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Kurkow: „Der Krieg ist erst vorbei, wenn Putin tot ist“

10 Min
Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow wurde nach der russischen Invasion zu einer der wichtigsten Stimmen aus der Ukraine.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Picturedesk.com

Krieg kann nie wirklich verstanden werden. Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow begann nach der russischen Invasion über das Leben im Krieg zu schreiben und macht es greifbarer. Das Leid seiner Mitmenschen verliert er nicht aus dem Blick.


    • Im WZ-Interview in Amsterdam erklärt Andrej Kurkow, dass der Krieg seinen Humor veränderte, aber er weiterhin gegen Resignation kämpft.
    • „Der Krieg ist erst vorbei, wenn Putin tot ist“, sagt Kurkow und kritisiert die abnehmende Unterstützung der USA unter Trump.
    • Er fordert mehr Übersetzungen ukrainischer Literatur, um das Leben in der Ukraine besser zu verstehen.
    • Das Interview mit Andrej Kurkow fand in Amsterdam statt.
    • Kurkow bezeichnet den Krieg „wie einen Tornado“ und rechnet nicht mit einer schnellen Änderung der Lage.
    • Ukraine: Russland besetzt aktuell etwa 20 Prozent des Landes.
    • Kurkow schreibt auf Ukrainisch, Russisch und Englisch, seine Werke sind in 37 Sprachen übersetzt.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Der Ukrainer russischer Herkunft hat eine besondere Vorliebe für schwarzen Humor. Seine Werke wurden in 37 Sprachen übersetzt. Das Schreiben von Romanen und Kinderbüchern pausierte er eine Weile, um sich auf Erzählungen aus dem Krieg zu konzentrieren. Kurkow lebt seit seiner Kindheit in Kiew, ins Ausland reist er nur, wenn es sein muss. In Amsterdam sprach er mit Student:innen und hielt einen Vortrag über die Lage der europäischen Literatur. Die WZ traf ihn dort zum Interview.

