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Der Medizin-Nobelpreis 2025 geht an Wissenschaftler:innen der Immunforschung. Deren Arbeit zeigt die Wichtigkeit von internationaler Zusammenarbeit in der Forschung – die in den USA gerade zerstört wird.
Wer eine Tasse zu Boden wirft, erhält Scherben. Nicht immer bringen sie Glück. Den USA, wo sich Präsident Donald Trump wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen der Wissenschaften verhält, bringen sie wohl nichts Gutes. Durch Förderkürzungen und Verbote in Schlüsselbereichen wie Klima-, Impfstoff-, Krebs- oder Alzheimerforschung sowie in Frauen- und Diversitätsforschung zerschlägt Trump zentrale Stücke im Wissenschaftsland Nummer Eins. Damit trägt er nicht nur wichtige Säulen des US-Forschungssystems ab, sondern auch solche der internationalen Zusammenarbeit in der Suche nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen.
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Wie wichtig globale Zusammenarbeit ist, zeigt der heurige Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. Mit den Immunolog:innen Mary E. Brunkow von der Universität Seattle und Fred Ramsdell von der University of California ging die höchste Auszeichnung in den Wissenschaften auch heuer, so wie im Vorjahr, an zwei US-Forscher:innen. Ihre bahnbrechenden Entdeckungen zur Immunabwehr wären jedoch ohne die Erkenntnisse des japanischen Immunologen Shimon Sakaguchi von der Universität Osaka nicht möglich gewesen. Der Preis wird dem Trio im Dezember verliehen, gab das Nobel-Komitee am Montag in Stockholm bekannt.
Eindringlinge tragen keine Uniform
Ohne unser Immunsystem, ein Wunderwerk der Evolution, könnten wir nicht überleben. Tagtäglich wehrt es alle möglichen Krankheitserreger und Fremdstoffe ab, die in unseren Körper eindringen. Allerdings tragen die Eindringlinge keine Uniform, mit der sie sich zu erkennen geben. Sondern sie kommen in allen möglichen Gestalten daher und manche tarnen sich sogar als Körperzellen. Wie das Abwehrsystem sie trotzdem ausfindig macht und bekämpft, ohne dabei unsere eigenen Organe mit anzugreifen, haben Brunkow und Ramsdell herausgefunden. Sakaguchi lieferte die Grundlagen: Der Immunologe identifizierte eine Gruppe von Immunzellen – sogenannte „regulatorische T-Zellen“ –, die quasi als Security Guards agieren. Sie regulieren die Reaktion des Immunsystems, damit es nicht den eigenen Körper angreift. Im Normalfall verhindern die Security Guards Autoimmunreaktionen, die zu schweren Krankheiten wie Diabetes oder Rheuma führen können. Diese Forschungserkenntnisse wecken für all jene Menschen, die doch an Autoimmunerkrankungen leiden, die Hoffnung auf neue Therapiemethoden.
Nicht nur die meisten Nobelpreise beruhen auf wissenschaftlicher Zusammenarbeit über Instituts- und Ländergrenzen – beinahe jede komplexe Forschungsfrage erfordert Teamarbeit. Die Frage ist, ob die USA dabei in Zukunft weiterhin federführend agieren können.
Entdeckungen in Europa
Denn Trump verdonnert das führende Forschungsland dazu, in Bereichen, die unsere Zukunft betreffen, keine neuen Erkenntnisse und keine neuen Daten mehr hervorzubringen. Wissenschaft braucht vor allem Zeit, Verlässlichkeit und Budgetsicherheit, um zu funktionieren, um Studierende anstellen und Experimente durchführen zu können. Das ist unter Trump nicht gegeben.
Die USA würde ihre Attraktivität als Forschungsstandort verlieren, sagte kürzlich der Biotechniker Wali Malik, der seine Zelte an der US-Ostküste abgebrochen hat, um in Wien ein KI-getriebenes Robotiklabor am Institut Aithyra der Österreichischen Akademie der Wissenschaften aufzubauen. Er rechne mit großem Schaden für den US-Wissenschaftsstandort, und mit der Abwanderung junger Forscher:innen in andere Länder. Österreich, Deutschland, Schweiz, Frankreich, Japan oder China können von US-Talenten profitieren, wenn diese Entdeckungen hier machen und darauf aufbauend hier Firmen gründen.
