Politik gestaltet die Welt, Wirtschaft gießt sie in Zahlen, Kultur macht sie besser, doch Wissenschaft weist in die Zukunft. Im Wahlkampf wir sie aber nicht aktiv thematisiert – ein Versäumnis.
Wissenschaft ist unsexy. Zu abstrakt, zu komplex, zu abgehoben und im Alltag betrifft sie uns nicht, heißt es von verschiedenen Seiten immer wieder. Vielleicht ist diese Sichtweise mit ein Grund, warum Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielen. Anders lässt sich dieses Rätsel nämlich schwer erklären.
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Obwohl sich dieser Themenkomplex in jedem Wahlprogramm findet, wird er aktiv kaum thematisiert.
In keiner TV-Debatte ging es bisher prominent etwa darum, wie man junge Menschen für zukunftsweisende Ausbildungen begeistern könnte. Dabei suchen Forschungsgruppen an heimischen Universitäten dringend nach qualifizierten Talenten und diese wiederum suchen nach guten Möglichkeiten, einen spannenden, interessanten Karriereweg einzuschlagen. Weiters nimmt kein Wahlprogramm Bezug auf eine völlig neue Dimension unseres Daseins, die Künstliche Intelligenz, und die Frage, wie unser Land junge Menschen und ihr Arbeitsleben darauf vorbereiten will. Und auf keinem Wahlplakat steht geschrieben, dass wir die Erderwärmung unmöglich ohne die Klimaforschung in den Griff kriegen können.
Freilich müssten echte Werbetalente ans Werk, um einer breiten Bevölkerung wissenschaftliche Zusammenhänge kurz und knackig zu vermitteln. Eine Aufgabe, die vielen vielleicht zu anspruchsvoll scheint, also heißt es immer wieder gern, dass sich „mit Wissenschaft keine Stimmen gewinnen“ ließen.
Wie Forschung uns alle betrifft
Doch gerade die schweren Regenfälle und Hochwasser der letzten Tage haben auf dramatische Weise vor Augen geführt, wie stark Wissenschaft jede:n Einzelne:n von uns betrifft. Auf praktisch jedem Kanal erklärten Forschende die Gründe für die klimawandelbedingten Wetterereignisse und nannten konkrete Schritte, was zu tun sei, um die schlimmsten Auswirkungen der Erderwärmung zu vermeiden. Sie sagten klar, mit welchen Maßnahmen sich die Auswirkungen noch beschränken ließen, und präsentierten Neues. Oder habt ihr etwa gewusst, wie stark Hochwasser die Psyche bedrückt? Diese Art der Naturgewalt stellt einen der größten mentalen und emotionalen Schocks dar, denen ein Mensch möglicherweise ausgesetzt sein kann. Anders als manche anderen Katastrophen lassen sie sich nur schwer verdrängen, weil Wasser sich in der Erinnerung besonders intensiv einprägt, wie ein Team der katalanischen Universitat Oberta in Barcelona berichtet.
„Es wundert mich, dass der Klimawandel im Wahlkampf eine so eine geringe Rolle spielt, vor allem nach über 50 Tropennächten in Wien und diesem heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen“, sagt die Umweltökonomin Siegrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien zur WZ. Sie vermisse „Climate Leadership“ vonseiten des Bundeskanzlers – also eine ambitionierte Politik, „die das Klima in all unserem Handeln mitdenkt“.
Zukunftsweisende Ideen statt Falschinformation
Auch bei den Austrian Technology Talks in Wien wurden kürzlich Forderungen im Kontext der Wissenschaften gestellt. So empfiehlt der Forschungsrat „die Gründung eines nationalen Kompetenzzentrums für Künstliche Intelligenz“, um dieser Technologie Rechnung zu tragen. Angesichts neuer Bedrohungen durch Cyberangriffe, Falschinformation online und Technologiespionage spricht man sich auch für den Aufbau einer „ausreichend dotierten“ Behörde zur Prävention, Ausforschung und Aufarbeitung von feindlichen Cyberaktivitäten aus.
Soweit einige Themen aus den Wissenschaften, die alle betreffen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei auch, dass Österreich in Europa Innovationen nicht nur auf den Weg, sondern auch in den Markt bringen und die Profite davon ernten muss, um sowohl heute als auch in Zukunft zu prosperieren. Denn derzeit tragen führende Unternehmen mit zahlreichen Standorten Knowhow in Länder wie China, die uns dann über die Hintertür unsere Produkte für weniger Geld verkaufen. Solarpaneele etwa wurden zwar in Europa erfunden, aber heute überschwemmen solche aus China den Markt. Und der Quantencomputer – eine Innovation aus Österreich und dem deutschsprachigen Raum – wird heute in den USA gebaut. Wenn wir nicht in Vermarktung investieren, verlieren wir Handlungsspielraum für eine selbstbestimmte Zukunft.
Der Mensch lebt jedoch im Moment
Doch die Zukunft eignet sich wohl nicht als Wahlkampfthema. Denn der Mensch tut sich rein von seiner Natur her schwer, über die eigene Nasenlänge hinauszudenken. Den Moment erleben wir intensiv, über das Morgen machen wir uns vielleicht Sorgen, und was in einem Monat zu tun sein wird, schreiben wir in den Kalender. Doch wie unser Leben in fünf Jahren aussehen wird, wissen wir nicht. „Menschen waren immer schon schlecht im Abwägen von Risiken“, sagt der Verhaltensforscher Kurt Kotrschal. Wir können uns schwer vorstellen, wie unser Land ohne Bildung, Wissenschaft und Innovation weiterkommen würde, weil wir sie uns, anders als etwa leistbare Mieten, nicht mehr erkämpfen müssen, sondern – noch – haben.
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Infos und Quellen
Genese
Politik gestaltet die Welt, Wirtschaft gießt sie in Zahlen, Kultur macht sie besser. Doch Wissenschaft ist die Tätigkeit, aus der Zukunft besteht: Dieser Ansicht ist WZ-Redakteurin Eva Stanzl. Während der Pandemie mit dem Coronavirus erlebte sie erstmals, dass die Wissenschaft die Beachtung erhielt, die sie verdient. Umso verwunderlicher erschien es ihr, dass sie zusammen mit Innovationsforschung und Bildung im Wahlkampf kaum thematisiert wird.
Gesprächspartner:innen
Sigrid Stagl, geboren am 4. Dezember 1968 in Wien, ist Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nachhaltiges Arbeiten, Ökologische Makroökonomie, integrierte Bewertungsmethoden und sozioökonomische Theorie des Handelns. Ihr empirischer Fokus liegt auf Energie und Nahrungsmitteln.
Kurt Kotrschal, geboren am 5. Mai 1953 in Linz, ist Biologe, Verhaltensforscher und Autor. Er ist Professor im Ruhestand an der Universität Wien, ehemaliger langjähriger Leiter der Konrad Lorenz Forschungsstelle für Ethologie in Grünau im Almtal und Mitbegründer des Wolfsforschungszentrums in Ernstbrunn.
Quellen
Ecological Economics: Floods and happiness: Empirical evidence
The Lancet: Human emotional and planetary health
Das Thema in der WZ
Wahlkampf: Warum Migration stärker wirkt als Klimawandel
Das Thema in anderen Medien
Die Presse: Die Wissenschaft darf nicht länger negiert werden
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