der 69-Jährige und seine 29 Jahre alte Tochter bald gemeinsam ein Jahrhundert ausfüllen werden.
Die Taschentücher, die auf den Sesseln für alle Fälle bereitliegen, bleiben an diesem Abend unbenutzt. Reger ist die Nachfrage hingegen an der „Sargbar“, wo nicht nur das Kartenspiel zum Verkauf angeboten wird, sondern auf Wunsch auch Stamperln aus einer Flasche in Form eines Totenkopfes ausgeschenkt werden. Neben Blumen zieren zahlreiche Postkarten mit Denkanstößen den als Bar getarnten, metallfreien Öko-Sarg aus Kanadapappel und Eiche. Seit 2020 tourt der Verein mit der mobilen Sargbar durch Österreich, Deutschland und die Schweiz.
Aufklärungsarbeit der anderen Art
Man spürt, die meisten Teilnehmer:innen an dieser Veranstaltung haben sich bereits eingehend mit dem Tod beschäftigt und bringen eine gewisse Gefasstheit mit. Damit zählen sie vermutlich zur Minderheit. Nicht einmal die Hälfte der Österreicher:innen spricht mehr als einmal im Jahr über den Tod, wie eine neue Studie eines großen Versicherers mit 1.000 Befragten zeigt.
Dabei wünschen sich sechs von zehn Österreicher:innen eigentlich einen offeneren Umgang mit dem Tod. Ist man nicht unmittelbar mit dem Tod konfrontiert, vermeidet man das Thema lieber. Unwissen über die Wünsche von Verstorbenen erschwert es Angehörigen, die sich mitunter in einer ohnehin schwierigen Trauerphase befinden, Entscheidungen zu Bestattung und Nachlass zu treffen.
Das erlebt auch Christine Pernlochner-Kügler in ihrer täglichen Arbeit als Bestatterin. Seit über 20 Jahren hält die Tirolerin Workshops zum Tod – „neben Sex das zweite große Tabu im Leben“, wie sie selbst sagt. Pernlochner-Kügler führt Besuchergruppen durch ihr Innsbrucker Bestattungsunternehmen und bringt sie mit Aschekapsel und Sterbehemd in Berührung. Einen eindeutigen Unterschied zwischen den Generationen im Umgang mit dem Tod kann sie nicht ausmachen, es hänge viel mehr vom Menschentyp ab. Von neugierigen Kindern, aufgeschlossenen Jugendlichen bis zu pragmatischen und humorvollen Senior:innen habe sie schon alles erlebt.
„Die erste ‚Was-kommt-danach-Box‘ habe ich mit einer Schulklasse 2004 ausgepackt. Ohne dass ich davon wusste, hat in der französischen Schweiz zur selben Zeit das erste ‚Café Mortel‘ stattgefunden“, schildert die Thanatologin, die sich mit Trauer und Sterben auseinandersetzt, im Videointerview mit der WZ. Mittlerweile sind diese Treffen zum lockeren Austausch über den Tod als „Death Cafes“ bekannt und finden vereinzelt auch in Österreich statt. Die Idee geht auf den mittlerweile verstorbenen und als „Monsieur Mort“ bekannten Soziologen Bernard Crettaz zurück.
Anfang der 2000er Jahre trugen diese Initiativen in Europa noch kein „Death-Positive“-Etikett. Namensgeberin der liberal-progressiven Bewegung ist die US-amerikanische Bestatterin Caitlin Doughty, die 2011 den „Order of the Good Death“ gründete und in ihrem YouTube-Format „Ask a Mortician“ auf unterhaltsame Art und Weise Wissen über das Sterben und den Tod vermittelt.
