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Die Forschungslandschaft mischt sich neu. Drastische Budgetkürzungen im Wissenschaftsland Nummer 1 USA könnten Top-Talente nach Europa treiben. Junge österreichische Forscher:innen in den Staaten über ihre Perspektiven.
Marlies Meisel will herausfinden, wie gute Darmbakterien das Immunsystem dabei unterstützen können, bösartige Tumore abzuwehren. Sinkt das Risiko, dass ich Krebs bekomme, wenn ich das Richtige esse? Um Fragen wie diese dreht sich die Forschung im Labor der im Bezirk Mistelbach geborene Assistenzprofessorin an der University of Pittsburgh School of Medicine im US-Staat Pennsylvania. Doch nun könnte der Erkenntnisprozess der Ernährungswissenschaftlerin und Onkologin Stocken geraten, weil die Regierung von US-Präsident Donald Trump keine Mittel mehr freigibt.
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„Derzeit fließt kein Geld für neue Projekte an die Unis, selbst wenn die Förderungen bereits zuerkannt wurden“, sagt Meisel zur WZ: „Ich sollte ab April die Mittel für ein neues Projekt in meinem Labor für die kommenden fünf Jahre bekommen, doch ich habe noch keine einzige der üblichen, rechtlich bindenden Bestätigungen erhalten. Ohne die Gelder können wir nicht weitermachen.“ Insgesamt geht es um zwei Millionen US-Dollar (1,84 Mio. Euro). Ihr Fehlen ist für das zehnköpfige Forscher:innenteam am Department für Immunologie existenzgefährdend. Seit Donald Trump am 10. Jänner ins Weiße Haus zurückgekehrt ist, sind fast alle Begutachtungssitzungen für Förderanträge bei den National Institutes of Health (NIH), dem größten Geldgeber für biomedizinische Forschung, ausgesetzt. Eine einmalige Situation.
Von der Spitze ins Chaos
Die USA sind Weltspitze bei der Zahl der Nobelpreise und haben eine lange Tradition der Innovationsfreundlichkeit. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bauten die Gebrüder Wright hier das erste Flugzeug, später brachte die Weltraumbehörde NASA die ersten Menschen zum Mond und seit Jahrzehnten prägt das kalifornische Silicon Valley unsere digitale Welt. In den Vereinigten Staaten gibt es rund 4300 Hochschulen, darunter die weltbesten. 2023 gaben die US-Unis 108 Milliarden Dollar (99 Mrd. Euro) über Förderagenturen allein für Forschungsprojekte aus, 59 Milliarden davon kamen von der öffentlichen Hand. Zum Vergleich: Das Gesamtbudget der hochdotierten europäischen ERC-Grants für exzellente Hochschulforscher:innen beläuft sich für den Zeitraum 2021 bis 2027 auf 16 Milliarden Euro.
Nun will Trump bis zu zwei Billionen US-Dollar an Bundesausgaben streichen, um Steuersenkungen zu finanzieren. Der Sparstift regiert auch in der Wissenschaft und das ohne erkennbare Strategie. Milliarden US-Dollar sollen nicht nur in den National Institutes of Health NIH, sondern auch in Förderagenturen wie der National Science Foundation NSF, in der Agentur für Umweltschutz EPA oder im Ozean- und Atmosphärenforschungsinstitut NOAA eingespart werden.
Nach Hause nach Österreich
„Die Universitäten reagieren mit Sparmaßnahmen. Dienstreisen werden gestrichen, keine neuen Forscher werden eingestellt“, sagt die in Wien geborene Politologin Alexandra Lieben, stellvertretende Direktorin des Ronald W. Burkle Center für Internationale Beziehungen der University of California in Los Angeles, zur WZ: „Die Unsicherheit regiert. Man wartet ab und verhält sich so unauffällig wie möglich, um nicht zur Zielscheibe von weiteren Kürzungen zu werden.“
Rund 1400 Mitglieder zählt der Verein Austrian Scientists & Scholars in North America (Ascina), dessen Präsidentin Alexandra Lieben ist. Die Mitglieder sind Forscher:innen aus Österreich, die in den USA oder Kanada wissenschaftliche Karrieren verfolgen. Viele von ihnen machen Doktorats- oder PhD-Studien und stellen den wissenschaftlichen Nachwuchs. Wollen sie nun weg, zurück nach Europa, nach Hause nach Österreich?
Eine Situation der Unsicherheit
Sarah Spitz hegt diesen Wunsch durchaus. Obwohl sie am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Stelle als Postdoktorandin innehat, hält sie die Entwicklungen für „besorgniserregend. Sie sorgen für eine spürbare Unsicherheit im Forschungsumfeld“, sagt sie zur WZ. „Ich möchte nach Abschluss meines Postdocs nach Europa zurückkehren und die Entwicklungen verstärken diesen Wunsch.“
Normalerweise sind Doktorand:innen und PhD-Studierende bis zum Abschluss abgesichert. „Wenn es aber keine öffentlichen Gelder mehr für die Projekte gibt, an denen sie arbeiten, fällt die Uni als Arbeitgeber weg, und daran hängt meist das Visum“, erklärt Lieben. In diesem Fall müssten sich Jungforscher:innen aus Österreich andere Jobs suchen, um das Visum verlängern zu können, oder nach Hause zurückkehren.
