Donald Trump wurde strafrechtlich verurteilt. Europäische Medien jubeln - und übersehen die wirkliche Problematik.
Aversionen sind schlechte Ratgeber für die Analyse komplexer Zusammenhänge. Der Jubel der meisten europäischen und speziell deutschsprachiger Medien über die strafrechtliche Verurteilung Donald Trumps ist ein Paradebeispiel dafür. Man freut sich über ein in seiner Bedeutung wesentlich überbewertetes Detail, misst mit zweierlei Maß und verliert das eigentliche Problem aus den Augen.
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Abgesehen davon, dass Trump theoretisch vom Gefängnis aus regieren könnte, müssen der Zeitpunkt des Verfahrens und das Urteil natürlich als politisch motiviert eingestuft werden. Wer glaubt, US-Gerichte würden unabhängig und objektiv urteilen, kann gern zu argumentieren versuchen, weshalb Afroamerikaner:innen nur 13 Prozent der US-Bevölkerung ausmachen, aber 34 Prozent der Häftlinge im Todestrakt stellen, obwohl die Zahl der Tötungsopfer bei Weißen und Schwarzen weitestgehend identisch ist. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nennt das „Rassismus in Reinkultur“.
Die Fälle Nixon und Clinton
In sämtlichen Medien, die ihre Genugtuung, wenn nicht gar Freude über Trumps Verurteilung merken lassen, kommt der Satz vor, Trump sei der erste Ex-Präsident der USA, der von einem Geschworenengericht strafrechtlich verurteilt worden ist. Das stimmt zwar, ist aber eine Wortklauberei und lässt außer Acht, dass Richard Nixon nach seinem Rücktritt von seinem ehemaligen Vizepräsidenten und nunmehrigen Präsidenten Gerald Ford umgehend, quasi präventiv, begnadigt wurde, während Bill Clintons Verfahren wegen Lüge unter Eid ebenso im Nichts verlief wie die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung; man braucht eben einflussreiche Jurist:innen im Freundeskreis und Staatsanwält:innen, die lieber dem demokratischen Präsidenten glauben als den Frauen. Immerhin wurde Clinton von einem Einzelrichter wegen Missachtung des Gerichts bestraft.
Zurück in die Trump-Gegenwart: Dass die Verurteilung Auswirkungen auf die Wahl hat, ist durchaus möglich. Nur könnten es die genau entgegengesetzten sein, die sich die Medien erhoffen. Die Spendengelder für Trumps Wahlkampf mögen als Seismograf dienen: 20,3 Millionen Dollar waren es im Februar 2024, 65,6 im März, 76 im April und im Mai, als ziemlich klar war, wie das Verfahren ausgehen würde, waren es 141; der Großteil dieser 141 Millionen kam durch kleine Spendenbeträge zustande. Darin manifestiert sich eine Jetzt-erst-recht-Haltung, die man seit dem Kurt-Waldheim-Wahlkampf der Jahre 1985/86 nicht zuletzt aus Österreich kennt (siehe Infos und Quellen).
Zumal das Gewicht des Schweigegeldprozesses fragwürdig ist: Schweigegeld zu zahlen, damit eine einvernehmliche Sexaffäre nicht ans Licht kommt, ist nämlich prinzipiell kein Straftatbestand. Trumps Verurteilung stützt sich darauf, dass er die Schweigegeldzahlung benützte und in der Folge verschleierte, um seine konservativen Wähler:innen nicht durch Schlüpfrigkeiten zu verprellen. Es gibt kaum Kommentator:innen, die das wirklich für eine gravierende Straftat halten.
