)
Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier über die revolutionäre Gen-Schere CRISPR/Cas9 und den Nutzen, den sie für uns alle hat.
Die DNA im Erbgut ist der Grundbaustein des Lebens. Sie steuert alle Prozesse im Körper, Fehler in ihr können Krankheiten auslösen. Mit der von Ihnen im Jahr 2012 entwickelten Gen-Schere CRISPR/Cas9 lässt sich DNA durch präzise Schnitte gezielt verändern und reparieren. Man verspricht sich davon neue Therapien gegen Aids, Krebs oder schwere Erbkrankheiten. Erfüllen sich die Erwartungen? Wie nützt uns Menschen die Gen-Schere schon heute konkret?
Die Erwartungen an die Technologie erfüllen sich. Es gibt zugelassene Therapien gegen die lebensbedrohliche Sichelzellenanämie – eine erbliche Krankheit der roten Blutkörperchen, die zu Schmerzen, Blutarmut, Verstopfung der Blutgefäße und einer Schädigung lebenswichtiger Organe führt – sowie gegen erbliche Beta-Thalassämie, bei der zu wenig rote Blutkörperchen gebildet werden. Auch Therapien gegen Krebs, insbesondere gegen Leukämie, und gegen kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen, wie zystische Fibrose, sind in der Pipeline.
Wie läuft eine Therapie mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9 ab?
CRISPR/Cas9 ist eine neue Form der Heilung durch einen Schnitt im Genom oder eine Korrektur desselben. Wir arbeiten mit menschlichen Zellen, die wir dem Körper entnehmen, im Labor korrigieren und dann wieder in den Körper einbringen. Freilich ist eine solche Therapie nicht auf die leichte Schulter zu nehmen: Zur Heilung von Sichelzellenanämie oder Beta-Thalassämie müssen sich Patienten einer Knochenmarktransplantation unterziehen. Allerdings müssen sie das nur ein einziges Mal tun: Ist die DNA-Veränderung einmal im Körper, bleibt sie. Von bisher 50 bis 60 Patienten hat es meines Wissens nach bei nur einer einzigen Person nicht funktioniert.
Welche Krebsformen könnten damit geheilt werden?
Eine neue Therapie gegen Leukämie beruht auf einer Genom-Editierung der T-Zellen des Immunsystems. Dadurch sollen Körperzellen die Fähigkeit gewinnen, Krebszellen zu erkennen und sie abzutöten. Das wurde bereits erfolgreich im klinischen Versuch gegen bestimmte Formen von Leukämie angewandt.
)
Wie viel kostet eine solche Behandlung mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9?
Die Kosten liegen derzeit bei zwischen 1,5 und 2,5 Millionen Euro pro Behandlung, je nachdem, ob man in Europa oder in den USA lebt.
Also ist es eine Therapie für Reiche?
Nicht unbedingt. Es ist nur anfangs so teuer. Man muss die Zellen punktgenau genetisch verändern. Das ist noch nicht ganz einfach, aber sobald es Routine wird, sinken die Kosten. Man muss auch bedenken, dass man seine Gene nur einmal im Leben verändern muss, damit die Behandlung wirkt. Andere Therapien erfordern, dass man etwa ein Drittel seines Lebens hospitalisiert ist und monatlich Bluttransfusionen machen muss, die extrem schmerzhaft und teuer sind, jedoch nur eine kurze Lebenserwartung versprechen. Natürlich freut sich niemand über die Kosten, aber die CRISPR/Cas9-Therapie ist effektiver und weniger schmerzhaft als bisherige Methoden.
In Europa ist es verboten, genetisch veränderte Pflanzen anzubauen, obwohl die Gen-Schere Vorteile für die Landwirtschaft und die Welternährung verspricht. Was halten Sie von solchen Verboten?
Die EU hat 2018 entschieden, dass mit CRISPR/Cas9 modifizierte Pflanzen denselben Regulierungen unterliegen wie andere genetische Modifikationen, obwohl das Verfahren gezielt und somit sicherer ist. Die Wissenschaftscommunity war dagegen. Mit CRISPR/Cas9 genetisch modifiziertes Saatgut ist eine Chance für die Welternährung und ich denke, es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese konservative Haltung aufgehoben wird.
Es werden auch Nutztiere mit CRISPR/Cas9 verändert. So gibt es Kühe ohne Hörner und Hühner, die allergenfreie Eier legen. Was sind die Risiken und Nebenwirkungen?
Es gibt Rinder ohne Hörner, weil Hörner in der Viehwirtschaft nicht nötig sind, und es ist denkbar, dass die Gen-Schere hier einen Nutzen hat. Andere Anwendungen können ethisch grenzwertig sein. Was sich alles damit machen lässt, war uns von Anfang an klar, und vieles wurde nicht gemacht aus ethischen Bedenken. Insbesondere zu Beginn machten uns mögliche Nebenwirkungen Sorgen. Heute tun sie das weniger, weil die Technologie mit ihren verschiedenen Upgrades immer präziser geworden ist. Wenn man seine Experimente ordentlich macht, sodass keine unerwünschte Modifikation an unerwünschter Stelle auftritt, sind die Risiken der Technologie klein. Außerdem wird die Korrektur im Labor gemacht, nicht direkt im Körper. Erst die korrigierten und gewissenhaft geprüften Zellen bringen wir dann wieder in den Körper ein.
