Elternteilzeit soll Job und Familie in Einklang bringen. Doch trotz weniger Stunden wird die Arbeit oft nicht weniger. Nur das Gehalt sinkt.
Michael Pirker schaut auf die Uhr. Gleich endet sein Arbeitstag. Er packt seinen Laptop ein. Beim Rausgehen raunt er seinen Kolleg:innen ein knappes „Ciao“ zu. Er muss sich beeilen. Pirker hetzt zur U-Bahn, springt in den Wagon. Um 15:30 Uhr kommt er am Kindergarten an. Seine zwei Kinder warten schon. Am Spielplatz graben sie in der Sandkiste. Pirker sitzt am Rand und schaut in seinen Arbeits-Chat. Am Abend, wenn die Kinder schlafen, klappt er seinen Laptop wieder auf. Nur noch schnell eine E-Mail schreiben. Kurz einen Termin eintragen. Rasch über die Präsentation vom nächsten Tag schauen.
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Mütter und Väter gehen in Elternteilzeit, um Arbeit und Familie besser miteinander vereinbaren zu können. Sie reduzieren ihre Arbeitsstunden. Um flexibler zu sein. Um mehr Zeit mit dem Kind zu verbringen. Um die Betreuung fair aufzuteilen. Sie nehmen weniger Gehalt in Kauf. Nur das Arbeitspensum bleibt oft gleich. Der Druck, abzuliefern auch. Das Projekt läuft weiter, es nimmt keine Rücksicht auf den Einzelnen.
Die Arbeitszeit verdichtet sich
Die Realität zeigt, dass die Elternteilzeit nicht immer zu einer Entlastung führt, sondern zum Gegenteil: Der Arbeitsdruck steigt. Arbeitszeit verdichtet sich. Das Gehalt sinkt dagegen. Und Arbeitgeber erwarten oft die gleiche Leistung.
Pirker kehrte nach einem Jahr Karenz zurück in den Job. Er und seine Partnerin wollen sich die Kinderbetreuung teilen. Sie gehen beide in Elternteilzeit und reduzieren jeweils auf 30 Stunden pro Woche. Auf dem Papier. Pirkers Alltag sieht anders aus. „Der Work load ist der gleiche geblieben. Ich habe die gleichen Projekte, die gleichen Aufgaben. Mein Dienstgeber verlangt das gleiche von mir wie von Kolleg:innen, die Vollzeit arbeiten“, sagt er. Er ist Akademiker und forscht an einer österreichischen Universität. Welche, will er nicht sagen. Auch seinen richtigen Namen nicht.
Zweimal in der Woche holt er seine Kinder um 15:30 Uhr vom Kindergarten ab. Spielplatz, Einkaufen, kochen, Kinder baden und sie ins Bett bringen. Die Tage sind lang und intensiv. Es gibt kaum Zeit für Pausen. Auch nicht, wenn die Kinder schlafen. Die Arbeit verlagert sich in die Nacht und auf das Wochenende. Die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben löst sich auf. Die Qualität der Partnerschaft leidet darunter, aber auch die Betreuung der Kinder. Pirker hält das für problematisch. „Die Kinder kommen ins Arbeitszimmer und fragen, warum der Papa zuhause arbeiten muss“, erzählt er.
Als er seinen Vorgesetzten auf sein Arbeitspensum anspricht, vertröstet ihn dieser. Geändert hat sich nichts. „Ich habe weniger Gehalt, die Arbeitszeit ist de facto gleichgeblieben“, sagt er.
Permanent auf Anschlag
Pirker ist kein Einzelfall. Nina Gruber ist es lange nicht aufgefallen, dass sie in 30 Stunden dasselbe erledigt wie vorher in 40 Stunden. „Ich arbeite effizienter, aber permanent auf Anschlag“, sagt Gruber. Sie leitet ein kleines Team in der Kampagnen- und Kommunikationsarbeit einer großen NGO. Auch sie will ihren richtigen Namen und den ihres Arbeitgebers nicht nennen. Sie hat viel mit anderen Unternehmen zu tun. Kund:innentermine gehören zum Alltag. Nach der Rückkehr aus ihrer Karenz hat sie noch mehr Aufgaben dazubekommen. „Es wird erwartet, dass ich mehr arbeite“, sagt Gruber.
Gruber macht ihr Job Spaß. Doch die Arbeit wurde mehr, die Zeit weniger. Fortbildungen wurden gestrichen. An wichtigen Terminen kann Gruber nicht mehr teilnehmen. „Mir fehlt oft der aktuelle Stand“, sagt Gruber. Ihre Karriere wird vom Arbeitgeber indirekt ausgebremst. Auch die soziale Interaktion leidet unter dem Zeitdruck. Leerlauf gibt es keinen. Der Kaffee-Plausch am Gang fällt weg. Auf das Feierabendbier mit Kolleg:innen muss sie meistens verzichten.
Frauen müssen sich beweisen
Ihre Bürotage sind streng getaktet. „Ich kann nicht einfach eine halbe Stunde später gehen“, sagt Gruber. Spätestens um 15:30 Uhr muss sie das Büro verlassen und ihre Tochter vom Kindergarten abholen. Auch wenn sie pünktlich aufhört: Die Arbeit erzeugt Stress, der sich auf das Privatleben auswirkt. „Als Frau muss man beweisen, dass man beides hinbekommt.“
Gruber macht ihren Arbeitgeber auf ihre Situation aufmerksam. Dieser reagiert mit Unverständnis, blockte ab. „Es hieß, ich solle mich besser organisieren, mir die Aufgaben anders einteilen“, erzählt sie.