Markenzeichen Konfusion
Trump soll geistig nicht fit sein, heißt es. Doch Tatsache ist, dass Verwechslungen von Namen und Orten von Anfang an zum großen Chaos des Donald Trump gehörten. Sie sind quasi eines seiner Markenzeichen, vielleicht sogar ein absichtliches, hinter dem eine gezielte Demonstration von Desinteresse steckt. Verwechselt er Nikki Haley mit Nancy Pelosi, spricht er für alle Amerikaner:innen, die gleichfalls nichts mit Nikki Haley und Nancy Pelosi anfangen können. Verwechselt er Joe Biden mit Barack Obama, ist das ein Signal für alle Amerikaner:innen, die den einen in dieselbe Tonne treten wie den anderen. Erklärt er Viktor Orbán erst zum Präsidenten der Türkei, ehe er sich auf Ungarn korrigiert, macht er seinen Anhänger:innen klar, dass ihm Europa und seine Nachbarstaaten völlig egal sind, so genau braucht man das nicht nehmen als US-Amerikaner, Hauptsache, America ist bald great again gemacht.
Hilfreicher Sturm
Alle diese Verwirrungen, Frechheiten und Irrtümer Donald Trumps werden ihm ebensowenig schaden wie seine Verurteilung. Im Gegenteil: Es kann ihm sogar bei Trump-Skeptiker:innen helfen. Das Paradoxon ist, dass der in den USA und in Teilen der europäischen Bevölkerung entfachte Sturm gegen Trump gerade dessen Argument bestätigt, dass das liberale Establishment eine zweite Amtszeit Trumps verhindern will, und zwar mit allen Mitteln und um nahezu jeden Preis – wohl wissend, dass auch der eigene Kandidat deutliche Anzeichen von Vergreisung erkennen lässt. Denn was zum Chaossystem Trump dazugehört, fällt bei einem Joe Biden, der immerhin klug taktierender Vizepräsident Barack Obamas mit starken außenpolitischen Interessen war, verstörend auf. Den Gazastreifen mit der Ukraine zu verwechseln, ist immerhin so bemerkenswert wie eine Verwechslung der Staatsoberhäupter von Ägypten und Mexiko kurios ist. Dass nichtsdestoweniger Biden aufgrund seines Mitarbeiter:innenstabs mehr Stabilität garantiert, weil Biden sich auf ihn stützt und nicht alle paar Wochen zentrale Positionen nach Lust und Laune umbesetzt, steht auf einem anderen Blatt.
Vielleicht muss man es sogar als Meisterleistung des großen Verwirrers Trump bezeichnen, dass seine Gegner:innen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen: Verwechslungen und ein verlorenes Gerichtsverfahren sind Kleinigkeiten gegen die Attacken auf demokratische Vorgänge, die von Trumps Seite kommen.
Der Rächer
In seiner ersten Amtszeit hat er durch das wiederholte Auswechseln von Mitarbeiter:innen seines engsten Stabs für Diskontinuität und Instabilität an der Staatsspitze gesorgt und damit für eine Unterhöhlung der Demokratie. Konsequent sät Trump Zweifel am Wahlvorgang, an staatlichen Institutionen, an der Rechtmäßigkeit demokratischer Entscheidungen. Sein gegenwärtiger Wahlkampf ist geprägt von Rachegedanken: Rache für die aus seiner Sicht gestohlene Wiederwahl im Jahr 2020. Seine überspitzte Rhetorik befeuert die Aggressivität von Teilen seiner Anhängerschaft. So hat er in seiner Rede zur Autoindustrie und zu Zöllen möglicherweise nur ein symbolisches „Blutbad“ gemeint, sollte er nicht seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen umsetzen können. Ganz sicher ist das allerdings nicht (siehe Infos und Quellen). Ohnedies egal, was hängen bleibt, ist der verkürzte Schluss: Entweder Trump, oder es gibt ein Blutbad. Der Ausspruch gießt Öl ins Feuer.
Politiker:innen sind für ihre Anhängerschaft verantwortlich, und das umso mehr, wenn es Politiker:innen sind, die auf reine Demagogie setzen. Wie weit Trumps Anhänger:innen gehen, haben sie beim Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 zum ersten Mal bewiesen; Trump hat den Aufstand möglicherweise nicht unmittelbar verursacht, er hat ihn indessen mitzuverantworten, denn er hat das Klima geschaffen, das diesen Exzess möglich gemacht hat. Ein zweites Mal war nach der Verurteilung Trumps, als Anhänger:innen abermals lautstark bekundeten, zum Aufstand bereit zu sein.
