Die Stadt Wien sponsert über eine Bezirkszeitung die private Firma von SPÖ-Bezirksrätin Sabine Valentin. Mitarbeiter und Firmengründer ist ihr Ehemann, der SPÖ-Gemeinderat Erich Valentin.
Siebenmal im Jahr liegt ein knappes Heftchen in den Brigittenauer Briefkästen. Acht Seiten stark, viel Werbung, wenig Text. Auf den ersten Blick ein Prospekt. Die Artikel sind kurze Lobeshymnen auf die lokale Politik. Es geht um Radwege, Regenbogenzebrastreifen, das Parkpickerl, die Wahl des Präsidenten des Wiener Fachverbandes für Trampolinspringen. Es ist klar, woher der Wind weht. Die Zeitung Unsere Brigittenau steht der SPÖ nahe. Sehr nahe. Layout und Inhalt sind rot. Die Ausgaben können auf der Website der SPÖ Brigittenau heruntergeladen werden.
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So weit, so gut. Parteinahe Zeitungen gibt es in jedem Nest. Man kennt sie, überfliegt sie beim Frühstück. Wirklich interessant sind sie nicht. Wirklich interessant ist Unsere Brigittenau in der Ausgabe 6/2023 erst auf Seite sechs. Unter der Meldung, dass Bezirksvorsteherin Christine Dubravac-Widholm (SPÖ) einem Ehepaar zur Steinernen Hochzeit gratulierte, ist ein kleines Kästchen – das Impressum der Zeitung.
Medieninhaber und Herausgeber ist die Damm Werbung Werbeges.m.b.H. Ein Blick ins Firmenbuch zeigt, wem die Firma gehört: Geschäftsführerin und Gesellschafterin ist Sabine Valentin, SPÖ-Bezirksrätin in der Brigittenau. Sie hat einen einzigen Mitarbeiter – ihren Ehemann Erich Valentin.
Ein mächtiger Genosse
Der ist ein mächtiger Mann in der Wiener SPÖ, mit Einfluss auf Stadtplanung, Verkehr, Flughafen und Bezirk. Als Gemeinderat sitzt er in vielen Ausschüssen und Gremien, dem wichtigen Gemeinderatsausschuss für Innovation, Stadtplanung und Mobilität sitzt er sogar vor. Erich Valentin ist außerdem Vertreter im Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Ostregion (VOR), Vorstand des Vereins Dialogforum Flughafen Wien – und Chef der SPÖ Brigittenau.
1994 gründete er die Damm Werbung, war ihr Geschäftsführer und Eigentümer. Heute ist er – laut Website – „Head of Creation“ des Unternehmens. Der Firmensitz, ein Wohnung im 20. Bezirk, gehört ihm.
Wenige Artikel, viele Inserate
Gründer und Patronanz, also die Leitung der Zeitung, ist der Verein zur Förderung fortschrittlicher Politik. Der Vereinssitz ist mit dem Firmensitz der Damm Werbung ident. Obmann ist Erich Valentin.
In Unsere Brigittenau verstecken sich wenige Artikel unter vielen Inseraten. In Ausgabe 6/2023 ist neben der Meldung zur Steinernen Hochzeit und einer Karte des Stadtentwicklungsgebiets Nordwestbahnhof genau ein redaktioneller Inhalt. Die SPÖ, die Bezirksvorstehung, die Magistrate der Stadt, der Flughafen Wien, der Verein „Brigittenau aktiv“ inserieren regelmäßig in der Zeitung – und finanzieren die Werbefirma einer Bezirksrätin, deren Mann und Mitarbeiter im Gemeinderat sitzt. Warum sie das tun, wollen sie der WZ nicht sagen.
Die Stadt als Werbekunde
Schauen wir uns die Inserate genauer an. Von Seite vier der Ausgabe 5/2023 blickt die Betriebsleiterin des Kraftwerks Simmering mit verschränkten Armen und orangem Helm den Leser:innen entgegen. „Die Energie von Wien hält die Stadt am Laufen“, steht plakativ daneben. Die Anzeige ist eine halbe Seite groß und kostet – laut Mediadaten der Zeitung – 1.320 Euro. Sie wurde von der Wien Energie bezahlt. Die gehört zu 100 Prozent der Wiener Stadtwerke-Gruppe, die wiederum im Besitz der Stadt Wien ist. Der Pressedienst der Stadt weiß nichts von der Anzeige.