Die Menge an Aufgaben wird bei 30 Stunden oft nicht reduziertBettina Stadler, Soziologin
Teilzeit ist in Österreich großteils weiblich. Seit Jahren steigt die Teilzeitquote bei Frauen - inzwischen liegt sie bei mehr als 50 Prozent. Wie viele von ihnen in Elternteilzeit sind, weiß niemand. Es gibt keine Daten. Man kann sich nur annähern. Bei den 25- bis 49-jährigen Frauen mit Kindern unter 15 Jahren etwa liegt die Teilzeitquote bei 75 Prozent. Bei Männern sind es 8,2 Prozent. Das zeigen Berechnungen des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Es liegt also nahe, dass Elternteilzeit in Anspruch genommen wurde.
Die empirische Forschung deckt sich mit Grubers Erfahrungen. „Die Menge an Aufgaben wird bei 30 Stunden oft nicht reduziert. Was weniger wird, sind Zeiten für bezahlte Weiterbildung und sozialen Austausch“, sagt die Soziologin Bettina Stadler, die an der Universität Graz zu Arbeit und Gender forscht. Die Arbeit hat sich grundsätzlich in vielen Branchen verdichtet. Auf ein Projekt folgt das nächste. Es gibt keine Pausen mehr. Das Ziel ist, noch produktiver zu sein, den Profit zu maximieren. „In den 1980er- und 1990er-Jahren haben Unternehmen begonnen, systematisch Tätigkeiten und Arbeitsabläufe nach Leerzeiten zu durchsuchen“, sagt Stadler. Wo es welche gab, wurden neue Aufgaben hineingepackt.
Niemand kann für Kolleg:innen einspringen
Ein weiterer Grund für den gestiegenen Arbeitsdruck ist die dünne Personaldecke. „Ob Einzelhandel, Pflege oder Gastronomie: Früher gab es jemanden, der einspringt, wenn jemand krank ist. Heute fehlt in vielen Bereichen das Backup“, sagt Stadler. Es seien gerade einmal genug Menschen da, um die vorliegende Arbeit zu leisten. Fällt jemand aus, steigt bei den Kolleg:innen automatisch der Stress.
Grundsätzlich ist die Zahl der Arbeitsstunden in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Wurden 2004 durchschnittlich noch 39,7 Stunden pro Woche gearbeitet, so reduzierte sich diese Zahl auf 36,6 Stunden pro Woche im Jahr 2019. Im ersten Pandemiejahr ging die Arbeitszeit sogar auf 33,8 Stunden pro Woche zurück – ein Effekt, der auf die Kurzarbeit zurückzuführen ist.
Auf der anderen Seite ist die Produktivität gewachsen. Zwischen 2000 und 2020 wurde laut Daten der Statistik Austria eine Arbeitsstunde um 21 Prozent produktiver. Das heißt: Eine Beschäftige schafft heute in einer Stunde wesentlich mehr Wert als noch vor 20 Jahren. Zahlreiche Studien belegen, dass Teilzeitarbeitskräfte produktiver sind. Es gibt weniger Pausen, man arbeitet effizienter. Das Problem dabei: Einkommen und Löhne haben mit den Produktivitätsgewinnen nicht Schritt gehalten. Die Arbeitgeber profitieren von der Elternteilzeit. Ihre Angestellten arbeiten produktiver, sie „kosten“ weniger.
Elternteilzeit war für Mütter und Väter als Brücke gedacht, von einer Phase der reduzierten Erwerbszeit wieder in die Vollzeitarbeit zurückzukehren. Sie ist sinnvoll, um Arbeits- und Familienwelt besser zu vereinbaren und hat sich bewährt. Repräsentative Umfragen unter Müttern und Vätern in Elternteilzeit zeigen hohe Zufriedenheitswerte. In manchen Fällen aber funktioniert die Elternteilzeit nicht. Das ist kein Problem der Elternteilzeit an sich. Es muss vielmehr in den Unternehmen ein Umdenken stattfinden und mehr auf Eltern in Teilzeit eingegangen werden.
Nina Gruber will etwas an ihrer Situation ändern. Sie denkt darüber nach, ihre Arbeitszeit wieder aufzustocken. „Mit diesem Gehalt rentiert es sich überhaupt nicht“, sagt sie. In 40 Stunden hätte sie ohnehin die gleiche Arbeitslast wie in ihrer aktuellen Situation. Aber das Gehalt wäre wieder das Alte.
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Infos und Quellen
Genese
Viele von Michael Ortners Bekannten haben Kinder. Fast alle von ihnen nehmen Elternteilzeit in Anspruch. Das heißt, sie reduzieren ihre Stunden, um mehr Zeit für die Betreuung der Kinder zu haben. Doch von vielen hört er, dass ihre Arbeit gleichgeblieben ist. Sie erzählen, dass der work load zugenommen hat. Es sei schwierig, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen.
Gesprächspartner:innen
Sonja Dörfler-Bolt, Soziologin, Österreichisches Institut für Familienforschung
Barbara Prainsack, Politikwissenschaftlerin, Universität Wien
Mütter und Väter in Elternteilzeit