Verlust einer Generation
Die Unis reagieren auf die fehlende Planungssicherheit mit Einstellungsstopps. Konkret werden für Herbst keine neuen Doktorand:innen aufgenommen und akademische Stellen nicht neu besetzt. Junge Forscher:innen können ihre Karrieren also weder aufbauen noch weiterentwickeln. „Wenn es so weitergeht und die Pipeline an forschenden Studierenden abreißt, verlieren wir eine Generation neuer Wissenschaftler:innen“, warnt Lieben, „und dieser Schaden wird schwer zu reparieren sein.“
„Das willkürliche Streichen von Fördergeldern über alle Forschungsgebiete hinweg wird langfristige Auswirkungen haben. Labors werden sich keine Nachwuchsforscher:innen mehr leisten können, die derzeit in erster Linie betroffen sind“, sagt der Neurologe Dietrich Haubenberger, Leiter der klinisch-translationalen Forschung des biopharmazeutischen Unternehmens Neurocrine Biosciences in San Diego. „Die Labors werden auch österreichischen Forschenden wenig Perspektive bieten können.“
Ausgleich durch Stiftungen?
Eine Hoffnung ist, dass sich andere Geldquellen eröffnen. Etwa könnten die in den USA in der Forschung aktiven Stiftungen, die große Anteile der Uni-Budgets stemmen, die fehlenden Mittel teilweise ausgleichen. „Speziell Jungforscher brauchen jetzt mehr Kreativität, um Ideen von einer anderen Seite zu beleuchten und zu vermarkten, etwa um private Gelder von Firmen und Stiftungen oder auch Thinktanks einzuwerben“, sagt die in Wien geborene Ingenieurin Magdalena Klemun, die an der Johns Hopkins Withing School of Engineering in Washington die Kosten neuer Technologien erforscht.
Während Trump die Forschung zu Themen wie dem Klimaschutz, Diversität oder Gender rundweg verbietet, verweist Klemun auf die normative Kraft des Faktischen, die solche Verbote ad absurdum führen könnte. „Nehmen wir die Energiewende. Sie ist in den USA nicht mehr aufzuhalten: Das Wachstum in diesem Bereich wird durch staatliche Subventionen, die Klima-Ziele der US-Bundesstaaten und die Nachfrage der Privatwirtschaft angetrieben. Vier Jahre sind keine Ewigkeit und die Vorbereitung für die Aufholjagd nach Trump wird bald beginnen.“
Eine Chance für Europa
Zu überbrücken bleiben harte Zeiten. Immer wieder hört Ascina-Präsidentin Lieben von Vereinsmitgliedern: ,„Wir sind im freien Fall“, oder „wir können nicht gegensteuern, weil wir nicht wissen, welche Wiese als nächstes davonrutscht“, oder „wir stehen unter großen thematischen Druck“ seit Trump unter anderen Klima-, Gender- und Diversitätsforschung gestrichen hat. „Ein junger Forscher hat mir letztens gesagt: Wenn das richtige Angebot aus Europa käme, würde ich es schon nehmen“, berichtet Lieben.
Für Europa wäre das eine Chance, den seit Jahren beklagten Brain-Drain in die USA umzukehren. „Europa hat jetzt die Gelegenheit, Spitzenforscher aus den USA zu gewinnen“, betont der ehemalige Wissenschaftsminister der Niederlande, Robert Dijkgraaf, im Gespräch mit der WZ. Er plädiert für eine Willkommenskultur für Forschende: „Europa ist ein fruchtbarer Boden für die Grundlagenforschung, das System ist offen und die Forschung frei, was sehr wichtig ist. Wir sollten Talente, die zu uns kommen wollen, großzügig unterstützen, damit sie in Ruhe arbeiten können.“
Den Brain-Drain umgekehren
Doch von selbst werde das nicht gehen, ist Haubenberger überzeugt, denn mit China habe man einen potenten Konkurrenten bei der Talentsuche: „Europa muss sich aktiv positionieren, durch gezielte Rekrutierung, Karriere-Modelle über EU-Grenzen hinweg und einen einheitlichen wissenschaftlichen Arbeitsmarkt mit kompetitiven Gehältern.“
Eine andere Lösung könnten Universitätskooperationen sein. „Unsere Chance in Österreich wäre, mit Leuten in den USA, die Projektgelder suchen, zusammenzuarbeiten, ohne dass diese in Amerika alles abbrechen müssen. Das würde heißen, dass der Lead von Forschungsprojekten hier her wandert, weil hier die Finanzierung stattfindet, US-Kolleg:innen jedoch eingebunden sind“, resümiert Alexandra Lieben. Klar ist jedenfalls: Wer die Chance, High-potentials aus den USA zurückzuholen, nutzen möchte, der muss sich in einem Punkt an Trumps Stil orientieren - Tempo machen.