Die Abteilung bestätigt lediglich ein anderes Inserat in derselben Ausgabe. Diesmal kaufte die Stadt die ganze Rückseite der Zeitung. Laut Mediadaten kostet sie 2.640 Euro. In der Anzeige informiert Wiener Wasser (MA 31) die Bevölkerung über die Klimaneutralität von Leitungswasser.
Das bezahlte Interview der Bezirksvorsteherin
Laut Kommunikationsbehörde (KommAustria) gaben die Magistratsabteilungen der Stadt Wien im Jahr 2022 für Inserate in Unsere Brigittenau 25.351,92 Euro aus. Im ersten Halbjahr 2023 waren es 9.218,88 Euro. Nicht nur die Magistrate schalten Anzeigen in der Zeitung. Auch der Bezirk ist Werbekunde. Auf einem Bild in Ausgabe 6/2023 stemmt Bezirksvorsteherin Dubravac-Widholm ihre Hände in die Hüfte – und gibt ein Interview über ihre ersten 100 Tage im Amt. Der Beitrag ist mit dem Wortlaut „Entgeltliche Einschaltung“ gekennzeichnet. Er wurde also bezahlt.
Auch in die aktuelle Ausgabe (7/2023) investierte der Bezirk. Auf Seite fünf ist ein großes, halbseitiges Foto der Bezirksvorsteherin. Darunter erklärt sie den „Masterplan Gehen“. Dubravac-Widholm kommuniziert über die Zeitung mit den Menschen. Sie schreibt ihre Sprechstunden aus, informiert über neue Abstellplätze für Elektroroller. Warum der Bezirk in der Zeitung einer SPÖ-Funktionärin inseriert, sagt uns der Pressesprecher der Bezirksvorsteherin nicht. Die Inserate seien Teil einer Werbestrategie. Wie viel Geld der Bezirk dafür ausgibt, will er nicht sagen.
Im Budget der Bezirke steht der Posten „Information und Öffentlichkeitsarbeit“. Für das Jahr 2023 hat die Brigittenau dafür 90.000 Euro veranschlagt. Wie viel Geld an welche Medien geht, ist nicht aufgeschlüsselt – auch in den Rechnungsabschlüssen der vergangenen Jahre nicht.
Parteifinanzierung durch Steuergeld?
Die Stadt steckt Steuergeld in eine Zeitung mit rotem Einschlag. Eine Novelle des Wiener Parteienförderungsgesetzes sollte das in Zukunft eigentlich verhindern. Sie tritt am 1. Jänner 2024 in Kraft. Die Magistratsabteilungen müssen dann darauf achten, keine Inserate in Medien zu schalten, deren Inhaber:innen einer politischen Partei nahestehen. Unsere Brigittenau betrifft das nicht. Denn als „nahestehend“ gelten Organisationen, die Mitbestimmungsrecht in Parteien haben. Rein rechtlich hat das die Damm Werbung Werbeges.m.b.H als privates Unternehmen nicht – selbst, wenn die Inhaberin der Firma Bezirksrätin und ihr Mann Gemeinderat ist.
Der Fall hat einen ziemlichen Geschmack.Hubert Sickinger, Politologe
Für Hubert Sickinger ist es ein Fall, „der einen ziemlichen Geschmack hat“. Der Politologe und Experte für Parteifinanzierung sieht ein schiefes Bild. „Formal gehört das Medium nicht der SPÖ. Inserate sind nicht verboten, de facto ist es aber eine Art von Parteifinanzierung“, sagt er gegenüber der WZ.
