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„Das Handy beruhigt uns Schüler:innen“

5 Min
Im zweiten Teil der WZ-Serie "Klassenkampf ums Smartphone" kommen die Schüler:innen zu Wort.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock, Pexels

Der Umgang mit dem Smartphone in Schulen ist in Österreich nicht geregelt. Das hat schwerwiegende Folgen. Schüler:innen erzählen über einen Schulalltag im Ausnahmezustand.


Digitales Second Life statt analogem Unterricht. Smartphones sind längst Teil des Alltags von Jugendlichen geworden. Auch in der Schule wollen sie nicht darauf verzichten, erzählen Dutzende Schüler:innen aus Gymnasien, Neuen Mittelschulen und Berufsbildenden Höheren Schulen, mit denen wir in den vergangenen Wochen gesprochen haben. Das sorgt für chaotische Zustände im Unterricht, erzählen sie.

Beim Auftakt unserer WZ-Serie „Klassenkampf ums Smartphone“ kamen die Lehrenden zu Wort. Im zweiten Teil sind nun die Schüler:innen an der Reihe. Sie sagen, warum es ohne Smartphone nicht geht – und bleiben anonym, um keine Probleme zu bekommen.

„Ich bin schon ein bisschen süchtig“

Sophia H. ist es von zuhause schon gewohnt. Einmal kann die 16-Jährige unbegrenzt ihr Handy benutzen, dann wieder heißt es plötzlich „Das Handy wird jetzt abgedreht“. In ihrer Schule, einer Höheren Bildenden Lehranstalt, ist das nicht anders. „Den meisten Lehrer:innen ist es egal, wenn die Schüler:innen während des Unterrichts am Handy sind“, erzählt sie. Während der Lehrer vorne seine langweiligen Folien präsentiere, schreibt sie mit ihren Freundinnen, die gerade an anderen Schulen im Unterricht sitzen.

Auch mit ihrer Mutter schreibt sie während des Unterrichts, erzählt Sophia H.: Was es heute zu essen gebe, ob sie noch Geld zum Shoppen bekomme, ob die Mutter am Nachmittag zuhause sei. Von ihrer Freundin weiß sie bereits, dass sich der Typ vom Wochenende gemeldet hat und von ihrer Klassenkollegin zwei Bänke vor ihr, dass sie keine Karten mehr für den Schulball bekommen habe.

„Wenn wir ohne Handy sind, dann fehlt uns etwas, dann fühlen wir uns unsicher“, sagt Sasa F.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

In den Stunden mit ihrem Klassenvorstand müsste das Handy abgegeben werden. „Wenn unser KV am Anfang des Unterrichts sagt, dass die Handys bitte auf die dafür vorgesehenen Ablagefächer bei der Tafel gebracht werden sollen, dann machen das 6 von 30 Schüler:innen. Mehr nicht“, sagt Sophia H., „das ist aber auch egal, weil es sowieso keine Folgen hat.“ Sie ist halt dann manchmal eine von diesen sechs Schüler:innen und legt ihr Handy hin, weil sie selbst wisse, dass sie viel zu viel am Handy hängt. „Ich bin schon ein bisschen süchtig“, sagt sie.

Meistens hat sie das Handy bei sich. Und wenn ein:e Lehrer:in darauf besteht, dass sie ihr Handy wegstecken soll, geht sie aufs Klo. „Davon kann mich niemand abhalten“, sagt sie. Sehr zum Ärger der Lehrer:innen. Die erratischen Ausbrüche von Eltern und Lehrer:innen, was das Handy betrifft, ist sie gewohnt. Das Handy gehöre halt zu ihrer Generation dazu, sagt sie achselzuckend.

Wenn alle anderen Schulkolleg:innen auch kein Handy hätten, wäre das für sie ok. Vielleicht sogar besser. Manchmal beneidet sie ihre Eltern, wenn sie von einer Zeit ohne Handy erzählen. Aber sie will keine Außenseiterin sein.

