Viele Menschen haben Angst vor der alljährlichen Stromnachzahlung. Eine monatliche Abrechnung des tatsächlichen Verbrauchs würde die Nerven schonen – und beim Sparen helfen.
„Mir ist alles runter g’fallen,“ sagt Frau Maier (Name von der Redaktion geändert). Im Juni flatterte ein Brief der Wien Energie ins Haus: 400 Euro Strom-Nachzahlung. Maier ist Mindestpensionistin. Sie lebt mit ihren beiden Hunden in einer 36-Quadratmeter-Wohnung im Gemeindebau in Liesing. Für die Rentnerin sind 400 Euro ein großer Brocken. Nur mit der Unterstützung ihrer Kinder konnte sie die Summe stemmen.
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Ortswechsel nach Margareten. In der WG von Carina Jagersberger und Vjollca Shabanaj ist Krisensitzung. Auch sie müssen nachzahlen. Bei ihnen sind es knapp 300 Euro. „Wir haben uns schon gedacht, dass es durch die gestiegenen Preise heuer mehr kostet, aber mit so viel haben wir nicht gerechnet“, sagt Shabanaj.
Nachzahlen oder Geld zurück – warum beides nicht wünschenswert ist
In Österreich ist es üblich, monatlich oder vierteljährlich einen fixen Betrag an den Energieanbieter zu überweisen. Dieser schätzt im Vorfeld, wie viel der Haushalt voraussichtlich verbrauchen wird und errechnet daraus die Teilbeträge.
Einmal im Jahr wird abgerechnet. Dann stellt sich heraus, ob die Beträge, die der Haushalt im Lauf des Jahres eingezahlt hat, mit dem tatsächlichen Verbrauch übereinstimmen.
Oft weicht die Schätzung des Energieanbieters vom tatsächlichen Verbrauch ab. Wer übers Jahr zu wenig zahlt, den erwartet eine mehr oder weniger hohe Nachzahlung. So wie das bei Frau Maier und der Studentinnen-WG der Fall war.
Wer zu hoch eingestuft wurde, bekommt Geld zurück. Geld, das man übers Jahr vielleicht gebraucht hätte. Geld, das in diesem Fall den Stromanbietern zur Verfügung steht – ein kostenloser Kredit ohne Zinsen. Gutschriften bekommt man zum Beispiel, wenn der Stromverbrauch während des Abrechnungsjahres stark zurückgeht – etwa durch die Installation einer Photovoltaik-Anlage. In dem Fall produziert der Haushalt – zumindest in den Sommermonaten – eigenen Strom. Bis sich der gesunkene Verbrauch jedoch in den Teilbeträgen widerspiegelt, kann es bis zu einem Jahr dauern.
Monatlich abrechnen
Beide Fälle haben mehr Nach- als Vorteile. Warum also nicht monatlich den exakten Stromverbrauch abrechnen? Ein Haushalt würde am Ende jeden Monats genau das zahlen, was er in den vergangenen vier Wochen verbraucht hat. Nicht mehr und nicht weniger.
„Monatlich abzurechnen wäre – ehrlich gesagt – viel besser,“ sagt Frau Maier. „Man hat den Vergleich zu den vergangenen Monaten und sieht direkt, wie viel man verbraucht hat.“ Auch die Studentinnen können einer monatlichen Abrechnung einiges abgewinnen: „Das wäre viel transparenter. Man könnte seinen Konsum stärker regulieren.“ Sie hätten mehr Anreiz zum Stromsparen, da sich das direkt auf die nächste Monatsrechnung auswirken würde und unmittelbar sichtbar wäre.
Was die meisten Verbraucher:innen nicht wissen: Eine monatliche Abrechnung ist möglich. Wer einen funktions- und kommunikationsfähigen Smart-Meter (digitaler Stromzähler) besitzt, hat ein Recht darauf. Laut E-Control haben mittlerweile 68 Prozent der Haushalte in Österreich einen solchen Smart-Meter.