Ich wusste, dass ich den Nobelpreis bekommen würde, und war vorbereitet.Emmanuelle Charpentier
Für die Entwicklung von CRISPR/Cas haben Sie und Ihre Kollegin Jennifer Doudna 2020 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Überraschte Sie das?
Nein, es hat mich nicht überrascht. Bevor wir im Jahr 2011 die ersten Daten im Fachjournal Nature publiziert hatten, hatte ich bereits sehr klar über die Anwendungen von CRISPR/Cas geschrieben. Ideen, wie die Technologie zu Therapien weiterentwickelt werden könnte, etwa indem man damit genetische Erkrankungen beim Menschen heilen kann, waren schon sehr früh da. Vieles davon behielt ich deswegen für mich, weil ich verstand, dass es groß werden würde.
Arbeitet man auf einen Nobelpreis gewissermaßen hin?
Als ich ein Postdoc war, das war 1997 an der Rockefeller-Universität in New York, sagte mir ein Kollege, dass ich mir keine Sorgen machen müsse, ich würde ohnehin einmal den Nobelpreis bekommen. Ich hatte schon damals vielversprechende Daten, an denen ich wie verrückt arbeitete, weil ich nur neun Monate am Institut bleiben durfte. In den letzten zwei Wochen schlief ich nur drei Stunden pro Nacht und nahm zumeist nicht am Sozialleben meiner Kollegen teil. Ab 2015 ging die Forschungscommunity dann davon aus, dass die CRISPR-Entdeckung mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden würde, dann 2016, und so fort. Und da ich sehr pragmatisch bin und immer strategisch handle, bereitete ich einen Kommunikationsplan, Presseaussendungen und Dankesstatements schon Jahre im Voraus vor.
Wie ging es Ihnen, als das Nobel-Komitee anrief?
Ich erhielt den Anruf in Berlin mitten im Covid-Lockdown. Ich wusste, wer das Telefonat tätigen würde, und dann meldete sich der Generalsekretär des Komitees und sagte: „Emmanuelle …“ und ich antwortete, „ja ...“ und er fragte „du bist nicht überrascht?“ und ich sagte „nein“. Und das war es dann auch, abgesehen von den Gratulationen. Danach darf man 40 Minuten lang niemandem etwas erzählen, bis das Komitee seine Entscheidung der Welt bekannt gibt. Nur zwei nahestehende Menschen rief ich an und avisierte ihnen: „Gleich kommt es in den Nachrichten“.
Man muss die Stimme für die Wissenschaft erheben, denn sie ist in Gefahr.Emmanuelle Charpentier
Haben Sie heute noch Zeit für Forschung?
CRISPR veränderte mein Leben ab 2009, da schon der erste „Heureka-Moment“ nahelegte, welch fundamentalen Impact die Entdeckung haben würde. Seit der zweiten Publikation 2012, die darauf eingeht, wie die Technologie zu nutzen ist, reise ich von Land zu Land, um ein Bewusstsein für die Grundlagenforschung dahinter und ihre innovativen Anwendungen zu schaffen. Es gab eine Zeit, in der ich zu vielen Preisverleihungen ging. Den ersten Preis im Jahr 2011 wollte ich ablehnen, weil ich verstanden hatte, dass weitere Auszeichnungen folgen würden, und dass diese mein Leben stark verändern würden. Aber meine Kollegen bedrängten mich. Sie wollten, dass Europa und jene Wissenschaftler, die das Projekt gestartet und bis zum Ende durchgeführt hatten, die gebührende Anerkennung bekommen. Also nahm ich an. So wichtig das intellektuell war, physisch war und ist es ein Marathon – der Nobelpreis war nur eine Facette davon –, denn ich habe so viele Anfragen, dass eine Person allein sie selbst mit Assistenz nicht bewältigen kann.
Wie geht eine Nobelpreisträgerin mit dem Scheitern um? Oder sind Sie nie gescheitert?
