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Klimawandel? Türnitz versiegelt weiter für Einfamilienhäuser

6 Min
„Junge Familien, die aufs Land ziehen, wollen ein Haus bauen“, sagt der Türnitzer Bürgermeister Christian Leeb.
© Illustration: WZ, Bildquelle: WZ

40 Bauplätze auf der grünen Wiese: Das niederösterreichische Türnitz zeigt, warum die Zersiedelung in Österreich nicht gestoppt wird.


In Türnitz stirbt der Ortskern. Die prächtigen Gründerzeithäuser entlang der Hauptstraße sind kaum bewohnt. Auch die drei Gasthäuser haben zugesperrt. Vergilbte Verkaufsanzeigen kleben an leeren Schaufenstern. Und nur eine Handvoll Spritzer-trinkender Männer im kleinen Schanigarten vor der Trafik bringen noch ein wenig Leben in den Ort.

Ein Blick in den Ort von Türnitz.
Die prächtigen Gründerzeithäuser entlang der Hauptstraße sind kaum bewohnt.
© Fotocredit: Bernd Vasari | WZ

Dabei bietet Türnitz eine malerische Kulisse. Der Ort mit knapp 1.900 Einwohner:innen liegt eingebettet in die hügeligen Voralpen am Ende des niederösterreichischen Traisentals, umrahmt von dichten Wäldern, zahllosen Wanderwegen und endlosen Wiesen, auf denen Schafe und Kühe grasen. Ein Naturidyll, das sich perfekt auf Instagram machen würde.

Doch es gibt ein großes Problem: Die Jungen ziehen weg, kaum jemand zieht hin, die Bevölkerung wird immer älter.

Wie der Bürgermeister die Jungen zurückholen will

Seit 15 Jahren ist Christian Leeb (ÖVP) Bürgermeister von Türnitz und er kennt den schleichenden Verfall nur zu gut. Nun will er die Jungen zurückholen – und hat auch schon einen Plan.

Außerhalb des Ortsgebiets hinter einem Hügel gibt es mehrere Grünflächen. Es sind nährstoffreiche und feuchte Böden, wichtig für die Biodiversität, ein Paradies für Insekten und Kriechtiere.

Eine Wiese in Türnitz.
Künftig sollen hier Einfamilienhäuser stehen.
© Fotocredit: Bernd Vasari | WZ

Doch Leeb will darauf kein Naturschutzgebiet errichten. Stattdessen soll die 3,7 Hektar große Fläche in Bauland umgewidmet werden, für rund 40 Bauplätze, um darauf Einfamilienhäuser zu errichten.

Bauzwang innerhalb von fünf Jahren

Um die Umsetzung zu sichern, greift Leeb auf das Landesgesetz zurück, das bei Neuwidmungen einen Bauzwang binnen fünf Jahren vorschreibt. Es muss gebaut werden, egal, ob die Flächen der Gemeinde verkauft werden oder nicht. Durch die Wiese soll auch eine Straße errichtet werden, die die Parzellen verbindet.

Doch es bleiben Fragen: Wäre es nicht nachhaltiger, den Ortskern zu beleben, statt grüne Wiesen zu versiegeln? Gibt es keine Alternativen, junge Familien anzulocken?

Es sind jene Fragen, die mit jeder Hitzewelle, mit jedem Hochwasser, mit den spürbarer werdenden Folgen des Klimawandels immer dringlicher werden. Fragen, die von der Politik beantwortet werden müssten.

Land Niederösterreich: „Wir wollen keine Zersiedelung“

Auf Landesebene ist das Thema präsent: Die niederösterreichische Regierung hat klare Ziele formuliert: „Ein wichtiges Anliegen ist dem Land die Belebung der Ortskerne“, und: „Wir wollen keine Zersiedlung, um damit den Charakter der Dörfer und das Gesicht der Heimat zu erhalten.“ Doch diese Vorsätze scheinen auf Gemeindeebene wenig zu bewirken.