Doch die monatliche Abrechnung ist hierzulande kein großes Thema. „Wir haben gar nicht gewusst, dass das möglich ist,“ sagt die Studentin Shabanaj. Auch Frau Maier hatte noch nie davon gehört.
Sowohl Frau Maier als auch die Studentinnen sind Kundinnen bei der Wien Energie. Warum informiert das Unternehmen nicht von der Möglichkeit einer monatlichen Abrechnung?
Die Wien Energie war nicht bereit, die Frage zu beantworten. Christian Zwittnig von der Interessensvertretung der E-Wirtschaft sieht im Informationsmangel keine Probleme. „Jene Personen, die aktiv werden und sich mit dem Thema beschäftigen, werden früher oder später herausfinden, dass man monatlich abrechnen kann.“ Momentan sei es noch eine kleine Minderheit, die diese Möglichkeit nutze.
Im Winter mehr, im Sommer weniger
Zwittnig weist darauf hin, dass es bei einer monatlichen Abrechnung zu Schwankungen zwischen den einzelnen Monaten kommen kann. „Der Stromverbrauch hängt unter anderem von der Außentemperatur ab. Wenn es sehr kalt ist, habe ich einen höheren Energieverbrauch“, sagt Zwittnig.
Laut dem deutschen Energieanbieter E.ON verbraucht ein Haushalt im Winter um durchschnittlich 40 Prozent mehr Strom als im Sommer. Wer beispielsweise im Durchschnitt 120 Euro zahlt, würde im Sommer etwa 100 Euro und im Winter etwa 140 Euro zahlen.
„Ja, das ist natürlich ein Problem,“ überlegt Shabanaj. „Aber andererseits weiß ich ja, dass es im Winter mehr ist. Es ist keine Überraschung, dass ich im Dezember mehr zahle als im Juni.“ Auch für Frau Maier wären die Schwankungen zwischen den Monaten besser zu bewältigen als eine hohe Nachzahlung am Ende des Abrechnungsjahres.
Wie viel Strom habe ich im vergangenen Monat verbraucht?
Selbst für jene Haushalte, die beim derzeitigen System mit der Jahresabrechnung bleiben möchten, wäre eine regelmäßige Information zum Stromverbrauch interessant. Etwa eine E-Mail am Ende jeden Monats mit zwei Grafiken: In der ersten wird dargestellt, wie viele Kilowattstunden (kWh) Strom im abgelaufenen Monat verbraucht wurden – inklusive Vergleich zu den Vormonaten. Die zweite Grafik zeigt, wie viel Geld das beim aktuellen Strompreis wäre.
So hätten Verbraucher:innen eine einfache und transparente Übersicht und einen Vergleich zu den Vorjahren. „Wir würden sehen, ob das Sparen diesen Monat einen Sinn gehabt hat,“ meint Shabanaj. Sie könnte sich auch eine App am Handy vorstellen, in der sie eine solche Monats-Übersicht abrufen kann.
Die Einsicht in den eigenen Stromverbrauch ist bereits jetzt möglich. Der Weg dorthin gestaltet sich jedoch etwas kompliziert – Mails oder Apps gibt es keine. Allerdings bieten alle großen Netzbetreiber in Österreich Smart-Meter-Portale an. Jeder Haushalt, der über einen Smart-Meter verfügt, kann hier seinen Verbrauch tracken.
Da gibt es jedoch zwei Haken: Der Verbrauch wird nur in kWh dargestellt. Was das beim aktuellen Strompreis in Euro bedeutet, wird nicht erklärt. Sowohl für Frau Maier als auch für die Studentinnen ist das schwer nachvollziehbar. „Unter einem kWh können wir uns nicht viel vorstellen,“ sagt Shabanaj.