Trump hat, obwohl er von ihnen getragen wird, wenig mit der Partei der Republikaner zu tun. Er hat eine Trump-Bewegung geschaffen, die von Aggressionen, Schuldzuweisungen, Liebäugeln mit gewaltsamen Lösungen zusammengehalten wird. Trump lädt die selbsternannten Unterdrückten und Beleidigten ein, sich ihr vermeintlich von der Oberschicht und ihren Handlanger:innen gestohlenes Leben zurückzuholen. Damit macht Trump aus einem auf Argumenten basierenden demokratischen Entscheidungsprozess einen Kampf Wir-gegen-die.
Dagegen ist ein verlorener Prozess wegen einer, gemessen an Trumps anderen Verfahren, die ihm drohen, Bagatelle geradezu vernachlässigbar.
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Infos und Quellen
Genese
Der verlorene Prozess sollte der Stolperstein für Donald Trump auf dem Weg zu seiner zweiten Amtszeit als Präsident der USA werden. Dementsprechend erfreut haben vor allem links-liberale Medien berichtet. WZ-Redakteur Edwin Baumgartner ist anderer Meinung: Er glaubt nicht, dass der Prozess negative Auswirkungen auf Trumps Wahlbewegung hat, eher im Gegenteil. Außerdem sieht Baumgartner das System Trump weniger als Problem der Moral denn als eines der Demokratie.
Daten und Fakten
Donald Trump wurde am 31. Mai 2024 von einem New Yorker Gericht in allen 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen, Schweigegeldzahlungen verschleiert zu haben, um seine Chancen im Wahlkampf des Jahres 2016 nicht ungünstig zu beeinflussen. Das Strafmaß wird am 11. Juli bekannt gegeben. Die Höchststrafe dafür wäre eine vierjährige Gefängnishaft.
Ob Trump als Gefängnisinsasse gewählt oder vom Gefängnis aus regieren könnte, wird derzeit mehr oder minder ernsthaft diskutiert. Die kuriose Antwort lautet: Theoretisch könnte er. Denn Strafgefangene in den USA verlieren wohl ihr aktives, nicht aber ihr passives Wahlrecht. In der Praxis wäre der Vorgang, dass Trump seine Vizepräsidentin oder seinen Vizepräsidenten mit den Amtsgeschäften beauftragt, die oder der umgehend eine Begnadigung ausspricht.
Richard Nixon (1913-1994) war von 1969 bis 1974 Präsident der USA. Im Zug des Skandals um illegale Abhörmethoden und Verstrickungen des Weißen Hauses in weitere Missbräuche seiner Amtsbefugnisse kam Nixon einem Impeachment-Verfahren, das unweigerlich zu seiner Amtsenthebung geführt hätte, zuvor. Er ist der bisher einzige US-Präsident, der zurückgetreten ist. Nach seinem Rücktritt wurde ihm vor der Einleitung eines Gerichtsverfahrens von seinem Nachfolger Gerald Ford, der bis zu Nixons Rücktritt Vize-Präsident gewesen war, präventiv eine Generalamnestie erteilt.
Gegen Bill Clinton, der von 1993 bis 2001 Präsident der USA war, wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet: Clinton wurde vorgeworfen, über seine außereheliche Beziehung zu seiner Praktikantin Monica Lewinsky gelogen zu haben. Anklagepunkte waren Meineid und Strafvereitelung, weil Clinton unter Eid ausgesagt hatte, er habe keinerlei sexuelle Beziehungen zu Lewinsky gehabt, unter dem Druck der Presse jedoch eine sexuelle Beziehung mit Lewinsky zugeben musste. Das Amtsenthebungsverfahren scheiterte nicht zuletzt, weil dem Sonderermittler Kenneth Starr vorgeworfen wurde, entlastendes Material verdeckt zu haben. Allerdings wurde Clinton nach dem Ende seiner Amtszeit von einem Richter wegen Missachtung des Gerichts bestraft. Seine Anwaltszulassung wurde ihm in seinem Heimatstaat Arkansas für fünf Jahre und für Prozesse vor dem Obersten Gerichtshof des Bundes dauerhaft entzogen. Mehrere Frauen erhoben Vorwürfe gegen Clinton wegen sexueller Belästigung. Es wurden jedoch keine Verfahren gegen den Ex-Präsidenten eingeleitet.