Leeb argumentiert: „Junge Familien, die aufs Land ziehen, wollen ein Haus bauen“, sagt er im Gespräch mit der WZ. „Vergangenes Jahr mussten wir 30 Familien absagen, weil sie einen Bauplatz wollten, den wir nicht haben.“

Eine Karte in der St. Pölten, Traisental und Türnitz eingezeichnet sind.
Türnitz liegt 60 Busminuten von Sankt Pölten entfernt.
© Illustration: WZ

Dabei sieht er nun die Zeit gekommen, den Abwärtstrend in Türnitz zu stoppen. Bauplätze von Gemeinden in der Nähe urbaner Zentren sind rar und teuer geworden, der Traum vom Einfamilienhaus ist aber geblieben. In Türnitz gebe es hingegen Platz und die Aussicht auf günstige Grundstückspreise von 42 bis 75 Euro pro Quadratmeter. Bis Ende 2027 soll zudem der Glasfaserausbau fertig sein. „Bei uns kann man dann im Homeoffice arbeiten“, sagt Leeb.

Für die Umsetzung seiner Pläne ließ Leeb ein Raumordnungsprogramm ausarbeiten. Es lag sechs Wochen im Gemeindeamt auf und liegt der WZ vor. In den mehrere hundert Seiten dicken Ordnern sind die sinkenden Einwohner:innenzahlen angeführt: 2001 wohnten noch 2.050 Menschen in Türnitz, 2022 waren es nur noch 1.891.

Weniger Menschen, mehr Wohngebäude

Während die Bevölkerungszahl abnahm, stieg die Zahl der Wohngebäude: 2001 gab es 798 Wohngebäude, 2022 waren es 819.

Leeb sieht nicht ein, warum urbane Räume wie Sankt Pölten versiegeln dürfen, der ländliche Raum aber nicht.

Warum setzt er aber auf das Einfamilienhaus? Wäre es nicht nachhaltiger, ein Wohnhaus mit mehreren Wohnungen zu bauen?

Der Bürgermeister schüttelt den Kopf. „Es steht niemandem zu, vorzuschreiben, dass jemand in eine Wohnung gehen muss“, schimpft er. „Wer schafft uns das an?“ Er verweist auf eine Anlage in Türnitz, bei der es zehn Jahre lang dauerte, bis alle Wohnungen voll waren. „Wenn die Menschen zu uns kommen, dann wollen sie ein Eigenheim und nicht in eine Wohnung “, sagt er.

Leerstand und bereits gewidmete Flächen

Laut Raumordnungsprogramm gibt es in Türnitz 20 Prozent bereits gewidmete Flächen für Wohnbau, im Ortskern gibt es Leerstand. „Die Gemeinde hat darauf keinen Zugriff“, entgegnet Leeb, „die Gründe werden nicht verkauft und es gibt keinen Bauzwang auf diesen Flächen.“

Anders sieht die Lage auf der grünen Wiese vor dem Ortsgebiet aus. Die Flächen gehören drei Eigentümer:innen, sie sind für eine Widmung, sagt Leeb.

In Sankt Pölten wird es immer mehr und wir sollen heraußen verhungern.
Wolfgang Karner, Grundstücksbesitzer

Einer der Grundstücksbesitzer:innen ist Wolfgang Karner. „Das Projekt ist wichtig, sonst sterben wir aus“, meint Karner im Gespräch mit der WZ. Wer die Pläne umsetzt, weiß Karner noch nicht. „Entweder wir machen es selbst oder ein Immobilienentwickler.“ Vorstellen kann er sich auch Ferien-Chalets für Wanderer.

Ob die Versiegelung der richtige Weg sei? Karner schießt sich ebenso auf die Landeshauptstadt ein: „In Sankt Pölten wird es immer mehr und größer und da ist es egal“, sagt er. „Und wir heraußen sollen verhungern.“

Albtraum Wohnung

Es ist eine Haltung, die weit verbreitet ist unter den Türnitzer:innen. Bei einem Ortsrundgang der WZ reden sie davon, dass Menschen nicht in „Wohnungen gesteckt“ werden sollen, so, als wäre es eine Strafe. Auf dem Land zu leben, heißt für Türnitzer:innen, in einem Einfamilienhaus zu wohnen. Zersiedelung hin oder her. Daran gebe es nichts zu rütteln.

