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Starke Männer verstehen nichts von Demokratie

8 Min
Vermeintlich starke Männer bekommen Zulauf von Wähler:innen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Midjourney

Immer mehr Menschen hoffen auf den Herrscher, der alle Probleme löst: Ein gefährlicher Trugschluss.


Der Ruf nach den starken Männern wird unter den Wähler:innen lauter. An der Spitze des Staates soll einer stehen, der den Volkswillen durchsetzt gegen ein übergeordnetes System, gegen Banken und Industrie, einer, der den kleinen Leuten ihre Stimme zurückgibt, einer, der alles richtet, was aus dem Lot geraten ist.

Populismusbastion Europa

In den USA beispielsweise scharrt Donald Trump trotz der Erfahrungen der Amerikaner:innen mit seiner ersten Amtszeit zum zweiten Mal in den Startlöchern. Dass in Indien der Populist Narendra Damodardas Modi an der Macht ist, ist Europäer:innen weitestgehend aus dem Blickfeld geraten.

Was nichts daran ändert, dass der Populismus auch in Europa ein wesentliches Standbein hat: Selbst Wladimir Putin findet hier sogar außerhalb Russlands nach wie vor seine Anhänger:innen. Manch eine:r blickt sehnsüchtig nach Ungarn und meint, dass Viktor Orbán schon recht hat, wenn er lieber die EU erpresst und der Staatengemeinschaft auf der Nase herumtanzt, statt solidarisch zu sein. „So einen würden wir brauchen“, heißt es dann, ohne zu definieren, wer mit „wir“ gemeint ist. Denn „wir“ ist in solchen Fällen meist die weiße autochthone Bevölkerung, exklusive Jüdinnen und Juden sowie Muslim:innen, versteht sich.

In Österreich versteht es Herbert Kickl mittlerweile immer besser, mit überzeugender Rhetorik und aufrechter Körperhaltung Stärke zu suggerieren. Er hat die FPÖ in sämtlichen Umfragen an die Spitze geführt: Kickls Partei liegt bei 30 Prozent oder wenig darunter (gegenüber plus/minus 21 für ÖVP und SPÖ). Und das, obwohl Kickls Vertrauenswerte laut OGM mit minus 43 Prozent (gegenüber beispielsweise seinem Parteikollegen Norbert Hofer mit minus 18 Prozent) wenig berauschend sind.

Schaffen starke Männer gute Zeiten?

Vom US-amerikanischen Thriller-Autor G. Michael Hopf stammt das Zitat: „Harte Zeiten schaffen starke Männer. Starke Männer schaffen gute Zeiten. Gute Zeiten schaffen schwache Männer. Und schwache Männer schaffen harte Zeiten." In das politische Handwerk übersetzt heißt das: Wer als starker Mann punkten will, muss zuerst einmal den Wähler:innen die harten Zeiten einreden.

Das kann beispielsweise eine unmittelbare Bedrohung durch NATO- und EU-Bastionen in der Ukraine sein, der Verlust persönlicher Freiheit durch gesundheitspolitische Notmaßnahmen, die Implementierung von Gesetzen durch überstaatliche Organisationen wie die EU, eine Weltverschwörung von Industrie und Kapital, oder, falls keine anderen Themen zur Hand sind, die Überfremdung durch Zuwanderung.

Nachdem der starke Mann diese Themen hervorgeholt hat, verspricht er, sie zu zerschlagen, ganz wie seinerzeit Alexander der Große, ein starker Mann auch er, den Gordischen Knoten durchschlagen hat.

Schwache Realität

Nur was folgt, nachdem der starke Mann an die Macht gekommen ist, ist in der Regel ziemlich schwach. Dafür genügt ein Blick auf zwei Beispiele der jüngeren Geschichte.

Donald Trump etwa hat versprochen, Amerika wieder groß zu machen – und hätte aufgrund seiner Unberechenbarkeit und Sprunghaftigkeit das Land innen-, vor allem aber außenpolitisch gelähmt, wäre er nicht nach vier Jahren abgewählt worden. Vier Jahre sind zum Glück nicht genug, um eine Nation wie die USA herunterzuwirtschaften.

Dass Viktor Orbán nach wie vor im Amt ist, hat wiederum wenig mit der Begeisterung der Ungar:innen für ihn zu tun, als mit Oppositionsparteien, die es nicht schaffen, sich so weit zu konsolidieren, dass sie ihm Paroli bieten können. Während Orbán in der EU als starker Mann auftritt, der mit allen Methoden immer nur das Beste für „sein“ Ungarn herausverhandeln will, schafft er es nicht, Armut und Obdachlosigkeit im eigenen Land in den Griff zu bekommen. Es genügt eben nicht, Obdachlosigkeit per Gesetz zu verbieten, wie es Orbán im Jahr 2018 gemacht hat. Aus Berichten von Daily News Hungary und Amnesty International geht hervor, dass zwei Millionen Ungar:innen Wohnungsarmut erfahren, 70.000 von Obdachlosigkeit bedroht sind und 15.000 Menschen auf der Straße leben.

