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Was bedeutet Blau-Schwarz für queere Menschen?

4 Min
Schwul und Kinder? Nein, danke. Die heteronormative Kernfamilie ist das Wunschbild der FPÖ.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Kickl und die FPÖ möchten laut Parteipprogramm die Uhr in Sachen LGBTQ+-Rechte zurückdrehen. Aber können sie das?


Der FPÖ-Abgeordnete Michael Gruber hat im Wahlkampf ein Video veröffentlicht, in dem er die Regenbogen-Fahne, Symbol der LGBTQ+-Gemeinschaft, in den Mistkübel stopft. Er sagt im oberösterreichischen Dialekt: „Wir wollen ein Manderl, a Weiberl, und dann gibt’s Kinder.“

Im FPÖ-Parteiprogramm steht: „Ein eigenes Rechtsinstitut für gleichgeschlechtliche Beziehungen lehnen wir ab.“

An anderer Stelle fordert die Partei, dass in der Verfassung die zwei Geschlechter – Mann und Frau – festgeschrieben werden.

Ehe nicht mehr für alle?

Klingt, als wäre das Ende der Ehe für alle sowie für die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare vorprogrammiert. Bereits 2019 beantragte die FPÖ, die Ehe für alle wieder abzuschaffen.

Die ÖVP hingegen scheint sich mit den Gegebenheiten abgefunden zu haben. 2017 hatten die Schwarzen (bzw. damals: Türkisen unter Sebastian Kurz) noch gegen die Ehe für alle gestimmt.

Doch kurz danach haben Österreichs Verfassungsrichter:innen das Rad der Zeit nach vorne gedreht.

Anders als in anderen Ländern sind Weichenstellungen für die queere Community nicht über das Parlament erfolgt, sondern über Gerichtsurteile.
Das Verfassungsgericht hatte schon 2014 entschieden, dass lesbische Paare eine Samenspende in Anspruch nehmen dürfen. 2017 folgte dann eben jener Entscheid, dass die Ehe für alle Geschlechter offen ist. Eine Differenzierung, auch in der Adoption oder Pflegeelternschaft, sei eine unzulässige Diskriminierung im Hinblick auf die sexuelle Orientierung.

Im ÖVP-Wahlprogramm für die Nationalratswahlen heißt es unter „Karl Nehammer: Das Programm":

„Familien mit Kindern sind und bleiben unser Leit-bild. Wir anerkennen und unterstützen gleichzeitig auch andere Formen des Zusammenlebens, in denen Verantwortung und Sorge füreinander getragen wird."

Das ist vage genug. Karl Nehammer ist aber bekanntlich zurückgetreten. Trotzdem: Sollte Blau-Schwarz Gesetze beschließen, wonach Ehe oder Adoption für Homosexuelle nicht mehr möglich sei, könnten diese vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten werden.

Blick ins Gesicht statt in die Hose

Auch die anderen Gerichte waren in Österreich fleißiger bei der Gleichstellung als das Parlament. Das Verwaltungsgericht hat 2009 entschieden, dass Trans-Personen ihr Geschlecht im Personenstandsregister ändern können, wenn es eine „deutliche Annährung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts“ gegeben hat. Davor war eine Änderung des Personenstands nur nach einer Operation der primären Geschlechtsmerkmale möglich. Das Gericht hat nun gesagt: Der Staat muss den Personen nicht mehr in die Hose schauen. Es reicht der Blick ins Gesicht.

Apropos Gesicht: Das Arbeits- und Sozialgericht beschied 2024, dass die österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) für die Kosten für das Lasern der Barthaare einer Transfrau aufkommen muss. Die ÖGK meinte, der Bart sei eine bloße kosmetische Beeinträchtigung. Das Gericht entschied aber, dass gerade das äußere Erscheinungsbild für die „erfolgreiche soziale Integration von besonderer Bedeutung“ sei. Die Behandlung zur Angleichung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts sei nach medizinischem Stand die gebotene Behandlung.