Ein Foto von Peter Denk.
Anrainer Martin Kratky gehört zu den wenigen Kritiker:innen im Ort.
© Fotocredit: Peter Denk

Anrainer Martin Kratky gehört zu den Wenigen, die gegen die Pläne des Bürgermeisters auftreten. „Es ist der falsche Weg, vor einer Belebung des Ortskerns zu kapitulieren“, sagt er zur WZ, „und stattdessen einen zweiten Ortsteil auf die grüne Wiese zu stellen.“

In Orten wie dem niederösterreichischen Türnitz zeigt sich, woran es scheitert, wenn die Frage nach dem wachsenden Flächenverbrauch gestellt wird.

Niederösterreichweit gesehen werden täglich 0,5 Hektar Boden zu Bauland gewidmet. Die durchschnittliche Wohnfläche ist in den vergangenen zehn Jahren von 48 auf 53 Quadratmeter angestiegen.

Die Maßnahmenliste der Landesregierung

Drei Gründe für diese Entwicklung nennt ein Sprecher der Landesregierung im Gespräch mit der WZ: der gestiegene Wohlstand, die gestiegene Lebenserwartung, der Trend zum Singlehaushalt. Kann der Bodenverbrauch gesenkt werden?

Die Maßnahmenliste ist lang: Über die Gemeinden hinaus dürfe nicht mehr gewidmet werden, neues Bauland dürfe nur im Anschluss an bisheriges Bauland entstehen, zudem dürfen die Gemeinden nicht mehr kurzfristig umwidmen, sondern müssen ein langfristiges Konzept vorlegen.

Und nicht zuletzt seien neue regionale Raumordnungsprogramme in finaler Vorbereitung und Abstimmung. „Das wird ein riesiges Paket gegen Bodenverbrauch und Zersiedlung“, heißt es aus der Landesregierung.

Wird der Traum vom Einfamilienhaus damit ausgeträumt sein?

Die geplanten Türnitzer Umwidmungen liegen derzeit beim Land Niederösterreich, das die Pläne genehmigen muss. Werden die Pläne durchgehen?

Das Thema „Häuslbauer“ sei sensibel, heißt es aus der Landesregierung, „die Politik werde keine Bevormundung aussprechen.“


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Infos und Quellen

Genese

„Wir wollen keine Zersiedelung und die Stärkung der Ortskerne“, steht im Programm der niederösterreichischen Landesregierung von ÖVP und FPÖ. Nur, warum funktioniert das nicht, fragte sich WZ-Redakteur Bernd Vasari, und bekam einen Hinweis.

Gesprächspartner:innen

Daten und Fakten

  • Ö3 Jugendstudie: 61 Prozent werden in Zukunft in einem Einfamilienhaus wohnen

  • Wie funktioniert eine Umwidmung?

    Umwidmungen sind Teil der Raumordnungspolitik und zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Der Bund legt etwa fest, wo Bundesstraßen oder Stromleitungen gebaut werden sollen, und greift so in die Raumordnung ein. Die Länder regeln die überörtliche Raumplanung, die Gemeinden sind für die örtliche Raumplanung verantwortlich.

    Der Gemeinderat legt für das Stadt- oder Ortsgebiet besondere Widmungen fest. Die Widmungen sind Teil des Flächenwidmungsplans. Daneben legt der Gemeinderat im Bebauungsplan fest, wie auf den einzelnen Teilen des Baulandes gebaut werden darf, also etwa wie viele Geschoße ein Gebäude haben darf. Der Gemeinderat hat die gesetzliche Kompetenz, Flächenwidmungs- und Bebauungspläne abzuändern. Das Land als übergeordnete Instanz muss die Änderung genehmigen. Wenn es grünes Licht gibt, wird die Umwidmung im Gemeinderat beschlossen. Ob ein Acker zu Bauland wird, entscheiden also demokratisch gewählte Vertreter:innen des Volks.

    Flächenwidmungen dürfen ausschließlich nach sachlichen Kriterien festgelegt werden. Umgewidmet werden darf zum Beispiel nicht, nur um den Wert eines Grundstücks zu erhöhen oder weil dem Wunsch eines/einer Grundstückseigentümers/Grundstückseigentümerin entsprochen werden soll, heißt es auf einem Infoblatt der NÖ Raumordnung

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien