Warum jubeln die Bauern nicht über das Renaturierungsgesetz? Ich habe Wutbauer Christian Bachler gefragt.
Es ist seit gut eineinhalb Wochen das bestimmende Thema in Österreichs Innenpolitik. Umweltministerin Leonore Gewessler hat sich, basierend auf mehreren Gutachten, die ihr selbiges erlaubten, über den – sowieso bereits brüchigen – Beschluss der Länderchefs hinweggesetzt, für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt und so die entscheidende Mehrheit für das Gesetz erbracht.
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Koalitions-Konflikte
In Wien schäumte die ÖVP, brachte Klage wegen Amtsmissbrauch gegen Gewessler ein, löste die Koalition aber nicht auf. Wie jetzt, Herr Nehammer: Vertrauen sie jetzt ihrer Ministerin oder nicht? Am Rande: Eh klar, dass Nehammer jetzt die Koalition nicht auflöst und sich auf das Spiel der freien Kräfte einlässt, wenn er kurz vorher noch groß gegen Kickl getönt hat – weil dann müsste er mit selbigem Mehrheiten schaffen und seine Glaubwürdigkeit wäre beim Hugo. Aber egal. Es gibt jetzt nämlich auch eine Klage gegen Nehammer und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler: Der Jurist Sven Hartberger meint nämlich, die ÖVP würde nur klagen, weil sie ihre eigene Klientel befriedigen will, gleichzeitig weiß sie, dass es aufgrund der Rechtslage keine Chance auf Sieg gibt – ergo verleumdet sie Ministerin Gewessler. Zeitgleich verweigerten die ÖVP-Landesrät:innen ein Treffen zum wichtigen Thema Energieversorgung, weil sie böse auf Gewessler sind – was Kolumnistenkollege Georg Renner auf X treffend mit den Worten „Manchmal würd ich schon gern von Erwachsenen regiert werden“ kommentierte.
Widerstand der Bauern
Es ist Zeit, dass in diesem Land endlich wirklich Bananen angebaut werden – dank Klimawandel wird das wohl nicht mehr so lang dauern. Die gesamte Debatte ist nur noch verwunderlich: Die eine Seite spricht von Enteignungen, obwohl davon nichts im Gesetz steht, eine andere behandelt das Gesetz, als ob es die Rettung von Europa wäre, der Klimawandel ist beendet, danke.
Ich, das Wiener Stadtkind, dessen Erfahrung von Landwirtschaft nicht über „in Tauplitz vom Nachbarsbauern Milch holen und in der Früh den Kühen beim Grasen vorm Balkonfenster zuschauen“ hinausgeht (und selbst damit habe ich wahrscheinlich noch mehr Erfahrung als so einige andere Stadtkinder), wunderte mich über den Widerstand der Bauern und Bäuerinnen. Gerade die sind doch abhängig von einer funktionierenden Natur, warum sträuben die sich so dagegen?
Auf Facebook erklärte unser aller Wutbauer Christian Bachler (der aus dem Buch und dem Film „Bauer und Bobo“ von Florian Klenk), warum er nichts davon hält. Er meinte, das sei ein Gesetz für die Grün-Bobos aus der Stadt, die keine Ahnung haben, was draußen am Land wirklich passiert. Das wunderte mich noch viel mehr, weil ja gerade er immer wieder sehr spannend darüber berichtet, wie sich der Klimawandel auf seine Landwirtschaft auswirkt, zum Beispiel, wie sehr sich die Fauna auf den Almen verändert hat. Also fragte ich nach und wir redeten (Disclaimer: Wir kennen uns schon seit einiger Zeit.).
EU-Förderungen zum Renaturieren
Er argumentierte mit überbordenden Regulierungen, mit denen es langsam reicht, und stellte die Frage in den Raum, wie „freiwillig“ Renaturierungen sein werden, auch wenn es so im Gesetz steht. „Weißt, wenn es um so EU-Gesetze geht, ist Österreich dann meistens besonders talentiert in der Umsetzung, wenn du weißt, was ich meine“, erklärte er. Ganz genau wusste ich es nicht, aber ich merkte: Seine Erfahrungen in der Vergangenheit mit neuen Gesetzen und Regularien ließen ihn nicht allzu positiv auf die neuen Beschlüsse schauen.
Na, aber Moment mal, heißt es nicht auch überall, dass für die Landwirt:innen finanzielle Anreize und Förderungen geschaffen werden sollen, damit sie die Flächen renaturieren? Und heißt’s nicht auch immer, dass die Bauern und Bäuerinnen von der EU gefördert werden wie kaum eine andere Berufsgruppe? Was regen die sich also noch auf, kriegen ja noch mehr Geld?