Und für ältere Personen wie Frau Maier ist es oft schwierig, sich im Web-Portal zurechtzufinden. „Ich hab’s nicht so mit dem Internet.“ Wer nicht über die nötigen digitalen Kompetenzen verfügt, hat also trotz Smart-Meter keinen Einblick in den aktuellen Verbrauch. Frau Maier würde sich wünschen, monatlich eine E-Mail oder einen Brief mit den Verbrauchsdaten vom letzten Monat zu erhalten. Einfach und transparent.
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Infos und Quellen
Genese
Die Eltern von Hannah Kirchgasser haben sich im Frühjahr 2023 eine Photovoltaikanlage installieren lassen – so weit, so unspektakulär. Was ihnen aufgefallen ist: Obwohl sie viel Strom produziert und eingespeist hat, hat sich das nicht unmittelbar auf die Stromrechnung ausgewirkt. Diese ist sogar wegen der allgemein erhöhten Preise gestiegen. Bis sie das zu viel bezahlte Geld am Ende des Abrechnungsjahres (April 2024) zurückbekommen werden, wird fast ein Jahr vergangen sein. Kirchgasser hat sich gefragt: Wieso kann man nicht jeden Monat das zahlen, was man verbraucht? In der Recherche hat sich herausgestellt, dass das Problem ihrer Eltern – zu viel zu zahlen – das geringere Übel ist. Viel problematischer ist es, wenn Konsument:innen bei der Jahresabrechnung mit hohen Nachzahlungen konfrontiert sind.
Gesprächspartner:innen
Christian Zwittnig ist Pressesprecher bei Oesterreichs Energie, der Interessensvertretung der E-Wirtschaft. Hannah Kirchgasser sprach mit ihm, um die Sicht der Energieanbieter und Netzbetreiber besser zu verstehen und zu ergründen, warum Kund:innen nicht aktiv über die Möglichkeit einer monatlichen Abrechnung informiert werden.
Die Caritas stellte den Kontakt zu einer Mindestpensionistin her, die durch hohe Strom-Nachzahlungen in eine prekäre finanzielle Situation geraten ist. Die Pensionistin will anonym bleiben, im Text wird sie Frau Maier genannt.
Die beiden Studentinnen Carina Jagersberger und Vjollca Shabanaj erzählten in ihrer WG in Wien Margareten von ihrer hohen Strom-Nachzahlung.
Alfons Haber, Vorstand der E-Control, erklärt, wie die Smart-Meter-Portale der Netzbetreiber funktionieren und welche Informationen Verbraucher:innen dort einsehen können.
Daten und Fakten
Jeder Haushalt, der über einen Smart-Meter verfügt, hat das Recht auf eine monatliche Abrechnung. Im §81(6) des ElWOG (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz) steht: „Sind intelligente Messgeräte installiert, haben Endverbraucher das Wahlrecht zwischen einer monatlichen Rechnung und einer Jahresrechnung. Auf dieses sind sie bei Vertragsabschluss samt einer Information über die damit verbundenen Auswirkungen auf die Verrechnung hinzuweisen.“
Ein Smart-Meter ist ein digitaler Stromzähler. Während bei den mechanischen Stromzählern ein Ablesen vor Ort nötig ist, übermittelt ein Smart-Meter die Werte automatisch. Das geschieht in der Regel einmal täglich, mit Zustimmung können auch 15-Minuten-Werte ermittelt werden. Laut dem Smart-Meter-Bericht der E-Control verfügen mittlerweile 68,38 Prozent der Haushalte in Österreich über einen Smart-Meter. Ziel der Netzbetreiber ist es, bis Ende 2024 95 Prozent der Kund:innen mit einem Smart-Meter auszustatten. Bei der Installation eines Smart-Meters kommen keine zusätzlichen Kosten auf die Konsument:innen zu.
Laut dem deutschen Energieanbieter E.ON ist der Stromverbrauch von Haushalten im Winter um durchschnittlich 40 Prozent höher als in den Sommermonaten. Das liegt vor allem daran, dass Geräte wie Herd und Fernseher in den Abendstunden häufiger genutzt werden und die Beleuchtung aufgrund der Dunkelheit länger in Betrieb ist.