Es gibt zu wenige Fachkräfte für eine erfolgreiche Energiewende. Das Wiener Start-up ecoTRN hat nun einen Weg gefunden, wie das Problem gelöst werden kann.
Österreich gehört zu den innovativsten Nationen im Umweltbereich. Beim EU-weiten Eco-Innovationsindex erzielten nur Luxemburg und Finnland ein besseres Ergebnis. Auch auf gesetzlicher Ebene wurden die Weichen für eine grüne Zukunft gestellt: Für den Ausbau von erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind und Wasser fließt bis 2030 jährlich eine Milliarde Euro aus Steuermitteln. Das dafür ausverhandelte Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wurde vergangenes Jahr im Nationalrat mit einer Zweidrittel-Mehrheit beschlossen. Die nötige Technologie und die finanziellen Mittel stehen also bereit. Was fehlt, sind jedoch ausgebildete Fachkräfte, die Solaranlagen installieren, den Druck in Wärmepumpen kontrollieren oder Rotoren für Windräder fertigen.
- Mehr für dich: Waldbrände in Kalifornien: Wie eine Familie alles verlor
Laut dem Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) werden bis 2032 jedes Jahr 15.000 neue Stellen im Bereich grüner Stromerzeugung entstehen. Ein Bedarf an Arbeitskräften, der schon heute nicht mehr gedeckt werden kann: Viel zu wenig Elektrotechniker:innen bilden sich weiter, viel zu wenig Arbeitslose werden für sogenannte Green Jobs angelernt, viel zu lange dauern Schulungen.
Ende Juli 2023 waren beim AMS 13.513 sofort verfügbare offene Stellen in „klimarelevanten“ Berufen gemeldet. Laut AMS vervierfachte sich die Anzahl der offenen Jobs in diesem Bereich innerhalb von zehn Jahren. Allerdings seien sie schwerer zu besetzen als andere offene Stellen. Es sind Stellen, bei denen man PV-Anlagen aufs Dach montiert, Windräder in Gang setzt und Wärmepumpen in Betrieb nimmt.
„Lernen soll Spaß machen“
„Weiterbildungen werden immer noch frontal unterrichtet und sind oftmals langweilig“, sagt Jakob Selinger und hält eine VR-Brille in die Höhe. „Dabei sollte Lernen Spaß machen.“ Voriges Jahr gründete der Wiener das Start-up ecoTRN. Mit moderner Technik will er erreichen, woran konventionelle Schulungen scheitern: die flächendeckende Ausbildung von Fachkräften für die Energiewende. Gemeinsam mit der Agentur Mindconsol entwickelte er dafür ein digitales Schulungsprogramm mit einer Lernsoftware für VR-Brillen.
Selinger reicht mir die Brille zum Selbstversuch. Wenige Momente, nachdem ich sie aufgesetzt habe, ist die virtuelle Welt nicht mehr von der echten zu unterscheiden. Die virtuelle Wärmepumpe, die mit ein paar Handbewegungen bedient werden kann, wird sehr schnell als reale Wärmepumpe wahrgenommen. Eine Stimme führt durch das Schulungsprogramm. Virtuelle Türen können geöffnet, Schalter gedreht und virtuelle Knöpfe gedrückt werden. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in den Tisch der realen Welt hineinläuft. Da das Gehirn nichts anderes als die virtuelle Welt zu sehen bekommt, blendet es die reale Welt aus.
Unendliche Wiederholungen möglich
„Es geht bei der Inbetriebnahme einer Wärmepumpe vor allem um die Abläufe“, sagt Selinger. „Die sind nicht schwierig, man muss sie aber im Kopf haben.“ Mit der VR-Brille könne man sie so oft wiederholen, bis sie sitzen. „Egal zu welcher Tageszeit, egal an welchem Ort, egal, ob in einem Stück oder mit Pausen.“ Das Schulungsprogramm ist ausgelegt für die Weiterbildung von bestehenden Fachkräften und für die Umschulung von branchenfremden Personen, „von der Supermarktkassa zum Green Job in der Energiewende“, sagt Selinger. Das Programm dauert, je nach Vorbildung, zwei Wochen bis sechs Monate.
Mit den VR-Brillen setzt Selinger auf einen Trend, der gerade erst richtig losgeht. Bisher waren die Modelle von Marc Zuckerbergs Meta Quest der Pulsgeber für Virtual Reality, für die Virtuelle Realität. Bis Apple-Chef Tim Cook Ende Juni die Apple Vision Pro vorstellte. Ein Wettlauf der beiden Tech-Giganten um dieses Milliardengeschäft steht bevor. Ein Wettlauf, der den Markt mit VR-Brillen überschwemmen wird.
Vorne dabei beim Zukunftstrend
Selinger möchte bei dieser Entwicklung vorne dabei sein: „Ich setze jetzt schon auf Technologie, die in einem Jahr en vogue sein wird“, sagt er. „Die Brillen werden bald bekannter sein, die Leute werden sich auskennen und keine Angst mehr davor haben.“ Seine Schulungsprogramme funktionieren auf allen VR-Brillen.
Für die Gründung von ecoTRN bekam Selinger eine Förderung von der Wirtschaftsagentur Wien, sein Startkapital liegt bei 80.000 bis 120.000 Euro. Auf Investoren will er verzichten. „Ich mag nicht nach Zahlen gelenkt werden“, sagt er, „mir geht es um einen Beitrag für die Energiewende.“
Finanziell ist er nach mehreren erfolgreichen Firmengründungen, darunter Woof Palace und Metaskills Academy, gut aufgestellt. Abseits der Förderung stammen die finanziellen Mittel allein von ihm.
Fehlen noch die Mitarbeiter:innen; das Ziel sind 30 bis 40, darunter Vortragende für Elektro-, Heizungs- und Klimatechnik. Bis wann er dieses Ziel erreichen will? Selinger lacht, dann sagt er: „Es wird nicht leicht, denn es sind genau jene Bereiche, die am stärksten vom Fachkräftemangel betroffen sind.“
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteur Bernd Vasari hat bereits viele Artikel über den Fachkräftemangel geschrieben und ist stets auf der Suche nach kreativen Lösungen für dieses Problem. Dann hörte er vom Wiener Start-up ecoTRN.
Gesprächspartner:innen
Jakob Selinger (32) ist Unternehmer und Gründer des Ausbildungsinstituts für Lehrlinge, Metaskills Academy, sowie des Onlineshops Woofpalace. Er hat seinen Bachelor in Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und seinen Master in International Management – mit Schwerpunkten Entrepreneurial Finance – an der Universität Utrecht absolviert. Selinger ist zudem als Lektor an der FH Wien WKW tätig.
Mathieu Völker ist Sprecher von AMS Österreich
Angela Köppl ist Ökonomin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und ist in der Forschungsgruppe "Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie" tätig.
Infos und Quellen
Website von ecoTRN:
AMS/Wifo-Studie: Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Hinblick auf die Ökologisierung der Wirtschaft
Kompetenzanforderungen in einer digitalisierten Arbeitswelt:
Statistik Austria: Umweltorientierte Produktion und Dienstleistung
Das Thema in anderen Medien
Kleine Zeitung: Wo Apples Vision überzeugt und was die Konkurrenz anbietet
Der Standard: Wenig Interesse an Jobs für den Klimaschutz
Brutkasten: Wiener Start-up bietet Ausbildung mit VR für Green Jobs