Die meisten Amerikaner:innen trauen Joe Biden aus Altersgründen keine weitere Amtszeit zu. Doch der Präsident ist nicht der einzige US-Politiker, der, hochbetagt, nicht von der Macht lassen kann.
Er brauche einfach mehr Schlaf und werde in Zukunft keine öffentlichen Auftritte mehr nach 20 Uhr annehmen. Sowieso sehe er die Kernzeit seines Jobs zwischen zehn Uhr morgens und 16 Uhr am Nachmittag. Diesen Zeitplan legte Präsident Joe Biden vor wenigen Tagen den demokratischen Gouverneur:innen bei einem Treffen im Weißen Haus vor. Damit reagierte Biden auf seinen desaströsen und in mehrfacher Hinsicht verwirrenden Auftritt beim ersten Fernsehduell Ende Juni gegen Herausforderer Donald Trump.
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Beruhigen konnte er damit die Sturmwellen in der eigenen Partei nicht. Viele Parteimitglieder, doch vor allem viele Wähler:innen, sehen den 81-jährigen Biden nicht mehr als „fit for office“, als fit für das Präsidentenamt. Die Warnglocken schrillen bei den Demokrat:innen im ganzen Land, denn in einigen wenigen Bundesstaaten, den sogenannten Swing-States, wie Arizona, Wisconsin und Pennsylvania, wird es am Ende nur auf wenige tausend Stimmen Unterschied ankommen. Wenn Biden da nicht die eigene Basis von sich überzeugen und mobilisieren kann und dazu noch „Independent Voters“, nicht als Demokraten oder Republikaner registrierte Wähler:innen, für sich gewinnen kann, ist die Wahl bereits im Vorfeld entschieden.
Kein Generationenwechsel
Joe Biden war schon im Jänner 2021 bei seiner Vereidigung zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika mit seinen 78 Jahren der älteste Amtsinhaber in der Geschichte der USA. Im Wahlkampf 2020 hatte er sich, auch aufgrund seines Alters, noch als ein Übergangspräsident bezeichnet. Was das bedeuten sollte, ließ er offen: Eine Übergabe der Amtsgeschäfte nach nur zwei Jahren an Vize-Präsidentin Kamala Harris? Nur eine Amtszeit?
Hinter vorgehaltener Hand wurden bereits mögliche Kandidat:innen gehandelt, die gegen Donald Trump in den Wahlkampf ziehen sollten, darunter der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom, und die Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer. Am 25. April 2023 erklärte Biden dann allerdings in einem Video: „Es ist keine Zeit, selbstzufrieden zu sein. Deshalb kandidiere ich für meine Wiederwahl.“ Damit überraschte er viele in seiner eigenen Partei, die auf einen Generationenwechsel gehofft und Biden beim Wort genommen hatten.
Was Präsident Biden in seiner Ankündigung nicht erwähnte, war dann jedoch das Hauptthema in der Berichterstattung auf allen Kanälen – sein Alter. Die demokratische Meinungsforscherin Celinda Lake sah das am gleichen Abend nicht als ein großes Problem, obwohl in Umfragen kurz nach der erneuten Kandidatur 70 Prozent der amerikanischen Wähler:innen erklärten, dass Joe Biden nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren sollte. Unter Demokrat:innen lag diese Zahl bei 51 Prozent. Der Hauptgrund, der immer wieder genannt wurde, war das Alter Bidens: „Wenn das Alter das Schlimmste ist, was sie über Joe Biden gegen Donald Trump sagen können, der ja fast im gleichen Alter ist, dann sind wir gut aufgestellt“, meinte Celinda Lake lapidar dazu.
Ganz anders die Reaktion auf dem konservativen Nachrichtenkanal Fox News. Dort machte Moderator Steve Hilton deutlich, was er von einer weiteren Amtszeit des Präsidenten hält: „Er kann kaum laufen, kaum sprechen, kann kaum noch den Job machen, den er jetzt hat. Die ganze Biden-Präsidentschaft ist ein altersbedingter Fehler.“
Noch mit 100 im Senat
Dabei sind ältere Amtsträger:innen nichts Ungewöhnliches in den USA. 34 von 100 Senator:innen sind 70 Jahre und älter. Am Wahltag im November 2024 werden acht von ihnen 80 Jahre und älter sein. Den Altersrekord im US-Senat hält der Republikaner Strom Thurmond, der von 1956 bis 2003 seinen Bundesstaat North Carolina vertrat. Im Alter von 100 Jahren schied er aus dem Senat aus. Das Magazin New Yorker schrieb damals, am Ende seiner Amtszeit sei er nur noch „unzurechnungsfähig“ gewesen, Mitarbeiter:innen mussten bei Abstimmungen seine Hand führen.