Nikki Haley, 1972 geboren, ist eine US-amerikanische Diplomatin, Juristin und Politikerin der Republikanischen Partei. Sie war von 2011 bis 2017 als erste Frau Gouverneurin von South Carolina. 2017 wurde sie von Präsident Donald Trump zur US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen ernannt. 2018 legte sie dieses Amt zurück. Bei den Vorwahlen der Republikaner kandidierte sie für die Präsidentschaftswahl 2024. Am 6. März 2024 zog Haley ihre Präsidentschaftskandidatur zurück. Trump gab bekannt, dass sie nicht als seine Vizepräsidentin in Frage käme.
Nancy Pelosi (1940 geboren) ist eine US-amerikanische Politikerin der Demokratischen Partei, die von 2007 bis 2011 und von 2019 bis 2023 Sprecherin des Repräsentantenhauses war. Im November 2022 hat sie erklärt, nicht mehr für das Amt der Sprecherin kandidieren zu wollen.
Kurt Waldheim (1918-2007) war von 1968 bis 1970 Österreichischer Außenminister, von 1972 bis 1981 Generalsekretär der Vereinten Nationen und von 1986 bis 1992 Bundespräsident Österreichs. 1985 nominierte die ÖVP Waldheim als Kandidaten zum Bundespräsidenten. Während des Wahlkampfs tauchten Indizien auf, dass Waldheim in der Zeit des Nationalsozialismus‘ Mitglied der SA gewesen sei und zu einer Einheit gehört habe, die Kriegsverbrechen verübt hat. Waldheim bestritt seine SA-Mitgliedschaft und jede Kenntnis von Judendeportationen. Die ÖVP plakatierte Plakate mit dem Text „Jetzt erst recht!“. 1987 kam eine internationale Historikerkommission zum Schluss, Waldheim habe „kein persönliches schuldhaftes Verhalten“ an den Tag gelegt und sich keiner Kriegsverbrechen schuldig gemacht, allerdings habe er versucht, „seine militärische Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen, und, sobald das nicht mehr möglich war, zu verharmlosen.“
Seine „Blutbad“-Rede hielt Donald Trump am 16. März 2024 auf dem Dayton International Airport in Ohio. Es ging um Zölle und die Autoindustrie. Wörtlich sagte Trump: „Now, if I don’t get elected, it’s going to be a bloodbath, for the whole — that’s going to be the least of it. It’s going to be a bloodbath for the country. That’ll be the least of it. But they’re not going to sell those cars.“ (Wenn ich jetzt nicht gewählt werde, wird es insgesamt ein Blutbad geben – das wird das Geringste sein. Es wird ein Blutbad für das Land sein. Das wird das Geringste sein. Aber sie werden diese Autos nicht verkaufen.)
Trump drohen Verfahren u.a. wegen des Vorwurfs der Bilanzfälschung, Mitnahme von Geheimunterlagen, Verschwörung gegen ein Wahlergebnis, Verschwörung zum Kippen des Wahlergebnisses in Georgia.
Quellen
Amnesty International: Todesstrafe in den USA: Rassismus in Reinkultur
AP: Trump raises $ 141 million in May, bolstered by guilty verdict
CNBC: Trump campaign raises record $34.8 million in donations after guilty verdict
Focus: Verwechslungen und Aussetzer: Trumps wirre Fehler sorgen für Spekulationen
France24: Trump campaign raises record $53 million in donations after guilty verdict
Profil: Donald Trump: Eine seiner harmloseren Untaten
Reuters: Trump’s ‘bloodbath’ and other rhetoric inflame his 2024 campaign trail
Reuters: Trump supporters call for riots and violent retribution after verdict
The Jewish Chronicle: The Jewish problem with Trump supporters saying his guilty verdict was „rigged“
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