WZ | Dennis Miskić
Ihr erstes Gedicht haben Sie mit sieben Jahren geschrieben, als zwei Ihrer Hamster gestorben sind. Hatten Sie jemals wieder einen Hamster?
Andrej Kurkow
Nein. Als der letzte gestorben ist, hatte ich nie wieder Hamster.
WZ | Dennis Miskić
Viele Ihrer Bücher – wie etwa „Graue Bienen“ oder „Pinguine frieren nicht“ – haben Tiere im Titel. Ist das eine Art Bewältigungsstrategie?
Andrej Kurkow
Ja, ich denke, das ist wie ein unterbewusstes Schuldgefühl. Ich habe Tiere in meine Bücher eingebaut, um den Tod der echten Tiere aus meiner Kindheit zu kompensieren.
WZ | Dennis Miskić
Woher kommt Ihre Liebe für schwarzen Humor?
Andrej Kurkow
Sie stammt aus der sowjetischen Vergangenheit, aus meiner Liebe zur russisch-sowjetischen Literatur der 1920er Jahre. Und sogar schon vor 1917 gab es experimentelle Schriftsteller:innen, die absurdistische Literatur geschrieben haben. Einer von ihnen war Daniil Charms. Er hatte ein ziemlich tragisches Leben. Er starb an Hunger in Leningrad während der Blockade im Krieg. Und er war tatsächlich einer der Väter des schwarzen Humors in der sowjetischen Literatur, aber er war verboten, also kannte ihn niemand. Seine Bücher wurden erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion veröffentlicht.
WZ | Dennis Miskić
Hat sich ihr Humor verändert, als der Krieg begann? Kann man inmitten solcher Erfahrungen überhaupt noch lustig sein?
Andrej Kurkow
Meinen Sinn für Humor habe ich zweimal verloren. Das erste Mal war im Januar 2014, weil ich auf dem Maidan war, als Menschen getötet wurden. Und dann nochmal, als die Invasion in vollem Ausmaß begann. Mein Humor kam einige Wochen später zurück, aber in weicherer Form. Schwarzer Humor wird oft mit Zynismus assoziiert. Meiner wurde durch den Krieg zynischer, aber nicht einfach nur schwarz.
Die Menschen schlafen seit langer Zeit nicht mehr richtig.
Andrej Kurkow
WZ | Dennis Miskić
Wie läuft denn das Leben in Kiew seit Februar 2022 ab?
Andrej Kurkow
Jede Nacht ertönt der Luftalarm. Die Menschen schlafen seit langer Zeit nicht mehr richtig.
WZ | Dennis Miskić
Gewöhnt man sich je daran?
Andrej Kurkow
Nein. Daran kann man sich nicht gewöhnen. Manchmal gibt es eine Nacht ohne Sirenen – und die Leute schlafen trotzdem nicht, weil sie liegen und auf die Sirenen warten. Wenn die Sirene dann ertönt, schaut man im Internet nach, ob es Drohnen oder Raketen sind. Ballistische Raketen sind viel gefährlicher und fliegen sehr schnell.
WZ | Dennis Miskić
Unter Ihrer jetzigen Wohnung in Kiew wird die ‚Bar 13‘ betrieben und ist weiterhin geöffnet. Wie ist denn dort die Stimmung?
Andrej Kurkow
Sie ist voll mit jungen Leuten zwischen 20 und 30 Jahren. Sie alle bleiben dort, bis die Bar schließt, und gehen dann in einen kleinen Park unter unseren Fenstern und bleiben dort bis zur Ausgangssperre. So läuft das jeden Tag ab. Es ist ziemlich ungewöhnlich, denn wenn man sie sieht und hört, hat man nicht das Gefühl, dass Krieg herrscht.
Jetzt hängt alles von der EU ab.
WZ | Dennis Miskić
Sie haben mal geschrieben, Krieg sei wie ein Tornado – man weiß nie, wohin er zieht und wie er endet. Wo sehen Sie die aktuelle Situation in der Ukraine hinsteuern?
Andrej Kurkow
Überallhin. Ich glaube nicht, dass sich die Lage ändern wird. Es wird jede Nacht Drohnenangriffe geben, Raketenangriffe jeden oder jeden zweiten Tag. Russland wird weiterhin langsam vorrücken. Und jetzt hängt alles von der EU ab. Denn offensichtlich will Trump sich nicht mehr einmischen. Er will der Ukraine keine militärische Hilfe mehr leisten. Ich möchte nicht spekulieren, aber ich denke, bis zum Jahresende wird sich an der Situation nichts ändern.
WZ | Dennis Miskić
Wie schätzen Sie Trump ein?
Andrej Kurkow
Nun, erstens interessiert ihn Geopolitik nicht. Amerikanische Präsidenten und Politiker:innen waren immer an Geopolitik interessiert. Sie haben immer die Demokratie verteidigt und die Länder, die demokratisch werden wollten. Aber mit Trump kümmert sich die amerikanische Regierung nicht mehr darum. Er hat rein wirtschaftliche Interessen. Putin sieht er nicht als Kriegsverbrecher, sondern als Geschäftsmann, mit dem er Deals schließen kann. Aber da ist ein Hindernis: die Ukraine. Er will diesen Krieg beenden, nur um das Hindernis aus dem Weg zu räumen und den Handel mit Russland wieder zu öffnen. Trump war in seiner ersten Amtszeit auch sehr freundlich zum nordkoreanischen Führer. Er urteilt politisch nicht über Menschen, die Menschenrechte missachten. Er verhält sich also sehr unamerikanisch.
Die Gesellschaft versteht: Man kann mit Russland keine Abkommen schließen.
Andrej Kurkow
WZ | Dennis Miskić
Wie geht es den Ukrainer:innen denn gerade?
Andrej Kurkow
Nun, die meisten meiner Freunde verstehen, dass dieser Krieg nicht enden wird, bevor Putin tot ist. Das ist sein letzter Krieg. Er will zeigen, dass er der Stärkste ist. Die internationale Ordnung, Gesetze oder Abkommen kümmern ihn nicht. Vielleicht gibt es hin und wieder Pausen, aber er wird weitergehen. Und es ist unvorhersehbar, was passieren wird, denn dieser Krieg schwächt die russische Wirtschaft enorm. Russland fehlen Arbeitskräfte. Sie verlieren viele Menschen an der Front und in den Fabriken fehlen Arbeiter:innen. Gleichzeitig gibt es in der Ukraine keine Verzweiflung. Niemand in Kiew, Lwiw oder Charkiw weint und sagt: „Gib ihm doch die halbe Ukraine, Hauptsache, der Krieg ist vorbei.“ Die Gesellschaft versteht: Man kann mit Russland keine Abkommen schließen.
WZ | Dennis Miskić
Haben Sie das Gefühl, dass westliche Politiker:innen Russland verstehen?
Andrej Kurkow
Einige verstehen es. Die litauischen Politiker:innen verstehen es sehr gut. Die polnischen auch. Aber je weiter man sich von der Ukraine entfernt, desto weniger Verständnis gibt es. Ich glaube, spanische und portugiesische Politiker:innen denken noch immer, Russland sei ein normales Land, mit dem man normal reden kann. Russland hat viele politische Parteien in Europa finanziert – meist rechts- und linksextreme. Einige dieser Politiker:innen sind jetzt einflussreicher als früher. Sie kämpfen um Macht in den Wahlen und fordern, die Hilfe für die Ukraine zu stoppen.
WZ | Dennis Miskić
Was braucht die Ukraine denn gerade jetzt am dringendsten?
Andrej Kurkow
In erster Linie Munition und finanzielle Hilfe.
WZ | Dennis Miskić
Sie sind hier, um den jährlichen Vortrag über die Lage der europäischen Literatur zu halten. Warum ist es wichtig, auch ukrainische Literatur hervorzuheben?
Andrej Kurkow
Weil die ukrainische Literatur Teil der europäischen Literatur ist, aber sie ist noch sehr wenig bekannt. Die klassische ukrainische Literatur ist praktisch unbekannt. Es gibt kaum Übersetzungen. Erst jetzt beginnen einige kleine Verlage, klassische ukrainische Bücher zu übersetzen. Solange Europäer:innen keine Bücher von ukrainischen Autor:innen lesen, werden sie nichts über das ukrainische Leben wissen – und das ist eigentlich der einfachste Weg, ein anderes Land und seine Menschen zu verstehen: Lies ein Buch aus diesem Land, geschrieben von einer:m guten Autor:in, das Gedanken, Träume und Hoffnungen dieser Nation beschreibt.