Ich bin viele Male gescheitert! Scheitern ist ein Teil des Prozesses vom Experiment zum Erfolg. Außerdem half mit das deutsche System, die Beine auf dem Boden zu behalten. Ich musste meine Vision und meine Forschung anpassen an Probleme, die mit Gebäudekonstruktion und anderen Hindernissen zu tun haben, was mich gezwungen hat, pragmatisch zu bleiben und zu akzeptieren, dass ich meine Visionen nicht so durchführen konnte wie geplant. Preisverleihungen und der Forschungsalltag sind zwei Paar Schuhe, und was ich nicht erwartet hatte, ist, dass einen die Struktur selbst nach dem Nobelpreis nicht schützt. Es fragt immer noch niemand, wie sie einem am besten helfen können, sodass man endlich frei atmen und seine Arbeit in Ruhe machen kann. Außerdem wird es immer wichtiger, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die Wissenschaften gut sind und man ihnen vertrauen sollte, weil es ohne sie keine Therapien gegen bösartige Krankheiten gäbe. Krebs ist in vielen Fällen heilbar, wenn man ihn rechtzeitig entdeckt, Impfungen verhindern Infektionen. Ich nehme mir viel Zeit, all dies zu erklären. Es gibt viele Randbewegungen, die die Evolution oder die Diversität nicht anerkennen, daher müssen wir die Stimme für die Wissenschaft erheben, denn sie ist bedroht. Und es ist mir wichtig, jungen Menschen zu sagen, dass es sich lohnt, den Weg der Wissenschaft zu gehen, und dass ein solches Ergebnis nie von einer Person allein erreicht wird. CRISPR/Cas-9 ist jedenfalls das Ergebnis der Begeisterung und der harten Arbeit vieler junger Forschender.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen, dir ist ein Fehler aufgefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Eva Stanzl interviewte die Molekularbiologin Emmanuelle Charpentier bereits 2018, als es noch keine konkrete Anwendung für die von ihr entwickelte Gen-Schere CRISPR/Cas9 gab. Kürzlich hatte sie wieder die Gelegenheit, mit der Chemie-Nobelpreisträgerin zu sprechen, als die Spitzenforscherin ein Ehrendoktorat der Universität Wien erhielt.
Gesprächspartnerin
Emmanuelle Marie Charpentier, geboren am 11. Dezember 1968 in Juvisy-sur-Orge, Frankreich, ist eine französische Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin. 2020 wurde ihr für die Entwicklung der „Genschere“ CRISPR/Cas9 zusammen mit Jennifer A. Doudna der Nobelpreis für Chemie verliehen. Seit 2018 ist Charpentier Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin, zuvor war sie ab 2015 Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.
Emmanuelle Charpentier studierte ab 1986 Biologie, Mikrobiologie und Genetik an der Universität Pierre und Marie Curie in Paris, wo sie 1995 für ihre Forschungsarbeiten am Institut Pasteur einen PhD in Mikrobiologie erwarb. 2002 wechselte sie an die Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien, wo sie zunächst als Gastprofessorin, ab 2004 als Assistant Professor und nach ihrer Habilitation in Mikrobiologie 2006 als Associate Professor angestellt war, und jene Forschungsgruppe aufbaute, mit der sie die entscheidenden Arbeiten zu CRISPR/Cas9 in die Wege leitete.
Das von ihr mitbegründete Unternehmen CRISPR Therapeutics ist eine Schweiz-amerikanische Biotechnologiefirma mit Hauptsitz in Zug, das Therapien auf dieser Basis entwickelt. Im Geschäftsjahr 2019 erzielte es einen Umsatz von 252 Millionen Euro bei einem Ergebnis nach Steuern von 58,21 Millionen Euro.
Daten und Fakten
CRISPR/Cas9 ist ein Verfahren, mit dem sich die DNA, der Grundbaustein allen Lebens, gezielt schneiden, verändern und reparieren lässt. CRISPR ist der Name für bestimmte Gensequenzen in Bakterien und das Akronym für „Clustered regularly interspaced short palindromic repeats“. Zusammen mit dem Protein Cas9 bilden diese Gensequenzen in Bakterien einen natürlichen Abwehrmechanismus, mit dem die DNA eindringender Viren zerstört wird. Im Jahr 2012 haben die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckt, dass dieser Mechanismus in jedem Organismus funktioniert und man mit ihm die DNA an jeder Stelle ganz präzise durchtrennen und verändern kann, um Schäden zu reparieren. CRISPR/Cas9 ist günstiger und effizienter als andere Methoden der Genmanipulation.
,,CRISPR wäre nicht so erfolgreich, wenn es nicht genau zum richtigen Zeitpunkt Anfang 2010 in der Biologie angekommen wäre. Damals waren mit High Sequencing der Gene schnelle und zugleich hochwertige bildgebende Verfahren, um Moleküle und Zellen unter dem Mikroskop zu untersuchen, ganz neu. Und man konnte bereits pluripotente Stammzellen kultivieren und Organoide in Zellkulturen züchten. Auch Fortschritte in der Robotik und die Big-Data-Analyse durch Künstliche Intelligenz waren entscheidend", sagt Molekularbiologin Charpentier.
Quellen
Simply Science: CRISPR/Cas: Eine Methode, viele Anwendungen
Transparenz Gentechnik: Hornlose Kühe, allergenfreie Hühnereier: Genome Editing bei Nutztieren
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Nobelpreisträgerin Charpentier: "Bei mir ist alles strategisch"
ZDF Heute: Neue Therapie gegen Sichelzellenanämie