„Ohne Handy sorgen wir für Unruhe“

„Für uns Schüler:innen ist es ganz normal, über das Handy zu kommunizieren“, sagt Sasa F. Er ist 15 Jahre alt und besucht die fünfte Klasse eines Wiener Realgymnasiums, „wir sind damit aufgewachsen.“ Im Unterricht gibt es regelmäßig Ärger mit den Lehrer:innen, erzählt er. „Jede:r Lehrer:in hat einen anderen Zugang, bei dem einen dürfen wir Musik hören, bei dem anderen müssen wir es in die Tasche geben und abdrehen“, sagt der Schüler. „Wir kennen uns nicht mehr aus und machen es gefühlt immer falsch.“

Auf die Frage, warum die Schüler:innen nicht von selbst das Smartphone wegpacken, schüttelt er den Kopf und antwortet: „Wenn wir ohne Handy sind, dann fehlt uns etwas, dann fühlen wir uns unsicher.“ Wie wirkt sich das aus? „Ohne Handy würden wir garantiert für Unruhe in der Klasse sorgen.“

Wir freuen uns über Feedback von Schüler:innen. Was sind eure Erfahrungen mit dem Smartphone in der Schule?

Während des Gesprächs liegt Sasas Handy auf dem Tisch. Es blinkt unaufhörlich. Sasa lässt sich aus dem Gespräch reißen, einmal lacht er über komische Snaps, ein anderes Mal wischt er über die Oberfläche. „Unser Handy beruhigt uns Schüler:innen“, sagt er. „Wenn was passiert, kann ich jemanden gleich anrufen.“ Was passieren soll, weiß er nicht. Seine Eltern verlangen aber von ihm, dass er ständig erreichbar ist, damit sie wissen, wo er sich gerade aufhält.

„Die Lehrer:innen sind doch selbst am Handy“

„Was ich in der Schule lerne, hat wenig mit der Realität zu tun“, sagt Klara S. (17), die ein Gymnasium in Wien besucht. „Ich lerne, wie ich eine mathematische Formel löse oder von wann bis wann der Dreißigjährige Krieg stattgefunden hat, aber nichts, was ich für meine Zukunft brauche“, sagt sie. „Und dann wundern sich die Lehrer:innen, wenn wir immer nur am Handy sind.“ Das führe regelmäßig zu Konflikten. „Sie sagen uns, wir sind handysüchtig, wir sagen ihnen, der Unterricht ist langweilig.“

Der Schulstoff dürfte zudem die Lehrer:innen selbst langweilen, glaubt die Schülerin. „Die Lehrer:innen sind doch selbst am Handy.“ Vor allem, wenn die Schüler:innen gerade Schularbeiten oder Tests schreiben und in Supplierstunden. „Sie wollen etwas durchsetzen, woran sie sich selbst nicht halten“, sagt Klara S. „Ich finde, es braucht Regelungen für die Lehrer:innen.“

Wir freuen uns über Feedback. Was sind eure Erfahrungen mit dem Smartphone in der Schule? Schreibt uns an feedback@wienerzeitung.at.

In der nächsten Folge der WZ-Serie „Klassenkampf ums Smartphone“ kommen die verantwortlichen Politiker:innen zu Wort.


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Infos und Quellen

Genese

Die Schulleistungen der Kinder im Umfeld der beiden WZ-Redakteur:innen Ina Weber und Bernd Vasari wurden schlechter, bis die Handys von ihren Eltern verstaut wurden. Und die 25-jährige Trainee Nora Schäffler ärgert sich noch immer, dass sie in ihrer Schulzeit so viel Zeit am Handy verbracht hat.

Gesprächspartner:innen

  • Die WZ hat mit vielen Schüler:innen gesprochen. Die meisten wollten ihren Namen nicht nennen, damit sie offener reden können. Im Text wurden Aussagen von folgenden Personen verwendet:

  • Sasa F. (15), Schüler

  • Klara S. (17), Schülerin

  • Sophia H. (16), Schülerin

Daten und Fakten

Quellen

Das Thema in der WZ

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