Bachler hielt dagegen: „Du Lustige, innerhalb eines landwirtschaftlichen Betriebs sind 10.000 Euro zum Beispiel kaum noch was wert, danke an die Inflation der letzten Jahre und die abgenommene Kaufkraft. Oder warum glaubst du, dass grad der Reihe nach Landwirte aufgeben? Die Förderungen sind nicht mehr so hoch wie früher, gleichzeitig kosten zum Beispiel Traktoren inzwischen das Dreifache.“
Immer mehr Landwirt:innen sind wirtschaftlich nicht mehr konkurrenzfähig. Gäbe es die Förderungen aber nicht, müssten sie ihre Ware – ob Obst, Gemüse, Eier oder Fleisch – grob geschätzt um das locker Fünffache verkaufen. Das wiederum könnte die Bevölkerung sich dann nicht mehr leisten. Und da haben wir noch gar nicht über die Rolle des Lebensmitteleinzelhandels geredet, der die Bauern und Bäuerinnen zugunsten einer höheren Marge für den eigenen Konzern oft massiv im Preis drückt.
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Die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verlieren
Gab es 2005 noch fast 190.000 landwirtschaftliche Betriebe in Österreich, waren es 2022 nur noch etwa 127.500, 2023 überhaupt bereits unter 110.000. Ja, manche führten ihre Flächen zusammen und vergrößerten so ihre Betriebe, aber viele verkaufen ihr Land – und es entstehen beispielsweise Supermärkte und Parkplätze auf diesen Flächen. Während man vor einem Jahrhundert in Österreich durch Landwirtschaft reich werden konnte, ist es inzwischen für viele ein Kampf um Wirtschaftlichkeit geworden. Dass da die Ökologie und der Klimaschutz oft auf der Strecke bleiben, muss man wohl nicht weiter erwähnen (auch wenn der Anteil der Bio-Landwirtschaft hierzulande mit über 25 Prozent auffällig hoch und lobenswert ist).
„Weißt, man kann den ökologischsten Betrieb führen“, erklärt mir Bachler, dem Ökologie ein echtes Anliegen ist, das beweist er immer wieder, wenn er online von seinen Erfahrungen schreibt. „Aber wennst nicht wirtschaftlich agieren kannst, kannst dir die ganze Nachhaltigkeit auch einrexen“, ergänze ich. Das ist nämlich eine der wichtigsten Regeln im Nachhaltigkeitsmanagement für Unternehmen: Die Wirtschaftlichkeit darf nicht aus den Augen verloren werden, sonst bringt jegliche Nachhaltigkeitsmaßnahme niemandem was.
Man könnte als zynischen Scherz angesichts der sich mehrenden Hochwässer und Gewitterstürme nun sagen, vielen Bauern und Bäuerinnen steht das Wasser bis zum Hals. Das tut es wirklich, aber ökonomisch. Dadurch wird – für mich zumindest – die Gegnerschaft der Bauern und Bäuerinnen auf das Renaturierungsgesetz nachvollziehbar.
Kleinteilige Landwirtschaft statt industrielle Großbetriebe
Aber ganz ehrlich: Wir müssen endlich sicherstellen, dass die Natur Raum und Gesundheit zurückgewinnt. Das ist nicht nur für die von Bachler abschätzig Stadtbobos genannten Menschen, sondern auch und gerade für eine Branche, die mit der Natur arbeitet und von ihr lebt, wichtig. Und ich persönlich bin froh über diesen EU-weiten Beschluss, weil er ein wichtiges Signal ist, dass es so mit unseren Landschaften nicht weitergehen kann. Es braucht die harten Schnitte für die Umwelt. Aber es braucht halt auch kleinteilige Landwirtschaft, die für Biodiversität und Klimaschutz weitaus sinnvoller ist als irgendwelche industriellen Großbetriebe.
Das nun beschlossene Renaturierungsgesetz beinhaltet einiges an nationaler Autonomie – und ich hoffe, dass diese dafür genutzt wird, in einem Schulterschluss von Landwirtschaft und Naturschutz sinnvolle Maßnahmen zu finden. Gemessen am derzeitigen Verhalten der zuständigen politischen Stellen – siehe oben - bin ich dahingehend aber leider nicht allzu optimistisch.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Genese
Neben dem politischen Lärm rund um das Renaturierungsgesetz wollte die Autorin sich direkt mit einem „betroffenen“ Landwirt unterhalten, dessen Abneigung gegen das Gesetz sie überraschte.
Quellen
Kleine Zeitung: Zahl der österreichischen Landwirte unter 110.000 gefallen
Statista: Gesamtzahl landwirtschaftlicher Betriebe und Bio-Betriebe in Österreich von 2005 bis 2022
Kleine Zeitung: "Wir sind näher dran am Ende der Landwirtschaft als wir denken"
Salzburger Nachrichten: Landwirte wollen das Feld nicht räumen
X: Georg Renner
Falter: Da staunt der Laie. Neues zum „Fall“ Gewessler, Strafanzeige gegen Karl Nehammer.
Hanser Literaturverlage: Florian Klenk, Bauer und Bobo