Im derzeitigen Senat sieht der Republikaner Charles Grassley aus Iowa, der im September 91 Jahre alt wird, noch immer keinen Grund zum Aufhören. Er hat vielmehr schon kurz nach seiner Wiederwahl 2022 seine Kandidatur für 2028 angekündigt und die offiziellen Unterlagen bei der Wahlbehörde, der „Federal Elections Commission“, eingereicht. Er würde dann als 95-Jähriger für den Bundesstaat Iowa zur Wahl stehen. Auch die 89-jährige kalifornische Demokratin Dianne Feinstein hielt viel zu lang an ihrem Job fest, bis sie schließlich im Frühjahr 2023 erklärte, sie werde nicht erneut für ihren Senatsposten antreten. Der San Francisco Chronicle berichtete zuvor, man habe mit vier Senatoren gesprochen, einem Abgeordneten und drei früheren Feinstein-Mitarbeiter:innen, niemand wollte mit Namen erwähnt werden. Eine:r von ihnen habe jedoch gesagt: „Ich habe eine lange Zeit mit Feinstein zusammengearbeitet und weiß, wie sie noch vor ein paar Jahren war. Immer führungsstark und verantwortungsbewusst. Jedes Gespräch ging um eine neue Idee oder eine Gesetzesinitiative. All das ist weg.“
Nur wenige Monate darauf, im September 2023, verstarb Dianne Feinstein. Noch immer im Amt.
Der Druck zu bleiben ist enorm
Stärker als eine tatsächliche Altersgrenze wird in der amerikanischen Öffentlichkeit eine zeitliche Begrenzung für Amtsträger:innen diskutiert, die nicht so offensichtlich auf das Alter der aktiven Politiker:innen abzielt, aber Auswirkungen darauf hätte. Ein sogenanntes „term limit“ gibt es in den USA für das Präsidentenamt, für gewählte Ämter in vielen Bundesstaaten und vor allem auf regionaler und lokaler Ebene. Nicht aber für Kongressabgeordnete und Senator:innen. „Ich hatte das große Glück, dass ich ein gewähltes Amt hatte, bei dem es eine Begrenzung gab. Ich musste nicht darüber nachdenken, ob ich für eine dritte Amtszeit kandidiere“, meint denn auch Libby Schaaf, die von 2014 bis Anfang Jänner 2023 Bürgermeisterin im kalifornischen Oakland war. Zwei Amtszeiten, dann war Schluss, zumindest in Oakland. Schaaf ist Demokratin.
Sie erklärt, dass das Aufgeben eines Amtes nicht immer so einfach sei, wie es bei ihr war – und nicht wenige deshalb bis ins hohe Alter weitermachen. „Man sorgt sich um seine Mitarbeiter, andere unterstützen dich und haben auch ein Interesse daran, dass du in deinem Amt bleibst. Da ist also ein enormer Druck, dass, wenn du einmal einen bestimmten politischen Job hast, den auch lang behältst. So funktioniert das System. Es gibt viele Argumente auf beiden Seiten für eine zeitliche Begrenzung der Ämter und darüber, wie lang diese sein sollen. Ich bin froh darüber, dass bei mir ein Ende automatisch war und ich diese harte Entscheidung nicht treffen musste.“
Libby Schaaf setzte sich deshalb als lokale Politikerin für eine Begrenzung der Amtszeiten der Stadträte von Oakland ein. Solch ein „term limit“ würde sie allerdings auch für den Kongress begrüßen, um so vor allem den großen Druck der Lobbyist:innen in Washington von den Parlamentarier:innen zu nehmen. Und damit, so sagt sie, würde indirekt auch das Problem mit zu alten gewählten Abgeordneten gelöst werden. Allerdings, wenn ein Bundesstaat das im Alleingang für sich entschiede, handelte er sich andere Nachteile ein, so Schaaf: „Das Problem dabei ist, dass wir ein System haben, in dem Seniorität belohnt wird. Sagen wir mal, ein Staat wie Kalifornien würde eine zeitliche Begrenzung für die kalifornischen Abgeordneten und Senatoren im Kongress einführen wollen. Das würde Kalifornien dann gegenüber anderen Staaten bei der Verteilung von Ausschusssitzen nach Seniorität benachteiligen.“