Die Angst vor dem Tod bewältigen
Pernlochner-Kügler begrüßt jede Art von Aufklärungsarbeit: „Je mehr Wissen wir uns über den Tod aneignen, desto weniger anfällig sind wir für Mythen, die oft Angst schüren.“ Weitverbreitet sei nach wie vor die Angst vor dem Scheintod und davor, im Sarg von Würmern aufgefressen zu werden – obwohl es in einer Tiefe von zwei Metern unter der Erde keine Aasfresser mehr gibt. Insgesamt geht es der promovierten Philosophin aber „nicht darum, die Angst vor dem Tod komplett zu nehmen, sondern sie zu verringern“. Ein gesundes Maß an Angst bewahre uns davor, Dinge zu tun, die uns schaden.
Für diejenigen, die allerdings wortwörtlich unter Todesangst leiden, hat sie einen Tipp: Jede Gelegenheit zu nützen, um sich mit dem Thema Tod zu konfrontieren. Sei es das Probeliegen in einem Sarg, der Besuch einer Beerdigung oder gar der Sargbar, um über Leben und Tod zu philosophieren. Let’s talk about death, baby!
Du bist in einer verzweifelten Lebenssituation und brauchst Hilfe? Hol sie dir:
Wende dich an vertraute Menschen. Oft hilft bereits das Sprechen über die Gedanken, sie zumindest vorübergehend auszuräumen und sich anschließend gemeinsam mit der Vertrauensperson Hilfe zu holen: Hier findest du Erste-Hilfe-Tipps, Notfallkontakte und Hilfsangebote in deinem Bundesland sowie weiterführende Informationen zur Bewältigung dieser Notsituation. Auch die Telefon-Seelsorge unter der Rufnummer 142, Rat auf Draht für Kinder und Jugendliche unter der Telefonnummer 147 und die Ö3-Kummernummer unter 116 123 helfen weiter.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
- Verena Brunnbauer ist Mitbegründerin des Linzer Vereins »sagbar« und unter anderem als Bestatterin und Trauerbegleiterin tätig.
- Christine Pernlochner-Kügler ist promovierte Philosophin, Psychologin, Bestatterin und Buchautorin. Als Thanatologin befasst sie sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Sterben und dem Tod. Im deutschsprachigen Raum ist sie eine Pionierin der „Death-Positive“-Bewegung. Außerdem ist sie für die Grüne Wirtschaft Ausschussmitglied in der Innung der Bestatter:innen der Wirtschaftskammer Tirol.
- Teilnehmer:innen an der Veranstaltung „Speeddating mit dem Tod“ in der Tribühne Lehen.
- Mitarbeiter des Sargherstellers Moser Holzindustrie.
Daten und Fakten
- In Österreich hat etwa ein Drittel der Menschen Angst vor dem eigenen Tod. Das trifft besonders auf Frauen zu, die mit 42 Prozent deutlich häufiger unter Angst leiden als Männer (24 Prozent). Besonders ausgeprägt ist die Angst bei den 25- bis 35-Jährigen, von denen sich jede:r Zweite fürchtet.
- In Deutschland berichteten 84 Prozent der Teilnehmer:innen eines „Letzte Hilfe Kurses“ im Alter von 7 bis 17 Jahren, mindestens einen Sterbefall in der Familie oder im Freundeskreis miterlebt zu haben.
Quellen
- Studie: Schluss mit Totschweigen – So denkt Österreich über das Ende des Lebens (Ipsos im Auftrag von Helvetia, Oktober 2025)
- Studie: „We want to Talk about Death, Dying and Grief and to Learn about End-of-Life Care” - Lessons Learned from a Multi-Center Mixed-Methods Study on Last Aid Courses for Kids and Teens (Georg Bollig et al, 2024)
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
- Der Standard: Dinge, die man tun sollte, bevor die Eltern sterben
- Die Zeit: Kann der Tod uns Glück bringen?
- Podcast Kleine Zeitung Im Detail: „Die Särge sollten offen bleiben“: Im Gespräch mit Christine Pernlochner-Kügler
- Podcast Death et seq: Caitlin Doughty and the Death Positive Movement
)
)
)