Zum Hauptinhalt springen

Transparenz, Baby!

4 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ

Faire Labels zeigen, wer hinter der Produktion von Kleidungsstücken steckt und gewinnen damit Vertrauen. Ein Großteil der Modewelt hüllt sich allerdings in Schweigen.


Ich war letztens bei einer Shop-Eröffnung einer fairen Männer-Modemarke. Die Inhaber der Marke wissen nicht nur, wer die Kleidung näht, sondern auch, wer die Stoffe herstellt. Sie zeigen diejenigen, die ihre Shirts und Westen herstellen. Auf ihrer Website erzählen sie ihren Weg zur Marke – alles begann mit besonders wertiger Baumwolle namens Pima-Baumwolle, die sie in Peru suchten – und dort viel mehr fanden: Inspiration. Vom traditionellen Handwerk in den Anden zum luxuriösen Basic für den finanziell gesettelten Österreicher.

Ihre Geschichte erzählen sie ehrlich und transparent – natürlich mit tollen, inspirierenden, aber auch realen Bildern. So wie die das machen, machen es viele Labels, die ich kenne. Zeigen, wie ihre Produkte hergestellt werden. Dieses Storytelling ist nicht nur verkaufs-, sondern auch vertrauensfördernd. Und es ist in der Kommunikation genau das, was diese fairen Labels von anderen abhebt: Das, was sie erzählen, ist ehrlich.

Bei der Feier letzte Woche, als der Designer des Teams gerade davon sprach, wie sie Alpakawolle aus den Hochlagen der Anden sourcen, kam mir plötzlich ein Gedanke, ich zeichne euch da mal ein Bild:

Qual unter Neonlicht

In den Hallen der Billigproduktion hängt der Geruch von Farbe und Schweiß. Unter Neonlicht beugen sich Frauen über Nähmaschinen, deren rhythmisches Rattern lauter ist als jede Stimme. Ihre Finger sind wund von Nadeln, die zu schnell arbeiten müssen, damit irgendwo in Europa ein T-Shirt für 4,99 Euro über den Ladentisch geht. Neben den Hallen türmen sich Stoffreste, die nie jemand tragen wird, und Abwässer, trüb und schillernd, fließen in einen grauen Fluss, der einmal klar war.

In den Schaufenstern der Einkaufsstraßen glitzern dieselben Kleidungsstücke unter hellen Lampen – glattgebügelt, nach „Neu“ duftend. Keiner sieht, dass der Reißverschluss von einer Frau eingenäht wurde, die seit zehn Stunden an derselben Maschine sitzt und ihre Kinder seit drei Tagen nicht gesehen hat. Keiner riecht das Brennen der Chemikalien, mit denen das Kunstleder weich gemacht wurde. Es ist die unsichtbare Seite der Mode – verpackt in Hochglanz und Rabattaktionen.

Unschön, oder? Leider Alltag.

Aber: Wie würde die Modewelt aussehen, würden alle Modehersteller so offen berichten (müssen) wie das faire Modelabel mit den Anden-Alpakas auf der Website? Würden die Menschen dort einkaufen, wo die Kleidung unter solch miesesten Umständen in Schichtarbeit von Menschen hergestellt wird, die sich von dieser Arbeit gerade mal ein Zimmer im Slum und Essen bis zirka Mitte des Monats leisten können? Dort, wo Polyesterstoffe mit giftigen Chemikalien hergestellt werden? Oder würden sie dann eher dort einkaufen, wo Wert auf Mensch und Umwelt gelegt wird?

Klar, das ist eine übermoralisierende „Ja, eh klar“-Frage. Aber so einfach ist die Sache nicht. Die EU hat in den vergangenen Jahren immer weiter gehende Berichtspflichten eingeführt. Auf eigenen Portalen müssen Zahlen, Daten, Fakten offengelegt werden. Es geht nicht mehr darum, international vergleichbare Nachhaltigkeitsreports zu veröffentlichen, denn die ganzen Infos werden ja sowieso auf den EU-Seiten hochgeladen. Der „Vorteil“: Dort liest es kaum jemand. Aber sich die Extra-Arbeit eines Reports anzutun, das machen die wenigsten. Und das macht all die EU-Veröffentlichungspflichten wiederum paradox: Überspitzt gesagt, haben Konzerne jetzt mehr Freiheit, ihre Geschäftsergebnisse und -vorgänge in blumigen Worten zu umschreiben, als zuvor. Die Zahlen, Daten, Fakten werden von der Kommunikation wieder weiter getrennt.

Zeigt die Bilder!

Dankenswerterweise gibt es auch Aktionen und Gesetze gegen Greenwashing, damit das nicht überhandnimmt, aber mich macht es trotzdem sehr nachdenklich: Wäre ein „Zeigt die wahren Bilder“ (im Optimalfall nicht KI-generiert bitte) in unserer bildgesteuerten Gesellschaft nicht mindestens genauso wichtig wie ein „Veröffentlicht die wahren Zahlen“?

Ich mag das Gedankenspiel: Auf den Websites der Fast-Fashion-Konzerne findet man plötzlich ganz reale Fotos der Fabriken in Bangladesch und China. Man sieht die verhärmten Arbeiter:innen, die sich von der Arbeit Rückenschmerzen und Lungenkrankheiten holen. Auch wenn sicher nicht alle Menschen deshalb plötzlich auf den Einkauf dort verzichten würden, den einen oder die andere würde es sehr wohl abhalten. Und ich finde, dass JEDER MENSCH, der Fast Fashion nicht mehr kauft, ein Erfolg ist.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Das Thema in anderen Medien


Ähnliche Inhalte