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Über dirnenhafte Männer und ihre Freiheiten

6 Min
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zu einem feministischen Thema in der WZ.
© Illustration: WZ

Liederliche Männer zeigen ihre Brüste wieder in aller Öffentlichkeit und es ist ihnen nicht mal peinlich.


Wenn man nicht weiß, was man sagen soll, dann redet man übers Wetter.

Das stimmt vielleicht auch für Kolumnen, denn ich wusste diese Woche tatsächlich nicht, worüber ich schreiben soll. Einerseits sind hundert Dinge passiert, zu denen ich gerne meinen feministischen Senf geben würde, andererseits machen mich die meisten dieser Dinge so müde, dass ich mich am liebsten ins Bett legen würde, wahlweise weinend oder schlafend oder beides in chronologischer Abfolge, statt Kolumnen zu schreiben.

Es ist passiert, was immer passiert

Es ist halt das passiert, was immer passiert: Männer haben Frauen getötet. Männer haben Frauen vergewaltigt. Frauen wurden gefragt, warum sie über Vergewaltigungen reden und ob sie nicht eigentlich nur Geld und Ruhm wollen würden, denn wenn Vergewaltigungsopfer etwas verlässlich bekommen, sind es nicht Traumata und gesellschaftliche Ächtung sondern Geld und Ruhm. (Auf Social Media würde man diesen Satz mit /s markieren) Prostitution wurde glorifiziert und als feministisch verkauft. Frauen wurden geshitstormed auf Social Media. (Auch das wurde als feministisch verkauft). Eine Studie in Deutschland zeigte, dass jede fünfte Frau schon als Minderjährige Opfer von sexueller und sexualisierter Gewalt wird. Eine großangelegte Studie in Australien hatte zum Ergebnis, dass jeder dritte Mann in Partnerschaftenn gewalttätig ist. Über all das könnte man Kolumnen schreiben, wenn man noch die Energie dazu hätte, das immergleiche patriarchale Elend immer wieder zu kommentieren.

Diese Energie habe ich dieswöchentlich nicht, ich bitte um Verzeihung.

Ein bisschen Small Talk

Deshalb etwas Erfreuliches: Wetter. Und liederliche Männerkörper. Es ist nämlich wieder warm. Der Sommer hat lange auf sich warten lassen, aber ist nun endgültig ins Land gezogen und mit ihm hitzegerechte Outfits.

Und ja, liebe Leser:innen, hier ist er, der feministische Konnex, er lässt natürlich auch bei Small Talk übers Wetter nie lange auf sich warten, wenn Sie diesen Small Talk mit mir führen.

Je wärmer das Wetter, desto mehr sehen wir von den Körpern anderer. Wir sehen Bäuche, die sonst hinter High Waist Jeans kaschiert werden, Fettröllchen, Narben, Körperhaare und Gott bewahre: Nippel. Je mehr wir von Körpern sehen, desto offensichtlicher wird, welchen unterschiedlichen Normen und Ansprüchen diese, unsere, Körper unterworfen werden.

Männerbrüste

Zum Beispiel muss klar unterschieden werden zwischen männlichen und weiblichen Brüsten.

Weibliche Brüste erfüllen die lebensnotwendige Funktion der Ernährung von Säuglingen. Weibliche Nippel sind unverzichtbar wichtig für den Erhalt unserer Spezies. Weibliche Nippel sollten gezeigt, gefeiert und verehrt werden. Ohne weibliche Nippel gäbe es uns nicht. Ohne weibliche Nippel gäbe es überhaupt keine Nippel mehr. Männliche Nippel erfüllen keine sinnvolle Funktion, sie sind ausschließlich erogene Zone und damit inhärent sexuell. Deshalb ist es notwendig dafür zu sorgen, dass diese inhärent sexuellen Körperteile auch immer dann bedeckt werden, wenn sie ihren exklusiv sexuellen Zweck nicht unmittelbar erfüllen, alles andere wäre unanständig. Es ist beispielsweise äußerst fragwürdig, wenn Kinder sie zu Gesicht bekommen. Oder Fremde im öffentlichen Raum.