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Infos und Quellen

Genese

Wie läuft der Alltag in der Ukraine ab? Kann man im Krieg überhaupt noch humorvoll sein? Während Friedensgespräche laufen, greift Russland weiter an und tötet Zivilist:innen. Wohin führt dieser Krieg? Das wollte Dennis Miskić von Andrej Kurkow wissen.

Gesprächspartner

Der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow wurde nach der russischen Invasion zu einer der wichtigsten Stimmen aus der Ukraine. Er begann, die Lage für internationale Medien einzuordnen und schilderte in seinem Buch „Tagebuch der Invasion“ den Alltag im Krieg. Das Schreiben von Romanen und Kinderbüchern pausierte er für eine Weile.

Daten und Fakten

  • Die russische Invasion der Ukraine begann am 24. Februar 2022. Krieg gab es schon 2014 mit der Annexion der Krim. Der Kreml unterstützte paramilitärische Truppen, die im Osten des Landes Krieg führten und das Gebiet besetzten. Heute sind etwa 20 Prozent der Ukraine von Russland eingenommen. Friedensgespräche kommen derzeit kaum voran.
  • Andrej Kurkow ist Ukrainer mit russischer Herkunft und schreibt auf Ukrainisch, Russisch und Englisch. Seine Bücher und Dokumentarfilme sind in über 60 Ländern erschienen. Absurdität und Humor gehören bei ihm dazu.

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