Der Fluch des Populismus

Es ist der Fluch des Populismus: Der starke Mann verspricht zwar, nach dem Willen des Volkes zu regieren – nur ist „sein“ Volk nicht identisch mit dem Volk des Staates. Was der starke Mann erreichen kann, ist allenfalls, mit seinen Anhänger:innen eine Gemeinschaft zu bilden und im Fall, dass er an die Macht kommt, die gemeinsamen Ressentiments umzusetzen: So grenzt die Orbán-Gemeinschaft Homo- und Intersexuelle ebenso aus wie Roma. Dass Orbán noch dazu Universitäten, Medien, Kunst und Kultur nach seinen Vorstellungen gängelt, ist ein Grundzug aller Populisten, sollten sie an die Macht kommen: Ihnen und ihren Anhänger:innen ist zwangsläufig alles verdächtig, was sie als einen Beitrag zur intellektuellen Diskussionskultur verstehen.

Putin hat das minutiös vorexerziert: Sukzessive hat er alle Medien unter seine Kontrolle gebracht; zusätzlich drangsaliert er kritische Künstler:innen, die dann sogar im Gefängnis landen können. So ist es etwa der Musikerin Alexandra Skotschilenko ergangen, die als offen lesbisch lebende Frau von vornherein nicht in das System Putin passte. Wegen ihres Antikriegsprotests wurde sie 2023 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.

Doch Stärke zeigt sich gerade in der Auseinandersetzung mit anderen Positionen und Meinungen. Was die starken Männer ziemlich schwach aussehen lässt.

Ausnahmeerscheinung Giorgia Meloni?

In wenigen Fällen schien es freilich, als wäre der der starke Mann des Populismus eine Frau: So geschehen in Italien, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni seit 22. Oktober 2022 als Ministerpräsidentin (und erste Frau in diesem Amt) regiert. Macht sie es tatsächlich besser als die männlichen Populisten-Kollegen oder macht sie es nur geschickter?

Außenpolitisch huldigt Meloni dem reinen Pragmatismus: Weg von der EU – das war einmal. Jetzt ist sie pro-europäisch, als wäre die Staatengemeinschaft ihr liebstes Kind. Meloni wird ebenso ein gutes Verhältnis zum demokratischen US-Präsidenten Joe Biden nachgesagt wie zur EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Meloni verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und plädiert dafür, die Ukraine zu unterstützen. Und dass sie in ihrer Ansprache zum Amtsantritt zum Faschismus Mussolinis in Distanz ging, fördert zusätzlich ihre internationale Hoffähigkeit. Da bezeichnete sie, die 1996 als 19-Jährige in einem Interview mit dem französischen Nachrichtensender Soir 3 geplappert hatte, dass Mussolini der beste Politiker der letzten 50 Jahre gewesen sei, dessen antisemitische Rassegesetze als „tiefsten Punkt in der italienischen Geschichte, eine Schande, die das italienische Volk für immer zu tragen habe“. Das hörte man europaweit gern und weltweit wohl auch.

Sekkieren und strafen

Doch vor lauter Begeisterung darüber, dass man in Meloni, entgegen allen Erwartungen, eine Partnerin gefunden hat, mit der sich vorzüglich internationale Politik machen lässt, übersieht man ihre innenpolitischen Maßnahmen. So bekommt Meloni , entgegen ihrem Wahlversprechen, zwar das Migrationsproblem nicht in den Griff, da in Italien mehr Migrant:innen ankommen denn je zuvor; dafür verschärft sie die Sprache gegen Geflüchtete und droht mit „außergewöhnlichen Maßnahmen“ und verschärfter Abschiebehaft. Dazu kommt das populismustypische Sekkieren von Homosexuellen: Leihmutterschaft im Ausland soll als „universelles Delikt“ mit Gefängnis geahndet werden – aufgrund der Gesetzeslage ist für die meisten homosexuellen Paare in Italien die Leihmutterschaft im Ausland die einzige Chance auf ein Kind. Argumentiert wird das mit dem Verbot des Menschenhandels, der als ein solches „universelles Delikt“ gilt.

Verbote, wohin man schaut: Die Verwendung von Fremdwörtern soll Behörden, Schulen und Staatsfernsehen untersagt werden – und zwar unter Strafandrohung. Wie ohnedies jedes Vergehen mit unverhältnismäßig hohen Strafen bedroht ist: Zwei Jahre Gefängnis für Eltern, die nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder regelmäßig in die Schule gehen; sechs Jahre Haft für eine nicht bewilligte Rave-Party. „Mehr Knast für alle!", höhnte der „Corriere della Sera“.