„Keine Parteizeitung“
Die Stadt Wien negiert die Nähe der Zeitung zur SPÖ. „Unseres Wissens ist der Medieninhaber der Bezirkszeitung Unsere Brigittenau weder eine politische Partei noch eine nahestehende Organisation im Sinne des Parteiengesetzes“, heißt es aus dem Büro des Pressedienstes der Stadt. Sabine Valentin schlägt in dieselbe Kerbe. „Unsere Brigittenau ist ein privatwirtschaftlich geführtes Medium und keine Parteizeitung“, sagt die Geschäftsführerin der Damm Werbung gegenüber der WZ. Wie viel ihr Mann, Erich Valentin, als „Head of Creation“ verdient, sagt sie uns nicht. Auch ob und wie viel Miete ihre Firma an Erich Valentin – den Eigentümer des Firmensitzes – überweist, bleibt ein Geheimnis.
Erich Valentin selbst hätte „keinen unternehmerischen Einfluss auf das Medium“, wie der Gemeinderat zur WZ sagt. In der Zeitung ist er omnipräsent. Kaum eine Seite, von der er nicht lacht. In Ausgabe 6/2023 ist er auf fünf Fotos – etwa mit Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) beim Spaziergang durch den Bezirk. Oder vor dem Banner der SPÖ Brigittenau.
In der selben Ausgabe ist eine Anzeige des Vereins Brigittenau aktiv. Er ist Stammkunde der Zeitung. Der Verein organisiert den Rote Nelken Ball im Wiener Rathauskeller, die Kunst und Kreativ Messe Brigittenau, das Europafest, das Erntedankfest. Die Veranstaltungen werden in Unsere Brigittenau an prominenter Stelle beworben – dem Titelblatt etwa. Zur Nachsicht schaltet der Verein die Fotos der Events als Anzeigen in der Zeitung. Obfrau war im Juni 2023 eine Parteikollegin Valentins, die heutige Bezirksvorsteherin Dubravac-Widholm. Im September wurde Sabine Valentin zur Obfrau. Man kennt und unterstützt sich. In der Politik, im Beruf.
Von der Parteikasse in die Geldtasche
Neben Stadt, Bezirk, Flughafen inseriert auch die SPÖ Brigittenau in Unsere Brigittenau. Die ganzseitige Anzeige mit den Sprechstunden der SPÖ-Mandatare inklusive Fotos aller 31 Bezirks-Funktionär:innen ist so etwas wie ein Klassiker der Zeitung. Sie erscheint mehrmals im Jahr. Als Vorsitzender der Bezirksgruppe ist Erich Valentin selbst dafür verantwortlich – und schaltet Parteiinserate in der Zeitung seiner Frau.
Das Netzwerk hat Unsere Brigittenau erfolgreich gemacht. Die Reichweite ist beachtlich. 33.000 Stück werden pro Ausgabe gedruckt. 80.000 Leser:innen erreicht die Zeitung laut eigener Angabe. Sie liegt in den Volkshochschulen genauso auf wie im Bezirksamt. Und im Postkasten landet Unsere Brigittenau sowieso. Ob man will oder nicht.
Update: Zunächst wurde in diesem Artikel Bezirksvorsteherin Dubravac-Widholm als jetzige Obfrau des Vereins Brigittenau aktiv genannt. Laut Vereinsregister ist seit 4.9.2023 allerdings Sabine Valentin die Obfrau.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Erich Valentin (SPÖ), Gemeinderat und Landtagsabgeordneter
Sabine Valentin (SPÖ), Bezirksrätin Wien-Brigittenau, Geschäftsführerin Damm Werbung Werbeges.m.b.H.
Pressesprecher Bezirksvorsteherin Christine Dubravac-Widholm (SPÖ)
Pressedienst der Stadt Wien
Hubert Sickinger, Politologe und Experte für Parteienfinanzierung
Daten und Fakten
Die Bezirkszeitung Unsere Brigittenau erscheint siebenmal im Jahr. Sie hat, laut Mediadaten, eine Auflage von 33.000 Stück, wird am 30.000 Haushalte versendet und erreicht 80.000 Leser:innen.
Quellen
Firmenbuch
Grundbuch
Vereinsregister
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