Eine Behandlung ist auch geboten: Es ist eine besonders vulnerable Gruppe. Die Suizidalität von Transpersonen liegt mit 40 Prozent deutlich über dem gesellschaftlichen Durchschnitt von 4,6 Prozent. Selbstverletzungen im unerwünschten Körper sind an der Tagesordnung. Mit ein Grund, warum geschlechtsanpassende Operationen in Österreich zum Teil Kassenleistung sind.

Das Wahlprogramm der FPÖ hält nichts von solchen Kassenleistungen: „Für die Bewerbung solch „queerer“ Experimente darf kein Steuergeld aufgewendet werden.“

Wir haben in Österreich einen guten Rechtsstaat.
Ann-Sophie Otte, HOSI-Obfrau

Die Obfrau der Homosexuellen Initiative (HOSI), Ann-Sophie Otte, befürchtet keine Änderungen bei bestehenden Gesetzen: „Wir glauben, dass wir in Österreich einen guten Rechtsstaat haben und dementsprechend geschützt sind.

„Aber verwaltungstechnisch könnte einiges erschwert werden“, meint Otte im Gespräch mit der WZ. Man kann über ein Mehr an Auflagen oder mit einer Verknappung des Angebots einiges erreichen. „Die medizinische Versorgung von Transpersonen einzuschränken, wäre für Einzelpersonen ein richtiger Schlag.“

Auch die ÖVP hatte unter dem nunmehr zurückgetretenen Kanzler Karl Nehammer vor einem Jahr laut (und publikumswirksam) gegen ein „Verbot von Hormonbehandlungen unter 18 Jahren“ nachgedacht und es auch in sein Wahlprogramm geschrieben. Die Trans-Community hatte daraufhin aufmerksam gemacht, dass Hormonbehandlungen von Jugendlichen ohnedies nur vollständig bis partiell reversibel sein dürfen, und erst nach umfassenden Diagnosen sowie der Unterstützung durch die Erziehungsberechtigten möglich sind. „Verhetzen Sie Transgender-Personen nicht für politisches Kleingeld“, appellierte TransX-Obfrau Eva Fels schon vor einem Jahr an die damalige Kanzlerpartei ÖVP.


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Infos und Quellen

Genese

Welche Forderungen der bevorstehenden Koalition sind tatsächlich realistisch durchsetzbar? Diese Frage hat sich die WZ-Redaktion gestellt und Themenbereiche verteilt.

Gesprächspartner:innen

  • Ann-Sophie Otte, Obfrau der Homosexuellen-Initiative (HOSI)

  • Pressestelle VfGH

Daten und Fakten

  • Die FPÖ hat im Sommer die EU-Wahl mit 25,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Es folgte die ÖVP mit 24,5 Prozent, dann die SPÖ mit 23,2 Prozent. Die Grünen erhielten 11,1 Prozent, die Neos 10,1 Prozent.

  • Bei der Nationalratswahl in Österreich fiel der Sieg der FPÖ deutlicher aus: Die Freiheitlichen errangen 28,85 Prozent, die ÖVP 26,7 Prozent und die SPÖ 21,14 Prozent. Es folgen die Neos mit 9,14 Prozent und die Grünen mit 8,24 Prozent. Eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ hätte einen ganz knappen Überhang von einem Mandat gehabt. FPÖ und ÖVP haben mit 108 Sitzen eine komfortable Mehrheit. Für eine Verfassungsmehrheit (Zwei Drittel Mehrheit) wären aber 122 Stimmen notwendig.

  • Auch in der Sprache soll es laut der FPÖ keine Sichtbarkeit für queere Menschen – oder auch Frauen - geben. Die Freiheitlichen lehnen jede Verwendung des Binnen-I oder „anderer skurriler Sonderzeichen“ ab und fordern ein „Genderverbot“ im öffentlichen Bereich, wie sie es mit der ÖVP 2023 bereits in Niederösterreich umgesetzt haben.

  • Die Abkürzung LGBTIQ+ steht für „Lesbians, Gays, Bisexuals, Transgender, Intersex & Queers“ und für weitere, nicht benannte Identitäten.

  • Minderjährige können mit Zustimmung der Eltern reversible Pubertätsblocker erhalten.

  • Eine genitalangleichende Operation ist bei Indikation eine Kassenleistung.

    Infos und Quellen