Freie Bahn für Neofaschisten

Was so auch wieder nicht stimmt. Denn als sich im Jänner dieses Jahres die Casa Pound und andere neofaschistische Gruppierungen in Rom zur großen Parade vereinigten, obwohl die „Verherrlichung des Faschismus“ in Italien seit Jahrzehnten ein Straftatbestand ist, schwieg Meloni so laut, dass es allen aufrechten Demokrat:innen in den Ohren gellen musste. Von Gerichtsverfahren gegen Teilnehmer:innen ist ebenfalls nichts bekannt.

So bleibt nur die Lehre, dass der Populismus, egal, ob er sich im weiblichen oder männlichen Geschlecht inkarniert, letzten Endes seiner eigenen Ideologie dient. Dem Volk kommt dabei bestenfalls eine Statistenrolle zu.

Das gilt es zu bedenken. Gerade in Österreich. Gerade in einem Wahljahr.


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Infos und Quellen

Genese

Populisten überall: Sie geben sich in der Regel stark, sind weiß und männlich, und sie versprechen, ihr Volk sicher durch die harten Zeiten zu führen. WZ-Redakteur Edwin Baumgartner meint indessen, dass sie dem Volk die harten Zeiten erst einreden und sich dann, kaum sind sie an der Macht, als ziemlich schwach erweisen. Nur die Postfaschistin Giorgia Meloni, Ministerpräsidentin Italiens, scheint auf den ersten Blick eine Ausnahme zu sein. Baumgartner wirft einen zweiten Blick auf sie.

Daten und Fakten

  • Die AfD wurde 2013 als europaskeptische und nationalliberale Partei gegründet. Der Name ist ein bewusster Widerspruch zum Schlagwort „alternativlos“, das die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel häufig verwendete. Parteivorsitzende sind derzeit Tino Chrupalla und Alice Weidel. Die AfD gilt als Sammelbecken von Politiker:innen mit konservativer bis ultrarechter Einstellung.

  • Der US-amerikanische Bestseller-Autor G. Michael Hopf, 1970 geboren, ist ein ehemaliger US-Marine und Sicherheitsfachmann. Er vertritt konservative Wertvorstellungen, zu denen eine Führungsrolle der USA gehört. Seine Romanreihe „The End“ spielt in einer postapokalyptischen Welt und lebt vom schwarzweiß gezeichneten Gut-Böse-Gegensatz.

  • Der Sage nach verband der Gordische Knoten die Deichsel des Streitwagens des phrygischen Königs Gordios untrennbar mit dem Zugjoch. Ein Orakel prophezeite, dass derjenige die Herrschaft über Asien erringen werde, der den Gordischen Knoten lösen könne. Keinem gelang es, den Knoten aufzuknüpfen. Alexander der Große durchschlug ihn mit dem Schwert. Die Redewendung bedeutet also, ein Problem unkonventionell zu lösen.

  • Als Postfaschismus wird eine politische Strömung in Italien bezeichnet. Charakteristisch für den Postfaschismus ist, dass er sich als Erbe des Faschismus sieht, aber versucht, dessen Nationalismus und völkischen Gedanken in kleinen Schritten ohne Gewaltanwendung umzusetzen. Anders als der Faschismus, akzeptiert der Postfaschismus die existierende demokratische Ordnung. Im Zusammenhang mit dem Postfaschismus wird oft das Schlagwort „Faschismus light“ gebraucht. Als typisch für den Postfaschismus gilt die Partei Fratelli d’Italia, deren Vorsitzende Giorgia Meloni ist.

  • Die italienische Politikerin Giorgia Meloni, 1977 in Rom geboren, ist seit 2014 Vorsitzende der als postfaschistisch klassifizierten Partei Fratelli d’Italia (FdI). Seit 2020 ist sie Präsidentin der Europapartei Europäische Konservative und Reformer (EKR). Zuvor war sie von 2008 bis 2011 Ministerin für Jugend und Sport im vierten Kabinett von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Bei der Parlamentswahl in Italien 2022 trat sie als Spitzenkandidatin der FdI an, die als stärkste Kraft aus der Wahl hervorging. Sie tritt für konservative Werte ein, innerhalb derer sie eine gewisse Breite an Variationen zulässt. So lehnt sie etwa die Ehe für Homosexuelle ab, akzeptiert jedoch eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften, erschwert diesen aber, ein Kind haben zu können. Vergleichbar agiert sie in der Frage des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch: Dieses soll zwar beibehalten werden, allerdings sollen Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen, andere Möglichkeiten nahegelegt werden, um den Anreiz für einen Abbruch als einfache Lösung zu vermeiden.

Quellen

Das Thema in der WZ

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