Jene männlichen Dirnen, die oben ohne durch die Stadt gehen, auf Konzerten lustvoll auf und ab springen oder im Schwimmbad kein Top tragen, entblößen, anders als Frauen, die kein Top tragen, damit einen inhärent sexuellen Körperteil. Und diese sexuelle Freizügigkeit, diese Liederlichkeit, man muss es sagen wie es ist, diese dirnenhafte Präsentation ihres Körpers, ist ihnen nicht mal peinlich.

Sie gehen freizügig durch die Stadt, eine einzige Einladung zu Sex auf zwei Beinen, und wundern sich dann, wenn man ihnen hinterherpfeift oder hingreift.

Der heterosexuell-männliche Blick

In patriarchalen Verhältnissen sind die Normen, mit denen Körper, insbesondere weibliche, bewertet werden aber selbstverständlich andere. Der von uns allen internalisierte heterosexuell-männliche Blick auf Körper und die damit einhergehende Sexualisierung weiblicher Körper ist so dominant, so hegemonial, dass Frauenkörper tabuisiert werden weil sie davor von diesem Blick sexualisiert werden. Während Männer tun dürfen was sie wollen und wie sie wollen.

Während Männer die Freiheit genießen bei Temperaturen über 30 in aller Öffentlichkeit und Freiheit herumzudutteln, wird von Frauen erwartet, ihren Oberkörper zu verhüllen. Männer schämen sich nicht, ihr T-Shirt auszuziehen: beim Grillen mit der Familie, auf Konzerten, auf der Bühne des Eurovision Song Contests, beim Spaziergehen auf der Straße, im Schwimmbad sowieso nicht. Frauen müssen ihre Brüste einpacken, Frauen müssen sich für ihre Brüste schämen. Weibliche Brüste gelten als inhärent unanständig, weil sie als inhärent sexuell gelten, weil sie ausschließlich aus der Perspektive des heterosexuell-männlichen Blickes und hinsichtlich ihrer für ihn erotisierenden Funktion bewertet werden. Auf Instagram dürfen weibliche Nippel nicht gezeigt werden, männliche schon. Schneidet man einen männlichen Nippel aus, und klebt ihn zur Zensur über einen weiblichen, ist die Sache wieder in Ordnung.

Männer dürfen, Frauen nicht

Männer dürfen freizügig sein, viel nackter als Frauen noch, oben ohne sogar, und werden dennoch nicht als „Schlampen“ beschimpft oder sexuell belästigt. Und wenn sie sexuell belästigt werden, wird die sexuelle Belästigung nicht in ihrem schlampenhaften Outfit begründet.

Sie dürfen oben ohne sein, gerne auch inklusive ausladender Bierwampe, und niemand findet es eigenartig oder ekelig oder unanständig. Sie dürfen Achselhaare haben und Beinhaare und unrasiert sein und niemand ist irritiert. Sie dürfen sich im öffentlichen Raum bewegen mit den Körpern die sie haben ohne ständig, bewertet zu werden, ohne ständig mit der Frage konfrontiert zu sein, ob ihr Körper den ästethischen, oder borniert-sexual-moralischen Vorstellungen aller anderen entspricht.

Und genau das, all das, sollen Frauen auch dürfen.

Genau das müssen wir uns nehmen, inklusive unserer Körperhaare und Wampen und Hängebrüsten.

Übrigens, passend dazu: In Wiener Bädern ist das Baden oben ohne auch für Frauen offiziell erlaubt. Alles andere wäre nämlich diskriminierend. In Deutschland gibt es mittlerweile eine Reihe von Gerichtsurteilen, die feststellten, dass die Aufforderung an Frauen, ihre Brüste zu bedecken gleichheitswidrig und diskriminierend und damit nicht rechtens ist.

Also: Let’s go.

Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Zur Autorin

Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.

Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.

Quellen