Gefahr für die Demokratie
Und dennoch ist all dies auch für uns ein Problem: Der Erfolg des US-Forschungssystems gründet darin, dass es interdisziplinär mit Einrichtungen aus aller Welt zusammenarbeitet, um komplexe Fragen zu beantworten. Wird es in die düstere Sackgasse von Zensur, Kürzung, Verfälschung und Blockade geführt, sind die Folgen weitreichend.
„Der freie Austausch von Talenten wird erschwert, ja sogar oft unmöglich gemacht“, sagte Patrick Cramer, Präsident der deutschen Max-Planck-Gesellschaft, bei der „Wissenswerte“-Konferenz für Wissenschaftsjournalismus Ende September in Berlin. Die USA würden als wichtigster Kooperationspartner Europas wissenschaftliche Ressourcen und Datenbanken betreiben, „die für die globale Wissenschaft unverzichtbar sind. Diese Schätze und zahlreiche Forschungsarbeiten sind nun, ebenso wie eine ganze Generation an Forschern, bedroht“, warnte Cramer. „Dabei geht es um nichts anderes als die Freiheit der Forschung. Das Ziel ist die Unterdrückung des kritischen Denkens, das jungen Menschen an den Universitäten vermittelt wird. In Gefahr ist die Demokratie selbst. Wir müssen die freie Wissenschaft schützen.“ Wenn wir auch in Zukunft noch Nobelpreise mit US-Beteiligung vergeben wollen.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
- Diese Woche wird in Stockholm verkündet, wer im Dezember die Nobelpreise erhält. Der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie geht dieses Jahr an drei Forschende auf dem Gebiet der Immuntoleranz. Preisträger:innen sind Mary E. Brunkow und Fred Ramsdell aus den USA sowie Shimon Sakaguchi aus Japan. Das gab das Karolinska-Institut in Stockholm am Montag zum Auftakt der Nobelpreiswoche bekannt. Die Auszeichnung ist heuer mit elf Millionen Schwedischen Kronen (einer Million Euro) dotiert. Im Vorjahr war der Medizin-Nobelpreis an die beiden US-Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun gegangen. Sie wurden für die Entdeckung der microRNA und deren Rolle bei der posttranskriptionellen Genregulation ausgezeichnet. Am Dienstag werden die Preisträger:innen für Physik mitgeteilt, Chemie am Mittwoch, Literatur am Donnerstag, der Friedensnobelpreis am Freitag und am Montag darauf die Wirtschaftswissenschaften. Die Auszeichnung wird traditionell am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, verliehen.
- Der US-Datenkonzern Clarivate Analytics kürt im Vorfeld jedes Jahr aus dem Kreis der meistzitierten Wissenschaftler:innen die „Citation Laureates 2024“ – die „Zitationskaiser:innen“. Sie gelten als Favorit:innen für Nobelpreise. Auch die österreichischen Nobelpreisträger Anton Zeilinger und Ferenc Krausz standen auf der Liste. Historisch gesehen haben Wissenschaftler:innen aus Europa und Amerika die besten Chancen, wobei die USA führend sind: Ganze zehn der 22 diesjährigen Favoriten sind in den USA tätig. Die Vereinigten Staaten haben mit 423 Preisträgern zwischen 1901 und 2023 die größte Anzahl an Nobelpreisen gewonnen. Ein beträchtlicher Teil dieser Auszeichnungen – etwa 71 % aller Nobelpreise für Amerikaner:innen – ging an in die USA eingewanderte Personen.
- Die schwedische Right Livelihood Stiftung in Stockholm ehrt Menschen und Organisationen, die sich für Frieden, Nachhaltigkeit und eine gerechte Welt einsetzen. Die von der Stiftung vergebenen Preise werden auch als Alternative Nobelpreise bezeichnet. Die zehnköpfige, internationale Jury setzte den Akzent dieses Jahr auf gemeinschaftliches Handeln gegen unterschiedliche globale Bedrohungen.
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- ARD-Tagesschau: Trumps Kampf gegen die Wissenschaft
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