Libby Schaaf ist nach ihrem Ausscheiden aus dem Rathaus in Oakland Direktorin von „Emerge California” geworden, einer Organisation, die versucht, Frauen, vor allem junge Frauen, auf ihrem Weg in gewählte Ämter zu fördern und zu unterstützen. Sie selbst war vor 20 Jahren die erste Absolventin von „Emerge California“: „Damals gab es viele Organisationen, die Frauen halfen, für Ämter auf Bundes- oder bundesstaatlicher Ebene zu kandidieren. Aber niemand dachte an die Pipeline dahin. Politiker müssen irgendwo anfangen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass man gleich im ersten gewählten Amt als kalifornischer Senator beginnt. Deshalb unterstützt Emerge Frauen, die für die Schulaufsichtsbehörde oder den Stadtrat kandidieren.“
„Behutsamer Mittelweg“
Ältere Politiker:innen werden in den USA aber nicht nur als Problem gesehen. Caroline Cicero ist Professorin an der Leonard Davis School of Gerontology der University of Southern California in Los Angeles. Statt „term limits“ hält sie eine Diskussion über die Rolle von Senior:innen in der Politik für geboten. Als Beispiel nennt sie gleich zwei prominente Mitglieder des US-Kongresses: den unabhängigen Senator Bernie Sanders, 82 Jahre alt, und die Demokratin Nancy Pelosi, 84, die bis zur Kongresswahl 2022 ihre Partei im US-Abgeordnetenhaus anführte: „Vor 14 Jahren wurde die Gesundheitsreform Affordable Care Act verabschiedet, da war sie gerade mal 70 Jahre alt. Aber ihre Erfahrung und ihre Fähigkeiten haben zur Annahme dieses Gesetzes geführt.“
Gerontologie-Professorin Caroline Cicero fordert daher „einen behutsamen Mittelweg zwischen dem Anprangern des Alters und den Möglichkeiten einer Person. Kann sie noch die Aufgaben erledigen, die für einen Job gebraucht werden?“
Die Kompetenzfrage, die Cicero stellt, führt allerdings zur Folgefrage, ob es einen Kompetenztest für Politiker:innen ab einem bestimmten Alter geben sollte: „Das ist eine große Frage, die ich auch immer wieder meinen Studierenden in den Ethik- und in den Gerontologieklassen stelle. Ich glaube aber nicht, dass wir das in unserem derzeitigen amerikanischen Politiksystem umsetzen können.“
Nichtwähler:innen könnten entscheiden
Bislang machten sich konservative Medien und das Trump-Lager nur über das wackelige Auftreten Bidens und dessen Versprecher lustig. Doch nun hat der Präsident ein größeres Problem, große Teile seiner eigenen Basis als auch der für einen Wahlsieg wichtigen „Independent Voters“ glauben nicht mehr an ihn. Nicht, dass sie nun Donald Trump wählen würden, doch mit einem mangelnden Vertrauen in die Fähigkeiten Joe Bidens werden damit die Nichtwähler:innen zum entscheidenden Wähler:innenblock bei den kommenden Wahlen. Und das verspricht kein gutes Ende.
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Infos und Quellen
Genese
Joe Bidens schwaches Auftreten im TV-Duell mit Donald Trump ist mittlerweile legendär. WZ-Korrespondent Arndt Peltner ist aufgefallen, dass der Präsident bei weitem nicht der einzige US-Politiker in weit fortgeschrittenem Alter ist. Die Vermutung, dass dieses Phänomen mit dem politischen System der USA zusammenhängt, hat sich bestätigt.
Gesprächpartnerinnen
Die Demokratin Libby Schaaf war von 2014 bis Anfang Jänner 2023 Bürgermeisterin im kalifornischen Oakland. Sie ist eine Freundin von US-Vizepräsidentin Kamala Harris, ebenfalls Demokratin.
Gerontologie-Professorin Caroline Cicero
Daten und Fakten
70 Prozent der amerikanischen Wähler:innen sind der Ansicht, dass Joe Biden nicht für eine zweite Amtszeit kandidieren sollte.
US-Präsident Joe Biden hat zuletzt gemeint, nur Gott selbst könne ihn aus dem Rennen um die Präsidentschaft drängen.
34 von 100 US-Senator:innen sind 70 Jahre und älter.
Ein „Kompetenztest“ für Politiker:innen ab einem bestimmten Alter wird von den meisten Expert:innen als nicht zielführend und/oder umsetzbar erachtet.
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Der Standard: Wie können die US-Demokraten Joe Biden noch ersetzen?