Marlies Meisel und ihr Mann Reinhard Hinterleitner, der im gleichen Forschungsfeld tätig ist wie seine Frau, spielen jedenfalls mit dem Gedanken, nach 13 Jahren in den USA von der University of Pittsburgh nach Europa zurückzukehren. „Wir haben hier neben unseren Berufen ein Haus und ein gemeinsames Kind. Aber wenn es so weitergeht, müssen wir entweder das Land verlassen oder etwas anderes machen“, sagt Reinhard Hinterleitner.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Eva Stanzl steht in Kontakt mit österreichischen Forscher:innen in den USA und befragte sie, welche Folgen Donald Trumps Wissenschaftspolitik für sie haben könnte.
Gesprächspartner:innen
Robert Dijkgraaf ist ein niederländischer theoretischer Physiker und designierter Präsident des Internationalen Wissenschaftsrats. Von Jänner 2022 bis Juli 2024 war Dijkgraaf Minister für Bildung, Kultur und Wissenschaft der Niederlande.
Dietrich Haubenberger ist Neurologe und klinischer Forscher, Absolvent der Medizinischen Universität Wien und war bis 2024 Präsident von Ascina. Er ist Leiter der klinisch-translationalen Forschung des biopharmazeutischen Unternehmens Neurocrine Biosciences in San Diego.
Reinhard Hinterleitner ist Assistenzprofessor am Department für Immunologie der University of Pittsburgh School of Medicine im US-Staat Pennsylvania. In seinem Labor erforscht er den Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und Darmerkrankungen.
Magdalena Klemun ist Assistenzprofessorin an der Johns Hopkins Universität im US-Staat Maryland und an der Hong Kong University for Science and Technology mit Wiener Wurzeln. Schon für die Matura beschäftigte sie sich mit Fusionsenergie und Technologien, die unsere Energieversorgung revolutionieren. Heute erforscht sie, wie sich der Einsatz und die Implementierung dieser neuen Technologien entwickelt und was diese Entwicklung vorantreibt.
Alexandra Lieben ist stellvertretende Direktorin des Ronald W. Burkle Center for International Relations und Dozentin an der University of California in Los Angeles. Sie verfügt über umfangreiche Kenntnisse im Bereich der internationalen Beziehungen, des öffentlichen Dienstes und des transatlantischen Dialog zum Thema Demokratie. Alexandra Lieben ist Präsidentin von Ascina, der Vereinigung Österreichischer Wissenschaftler:innen in Nordamerika mit 1400 Mitgliedern.
Marlies Meisel ist Assistant Professor an der University of Pittsburgh School of Medicine und leitet dort „The Meisel Lab“ mit rund zehn Teammitgliedern. In diesem Labor entstand auch ein im renommierten Fachjournal „Cell“ erschienene Publikation über Effekte von diätischen Maßnahmen auf Modelle von Hautkrebs, für die sie den Junior Principal Investigator des Vereins Ascina erhielt.
Sarah Spitz ist erforscht als Postdoktorandin am Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Stelle als Postdoktorandin die Rolle der Blut-Hirn-Schranke bei der Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson.
Daten und Fakten
In Österreich existiert noch keine eigens ausgerichtete Initiative, um heimische Top-Forscher:innen aus den USA zurückzuholen. So will der Wissenschaftsfords FWF zur Förderung der Grundlagenforschung in Österreich vorerst keine Schritte in diese Richtung setzen, sondern bei den bestehenden Rückholprogrammen bleiben, wie die WZ erfuhr.
Auch von Trumps Verschärfungen bei den Einreisebestimmungen bleibt die Wissenschaft nicht verschont. Medienberichten zufolge wurde kürzlich einem deutschen Forscher trotz Green Card die Einreise am Flughafen Boston verweigert. Und in einem internen Schreiben hat die Brown University in New York ihre ausländischen Studierenden vor Auslandsreisen gewarnt, da die Möglichkeit bestünde, dass sie nicht an die Universität zurückkehren könnten.
Quellen
Deutsches Bildungsministerium: Kürzungen und Entlassungen: Trump-Administration nimmt Forschungs- und Fördereinrichtungen ins Visier.
Brown Daily Herald: Brown advises all international community members to postpone, reconsider travel
Columbia University in the City of New York: Silencing Science Tracker
IT BOltwise: Forschungsförderung der NIH bleibt trotz rechtlicher Herausforderungen eingefroren
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ZDF: Die Folgen von Trumps Wissenschaftspolitik